Egon Erwin Kisch
Aus Prager Gassen und Nächten
Egon Erwin Kisch

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Das Lied vom Kanonier Jaburek

An den Korridorwänden in den Kasernen hängen Schlachtenbilder, Porträts ruhmreicher Feldherren, Gedenktafeln für gefallene Soldaten des Regiments. Alles in schönen Rahmen. Dann hängt noch in jedem Kompagniegang ein »Verzeichnis der Gastlokale, deren Besuch der Mannschaft untersagt ist«. Diese Tafeln haben den schönsten Rahmen. Mit Recht. Denn in Friedenszeiten kann der Soldat seinen kriegerischen Sinn und seine persönliche Tapferkeit nirgends so gut erweisen, wie in den Wirtshäusern. Und in den »Gastlokalen, deren Besuch der Mannschaft untersagt ist«, wurde eben dieser kriegerische Sinn und diese persönliche Tapferkeit ruhmreich erprobt. Also ist es nur löblich, daß dieses Verzeichnis der Kriegsschauplätze und Schlachtfelder kostbar eingerahmt wird.

Die Schlachten werden manchmal gegen Zivilisten geführt. Diese sind aber verächtliche Gegner. Sie haben keine Waffen. Man wirft die Kerle einfach hinaus, und gut ist's.

Ernster ist es schon, wenn sich zwei Teile unserer Armee, jener, der dem Reichskriegsminister, und jener, der dem Landesverteidigungsminister untersteht, wacker bekriegen. Wer nie einen Fernkampf der Biergläser, oder einen Nahkampf der Ohrfeigen mitgemacht hat, der sich zwischen den Angehörigen der Landwehr und jenen des Heeres entsponnen hat, der kennt Euch nicht, Ihr himmlischen Mächte, die Ihr von Zeit zu Zeit die Militärbehörden veranlaßt, das Verzeichnis der verbotenen Gastlokale um eine neue Nummer zu bereichern.

Ob es nun bei Trunk oder Tanz ist – immer kommt die Rivalität zwischen den Teilen der Wehrmacht zum Ausdruck, immer ist diese in zwei Gruppen gespalten. Ja, selbst wenn eines jener Soldatenlieder, deren Absingung im Felde die Offiziere nur nach Gewaltmärschen nachsichtig und stillschweigend dulden, im Wirtshause angestimmt wird, stört die friedliche Gruppe durch ein anderes Lied die Harmonie der Stimmen. Nur eine 53 Ausnahme gibt es: Das Lied vom Kanonier Jaburek. Zu dessen Gesang vereinigen sich Landwehrmänner mit Heeressoldaten, die Träger der schwarzen mit jenen der grauen Mützen, Infanteristen und Sanitätssoldaten, die Soldaten, die Wunden schlagen, und die Soldaten, die Wunden lindern, die Pioniere, die im Kriege Bauten errichten, und die Artilleristen, die im Kriege Bauten zerstören. Es ist ein hochheiliger Kantus.

Die einmütige Ehrung, die dem Liede zuteil wird, ist ein Beweis von Sinn für kriegerische Heldentaten. Denn der Kanonier Jaburek, über dessen Persönlichkeit leider weder das deutsche, nach das tschechische Konversationlexikon etwas zu verzeichnen wissen, ist ein Mann, gegen den die anderen Helden der Kriegsgeschichte aller Zeiten und Völker ein Nichts darstellen. Der vielbesungene Leonidas zum Beispiel hat bei der Verteidigung des Engpasses von Thermopylae – wie ein zeitgenössisches Marterl meldet – nicht anders gehandelt, als »wie das Gesetz es befahl«. Aber der Kanonier Jaburek! Wo steht im Wehrgesetz geschrieben, daß jemand, dem der Kopf wegfliegt, sich noch entschuldigen muß, daß er seine Hände nicht salutierend an den Kopf legen könne, wo steht im Exerzierreglement, daß jemand . . . aber dem Liede sei nicht vorgegriffen.

Die Epopöe hat siebzehn vierzeilige Strophen und ist in tschechisch-deutscher Sprache abgefaßt. Eigentlich ist sie tschechisch, aber sie ist von militärischen Ausdrücken, wie »Feuerwerkr«, »Kmán« (Gemeiner), Lunte, »meldovati« und deutschen Flüchen derart durchsetzt, daß vom Tschechischen nicht viel übrig bleibt. Komponist und Textdichter des Liedes sind, wie jene des Liedes »Prinz Eugen, der edle Ritter«, nicht bekannt. Das Lied vom Kanonier Jaburek behandelt – wie vielleicht schon der Name erraten läßt – die Geschichte des Kanoniers Jaburek. Dieser hat in der Königgrätzer Schlacht, im dichtesten Kugelregen, während sich Gemeine, Chargen, Offiziere, Pferde und Kanoniere (man beachte die Reihenfolge dieser Rangsliste) in ihrem Blute wälzten, seinen Heldenmut bewährt:

»Bei der Kanone dort
Stand er und lud in einem fort,
Bei der Kanone dort
Stand er und lud noch fort.« 54

Jedesmal wenn eine seiner zwei Zentner schweren Kanonenkugeln in die preußischen Reihen einschlägt, hört man auf der Gegenseite auf Jaburek fluchen. Aber dieser schießt weiter. Der General, der von Jabureks tapferem Verhalten gehört hat, eilt herbei und bietet diesem einen Trunk aus seiner Feldflasche an. Aber der Kanonier weist die freundliche Aufforderung mit der noch freundlicheren Aufforderung ab, der General möge seine Spassetln für sich behalten, ihm auf den Buckel steigen und ihn weiter schießen lassen:

»Bei der Kanone dort
Stand er und lud in einem fort etc.«

Der Held schießt wie ein Wahnsinniger und zertrümmert ein feindliches Regiment. Kronprinz Friedrich von Preußen reitet vorbei und sieht den Recken – oder, um mit den Worten des Liedes zu sprechen:

»V tom ho vidě kronprinc Friedrich:
»Her je den Kerl erschieß ich.«

Der Kronprinz selbst feuert gegen Jaburek, und die ganze preußische Armee erwählt sich das gleiche Ziel, um sich beim Kronprinzen einzuschmeicheln. Eine Kartätsche fliegt dem Artilleristen durch den Mund in den Magen, aber der Getroffene nimmt sie schnell wieder heraus und schießt ruhig weiter. Eine gegnerische Petarde reißt dem Schützen beide Arme ab, doch er zieht schnell seine hohen Stiefel aus und schießt mit den Füßen weiter. Schon aber kommt, von einem preußischen Freiwilligen (»prajský frajbilik«) gefeuert, ein Shrapnell herangeflogen und reißt Jabureks Kopf ab. Der Kopf fliegt am General vorbei und meldet diesem im Vorübergehen, daß er nicht salutieren könne. Aber Jaburek selbst steht noch immer bei der Kanone dort und ladet in einem fort. Endlich wird seiner Aufopferung eine Grenze gesetzt: Der Feind schießt auf seine im Fluge befindlichen Geschosse, und diese fallen in die eigenen Reihen zurück. Da gibt Jaburek das Laden auf (bei dieser Strophe soll der Refrain entfallen), er packt seine Kanone und eilt aus der Schußlinie. Dafür aber – für die Rettung der Kanone nämlich – wird er geadelt und heißt von da ab »Edler von die Jaburek«. Er hat jetzt den Adelsstand, und über das Fehlen seines Kopfes tröstet er sich mit dem 55 Bewußtsein, daß – das Lied schließt sehr gehässig – die kopflosen Adeligen angeblich doppelt geachtet seien. Auf seinem Wappen stehen die Worte:

»Bei der Kanone dort
Stand er und lud in einem fort,
Bei der Kanone dort
Stand er und lud noch fort.«

Dieses ist das Lied vom Kanonier Jaburek, dessen Namen die Kriegsgeschichte verschweigt. Aber sein Ruhm lebt im zechenden Soldatenkreise weiter, und jedesmal wenn das Lied den Refrain »laden« bringt, nehmen die Sänger dem tapferen Recken zu Ehren eine stärkende Ladung zu sich. Und das Lied hat siebzehn Strophen. 56



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