Egon Erwin Kisch
Der Mädchenhirt
Egon Erwin Kisch

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Sechzehntes Kapitel

Es ist Sonntag Vormittag. Da Jarda die Karlsbrücke betritt, vergißt er den Konflikt, den er eben in der Rittergasse gehabt hat, und der ihn bisher auf dem ganzen Wege vor Wut erzittern ließ. Jetzt aber schaut er im Gehen immerfort über die Brüstung der Brücke hinunter auf die Insel Kampa, sein Reich, das er nun schon lange, lange nicht gesehen hat. Eine Gruppe von Burschen steht am Ufer, in Sonntagskleidern, sprechend. Er ruft ihnen von der Brücke hinab einen Gruß zu, der erwidert wird. Eigentlich nicht sehr herzlich erwidert wird, denkt er, während er die Stiegen bei der Rolandstatue von der Brücke hinuntergeht. Ach Gott, das ist Einbildung, weil er eben schlecht aufgelegt ist. Gleichwohl: Ein Jubelruf war es nicht, der ihm geantwortet hat. Und bei überraschender Heimkehr nach so 214 langer Abwesenheit hätte ihm, Jaroslaw Chrapot, doch wohl ein freudiger Zuruf gebührt. Es scheint ja, daß auch der hinkende Adalbert bei der Gruppe stand. Der hinkende Adalbert, sein opferfreudigster Anhänger, und er verdankt dem Jarda sein Mädel. Der hätte doch . . . Ja, es ist der hinkende Adalbert. Aber die Burschen schauen sich gar nicht nach Jarda um. Sie sprechen ruhig miteinander. Forciert ruhig, merkt er. Hie und da schaut einer verstohlen auf ihn. Krens! Alle. Weil einer im Spital war, verachten sie ihn. Narren; das kann jedem passieren! Aber ein Trottel holt sich die Krankheit unbewußt, von einer vermeintlichen Prinzessin. Gut, Jarda schaut sich auch nicht nach ihnen um; mit einem malitiösen Lächeln geht er vorbei. Aber, daß der hinkende Adalbert . . . Einer pfeift etwas. Was pfeift er denn? Ja, das soll das Zuhälterlied sein. Jarda dreht sich um, er möchte auf den Pfeifenden zuspringen, ihm einen Schlag versetzen. Aber er ruft den Burschen nur zu: »Krens seid ihr alle miteinander!« Die wollen ihn mit dem ›Pasaci-Lied‹ uzen; die verstehen ebenso wenig, was ein Zuhälter ist, wie die Kellnerburschen, von denen er zum ersten Mal das Lied gehört hat.

Die Toni Dolezalova kommt ihm in der Traubengasse entgegen und will, ihn erschrocken erkennend, 215 rasch an ihm vorbei. »Toni,« ruft er sie an, »ich will dich nur etwas fragen.« – »Ich habe keine Zeit«; scheu sieht sie sich um, ob nicht jemand gehört habe, daß sie dem Jaroslaw Chrapot vier Worte geantwortet hat.

Schon ist sie weg, und von der Mühle am Certovka-Arm steigt dem Jarda der Dampf in den Hals, vom Umschlagsplatz her ein widriger Geruch von Teer und Harz. Ganz schlecht wird ihm davon. Er muß sich an die Wand stützen. Hm, noch nicht ganz auskuriert. Der Doktor hat gesagt, daß er noch einmal in der Woche ins Ambulatorium kommen soll, um sich untersuchen zu lassen. Jarda war es nicht eingefallen, daß er das wirklich tun werde. Aber er wird doch hingehen müssen. So schlecht ist ihm.

Der alte Chrapot knurrt nur einen knappen Ton, da sein Sohn ins Zimmer tritt, und schaut ihn neugierig an. Auch die Mutter nickt nur, aber sie ist keine, die lange zu schweigen vermag, wenn sie etwas zu sagen hat. »Wir übersiedeln.«

»Übersiedeln? Und wohin?«

»Nach Zlichow.« – »Weg von der Kampa?«

Dem Jarda ist es nicht eingefallen, daß man von der Insel Kampa übersiedeln könne. Er war oft lange nicht heimgekommen, gewiß. Aber er und die Seinen 216 gehörten doch her, hier war er geboren, hier hatte er gespielt, geherrscht, hier war er in die Schule gegangen, hier war er doch immer zu Hause gewesen. Daß es nicht mehr das Alte war, hatte er jetzt schon arg bemerkt, als er an den Burschen vorbeigegangen war, und als ihm die Toni Dolezalova auswich. Aber übersiedeln, ganz wegziehen, für immer! »Und warum?«

»Ich bitte dich, frage noch! Du fragst noch!«

Also fragt er nicht mehr. Die Mutter rückt ja selbst mit der Sprache heraus:

»Nicht mehr auf die Gasse habe ich gehen können in den letzten Tagen. In der Altstadt habe ich Gemüse und Fleisch einkaufen müssen. Überall habe ich mich anschauen lassen müssen, als ob ich selbst eine alte Kupplerin wäre. Die alte Hejl hat mir ja auch so etwas ins Gesicht gesagt.«

»Die alte Hejl? Hätte ich der Luise nicht geholfen, wäre die ganze Familie verhungert.«

»Wären sie halt verhungert! Wer hat dir geschafft, ihr zu helfen? Glaubst du, jemand wird dir dankbar sein? Vorige Woche war ich beim Robert Malik – er ist schon verheiratet mit der Ruzena Rec – und wollte, er soll mir wieder ein Buch für dich borgen. Rundweg abgeschlagen hat er mir's und hat gesagt, die Bücher, die er dir geliehen hat, kannst du dir auch 217 behalten. Er will mit dir nichts mehr zu tun haben. Und wie ich ihm gehörig geantwortet habe, hat er sich noch das Maul zerrissen, daß er sich schäme, seine Frau durch einen solchen Zuhälter kennen gelernt zu haben. Eine solche Wut habe ich gehabt, daß ich gar nicht mehr zu dir ins Spital gegangen bin. Die Eltern der Mädel, die im Hradschiner Besserungsheim sind, die wollten . . .«

Jarda hört gar nicht mehr zu. Also die Hejlischen auch und Robert Malik auch. Und früher der hinkende Adalbert. Also alle. Das waren seine besten Werke gewesen. Aus Uneigennützigkeit, aus Freundschaft, aus Mitleid hat er diese Menschen gekuppelt, hat sie gerettet, glücklich gemacht.

Auch sie hassen ihn nun, ignorieren ihn, da er an ihnen vorübergeht. Wollen sich nicht einmal etwas zurückgeben lassen, das sie ihm geliehen hatten, – lieber Schaden, als mit einem Zuhälter etwas zu tun zu haben. Beschimpfen seine Mutter.

Und heute war Jarda ja hergekommen, nicht mehr um die Mädel für paar Minuten mit splendiden Herren zusammenzubringen, sondern um sie zu bewegen, sich von Mani Busch für ewig irgend wohin in ein galizisches Soldatenbordell verkuppeln zu lassen. Heute wollte Jarda nicht aus Selbstlosigkeit, nicht aus 218 Mitleid, nicht zum Spaß, – sondern um zwanzig, dreißig Kronen zu verdienen – –

Wie würde es auf der Insel gegen ihn gären, wenn man das wüßte. Man hätte wohl ihn, die Mutter und den Vater erschlagen.

Jarda hätte auch die Macht nicht mehr, keinen Einfluß auf ein Mädel. Er ist hier der erste gewesen, jetzt ist er der letzte.

Frau Chrapot ist noch lange nicht fertig mit ihren Berichten: »Die Dvorakischen wohnen auch nicht mehr auf der Insel Kampa. Die mußten fort. Die hatten erst recht Krawalle. Der Kaufmann hat ihnen nicht verkaufen wollen. In Holleschowitz wohnen sie, glaub' ich, jetzt.«

So, die Dvorakischen wohnen auch nicht mehr hier. Jarda stiert durch das Fenster aufs Wasser hinaus. Das ist ein Floß, nicht? Er kann es nicht genau unterscheiden, über seinen Augen sind matte Schleier gehängt. Oder es lagert so dichter Nebel über der Moldau. Es kann kein Floß sein, heute ist Sonntag, da fährt man nicht aus dem Floßhafen ab. Es könnten höchstens Böhmerwald-Flößer sein, die machen keinen Halt auf ihrer Tour. Ein merkwürdiges Floß. Es sieht so aus, als ob Häuser darauf wären, kleine, mörtellose Häuser, und eine Mühle und eine Allee mit 219 Lindenlaub. Das ist ja die Insel Kampa. Die Flößer haben ihn gesehen und hastig bohren sie die Staaken in den Flußgrund. Sie wollen nur fort von ihm, möglichst rasch. Herrgott, sie fahren zu schnell. Sie werden jetzt an den Prellbock bei der Altstädter Schleuse auffahren und zerschellen. Nein, sie zerschellen nicht. Sie sausen durch die Schleuse und Jarda sieht sie nicht mehr. Die fahren jetzt ruhig weiter, aber Jarda sieht sie nicht mehr, fort ist die Insel Kampa . . . Unsinn. Es war ein ganz gewöhnliches Floß. Und die Flößer haben ihn natürlich gar nicht erkannt. Alles Einbildung.

Dem Jarda fällt die kleine Luise Hejl ein. Sie hat sich ein Gesundheitsbüchel von der Sittenpolizei ausstellen lassen, aber sie ist ein braves Mädel. Die einzige, die er je gerne gehabt hat. Plötzlich weiß er es. Ja, er hat sie gerne gehabt.

»Kommt die Luise Hejl manchmal auf die Kampa?«, fragt er die Mutter.

»Die ist Straßenmädel. Neulich war sie hier. Da hatte sie ihr Zuhälter so heftig mit dem Kleiderstock geschlagen, daß er ihr die Nase entzwei gebrochen hat. Ganz blutig und geschwollen und weinend ist sie nach Hause gekommen, aber die alte Hejl hat sie hinausgewiesen. ›Eine Dirne darf mir nicht in die 220 Wohnung,‹ hat sie noch geschrieen, als die Luise schon längst weg war.«

Da wird in Jarda ein Gefühl, als ob in seine Augen Blut ströme. Nur zweimal in seinem Leben hatte er sich um einer Frau willen gegrämt. Das erste Mal, als Betka in das Hotel ging und er sich unten am Wasser vor Schmerz erbrach. Aber damals war er ein Kind gewesen, er hatte sich bloß aus verletzter Eitelkeit gekränkt und vor etwas Unbekanntem geekelt. Das zweite Mal war es, als Luise erhitzt, mit schweren Atemzügen zu den Kellnerburschen kam, weil es Jarda so gewollt hatte. Damals war sie schön gewesen und hatte ihm so brennend leid getan. Er hatte die Burschen, denen er sie zugeführt hatte, um sie beneidet. Warum hatte er sie also nicht von ihr losgerissen? Aus Großmannssucht, um zu zeigen, was er verschenken könne? Auch. Aber vor allem: ihm hatte die Entschlußkraft gemangelt.

Sie war so hübsch, so einfach, die kleine Luise Hejl. Nein, sie sah der Wärterin Angela im Spital doch nicht ähnlich. Die Luise hatte ein viel netteres Aussehen, ganz unschuldig. Sie trug eine so liebe Frisur. Die Luise paßte wirklich nicht zur Straßendirne. Jetzt steht sie beim Pulverturm mit den schlampigen Frauenzimmern herum, die von allen Passanten 221 verhöhnt werden. Wenn Jarda spät nachts mit seinen Kollegen aus dem ›Hotel Budapest‹ gegangen war, hatten sie auch die Weiber irgendwie geuzt. Dort geht jetzt also auch die Luise Hejl umher, und das Geld, das sie verdient, darf sie nicht mehr nach Hause tragen. Das kriegt ihr Zuhälter. Ein roher Kerl, der den Kleiderstock gegen sie wirft und ihr das Nasenbein zerschlägt. Die arme, liebe, hübsche Luise! Er möchte seine Hände auf ihre Haarsträhnen schmiegen und die kleine Luise sanft an sich ziehen, für immer. Es geht nicht mehr, es ist alles vorbei.

In ihm wird eine Liebe geboren, in dem Augenblick, da sie stirbt. Noch immer ist es ihm, als ob in seinen Augen Blut wäre. Frau Chrapot spricht noch von den Zuständen auf der Insel, eben hält sie bei den Schikanen, die die Dvoraks zu erdulden hatten, bevor sie übersiedelten.

»Und du? Was wirst du jetzt anfangen?« Jarda schreckt auf: »Ich habe etwas in Aussicht.« – »Für wann?« forscht die Flößerfrau eindringlich. Sie mag es nicht haben, daß ihr Sohn zu Hause umherlungere, sie wieder von Tag zu Tag vertröste.

»Für morgen schon.« Er lügt. Aber nur jetzt keine Beschimpfungen, Mahnungen, Drohungen. Eben 222 schwamm ihm ja die Insel Kampa davon. Für immer. Und die Liebe starb.

»Was hast du für eine Stellung in Aussicht?« – »Das werde ich dir erst morgen sagen.«

Was soll er nun wirklich anfangen? Er weiß es nicht. Im Spital hatte er sich mit einer lohnenden Anstellung bei Mani Busch vertröstet. Damit ist es nichts. Für lumpige paar Kronen den Mädchen aufzulauern, sie zu betrügen und zu vernichten, und selbst in der schmierigen Luft des Café Brasilien amtieren zu müssen.

Ins Hotel ›Stadt Budapest‹ zurück will er nicht, zu seinen sauberen Kollegen, die sich die ganzen Wochen nicht an ihn erinnert, ihm nicht einmal eine Ansichtskarte aus Selz ins Spital gesandt haben, trotzdem er ihnen ein so treuer Kumpan gewesen war. Sie hatten sich einfach gefürchtet, es könnte zutage treten, daß sie mit einem polizeibekannten Kuppler in Beziehung seien. Man würde ihn auch gar nicht mehr annehmen, man wußte ja, daß die Polizei ihn geholt hatte, daß er angesteckt ins Spital gebracht worden war.

Und von neuem anfangen, als Kellner, das geht auch nicht. Er hat nicht einmal einen Frack mehr, und die paar Kronen, die er verdienen würde, müßte er ganz auf Abzahlung für einen solchen verwenden. 223 Dabei könnte es jeden Tag zutage treten, daß er auf der Polizei photographiert, registriert und bestraft sei und daß er Syphilis habe.

Und wenn die Betka aus dem Arbeitshaus kommt, wird sie wollen, ich soll ihr wieder den Zuhälter machen. Sie wird sagen: »Du hast mich bewogen, aus dem Elternhaus fortzuziehen, hast mich ins Café Rokoko gebracht, mit mir die Wohnung gemietet, mir aufgetragen, daß ich meine Freundinnen von der Insel holen und mir Herren einladen soll. Ich habe dich nicht in die Affäre hineingezogen, trotzdem ich ins Kriminal gekommen bin und ins Arbeitshaus – und nun willst du dich nicht mehr um mich kümmern?«

Darauf könnte Jarda wirklich nicht antworten. Am besten, wenn er wegfahren würde, nach Wien, nach Dresden, nach Berlin. Irgendwohin. Er spricht ja deutsch, die Welt steht ihm offen.

Aber woher das Geld nehmen zur Reise, zum Aufenthalt, bevor man eine Stellung findet!

Der alte Duschnitz, dieser geizige Schuft, wie er ihn hinausgeworfen hat! Eigentlich müßte ihm Jarda etwas wegnehmen. Im Notfalle – mit – Gewalt . . . Verdienen würde er es zehnmal, dieser Schuft. Mit – Gewalt . . .? Warum nicht! Gibt es denn nur in den Kriminalgeschichten gescheite Kerle? 224 Sogar diesem Raskolnikow ist es ganz spielend geglückt, die zwei Weiber zu erschlagen, zu berauben und zu entfliehen, trotzdem gerade zwei Besucher kamen, während er in der Wohnung war. Und zum Herrn Duschnitz kommt kein Besucher. Und wenn man selbst den Jarda erwischen würde? Was hat er zu verlieren! Krank ist er, unheilbar krank, photographiert, unheilbar photographiert. Und er hat doch immer selbst gewünscht, vor Gericht zu stehen und den Herren zu sagen, man habe ihn verseucht, verhaftet, eingesperrt, geächtet, obwohl er nie etwas Schlechtes getan, allen Leuten nur Gutes. Was bleibt ihm übrig als ein solcher Entschluß! Und den Burschen hier von der Insel Kampa, die ihn heute ignoriert und mit dem Zuhälterlied gehöhnt haben, denen würde er schon imponieren. Wie haben die ihm zugehört, wenn er ihnen erzählte, was in den Malikschen Heften stand, wie haben alle begeistert die Taten des erdichteten Mörders durchgesprochen! Ja, ein Mörder ist doch etwas anderes, als ein Zuhälter. Das habt ihr dem Jaroslaw Chrapot nicht zugetraut, was?

Ach was, gar nichts wird er machen, niemandem würde er imponieren. Er kennt sich doch. Er ist ja noch viel feiger als der Raskolnikow. Er schwatzt nur und tut gar nichts. Warum hat er heute früh 225 nicht dem Burschen ein paar Ohrfeigen gegeben, der das Zuhälter-Lied gepfiffen hat! Der kleine Kerl im Café Brasilien, viel kleiner war er als Jarda, der ist gleich auf den Mann zugesprungen, der den Kragen gelüpft hatte. Das ist doch ein Mensch! Den Jarda aber hat er im Café Brasilien nur angewidert. »Ein Raufbold«. So wie ihn gestern der Bursch angewidert hatte, der mit seinem Mädel in den Ziska-Anlagen zärtlich tat. Warum? Das sind Menschen, die Gefühle und Absichten haben und sie zum Ausdruck bringen. Jarda hat auch Gefühle, hat auch Absichten, aber er kann sie nur durchdenken, nur mit sich selbst besprechen.

Na ja, eine solche Sache läßt sich doch nicht übers Knie brechen. Das muß überlegt sein, ein Plan gemacht, sorgfältig durchdacht, das ist doch keine Kleinigkeit.

Jarda lacht sich selbst ironisch ins Gesicht. Er hatte es ja gewußt: Plan machen, überlegen, sorgfältig durchdenken, wieder einen Plan und wieder überlegen. Ja. Darin ist er groß. Aber etwas auszuführen? Zur Tat kommt es nicht. Das war auch ein solcher Plan gewesen, dem Jungen, der ihm früh mit dem Zuhälter-Lied gehöhnt hatte, einen Hieb zu geben. Und was hat Jarda getan? Einen albernen Zuruf. 226

Plan. Wozu ein Plan? Herr Duschnitz ist allein in seinem Zimmer. Die Küche, in der die Wirtschafterin wohnt, liegt auf der anderen Seite der Pawlatsche. Links von der Türe steht das Bett und daneben das Nachttischchen. Im Nachttischchen sind die Kassenschlüssel, das weiß Jarda noch aus seiner Kinderzeit her. Seine Augen hatten ja schon damals gierig den fremden Herrn verfolgt, als er vom Fenster zum Nachttischchen gegangen war, die Schlüssel herausgenommen und dann die Kassa geöffnet hatte, um dieser die Uhr zu entnehmen. Rechts steht die Kassa. Durchs Fenster kann man auf die Straße hinausklettern. Die Wohnung liegt ja im ersten Stock ganz niedrig, lauter Zieraten sind über dem Portal und unter den Fenstern und – wenn sich Jarda recht entsinnt – auch große Firmenschilder. An denen kann man sich leicht hinunterlassen. Die Rittergasse ist ja bei Nacht ganz menschenleer. Es ist leichter hinauszukommen, als hinein. Ach was, er wird einfach in das Haus hineingehen und sich auf dem Boden oder auf der Pawlatsche verstecken, bis abends das Tor versperrt wird und Herr Duschnitz zu Bett gegangen ist. Dann kann man von der Loggia aus in die Wohnung kriechen. Ein richtiges Versteck wird er schon ausfindig machen. Wenn ihm jemand im Hause begegnet, wird 227 er einfach sagen, er gehe zu Herrn Duschnitz, er sei ein alter Bekannter: »Sagen Sie Herrn Duschnitz nur, der Jaroslaw Chrapot von der Insel Kampa möchte ihn dringend sprechen.« Herr Duschnitz wird schon bestätigen, daß er Jarda kenne. Freilich, vorlassen wird er ihn nicht mehr.

Was aber, wenn der alte Duschnitz aufwacht, während Jarda die Schublade des Nachttischchens öffnet und die Schlüssel hinausnimmt? Er muß nicht aufwachen. Jarda wird in seinem Versteck Filzpantoffel anziehen, die er im Krankenhaus getragen hat, da kann ihn niemand hören, wenn er durch das Fenster steigt und über das Parkett schleicht. Na, solche Leute haben einen dünnen Schlaf. Er macht ja gar nichts während des ganzen Tages, er sitzt im Schlafrock beim Fenster, da kann er nachts nicht müde sein, kann nicht fest schlafen. Hm, das ist zu bedenken.

Was ist da zu bedenken! Natürlich, schon hat Jarda gehofft, mit einem gewöhnlichen Diebstahl davonzukommen. Hatte er sich nicht fest vorgenommen: mit – Gewalt? Imponieren hat er der Insel Kampa wollen. Und jetzt fängt er schon an, zu bremsen, zu vermindern. Bald wird von der ganzen Absicht nichts mehr übrig sein.

Es ist doch besser, der Alte erwacht, solange Jarda 228 noch beim Nachtkastel steht. Da kann er ihn gleich still machen, bevor er noch um Hilfe schreit. Wenn Herr Duschnitz erst erwacht, wenn sich Jarda an der Kassa zu schaffen macht, dann ist es schon viel schwieriger – bevor Jarda bemerkt, daß er aufgewacht ist und auf ihn zuspringen will, kann er schon das ganze Haus alarmiert haben. Am besten wäre freilich, wenn er überhaupt nicht aufwachen würde. Ja. So muß man es machen. Während er schläft . . .

Die Holzhacke vom Vater könnte er gleich mitnehmen, die befestigt man mit einer Schlinge unter dem Rock. Ein Messer wäre eigentlich besser. Eine Hacke ist zu schwer, sie hindert beim Kriechen, für starke, rohe Leute ist so etwas, die wuchtig darauf losschlagen können; auch spritzt das Blut bei einem Beilhieb zu weit umher. Blutflecken würden einen schnell verraten. Gegen einen schlafenden Menschen genügt ein Messer; das stößt man ihm einfach in den Hals.

Und mit dem nächsten Zug fährt man weg. Gleichgültig wohin. Man hat ja Geld und spricht deutsch.

Die Mutter hat scharfe Küchenmesser genug. Nicht einmal sie würde gleich bemerken, daß ihr eins fehlt. Und wie sich das bequem in die Tasche stecken läßt.

Jarda muß lachen. Da trägt er schon das Messer im Rock, als ob er wirklich einen Mord begehen werde. 229 Natürlich werde er gar nichts tun, schwatze ja nur. Aber es regt so angenehm an, einen solchen Plan auch nur durchzudenken, das Herz klopft vor Aufregung. – Es ist doch etwas anderes, als bloß Kriminalgeschichten zu lesen.

Wenn ihr wüßtet, was ich vorhabe, denkt er, da er – die Arme in die Hosentaschen geschraubt – an unwillig schauenden Leuten vorbei, über die Insel Kampa schlenkert, selbst das Zuhälter-Lied pfeifend. 230

 


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