Egon Erwin Kisch
Der Mädchenhirt
Egon Erwin Kisch

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Zwölftes Kapitel

Ach, wenn nur nicht die Arme vom Aufstützen beim Lesen so schmerzen würden.

Da muß ich nun wieder auf dem Rücken liegen und denken.

Wie schrecklich langweilig ist es doch hier.

Und ich weiß gar nichts von dem, was mich interessieren würde, wann die Betka Gerichtsverhandlung hat, was im Hotel ›Stadt Budapest‹ los ist, was die Kerle alle machen. Nicht einer von ihnen war bis jetzt hier. Gesindel! Na ja, es ist schwer für sie. Nur von drei bis vier Uhr nachmittags sind die Krankenbesuche erlaubt, da schlafen sie ja alle. Wenn früh Besuchstunden wären, so um neun zum Beispiel, da kämen sie gewiß herauf, vielleicht alle gemeinsam. Das wäre ein Jux! Aber nachmittags aufzustehen, das kann ich von ihnen gar nicht verlangen. 153

Die Emmy Dvorak ist die einzige Bekannte von mir, die hier war. Sie wohnt jetzt auf der Walstatt. Sie könnte auch häufiger zu mir kommen, ich habe ihr lang genug Quartier gegeben, fast umsonst. Wenn sie nicht gekommen wäre, wüßte ich nicht einmal, daß die Betka beim Strafgericht ist, und daß die drei Mädel, die in meiner Wohnung ertappt wurden, in die Besserungsanstalt auf dem Hradschin gesteckt werden sollten. Zwei von ihnen sind auch oben. Nur die Luise Hejl nicht, ihre Mutter hat die Einwilligung nicht gegeben. Nun ja, von was sollte denn die arme Familie leben; da hat sich die Luise halt ein Büchel geben lassen. Komisch. Die kleine Luise unter Kontrolle, so ein schamhaftes, schüchternes Mädel. Sie kann ein ganz gutes Geschäft dabei machen, die Männer fliegen auf diese Sentimentalen. Die Mädel, welche selbst die Männer anpacken oder anrufen, die machen das schlechteste Geschäft, die Luise wird nicht einmal antworten können, wenn sie ein Herr anspricht. Das wirkt noch besser. Ach nein, sie wird auch nichts verdienen. Sie ist zu dumm, sie kann kein Geld herauslocken; wenn irgend ein Schwengel kommt, der mit ihr umsonst gehen will, oder ein Fähnrich – sie geht gleich. Die würde einen tüchtigen Zuhälter brauchen, der ihr auf die Kappen sieht. Ich möchte ganz gerne wissen, was die verdient. 154 Ich muß der Emmy Dvorak sagen, daß sie sie mal herbestellt.

Komisch war der Herr vom Gericht, der da war, um mich wegen der Betka einzuvernehmen. Hat der eine Angst gehabt, sich anzustecken! Er hat sich nicht einmal setzen wollen, als er das Protokoll geschrieben hat. Er hat geglaubt, vom Sessel Syphilis zu bekommen. Und den Federstiel, mit dem ich mich unterschrieben habe, hat er gar nicht mehr zurückgenommen. So ein Esel! –

Jetzt könnte ich wieder ein bisserl lesen. Das ist doch ein andres Buch, als diese bunten Hefte! Aber eigentlich ist er doch ungeschickt und feig, dieser . . . Jetzt weiß ich nicht einmal wie der Mörder heißt, auf jeder Seite kommt sein Name vor und ich habe keine Ahnung, wie er heißt. Weil ich den Namen nicht laut gelesen und nie gehört habe. Ich schaue gleich nach. Aha: ›Raskolnikow‹. Ras–kol–ni–kow. Das muß ich mir merken. Wenn mir meine Mutter nicht die Bücher von Robert Malik gebracht hätte, müßte ich verrückt werden vor Langeweile. Meine Mutter kommt auch nicht gerne her, das habe ich ihr angesehen. Natürlich, solange ich in die deutsche Realschule gegangen bin mit den Grafen und den Beamtensöhnen, da . . . 155

Dort liegt auch so einer von meinen Herren Mitschülern, der Patzelt. Als wir in der Schule zusammen waren, hat er sich nach mir nicht umgeschaut. Der hat sich eine Ehre daraus gemacht, mit dem Baron Butzberg sprechen zu dürfen oder mindestens mit dem Larke, weil dessen Vater Gerichtspräsident ist. Jetzt kennt er mich wieder, der Affe, weil er nicht tschechisch versteht und mit den anderen nicht reden kann. Dem Patzelt kriecht die Krankheit schon auf die Nase, wenn er mich nicht angesprochen hätte, ich hätte ihn, bei Gott, nicht erkannt. Mir ist er ekelhaft, je mehr er mir von seinen gesellschaftlichen Erfolgen erzählt, daß er vorgetanzt hat mit einer Komtesse, wo er überall eingeladen war und sich fein angegessen hat, nur damit er der Haustochter verschafft, daß sie vortanzt, und von den seinen Bällen, wo nur die Damen Entree zahlen und die Herren gar nicht, im Gegenteil, die Komiteemitglieder haben noch Festessen für sich veranstaltet, vom Überschuß, über tausend Kronen hat eins gekostet. Recht geschieht einem solchen Kerl, wenn er nun hier liegen muß. Eigentlich ist er aber verteufelt schlecht daran, mit seiner Verlobung mit der jüdischen Millionärstochter ist es nun aus. Die Braut tut mir eigentlich leid, trotzdem er sich über sie lustig macht, daß sie häßlich ist und daß er mit ihr ein 156 Verhältnis gehabt hat und daß sich ihr Papa eine Ehre daraus gemacht, wenn er den ganzen Sommer hindurch umsonst bei ihnen in der Villa in der Schweiz gewohnt und sich noch Geld von ihm ausgepumpt hat. Jetzt haben sie ihn wegen seiner Krankheit herausgeschmissen, und nicht einmal sein eigener Vater fragt mehr nach ihm.

Das ist so, wie bei meiner Mutter. Solange sie mit mir hat Staat machen können, solange sie die Leute auf der Insel Kampa beneidet haben, daß ich in die Realschule gehen kann, und geglaubt haben, der fremde Herr, der sie unterstützt, werde mich einmal zu einem Minister machen oder gar zu einem Polizeirat, da hat sie mich verwöhnt. Aber jetzt, weil die ganze Insel Kampa auf mich schimpft, daß ich ein verkommenes Subjekt bin, ein Lump, jetzt will sie auch von mir nichts mehr wissen. Ganz empört war sie wegen der paar Kronen, die ich von ihr verlangt habe. Na ja, ich glaub's schon, daß es zu Hause nicht zum besten geht. Das Floßgeschäft hat sich auch schon überlebt. Lauter Stauwehren bauen sie, die ganze Moldau ist nur ein Tümpel, immerfort müssen die Prahmen von Remorqueuren ans Schlepptau genommen werden und die Holzhändler wären Narren, wenn sie immerfort die Gebühren für Schleppdampfer, Nadelwehren und 157 solches Zeug zahlen würden, da schicken sie die Stämme lieber gleich mit der Bahn. Und mein Alter hat ja auch das Podagra und kann nicht jede Woche fahren. Das hat er auch vom Wasser und das sollte auch in der Zeitung stehen, wie der Unglücksfall des alten Hejl: ›Risiko der Arbeit‹.

Der Herr aus der Rittergasse, der Herr Duschnitz, der könnte doch etwas herüberschicken. Was dem eigentlich einfällt! Er läßt meine Mutter überhaupt nicht mehr vor, ich war auch einmal dort und er hat mich auch nicht vorgelassen, der scheint schon total menschenscheu zu sein. Oder steht unter dem Einfluß irgend eines Verwandten, der gerne recht viel erben möchte. So wird es sein. Wenn er nur menschenscheu wäre, hätte er doch wenigstens die Briefe meiner Mutter irgendwie beantworten können, oder ein paar Kronen mehr schicken. Seit fünfzehn Jahren kommt immer am ersten jedes Monats die Postanweisung mit fünfzig Kronen. Was kann man mit fünfzig Kronen anfangen, mein Alter hat das Flößen aufgegeben und verdient nichts. Fünfzig Kronen! Das ist doch eine Gemeinheit. Da liege ich hier im Spital und habe nicht einmal Geld, um mir Zigaretten kaufen zu können, und mein rechtmäßiger Vater sitzt den ganzen Tag in seiner schönen Wohnung mit Venezianerspiegeln und 158 weiß mit seinem vielen Geld nichts anzufangen. Aber ich werde ihm einen Brief schreiben und ihm seine Schmutzerei gehörig auseinandersetzen. Nein, keinen Brief. Die Briefe, die von hier hinausgehen, stinken alle nach Jodoform oder so etwas. Ich werde selbst zu ihm hinaufgehen und werde ihm meine Meinung sagen. Herr, werde ich ihm sagen, wenn Sie mein Vater nicht aus dem Wasser gezogen hätte, wären Sie schon lange tot, und dafür haben Sie ihn mit meiner Mutter betrogen. Sie sind mein Vater, Herr, und am Anfang haben Sie sich auch anständig benommen, Sie haben mir eine Uhr geschenkt, sehen Sie, die habe ich noch, und Geld haben Sie uns gegeben. Aber auf einmal glauben Sie, Sie können uns alle Hungers sterben lassen, mich, Ihren Sohn und meine Mutter, Ihre Geliebte, und meinen Vater, Ihren Lebensretter. Ich sage Ihnen, Herr, wenn Sie mir kein Geld geben, so mache ich Ihnen öffentliche Schande. Ich gebe die Sache in die Zeitungen, was Sie für ein Schmutzian sind. Er wird schon Angst kriegen; haha, wie er damals erschrocken ist, als ich als Kind das schöne Messer von seinem Schreibtisch geschwungen habe. Er scheint überhaupt ein sehr ängstlicher Herr zu sein. Der wird schon mit Geld herausrücken, wenn er sieht, daß ich Ernst mache. Wenn man mich aber wieder nicht 159 vorläßt? Ach was, dann stoße ich den Diener oder die Wirtschafterin einfach beiseite. Das wäre noch schöner! Ich werde doch zu meinem Vater dürfen, ich werde . . .

Brr, da kommt wieder die Wärterin. Wenn ich sie nur sehe, wird mir schon ganz übel, die halbe Wange hat sie zerfressen und die ganze Nase; so blauglänzend ist ihr Gesicht, wie angelaufenes Blech. Die andere ist gerade das Gegenteil von der, die Angela. Sie ist zwar eine Betschwester, aber sie ist doch wenigstens hübsch. Die Gretchenfrisur paßt ihr. Der Luise Hejl sieht sie ein bisserl ähnlich. Sie bemerkt es ganz gut, wenn man raucht, aber sie sagt nichts. Der Militärarzt, der hier praktiziert, der möchte gerne mit ihr anbandeln. Aber sie schaut ihn gar nicht an. Trotzdem er sich sogar auf den weißen Leinenkittel die drei Distinktionssterne annähen ließ. Der kleine Doktor Beck, dieses Bürscherl, macht sich auch in seinem weißen Kittel riesig wichtig. Dabei ist er gar kein Doktor, ›Herr Fiskus‹ sagen ihm die Assistenten, er ist, glaub' ich, noch Student. Dabei tut er, als ob er Chef der Klinik wäre. Er hat nur den Zuwachs, die Krankengeschichte und die Behandlung zu notieren, aber er sitzt den ganzen Tag an seinem Tischchen und schreibt. Wahrscheinlich Liebesbriefe. 160

Der Assistent ist auch komisch. Punkt zwei Uhr nachts, wenn ich nicht schlafen kann, höre ich ihn nach Hause kommen. Er klappert immer mit seinem Stock auf das Pflaster im Hof.

Es ist scheußlich, daß ich bei Nacht nicht schlafen kann. Na ja, wenn man den ganzen Tag keine Bewegung macht, ist man auch nicht müde. Um sieben Uhr abends ist schon kein Mensch mehr im Hof und um neun Uhr wird alles dunkel. Um neun Uhr ist hier Nacht. In meinem ganzen Leben bin ich nicht um neun Uhr schlafen gegangen. Drüben in der Frauenklinik, da beten sie alle das Vaterunser. Zuerst spricht die Schwester mit ihrer hohen Stimme vor, die andern fallen im Chor ein. Dann gehen sie schlafen. Nur manchmal hört man einzelne Schreie von Kranken. Auch der Affe im Laboratorium fängt jede Nacht zu quieken an. Der Affe hat Syphilis. Oft schaue ich zum Fenster hinaus. Das ist dumm, daß man sich nicht hinauslehnen kann, wegen der Gitter. Die Stirn tut einem weh, wenn man sie so in Gedanken an die Eisenstäbe preßt. Wenn plötzlich in einem Zimmer Licht angezündet wird, so weiß ich, daß der Arzt gerufen worden ist; ein schwarzer Schirm wird vor das Bett geschoben. Die Uhr vom Emauskloster hört man deutlich schlagen. Manchmal rattert im Hof das 161 Rettungsautomobil, man hört, wie der Wagen aufgeklappt wird und wieder zugeklappt. Dann fährt er fort.

Der Robert Malik heiratet jetzt die Ruzena Rec. Er hat es meiner Mutter selbst erzählt, als sie dort war, um sich die Bücher für mich auszuborgen. Der Robert Malik kriegt die Schuldienerstelle in dem Neubau, der für die Realschule in Smichow gebaut wird, und weil er verheiratet sein muß, so nimmt er sich die Ruzena. Er hat sie ja auch sehr gerne. Der muß eine Wut gehabt haben, als er mich damals aus den Odkolek-Anlagen kriechen sah. Und wie er sich dann an mich angeschmeichelt hat, daß ich ihn mit ihr zusammenbringen soll. Was war mir an der Ruzena Rec gelegen? Gar nichts. Ich wollte auch dem Robert Malik, der mich immer so von oben angesehen hatte, zeigen, was ich für eine Macht habe. Der erste war ich doch. Und jetzt heiratet er sie, meine abgelegte Geliebte. Wenn ich heute zu ihr käme und ihr sagen würde, sie möge mit mir gehen – wie sie sich beeilen würde, und wäre sie zehnmal verheiratet! Manche Leute können sich kein Mädel selbst verschaffen.

Beim Adalbert da ist es verständlich. Der hinkt und ist häßlich. Das war keine leichte Arbeit für mich, ihn mit der Toni Dolezalova zusammenzubringen. Ich 162 habe ihr versprechen müssen, mit ihr ins Kino zu gehen. Das Versprechen muß ich noch einlösen. Der Adalbert geht noch immer mit ihr. Sie haut ihn zwar, sie betrügt ihn, während er mit seinen breiten Schultern die Floßstangen in den Elbgrund drückt, aber er ist glücklich und sie hat sich an ihn gewöhnt. Die werden einander sicher heiraten.

Ich war nie in ein Mädel verliebt. Ich habe mir nie etwas aus einem Mädel gemacht. Ja, richtig; einmal doch, ich habe mich doch erbrochen, als die Betka zum ersten Mal im Hotel war. Du lieber Gott! Daß ich noch immer rot werde, wenn ich daran denke. Damals war ich ein Kren. Ein Kind. Ich habe gar nicht gewußt, was eigentlich vorgeht. Das war aber auch das einzige Mal, daß ich mich wegen eines Frauenzimmers aufgeregt habe. Die Kollegen in ›Stadt Budapest‹ haben mich gehänselt, weil ich am Anfang zugehört habe, was die Chansonetten singen. Ich war auch sicher von Kellnern und Gästen der einzige, den die Lieder interessiert haben und nicht die Sängerinnen, ihre Waden und Wäsche. Auch auf der Gasse habe ich mich nie nach Frauenzimmern umgedreht. Wie kommt das? Etwas, was sich mir aufdrängt, mag ich nicht. Die Mädel haben sich mir immer aufgedrängt, bevor ich noch wußte, was eine Frau 163 ist. Die Erfüllung meiner Wünsche war da, bevor die Wünsche da waren.

Ich habe das gar nicht gewußt, wie beneidet man wird, wenn man solche Mädel hat, wie ich hatte, ich wußte gar nicht, daß sich die Welt um die Frauen dreht. Ich war eigentlich noch ganz naiv. Was waren eigentlich diese Kellnerburschen, die jeden Abend ins Bordell liefen und sich noch mit diesen ekelhaften Weibern brüsteten, gegen mich für gehaute Burschen! Ich hatte gar nicht gewußt, was ein Zuhälter ist. Das Lied ist ganz hübsch, das sie mich gelehrt haben. Bis auf die eine Strophe:

Wenn man den Hirten fängt,
Führt ihn ein Polizist,
Vier Tage gibt man ihm,
Schickt ihn per Schub nach Haus.

Na, so schlecht ist es mir nicht gegangen. Mich hat kein Polizist geführt, nicht einmal ein Geheimer, sie haben mich fein vorgeladen, per Schub haben sie mich nicht aus Prag fortschicken können, weil ich ein Prager Kind bin, und sie haben mir nicht vier Tage aufgehalst, sondern nur zwei.

Eigentlich bin ich schon vierzehn Tage in Haft. Mit welchem Recht liefern sie mich in das Spital ein! 164 Wenn ich krank bin, so ist das doch meine Privatangelegenheit. Damit ich niemanden anstecke? Unsinn. Andere Leute haben auch Syphilis. Man sagt, jeder fünfzehnte Mann habe sie, und doch können sie sich behandeln lassen, wenn sie wollen, oder solange sie wollen. Alle, die hier mit mir im Zimmer sind, sind freiwillig hergekommen. Nur mich haben sie zwangsweise eingeliefert. Bis ich gesund bin, muß ich wieder auf die Polizei.

Da photographieren und messen sie mich und sperren mich ein, als ob ich ein Verbrecher wäre. Weshalb sperren sie mich ein? Das möchte ich gerne wissen. Weil die Betka zum Haushalte beigetragen hat? Unsinn. Tausend Frauen arbeiten in Fabriken und Geschäften und ernähren ihre Männer, die gar nichts machen. Ich habe doch meine ehrliche Beschäftigung gehabt. Weil ich nicht mit ihr verheiratet war und doch von ihr Geld genommen habe? Das geht doch niemanden etwas an, ob wir verheiratet sind. Dort mein sauberer Herr Mitschüler, der Patzelt, der war auch nicht verheiratet und hat sich von seiner Braut und deren Papa ganz aushalten lassen, und wenn er nicht diese Luderkrankheit gekriegt hätte, oder wenn man es wenigstens nicht gleich gemerkt hätte, hätte er sie geheiratet und wäre Bankier geworden. Weil die 165 Betka mit anderen Männern gegangen ist, und ich davon gewußt habe? Was geht das mich an? Wir sind doch nicht verheiratet, und sie kann machen, was sie will. Freilich, wenn ich nicht gewollt hätte, hätte sie sich keine Gäste mitgenommen; aber vor der Polizei bin ich doch nicht für sie verantwortlich. Sollen sie die Betka unter Kontrolle stellen, wenn sie kein Büchel hatte und doch mit Männern gegangen ist, sollen sie meinetwegen bestrafen, aber mich sollen sie in Ruhe lassen! Ich bin doch nicht ihr Vormund.

Wenn der Kommissär gewußt hätte, daß ich für fünfzig Kronen mit der Ilonka Varaday war, hätte er erst recht gesagt, daß ich ein Zuhälter sei, und hätte mich noch länger eingesperrt. Weshalb? Ein Mann kann sich jedes Weib kaufen und wenn ein Weib sich einen Mann kauft, wird der Mann eingesperrt. Dabei kann ein Frauenzimmer das Geld tausendmal leichter verdienen als ein Mann, die Männer geben ihr doch, was sie wollen. Diese ungarische Kreatur hat doch Geld verdient, bis es nicht mehr schön war, und weil sie auf mich Schneid gehabt hat, so hat sie mir Geld angeboten. Wie ich es gebraucht habe, bin ich halt zu ihr gegangen. Zum Vergnügen habe ich es nicht getan. Sie ist mir vom ersten Tag an mit 166 ihren Flascherln und Mixturen und mit den rötlichen Flecken auf der Haut verdächtig vorgekommen, sonst hätte ich mir gleich den versprochenen englischen Anzug verdient. Die fünfzig Kronen habe ich teuer bezahlt. Da liege ich nun schon vierzehn Tage und werde vielleicht noch einen Monat daliegen, hingestreckt auf dieses Kavalett im Spital, verseucht und verfault fürs ganze Leben, Geschwüre auf der Haut und im Mund, und meinen Posten habe ich auch schon verloren. Alles für die fünfzig Kronen. Das ist ärger, als der Unfall des alten Hejl. Es sollte auch in der Zeitung stehen, das wäre ein Jux! Fünf Zeilen und als Titel wieder: ›Risiko der Arbeit‹. ›Riskonto der Arbeit‹ würden es die blöden Lotterieschwestern von der Insel Kampa lesen. Jetzt muß ich selbst über meine Seuche lachen.

Wegen Mitschuld der Kuppelei könnte er mich dem Strafgerichte einliefern, hat der Kommissar gesagt. Würde mir auch nichts geschehen. Was können sie mir nachweisen? Nichts. Die Betka hat ja die Mädel geholt und die Herren eingeladen. Sie müßten mich freisprechen.

Freilich wenn die Frau vom Riegerkai angezeigt hätte, daß ich ihr Mädel gebracht habe, oder wenn sich die Mädel selbst verplappert hätten, dann wäre ich 167 wegen Kuppelei eingegangen. Das haben ja meine Kollegen auch gesagt, als wir im Café Rokoko meinen Fall besprachen. Also bin ich ein Kuppler, wenn ich auch nicht deshalb bestraft bin.

Ja, ein Kuppler bin ich. Ich habe die Mädel verschenkt und verkauft, wie man etwas verkaufen und verschenken kann, das man im Überfluß besitzt, das man gar nicht braucht. Habe ich jemandem damit geschadet? Allen habe ich nur genützt. Der eine heiratet das Mädel, der andere ist glücklich mit dem seinen, die Mädel haben sich mit ihren Burschen darüber trösten können, daß ich nicht mit allen eine Bekanntschaft haben konnte und sie loswerden wollte, die Frau vom Riegerkai war froh über die frische Ware, die Herren waren begeistert über die neuen Mädel, die Mädel haben Geld verdient, die eine hat ihre Familie damit gerettet, die Kellnerburschen habe ich aus der verkommenen Atmosphäre herausgerissen.

Aus Freundschaft und aus Mitleid mit den Burschen habe ich es getan, daß ich ihnen Geliebte verschaffte, aus Protzerei, um meine Macht zu zeigen, aus Freundschaft. Aus Mitleid mit den Burschen. Ich litt mit ihnen. Ich wußte, was es heißt, vor dem Hotel zu stehen, in dem das Mädchen mit einem Anderen ist. Und aus Mitleid mit den Mädeln habe ich ihnen den 168 Weg zum Geldverdienen gezeigt. Den Weg hätten sie ohnedies selbst gefunden – vielleicht nur einen schlechteren, schmutzigeren. Warum soll ein Frauenzimmer nicht Geld verdienen, die Männer müssen sich ja auch plagen, und die Frauen haben es ja leichter, sie können sich ja verkaufen, bei einem Mann ist es schon schwerer, da muß man ein fescher Kerl sein und sich auskennen wie ich; deshalb zahlt man auch die Frauen so schlecht für anständige Arbeit. Zwanzig Kronen hat die kleine Luise Hejl im Konfektionsladen in der Zeltnergasse Monatslohn gehabt, bei mir in der Wohnung hat sie das Fünffache verdient, wenn sie im Geschäft geblieben wäre, wäre ihre ganze Familie verhungert.

Wem habe ich geschadet? Nur mir selbst. Da liege ich ohne Geld auf dem Spitalbett, angesteckt und verdorben, polizeilich photographiert und muß noch meine Haft absitzen. Und das Ärgste ist: Niemand hat mich gerne und niemanden habe ich gerne. Wenn ich wenigstens jemanden gerne hätte. So viel Frauen habe ich gehabt und keine habe ich gerne gehabt. Das ist merkwürdig. Nein, das ist selbstverständlich. Wenn ich bloß eine gehabt hätte, hätte ich sie nicht verschenkt. Vielleicht wäre ich ein Kren bei ihr gewesen. Aber ich wäre dann kein Zuhälter und wäre nicht krank und hätte jemanden auf der Welt. Der Robert Malik 169 heiratet die Ruzena Rec und wird glücklich mit ihr, und der hinkende Adalbert heiratet die Toni Dolezalova und wird auch glücklich mit ihr, und die Luise Hejl tanzt in Selz beim ›Admiral‹ mit meinen Kameraden, und alle lachen, weil ich Syphilis habe und im Spital liege. Ein Zuhälter soll ich sein, ein Herr über die Frauen? Ein Kren bin ich, ein Narr, der ärgste Narr, den man sich denken kann.

Aber ich werde es schon allen heimzahlen. Sie sollen an mich denken. Warum flößen die Holzhändler nicht selbst die Prahmen nach Sachsen? Sie haben keine Zeit dazu, keine Lust, sie können es nicht. Deshalb gibt es Flößer. Wer sich kein Mädel selbst verschaffen kann, weil er nicht danach aussieht, weil er sich schämt oder fürchtet, weil er keine Zeit, keine Lust hat, weil er es nicht kann – der geht zur Kupplerin und zahlt. Deshalb gibt es Kuppler. Ich sollte nur einmal vor Gericht stehen, ich würde es ihnen schon sagen. Warum verbietet ihr die Kuppelei? Warum bestraft ihr die Kuppler und Kupplerinnen und die armen Mädel, warum nicht die Herren, die zu ihnen kommen? He, warum nicht die Herren?

Ihr wißt warum. Wenn ihr nicht wäret, wären wir nicht.

Schrecklich schwül ist es hier. 170

Ah, das ist ja der Herr Theodor, der Speisenträger, der mich aus meiner ersten Stellung hinausgeworfen hat, weil ich ihm die Betka nicht verschaffen wollte. Nein, er ist nicht da. Das träumt mir nur.

Mir scheint, ich schlafe schon. 171

 


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