Egon Erwin Kisch
Der Mädchenhirt
Egon Erwin Kisch

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Dreizehntes Kapitel

Einen Monat und noch einen halben beglänzt der Sommer mit den weißen Leuchtern der Kastanienbäume im Hof, ein Krankenzimmer, in dem Jaroslaw Chrapot gefangen ist. Ein Krankenzimmer voll heißer, ranziger Luft, in der sich die Ausdünstungen der Kranken mit den Gerüchen von Jodoform und Quecksilber paaren.

Sechzehn Betten, je acht an jeder Längsseite. Zwei sind leer. Ein Tisch beim Eingang und ein Verbandskasten, auf dem ein Lavoir für den Arzt und ein Spirituskocher stehen, sonst nur Bettgestelle und Nachttische, alles in einförmigem, metallisch glänzendem Weiß, und weiß sind die Bettüberzeuge, die Wände und die Kleider. Ein ewiges Einerlei. Früh kommt der Professor, läßt die Kranken schmieren oder läßt injizieren. Oder 172 er macht eine Blutsprobe, indem er einem Patienten den Oberarm mit einem Gummiverband einbindet, unter den er ihn sticht, das Blut tropft in eine Eprouvette. Nachmittags macht der Assistent seinen Rundgang. Sonst ist man unter sich. Manchmal spielt einer auf einer Mundharmonika ein Lied. Immer dasselbe, er kann kein anderes: ›Neulich war ich in Wokowitz . . .‹ Immer dasselbe. Wenn man Karten spielt, so kriechen sogar die aus dem Bett, denen man Drüsen herausgenommen hat, und spielen mit oder kiebitzen. Aber es ist kein rechtes Spiel. Die wenigsten haben Geld, und die alten Spielkarten unterscheidet man längst an ihren Rückseiten. An allen Nachttischen sieht es gleich aus: Eine Sodawasserflasche und eine Zeitung und das Taschentuch, unten ein gelbgefülltes Spitzglas.

Alle zwei Stunden kommt die Wärterin und mißt die Temperatur. Es ist ekelhaft, wenn sich das lupuszerfressene Weib an den Bettrand setzt. Wenn wenigstens immer die Angela käme. Die schaut auch nicht so streng darauf, was man ißt, und wenn das ›M. D.‹ oder ›H. P.‹ noch zehnmal größer über dem Krankenbett stünde – sie weiß ganz gut, daß man bei Milchdiät und Halbportionen fast Hungers sterben müßte.

Nebenan haben die Wärterinnen ihr Zimmer. Man 173 hört den Kanarienvogel zwitschern oder den Samowar surren. Man kann schon keinen Unterschied mehr erkennen, so eintönig ist die Melodie.

Wenn Zuwachs kommt, gibt es wenigstens eine kleine Abwechselung. Man kann den Ankömmling ausfragen, wie er heißt, was er ist, und ob er sich von seinem Fräulein Braut angesteckt habe.

Der alte Panyrek ist glücklich, wenn ein Neuer kommt. Er holt dann aus seinem Verbandskasten einen Porzellannapf, die Buchstabenschablone und Kreide. Mit der Kreidelösung malt er dann den Namen des Neuen auf die Tafel über dessen Bett und verziert die Anfangsbuchstaben mit allerhand Schlingen. Das ist die Lieblingsbeschäftigung des alten Panyrek. Er ist ein alter Bewohner der Klinik und freiwillig hier. Er hat eine seltene Hautkrankheit, die kein Arzt enträtseln kann, und die seine Haut wie Büffelleder erscheinen läßt, ganz dick und schwarz ist sie. Man füttert ihn und gibt ihm das klinische Obdach, weil er ein interessanter Fall ist, und der alte Panyrek ist froh, zeitlebens hier bleiben zu können. Er hilft beim Fußbodenwaschen, malt die Namen auf die Kopftafeln und ist den Wärterinnen verschiedentlich zur Hand.

Früher waren drei Wärterinnen hier, aber die eine 174 hatte mit einem Patienten ein Verhältnis angefangen. Als der einmal bei ihr im Zimmer war, benachrichtigte ein anderer, ein Eifersüchtiger, den Assistenten. Der Assistent klopfte an die Türe, die Wärterin sperrte auf, aber der Doktor sah niemanden außer ihr im Zimmer. Schon wollte er sich entfernen, da bemerkte er, zufällig den Spiegel ansehend, in diesem das Spiegelbild des Patienten, der hinter der offenen Türe des Schrankes stand. Da wurden Wärterin und Patient hinausgeworfen.

Das Gegenstück zum alten Panyrek ist der kleine Arthur. Der ist dreizehn Jahre alt und büßt seiner Eltern Schuld. Aber er ist ein fröhlicher Junge und der Liebling des Spitals. Er trägt Botschaften in die ›Damenabteilung‹, holt die Zigaretten, ja er weiß sogar Bier an der Portierloge vorbeizuschmuggeln.

Vormittags schaut man, obwohl es verboten ist, in den Operationspavillon der Frauenklinik, dessen Dach und Wände aus Glas sind. Man sieht die Frauen, die auf dem Operationstisch liegen. Der Patzelt drängt sich immer hart an das Fenstergitter, damit er ja gut sehe. Er bedauert nur, daß er seinen Operngucker längst versetzt hat. Pepik Sladky macht verschiedenartige Witze.

Dem Jarda ist das alles unsäglich gleichgültig. 175

Betka Dvorak hat wegen Kuppelei drei Wochen Kerkers bekommen und muß nachher in die Zwangsarbeitsanstalt: »Weil sie nie gearbeitet hat,« berichtet die Emmy Dvorak, die dem Jarda die Nachricht von der Verurteilung ihrer Schwester überbringt. Aber vertrauensvoll lächelnd und beruhigend fügt sie hinzu: »Sie werden sie bald aus Kostenblatt entlassen, denn die Betka wird ihnen schnell die Gebesserte vorspielen. Oder sie entwischt ihnen einfach. Die kennt sich aus. Die Betka ist ein großes Luder.«

So, die Betka ist also schon ein großes Luder. Jarda muß daran denken, wie ihm einmal die Betka als Kind von der Anerkennung erzählte, die ihr der Herr Fabrikant, der Geliebte ihrer großen Schwester, gezollt hat: »Die Betka wird einmal ein großes Luder werden.« Sie hatten, nicht Betka, noch er, keine Ahnung davon gehabt, was mit dieser Prophezeiung gesagt sein sollte. Aber beide waren sie damals stolz darauf gewesen, überzeugt davon, daß in den Worten ›großes Luder‹ irgendwie alles Herrliche, aller Zauber, alles Erstrebenswerte enthalten sei, und überzeugt davon, daß Betka diese Hoffnungen erfüllen werde. Jetzt war es also so weit. Gerade in dem Augenblicke, da Jarda, krank im Bette, von der gerichtlichen Verurteilung der Betka, von ihrer Einkleidung zu den 176 Landeszwänglingen erfährt, muß er auch hören, daß die Betka ein großes Luder sei. Nicht etwa tadelnd ist das gemeint, sondern genau so anerkennend und wohlwollend wie damals. Wie es ihm ergangen war, der so stolz auf seinen Titel als ›Zuhälter‹ gewesen, so war es mit der Karriere seiner ersten Geliebten, seiner Lehrerin und Geschäftsteilhaberin geworden.

Mehr und mehr weicht Jardas anfängliche Apathie einem wilden Haß gegen sich selbst, gegen den Kommissär, der zu unrecht über ihn eine Strafe verhängt hat, gegen seine Mutter, die ihn als Kind aufgeputzt hat, daß er wie ein Prinz unter den Kampakindern umherlief und die verhängnisvolle Macht über alle erlangte, gegen die Frau vom Riegerkai, die ihn sicher bei der Polizei denunziert hat, gegen den Herrn Duschnitz, der sich seiner Verpflichtungen für Lebensrettung und Ehebruch längst entledigt zu haben glaubt, gegen den Speisenträger Theodor, der ihn aus dem guten Hotel hinausgeworfen hat, gegen Ilonka Varaday, die ihn bewußt und absichtlich vergiftet und angesteckt hat, gegen die Zeitung, die nun in der Notiz über die Verurteilung der Betka erwähnt, daß sie mit ihm eine gemeinsame Wohnung inne hatte. Ein Haß gegen alle. Alle haben an seinem Unglück schuld, an allen will er sich rächen. Irgendwie. Irgend jemand soll einen 177 Denkzettel kriegen. Und vor Gericht werde er den Herren schon seine Meinung sagen. Alle haben mit mir gemacht, was sie wollten, so habe ich auch einmal gemacht, was ich wollte.

Ihr wollt mich von den Balken hinabstoßen, gerade hier in der Schleuse, unter die Wehrmauern wollt ihr mich stoßen, ich wanke schon, ich habe schon den Halt am Rand verloren, aber ihr sollt mit, ich packe euch, ich kralle mich fest an euch, so – ihr müßt mit.

Den Roman hat Jarda unwillig in die Schublade des Nachttischchens geworfen, obwohl er ihn nicht ausgelesen hat. Die Kriminalbroschüren sind doch besser, es ist zwar oft dummes Zeug, man merkt, daß es nicht wahr sein kann, was darin steht, aber diese Verbrecher sind ganze Kerle, die spielen ein Doppelleben, die Polizei kann an sie gar nicht heran. Aber dieser Raskolnikow, das ist doch ein Dummkopf, nervös, feig und will sich selbst verraten. Da ist es noch besser, man läßt sich verhaften, als mit einer solchen Angst herumzurennen, oder noch gescheiter: Man springt ins Wasser. Schluß.

Jarda hat eine Wut gegen alle Zimmergenossen, die bereuen und wehklagen. Fast die meisten tun es. Der eine beteuert, hundertmal sei er mit den ärgsten Dirnen gewesen, ohne Vorsicht walten zu lassen, oft war er mit Freunden bei derselben, und die Freunde 178 hätten sich angesteckt, das Mädel sei am nächsten Tag ins Spital geschafft worden, ihm aber sei nichts geschehen, und jetzt – eine anständige Frau, zwei Kinder hat sie und ihr Mann sei in großer Stellung, und von der müsse er sich anstecken, es sei zum Beinausreißen. Der andere wieder: Er habe bis zum einundzwanzigsten Lebensjahre ganz abstinent gelebt, dann habe er mit einer Gouvernante angebandelt, und da sei er nun. Ein dritter, ein älterer Mann, erzählt wieder, wie er glücklich verheiratet war, eine schöne, reiche Frau und einen feschen Buben, – ›wie aus den Augen geschnitten war er mir‹ – bis er sich mit dem Kindermädel eingelassen habe, angesteckt von ihr, geschieden, der Onkel seiner Frau, in dessen Geschäft er Prokurist war, habe ihn hinausgeworfen, und dann ging es von Stufe zu Stufe, bis hierher. Der Patzelt geht dem Jarda auch mit den sentimentalen Geschichten vom mutwillig verschleuderten Lebensglück auf die Nerven. Was soll das alles? Jeder hat mit seinem eigenen Schicksal genug zu tun, wozu noch andere belästigen? Wollen sie Mitleid erregen oder Bewunderung? Sind es Ausbrüche der Reue? Umso ärger, Reue ist Schwäche. Was braucht man zu bereuen! Was geschehen ist, ist geschehen, was verloren ist, ist verloren. Unwillig, schroff ist Jaroslaw gegen alle diese Erzähler. 179

Das sind doch ganz andre Kerle, die hier am Spitaltisch den ganzen Tag ›Gottes Segen‹ spielen und rauchen und sich über ihre Krankheit lustig machen. Vielleicht ärgern sie sich mehr über ihre Krankheit als die anderen, aber sie sind wenigstens nicht so weibisch, es zu zeigen.

»Ich hab' mir meine Krankheit ehrlich im Dienst erworben,« pflegt Pepik Sladky zu lachen. Das ist doch ein Standpunkt! Überhaupt den Pepik Sladky hat Jaroslaw noch am liebsten, an ihn, der ungefähr ein Dreißiger ist, versucht er sich anzuschließen. Aber erst, als ihm Jarda erzählt, daß er von der Polizei als Zuhälter verhaftet worden sei und aus der Klinik in den Polizeiarrest zurückmüsse, erwirbt er sich Pepiks Vertrauen und Freundschaft.

Pepik Sladky ist ein Geschäftsmann der Liebe, war früher Dienstmann, hat seine Damen angesprochen, wenn die Herren, seine Auftraggeber, es nicht selbst wagten, hat den Damen die Bewerber in den lockendsten Farben geschildert, Billetdoux übergeben, Einladungen überbracht, Zusammenkünfte verabredet, die Damen, mit denen er in dieser Weise zu tun gehabt hatte, wandten sich noch später vertrauensvoll um Vermittlung an ihn, wenn ihnen ein Herr gefiel oder wenn sie Geld brauchten, er stand mit den Portiers der 180 ersten Hotels gut, und sie kamen zu ihm, wenn liebesbedürftige Gäste etwas fürs Gemüt brauchten, war dann selbst Portier im Nachtcafé ›Pavillon‹, hat sich auf dem Josefplatz Herren zur Verfügung gestellt, die nicht normal waren, kennt die Adressen von den nobelsten dieser Kundschaften und bekommt noch jetzt Geld von ihnen. »Für Geld mache ich alles,« schmunzelt Pepik Sladky, »und wenn ich Geld habe, bin ich ein Kavalier.« Jetzt arbeite er für Mani Busch.

Wer das ist, der Mani Busch? Den kennt doch jeder! Das ist doch der, der immer Sonntag mit seiner Gig nach Baumgarten kutschiert, ein eleganter Mensch, mit aufgezwirbeltem Schnurrbart. Der hat Geschäftsbeziehungen in der ganzen Welt, für alle feineren Weinstuben in Wien, Berlin und Budapest, für alle Nachtcafés, für tolerierte Häuser, für Kuppler, für Animierkneipen liefert er Mädel. Der schreibt besser deutsch als tschechisch, jawohl, und ein Auftreten hat er wie ein Baron. Die Polizei kann ihm nichts anhaben, er ist viel zu schlau. Außerdem braucht ihn die Polizei. Er weiß zum Beispiel immer, wo ein Mädel zu finden ist, das eine Melkerei begangen hat, einen Diebstahl bei Ausübung des Protokollgewerbes, und durchgebrannt ist. Die Polizei könnte lange nach der Diebin fahnden, wenn Mani Busch nicht die Spur 181 weisen würde. Das tut er, um sich die Polizei zu verpflichten. Er hat Geld wie Mist, die schönsten Damen läßt er ein paar Tage bei sich, dann wird er ihrer überdrüssig und liefert sie in irgend einen Posten, nicht ohne sich von ihnen Vermittlungsgebühr zahlen zu lassen und von dem Besitzer des Etablissements auch. Lauter Brillanten hat er an den Fingern und an der Krawatte.

Jardas Blicke glänzen. Wer so sein könnte, wie Mani Busch! Das ist kein Narr der Weiber, das ist ein wirklicher Zuhälter, ein Herr der Frauen, einer, der etwas von seinem Geschäfte hat, der Brillanten trägt und in der Gig nach Baumgarten fährt, den der Kommissar nicht mir nichts – dir nichts in Krankenhaus und Polizeiarrest einsperren, dem die Polizei überhaupt nichts anhaben kann, weil er mehr ist als sie.

Pepik Sladky freut sich der Detailfragen Jardas nach Mani Busch, weil er aus ihnen die Bewunderung, das Staunen und die Anerkennung für seinen Herrn und Meister liest. Mit nicht verhehltem Selbstbewußtsein wiederholt er: »Jetzt arbeite ich für Mani Busch.«

»Was haben Sie da zu tun?«

»Ich bringe ihm junge Mädel.«

»Und woher holen Sie die?«

»Ach, da gibt es verschiedene Methoden. Ich gehe 182 nach Holleschowitz tanzen oder in die Arbeiterressourcen, oder in sonst ein Lokal, wo Arbeiterinnen, Dienstmädchen, Ladenmädel tanzen, und suche mir eine Fesche aus, mit der tanze ich dann den ganzen Abend. Ich tanze nämlich großartig, ich habe den Schlapak-Preis im Café Olympia bekommen; wenn ich mit einem Mädel tanze, dann gibt sie ihrem bisherigen Geliebten und allen bisherigen Verehrern einen Korb. Na, und dann nehme ich sie mit mir nach Hause. Sie erzählt mir dann, sie muß um zehn Uhr oder um zwölf Uhr nachts zu Hause sein, sonst lassen sie ihre Dienstgeberin oder ihre Eltern nicht mehr in die Wohnung, oder man würde sie hinauswerfen. Und ich sorge eben dafür, daß sie zur angegebenen Zeit nicht weggehen kann. Ich stelle die Uhr zurück, sage eine falsche Zeit an, bitte sie, noch ein bisserl bei mir zu bleiben, halte sie auf, wenn sie sich anzieht, bis sie einsieht, daß es gar keinen Zweck mehr hat, nach Hause zu gehen. Arbeiterinnen oder Geschäftsmädel lasse ich früh die Stunde verschlafen, zu der sie in die Arbeit sollen. Wenn sie dann nicht wissen, was sie anfangen sollen, so sage ich ihnen, ich habe einen Freund, der ihnen sicher einen Posten verschaffen werde. Haha, Mani Busch verschafft ihnen auch sicher einen Posten, darauf kann ich mich verlassen. Oder ich spreche Mädel an, wenn sie abends 183 aus dem Geschäft gehen, oder ich laure im Karlspark auf Frauenzimmer, die mit einem Wickelkind aus dem ›roten Hause‹ entlassen worden sind und sich, vom planlosen Herumirren müde, verzweifelt auf eine Bank niedersetzen. Oder wir schwindeln: Ich gehe in irgend ein kleines Bordell, suche mir dort ein junges Mädel auf und bewege sie dazu in einen besseren Posten zu gehen. Ich bringe sie dann zu Mani Busch und der liefert sie als ›frische Ware‹ irgend wohin ins Ausland. Manchmal kommt ein Mädel aus der Fremde zurück und dankt mir dann gar nicht auf meinen Gruß. Eine so noble Dame ist sie geworden. Ohne mich wäre sie der letzte Dreck. Na, mir ist es Wurst. Ich hab' ja mein Geld an ihr verdient. Mani ist kein Schmutzian.«

»Warum macht er sich diese Sachen nicht selbst?«

»Erstens hat er gar keine Zeit dazu, zweitens kennt man ihn überall und drittens ist er viel zu vorsichtig. Er hat außer mir noch mehrere Leute, die für ihn agentieren. Aber ich bin seine rechte Hand. Im Geschäft wird es stark zu spüren sein, daß ich nicht dort bin, daß ich hier im Spital die Zeit vergeuden muß, während der man sich auf Ausflügen so hübsche Remonten beibiegen kann. Na, die Syphilis gehört halt zum Geschäft. Das ist die letzte Kinderkrankheit. Bis sie 184 mich von hier hinauslassen werden, dann kann ich wenigstens nichts mehr erwischen, was ich nicht schon kennen würde. Erst wenn man die ›Garnitur am Körper‹ gehabt hat, ist man ein Ausgelernter.«

Da war es Jaroslaw Chrapot, als ob alles von ihm weggenommen würde, was ihn bedrückte und was ihn mit Haß, Verzweiflung und Wut erfüllte. Er war eben noch kein Ausgelernter, wie Mani Busch und Pepik Sladky. Aber der Weg, den er gegangen war, unbewußt, wirklich von den Mädeln gelenkt, die er zu lenken glaubte, der Weg, den er aus Mitleid mit Anderen, aus Freundschaft, aus Großmannssucht, aus Eigensinn, aus Nachahmungstrieb und um momentanen Geldbedarfes willen eingeschlagen hatte, dieser Weg, der ihn über Erbrechen und Schmerz, über Angst und Entlassung und Geldnot und Ansteckung und Polizei ins Spital geführt hatte, war der richtige Weg gewesen. Er war nur noch nicht am Ziel, noch kein ›Ausgelernter‹, wie hier der Ausgelernte sich ausdrückte. Und schon hatte Jarda verzweifelte Rachepläne erwogen, einen Schlußpunkt machen wollen. Was bedeutet der Hautausschlag, die ›Garnitur am Körper‹, die ihn und die Krens in diesem Krankenzimmer so zur Verzweiflung getrieben hatte, was bedeutete der Polizeiarrest, der ihm soviel Wut eingeflößt hatte! Das 185 sind Kinderkrankheiten. Dahier, dem fröhlichen Patienten, dem Pepik Sladky, der sich auskennt beim Geschäft, hat er mit der Mitteilung von der Polizeihaft nur imponiert, sich damit nur seine Freundschaft erworben.

Schließlich kann Jarda das alles auch, womit sich Pepik Sladky da so brüstet, der noch um zwölf Jahre älter ist, als er. Auch Jarda ist ein renommierter Schlapaktänzer und die Mädchen würden sicher zehnmal lieber mit ihm aus dem Tanzlokal fortgehen, als mit dem Pepik da. Aber Jarda braucht das gar nicht. Noch sind auf der Kampa hübsche Mädel, und wenn er dem Robert Malik und dem hinkenden Adalbert deren Bräute wegnehmen sollte. Noch ist er dort der Prinz.

Und was kann schließlich der große Mani Busch, der da mit Brillanten und in der Gig nach Baumgarten tänzelt? »Der schreibt deutsch, besser als tschechisch.« Wie bewundernd Pepik Sladky das hervorgehoben hat. Mein lieber Pepik, das Kunststück kann ich auch. Wie ein Baron tritt er auf? Was weiß denn Pepik Sladky, Dienstmann und Nachtcafé-Portier, vom Auftreten eines Barons! Jarda ist mit Baronen und Grafen auf derselben Schulbank gesessen, kennt die Herren Aristokraten und alle noblen Herren 186 von ihren intimsten Seiten, war nicht umsonst im Hotel ›Stadt Budapest‹ Kellner.

Brillanten, Kutschierwagerl, feine Damen. Hm, es muß doch ein ganzer Kerl sein, der Mani Busch!

»Wo verkehrt er denn?«, fragt Jarda, mit dem Bemühen, möglichst unbefangen im Ton zu sein, den bloß Neugierigen zu spielen.

Pepik Sladky ist nicht so dumm, den wahren Grund nicht zu erkennen. Aber warum soll er vor diesem Burschen, dem er eben zu imponieren begonnen hat, jetzt als einer dastehen, der den Verlust seiner Stellung befürchtet, vor einem jungen Konkurrenten Angst hat? Auch ist ja die Adresse Mani Buschs leicht anderswo zu erfragen.

»Im Café Brasilien verkehrt er jeden Tag. Geh' nur hin zu ihm, bis du hier entlassen wirst. Berufe dich auf mich. Er wird dir schon sagen, was er braucht. Ich und du werden einander nicht ins Kraut steigen. Madeln gibt's ja genug und noch mehr Wurzen, nicht?« 187

 


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