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Nara

Nun schwelge ich in religiöser Kunst. Meinem Gefühl nach hat der Buddhismus das Höchste dieser Art auf Erden hervorgebracht, und viele von dessen herrlichsten Denkmälern sind in Japan, in und um Nara und Kyoto, zu finden. Wie unspirituell wirken neben jenen Gemälden, wo Amida als die Idee des Lichtes selbst das irdische Dunkel verklärt, der Sonne gleich über den Bergen aufgehend, neben jenen sinnenden und segnenden Buddhas, in denen der Frieden der Seele seine vielleicht endgültige Verkörperung erfahren hat, die höchsten Gebilde der christlichen Phantasie! An Empfindungstiefe standen die schlichten Künstler unseres frühen Mittelalters den buddhistischen wahrscheinlich nicht nach, aber ihr Gefühl brach sich an ihrem Verstand. Sie waren dazu erzogen, die Gestaltungen ihres Glaubens entweder wörtlich aufzufassen – als historische, ja naturwissenschaftliche Tatbestände, die als solche ein Letztes bezeichneten –, oder aber sie allegorisch zu interpretieren, und beide Auffassungen machten Unmittelbarkeit unmöglich. In seltenen Fällen hat sich ihr religiöses Gefühl in der Ausführung biblischer Vorwürfe trotzdem unmittelbar geäußert, und die wirken dann desto ergreifender; ihre meisten Werke sind nur mittelbare Ausdrücke. Den Buddhisten, gleich allen Abkömmlingen des Indergeists, waren Dogmen und Mythen nie mehr als Ausdrucksmittel; nie galten sie ihnen als Substanzen. Weswegen buddhistischen Künstlern gelingen konnte, was christlichen niemals gelang.

Wohl alle Grundkonzeptionen der ostasiatischen religiösen Kunst sind indischen oder gräko-indischen Ursprungs, und das allein schon, was zu Borobodur und Angkor Vat von indischer Arbeit erhalten ist, beweist, daß die Hindus auch als Bildner einstmals groß waren. Immerhin: die größten uns erhaltenen Verkörperungen ihres künstlerischen Wollens sind nicht ihr Werk. Das Bedeutendste, was es an geistlicher Kunst im Osten gibt, ist von chinesischen Meistern geschaffen worden, und ihren fruchtbarsten Boden haben deren Ideen nicht in China, sondern in Japan gefunden. Es bedeutet kein Zeichen tiefen Verständnisses, immer wieder auf die Nichtbodenständigkeit der japanischen Kunst hinzuweisen: keine Kunst war je absolut autochthon; sowohl die griechische als die indische, als die chinesische Plastik war insofern vom Auslande abhängig, als ihre Höchstentwickelung erst einsetzte, nachdem Anregungen von außen den heimischen Genius befruchtet hatten. Allerdings ist die japanische religiöse Kunst bis zum Schluß von ihren Vorbildern abhängig geblieben, hat diese niemals erreicht und nichts Neues aus dem Alten herausgebildet; insofern kann man sie mit der chinesischen wohl nicht vergleichen. Aber echt ist sie trotzdem durchaus, als ein wahrhaftiger Ausdruck des Innerlichen, ja sie ist letzteres in einem weiteren Sinn, als gleiches in China der Fall war. Die Ausdrucksform, die einem am besten entspricht, braucht man nicht notwendig erfunden zu haben; man braucht auch Überkommenes nicht zu ändern, auf daß es der eigenen Persönlichkeit gemäß sei. Fast der ganze Orient zitiert, wenn er einem unmittelbaren persönlichen Erlebnis Ausdruck verleihen will, und dies bedeutet bei ihm nicht, wie unter uns, entweder Impotenz oder Geschmacklosigkeit, sondern das Sichwiedererkennen der Seele in gewissen einfürallemaligen Gestaltungen, gleichwie die Natur sich in gleichbleibenden Formen immerfort in unverminderter Ursprünglichkeit erneut. Die Formenwelt nun der buddhistischen Kunst entspricht der japanisch-buddhistischen Religiosität so vollkommen, wie sie im schon damals durch und durch konfuzianischen China wahrscheinlich nur im Fall weniger Ausnahmeseelen entsprochen hat – gleichviel, ob diese Korrespondenz präexistierte oder umgekehrt a posteriori durch den Einfluß des Buddhismus auf die Japanerpsyche geschaffen ward –, so daß sie in Japan überall ein getreues Sinnbild des geistlichen Lebens darstellt. Es ist japanische, nicht chinesische Seelenstimmung, die aus den süßen Kwannonbildnissen spricht, die diskrete und doch reiche Chromatik der Mandaras ist der Abglanz japanischer, nicht chinesischer Innerlichkeit. Man könnte sagen: wenn alle Formen und Farben bis auf die letzte auf dem Kontinent erfunden worden wären, und es hätte keine Japaner gegeben, die sie zu sich herübernahmen, so wäre der letztmögliche Zusammenhang zwischen Kunst und Leben ungeknüpft geblieben. In Japan ward die buddhistische Kunst zum normalen Ausdruck des religiösen Empfindens; für einen Fra Angelico in Toskana hat es dort hunderte gegeben. Viele Heilige und Kirchenväter waren gleichzeitig Maler und Bildhauer; die Mehrzahl der Statuen und Gemälde, die in den alten Tempeln vorgewiesen werden, sind von Priestern und Mönchen geschaffen worden.

Man wird einwenden: aber die Japaner sind nicht spirituell; wie soll ihnen die spirituellste aller Künste gemäß sein? Hierauf ist zunächst vorbeugend zu erwidern, daß, wenn die heutigen Japaner selten spirituell sind, hieraus nicht folgt, daß die Dinge immer so lagen. Der Begriff eines Volkes, einer Rasse entspricht immer nur innerhalb bestimmter Zeitgrenzen einer gegebenen Bestimmung. Die Juden von heute würden keine Bibel erdichten, den amerikanischen Geschäftsleuten des 20. Jahrhunderts ist nicht anzumerken, daß ihre Urahnen aus religiösen Motiven über den Ozean entwichen waren, um ein Reich der Heiligen auf Erden zu begründen. Wohl darf das unvermischte Blut als Konstante in der Gleichung berücksichtigt werden, aber die Veränderlichen sprechen deutlich mit und geben nicht selten den Ausschlag. Die Variable der Christianisierung hat im Lauf der Jahrhunderte, trotz aller vorhandenen Konstanten, die noch so verschiedenen Rassen des Westens psychisch dermaßen vereinheitlicht, daß der Nichteuropäer sie kaum voneinander unterscheiden kann. Ähnliches hat der Buddhismus bewirkt. Zwar hat dieser, seinem weicheren Charakter gemäß, das äußere Leben auch nicht annähernd so stark beeinflußt. Dafür hat seine größere Spiritualität zu Wirkungen geführt, die das Christentum im gleichen Maße nie erzielt hat: er hat von Hause aus unspirituelle Völker, in einigen ihrer Äußerungen zum mindesten, spirituell gemacht. Die antimetaphysischen Chinesen haben als buddhistische Künstler Höhen metaphysischen Wissens erklommen, wie kaum ein anderes Volk; und die Japaner, deren geistige Rassenkonstante wohl von jeher matter-of-factness war, sind durch das Licht des Mahâyâna auf Jahrhunderte hinaus so sehr erleuchtet worden, daß gerade ihre matter-of-factness zu spirituellen Leistungen führte. Schließlich ist das religiöse Erleben ebenso reine Empirie, wie das des Weltkindes; nur vollzieht es sich in einer anderen Sphäre, zu der aber jedem der Eingang offensteht. Ein Lichtstrahl vom Kleinod auf der Stirn des Buddha hat ihn den Japanern gewiesen. Solang sie sich von jenem erleuchten ließen, haben sie Göttliches schauen und vollbringen können.

Heute, angesichts der Herrlichkeiten Naras, habe ich endlich Klarheit gewonnen über das Problem, das mich seit Koya beschäftigt: wie es nur möglich ist, daß die Japaner, die doch »nicht wissen, was sie tun«, in vielen Hinsichten als Vollender der indischen Weisen gelten dürfen: es hängt unmittelbar zusammen mit dem anderen, daß die allwissenden Inder sich kaum je vollwertig ausgedrückt haben, und Ähnliches von den Deutschen gilt; daß die bisher dauerhaftesten Gestaltungen des europäischen Geists nicht von den tieferen Germanen, sondern Romanen herrühren; und sein Sinn ist der, daß der äußerste Ausdruck eines Spirituellen nie von spiritualistisch, sondern von materialistisch gesinnten Völkern gefunden wird. [Ich verwende hier den Begriff »materialistisch« natürlich in einem viel weiteren Sinne, als dies üblich ist; als Gesamtbezeichnung für alle der Erscheinung als solcher zugewandte Geistesrichtung.] Zur Herrschaft über die Materie bedarf es der Organe, die ihr vollkommen gewachsen sind, zumal entwickelter Sinne; der Geist als solcher tut es nicht. Da nun ein gleicher Mensch nie gleich vollkommen als Geist und als Sinnenwesen ausgestattet ist, da zwischen beiden Anlagen vielmehr ein antinomisches Verhältnis besteht, so hat der materialistisch Gesinnte in der Erscheinungswelt am meisten Erfolg. Nun ist aber auch der Ausdruck eines Spirituellen unter allen Umständen in der Sphäre der Phänomene belegen; den besten findet nicht der Durchgeistigteste, sondern der, welcher den Geist am besten zu materialisieren weiß: und der ist wieder der Materialist. Zwar erkennt er das Spirituelle als solches nie von selbst, aber ward es ihm gezeigt, dann erfaßt er es am besten: weswegen die vollendetesten Fassungen geistlicher Wahrheiten von Dichtern, nicht von Heiligen und Philosophen stammen. Nun ist aber der Geist in jedem Einzelnen gegenwärtig, jeder kennt ihn, ob ers weiß oder nicht. So erklärt es sich, daß materialistische Völker, denen von selbst nie spirituelle Einsichten aufgegangen wären, deren Ausdruck, kaum daß sie mit ihm bekannt wurden, verstanden und gewürdigt haben. Der höhere Buddhismus fand in China und Japan sofort Verständnis, und nicht lange nachher seine sublimsten Ausdrucksformen, weil eben die Völker des Fernen Ostens über ein unvergleichliches Ausdrucksvermögen verfügen, und die Grundideen, die sie nie gefunden hätten, vorlagen. Die materialistische Grundanlage der Chinesen und Japaner gibt somit kein Rätsel auf in bezug auf ihre religiöse Kunst, sondern macht diese im Gegenteil begreiflich. – Was nun Japan im besonderen angeht, so steht es zu China im typischen Verhältnis des Schülers, der das Werk seines Meisters vollendet. Der Pionier bricht sich durch die Materie mühsam Bahn; selten lebt er lange genug, um sich ganz auszusprechen, selten liegt ihm auch daran, das Letzte zu sagen. Sein Schüler, dort anhebend, wo jener aufhören mußte, führt aus, was er vorgezeichnet hatte. Und ist er subtilen Geistes, mit Verständnis für das eigene Leben der Form, dazu von Geschmack und Sinn für die Nuance, so wird ihm zuteil, die Konzeption seines Meisters, die als solche seine Kräfte weit überstieg, zur äußersten Vollendung zu bringen. Das ist es, was die besten der religiösen Künstler Japans auf dem Gebiet der buddhistischen Formenwelt geleistet haben; ihnen verdankt diese ihren Schmelz, ihre Süße, ihre franziskanische Innigkeit. Tief religiös, wie die Inder, sind die Japaner niemals gewesen; aber innig religiös, gerade im franziskanischen Sinne, waren sie wohl. Der Heilige Geist hat sich ihnen als solcher nie geoffenbart, aber er hat ihr Empfinden verklärt. Und vermittelst dieses verklärten Empfindens Bildnisse geschaffen, die ihm gleichsehen, wie sonst nichts auf dieser Welt.

 

Wieder einmal, angesichts der Kunstschätze Naras, übermannt mich der Eindruck der Katholizität des Geistes der ersten nachchristlichen Jahrhunderte. Was war das für eine grandiose Synthese, welche indische Weisheit, griechische Formen, alexandrinische Lehren, christoide Dogmen in sich beschloß! Im Tempel von Horiûji thront ein Buddha aus Korea: die spezifisch ostasiatische Erscheinung verdichtet in sich gleichwohl allen Sinn, der zwischen Nil und Indus je erfaßt ward ... Und dabei handelt es sich nirgends um Eklektizismus. Jener wundersame Impuls zur Liebe, der im Westen den Stoiker zum Christen, den Stolzen zum Demütigen umschuf, der im Herzen des Judentums, das nur von Gerechtigkeit wußte, die sublimste Gnadenreligion entstehen ließ, der den selbstgenügsamen Asketen des frühen Buddhismus zum Bodhisattva verwandelte, welcher den Eid schwur, nicht in Nirwâna einzugehen, solang noch eine Menschenseele unerlöst in irdischen Banden schmachtete, hat wirklich verschmolzen, was in der Theorie allenfalls vereinbar schien. Aber wenn ich nun die beiderseitigen Endprodukte dieses Prozesses im Geist vergleiche – das Christentum im Westen und im Fernen Osten den japanischen Buddhismus –, dann muß ich mich wieder einmal neigen vor der größeren Erkenntnistiefe sowohl, als der höheren künstlerischen Ausdrucksfähigkeit des Morgenlandes. Um wie viel wahrer ist die Lehre des Mahâyâna als die so gleichsinnige des Christentums! Wo bei uns bornierte Afrikaner und unphilosophische Römer, günstigstenfalls wortklauberische Griechen die Lehre fortbildeten, haben dies im Osten weise Inder getan; und wo bei uns wörtliche Auffassung und allegorische Ausdeutung des christlichen Mythos dessen Formen zu einer Art Hieroglyphenschrift verballhornte, die außerstande war, ein Gemeintes unmittelbar auszudrücken, hat der künstlerische Feinsinn des Orients aus nahezu identischen Gestaltungen eine Sprache geschaffen, die mit wohl unerreichter Unmittelbarkeit das Ewige als Erscheinung offenbart. Amida ist nichts anderes als unser Erlöser, Kwannon nicht verschieden in der Idee von jener Maria, die den weiblichen Aspekt göttlicher Liebe inkarniert; Sukhavati ist identisch mit unserem Himmel. Aber während diese Mythen der Christenheit bis zum heutigen Tag naturwissenschaftliche Tatsachen geblieben sind, oder schlimmer noch, als Allegorien von ihr verstanden werden, hat sie der Osten nie anders als symbolisch aufgefaßt. In Indien philosophisch-bewußt, in China halb bewußt, halb instinktiv; in Japan wahrscheinlich ganz unbewußt, mit der kindlichen Naivetät des echten Künstlers. Immer wieder komme ich auf das Wort des Gekreuzigten zurück: sie wissen nicht, was sie tun. Die Japaner sind sicher ganz unschuldig am Wunder ihrer geistlichen Kunst; desto unschuldiger, als sie ja wirklich hauptsächlich anderen nachgeahmt haben. Aber ihre »Kopien« sind spiritueller als unsere Originale.

Im Sinne der Spiritualität ist und bleibt das Maximum die indische Weisheit, und deren vollkommenstes Ausdrucksmittel der chinesisch-japanische Künstlersinn. Wie wenig nützt hier Verstandesbegabung! Ich denke zurück an meine Erlebnisse in Adyar und an die Lehren der modernen Theosophie. Die sind beinahe identisch mit denen des Mahâyâna, und dessen intellektuellem Gehalt sind die Theosophen wohl besser gewachsen als die Japaner. Gleichwohl steht der japanische Buddhismus turmhoch über der modernen Theosophie. Die geht mit den indischen Lehren nicht weiser um als unser Mittelalter mit den griechisch-christlichen: auch sie faßt wörtlich auf oder allegorisiert; auch ihre Synthese ist ein äußerliches Aggregat. Die Rassenanlage scheint doch unüberwindlich: Angelsachsen bleiben Angelsachsen, ein praktisches aber unspirituelles Geschlecht, selbst wo sie sich zum Mahâyâna bekehren. Möchten nun auch die Japaner Ostasiaten bleiben, trotz ihres Triebes zur Verwestlichung.

 

Ja, die Rassenanlage ist ein Äußerstes überall, wo Glaubens- und Einbildungskraft nicht außerordentlich groß sind. Bei den Japanern sind beide ausnehmend gering, weshalb das Blut bei ihnen ungewöhnlich viel bedeutet. Es ist nicht wahr, wie oft es behauptet wird, daß sie, als Nachahmer, in hohem Grad verwandelbar wären; zur Verwandlung bedarf es der Phantasie. Sie sind sich vielmehr gleicher geblieben durch allen Wechsel hindurch, als irgendein Volk. Welchem Einfluß sie sich auch hingaben – dem koreanischen, chinesischen oder europäischen –, wesentlich verändert hat sie das nicht. Wie dies mit besonderer Anschaulichkeit die Geschichte des japanischen Buddhismus illustriert.

Die Mönche von Nara waren berüchtigt wegen ihres Raubrittertums. Nicht im mindesten hatte die sanfte Weisheit der Inder auf die kriegslustigen Reisigen erschlaffend eingewirkt – jene hatte sich vielmehr deren Gesinnung anbequemt. Beinahe sogleich verschmolz der Buddhismus mit dem eingeborenen Ahnen- und Götterkult, legte sich bald darauf einen richtigen Kriegsgott an, und nicht lange währte es, bis daß die buddhistischen Klöster den Regenten mehr zu schaffen machten als die unruhigsten Vasallen. Nur auf den Teil und die Seiten der Japaner hat die indische Weisheit als solche unmittelbar eingewirkt, denen sie von vornherein entsprach: auf die Frauen und auf den Künstlersinn. Die Japanerin ist geborene Buddhistin, in ihrem sanften Dulden, ihrer selbstlosen Innigkeit; und als Künstler ist der Japaner dem Inder nahe verwandt. Immer deutlicher erkenne ichs: in bezug auf das japanische Volksleben bedeutet die buddhistische Kirche, soweit sie wirklich buddhistisch ist, nur einen künstlerischen Rahmen, nicht mehr. Aber gerade darum wohl hat sie dem Einzelnen, zumal der Frau, hie und da so sehr Persönliches bedeutet. Die katholische Kirche war vor allem ein Staat; sie hat mehr Völker als Einzelne erzogen, mehr der Menschheit als dem Menschen ein Hort sein wollen. Deshalb fehlen katholischen Heiligen die intimen Züge, welche buddhistische so lieblich erscheinen lassen. Ein einziger unter jenen scheint diesen vergleichbar: der Heilige Franz.

Es ist die Zeit der Wistariablüte. Bis zu den Spitzen der trotzigen Tannen im Park ranken sich die lieblichen Schlinggewächse auf. So haben sich das Rauhe und das Süße in Japan stets wunderbar ergänzt. Dem Weib die Liebe, dem Mann der Kampf; für sie der Buddhismus, für ihn das Shintô. Aber für beide Bushido, der Geist stolzer, aufwärtsstrebender Reinheit: von den möglichen Formeln, die das Widerspruchsvolle zur Einheit versöhnen, scheint mir diese nicht die schlechteste zu sein.

 

Schon mehrfach berührte ich den franziskanischen Charakter des Tiefsten und Besten an der japanisch-buddhistischen Religiosität; bei diesem Konvergenzpunkt östlich-westlichen Wesens muß ich doch etwas länger verweilen. Ohne Zweifel hat das Süße, das Liebliche, das Zarte hier wie dort den gleichen Grundgeschmack; freilich hat es im Fernen Osten den höheren Grad der Durchbildung erreicht. Aber das Franziskanertum erschöpft sich nicht im Süßen. Ich muß an eine Bemerkung Alfred Webers denken: der entsprechende Ausdruck eben des Geistes, der einst im Franziskanerorden seinen Körper fand, sei heute – die Heilsarmee. Wahrscheinlich ist dem so. Nicht der ganze Geist des heiligen Franziskus geht im Innig-Süßen auf. Und für das andere, das Leidenschaftlich-Tatkräftige, fehlt im Osten das Gegenstück.

Missionare würden natürlich sagen, dieser Unterschied gehe auf die Überlegenheit der christlichen Lehre zurück, und so viel ist gewiß: sehr ähnliche Grundideen haben in christlicher Verkörperung ungleich größere Kraft bewiesen. Aber woher kommt letzten Endes diese größere Kraft? worauf beruht es, daß franziskanischer Geist in Japan nur Süßes, in Europa sowohl Süßes als Gewaltiges hervorgebracht hat? Wohl schwerlich auf der Lehre Christi an und für sich, sondern auf der Naturanlage derer, von denen sie Besitz ergriff; die Mahâyâna-Lehre hätte unter uns wahrscheinlich gleiches gewirkt. Ich vergegenwärtige mir die Seele des Heiligen Franz: mit solchem Feuer hat die Liebe in keinem Japanerherzen je gebrannt; solche Leidenschaft hat kein Heiliger des ganzen Orients, wenn ich den Islam ausschließe, je gefühlt. Was den christlichen Bhakta vom asiatischen letztlich unterscheidet, ist das sehr viel größere Energiequantum, über das er verfügt. Somit beruhen die Vorzüge des Christentums vor dem Buddhismus, soweit solche in Frage kommen, wohl vielfach auf physiologischen Umständen; auf dem dichteren, dankbareren Stoff, mittels dessen sein Geist sich hat auswirken können. Nie bin ich unter Asiaten einem Menschen begegnet, dessen psychischer Körper so voll und reich wäre, wie bei uns schon im Fall des höheren Durchschnitts; alle, soweit ich sie kenne, sind psychisch mager im Vergleich mit uns.

Von diesem Gesichtspunkte aus entfalten sich, wie mich bedünkt, recht interessante Ausblicke auf unseren vermeintlichen Materialismus und des Ostens vermeintliche Spiritualität. An den Tatsachen ist natürlich nicht zu rütteln, aber ihre Bedeutung ist doch nicht ganz die, welche ihnen gemeiniglich zuerkannt wird. Wohl stellt sich Spiritualität im Orient meist spiritueller dar als im Abendland, aber daraus folgt nicht notwendig, daß jener wirklich dem Geiste näher sei: es braucht nur das daraus zu folgen, daß er einen mageren Körper trägt. Sicher ist diese Deutung in vielen Fällen richtig, und was Japan betrifft, vermutlich durchaus. Auch vieles von dem, was an Indien bewundernswert scheint, mag hier seine wahre Ursache haben: es ist nicht eben schwer, zu verzichten, wenn man dürftige Leidenschaften hat. So viel steht außer Frage: je reicher der Körper, desto bessere Ausdrucksmöglichkeiten hat der Geist. Das beweisen unser Beethoven, unser Bach; denen kommt nichts Östliches gleich. Das beweist am eindrucksvollsten wohl China. Wo immer es möglich erscheint, Chinesisches mit Japanischem einerseits, mit Indischem andrerseits zu vergleichen, überall also, wo entweder ein identischer Geist den jeweiligen Kulturgebilden zugrunde liegt, oder wo identische Ausdrucksmittel benutzt wurden, beeindruckt die größere Substantialität der chinesischen Gestaltung. Sie wirkt nicht nur robuster, stofflich-bedeutsamer, ist nicht allein schärfer umrissen, kraftvoller ausgeführt – sie wirkt wie aus größerer Tiefe beseelt. Um die Tiefe an die Oberfläche zu bringen, bedarf es eben der physischen Kraft; und je mehr Oberfläche auf den Grund zurückgeführt oder vom Grunde her durchleuchtet wird, desto deutlicher tritt dies hervor. Die Chinesen sind die substantiellsten der Asiaten; sie sind die einzigen Menschen, die ich wüßte, deren psychischer Körper den Vergleich mit dem unserigen aushält. Deshalb hat die orientalische Spiritualität ihren irdisch stärksten Ausdruck in China gefunden.

 


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