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Oxford

 

I

Oxford ist etwas Einziges in Nordeuropa. Warum hat es niemand gesagt?

Zahn der Zeit … und Blumen. Ich dachte ganz falsch, Oxford sei so eine Stadt voll Drill, Sport, Lernherden, Abzirkung. Ah, was! es ist ein Traumgarten. Eine Seelenrast. Ein Dichterschlupf. Ein Grübelnest. Ein Duftglück – mit ergrauten Klösterlichkeiten.

Man denkt vergebens an Brügge … nein, ich sah nie eine Stadt so altertumsreich und altertumshold, nördlich der Alpen, wie Oxford.

Heidelberg (der Brite Turner hat es ja auch gemalt) schwebt herrlich; hält aber keinen Vergleich innendrin. Rothenburg … Rothenburg ist voll schöner, doch leichter Altbauten gegen dies köstlich schwere Landstädtel mit lieblichster, steinernbemooster Fülle. Durch die Luft wird man getragen – in das Einst.

Brügge! Heidelberg! Münster! Dinan! … Oxford ist ein Perlenhaufen.

 … Freundlich umwucherter Weisheitsglanz. Sehr alte Kultur eines milden Machtvolkes. (Wer dächte, daß es noch Muße fand, die Welt zu stehlen? – wollte sagen: zu kolonisieren.)

Sehnsuchtswinkel. Einkehrstatt. Zahn der Zeit … und Blumen.

 

II

Was ist ein »college«? Ein Lehrkloster. Viele Lehrklöster gibt es in dem einen Ort. Zweiundzwanzig. Zwei-und-zwanzig. (Auch nicht gewußt.)

Im Christ Church College, dem umfänglichsten, ist sehr britisch der begrünte Hof, mit viereckigen Zinnen. Immer neue Höfe, grausteinern umzirkt. Eine Klosterfestung. In der hall Bildnisse, darunter Heinrich VIII … von Holbein. Kurzweg.

Gemalt an der Wand hängen viel heimgegangene Perücken unbekannten Werts – aus gottkundiger, scholastischer Zeit. In Öl. Die Büste der dicken Victoria beherrscht alles. (Auch Gladstone und Rosebery haben hier gelernt – an der Wand verdämmern ihre Züge.) … Glasfenster. Bischöfe. Dreizehntes Jahrhundert. Kardinal Wolsey. Und so.

 

III

Gesang von Knaben aus einer Klosterstube. Dann kommen sie lang – mit Umhängen, mittelalterlichen Mützen.

Die Domkapelle (nicht Damenkapelle, Setzer!) dabei. Und wohin führen diese Stufen? Unten in die englische Küche. Hinein! … Verschwenderisch hoch und räumig; von damals. Angestammtes Kupfergerät. Der Koch schaltet, und Küchenjungen, wie aus vergangener Zeit. Viel große Stücke Fleisches wurden hier saftgeröstet für manchen gelehrten Schlung – in den Jahrhunderten …

Mauern, benagt und betagt. Immer in verschieden altem Stil, Rasenhöfe, neue, immer noch. Endet es nie?

 

IV

Draußen irgendwo ein Gasthäusle, von verschollener Wesenheit. An der Mauer noch die Klingel – und angeschrieben: »Ostlers bell«. Wirtes Glocke – oder Hausknechts Glocke …

Und Kastanien. Überwachsenheiten. Und lauter alte Kirchhöfe, mit ehernem Gitterwerk, zerstreut mitten in der Stadt … in der englischesten.

(Sie geht gewissermaßen-sozusagen ohne Tor ins Land, wo die breite Landstadtstraße halt weg ins Freie fortzieht – in grün altbäumige Wege. Ecco.)

 

V

Vererbte Wissenschaft! Bei uns wird wohl besser gelehrt. Aber diese Häuselchen alten Schlags, efeugeborgen, mit breiten Blättern umpelzt. Und Zweige wieder über Mauern; zwischengeflickte Baumgärtlein.

Gleich wieder bröckelnde Abtstiftungen mit Zinnen, Türmen, Quadrangeln, rechteckigen Hofgärten, Spitztürmen, Wölbehallen, Steinkringeln … Das zusammen ist überdies altenglisch heiter. Und wo die Stadt ins Land mündet (aber das Land ist ein grüner Inselgarten), da kann am Abend, weiß der Himmel, mein Sir John mit lustigen Weibern unter dem Wiesenbaum tanzen – beim Fluß.

(Ecco. Ecco.)

 

VI

Wie heißen die zweiundzwanzig Lehrklöster? … Geschenkt! Nach Magdalene sind sie benannt und nach Jungfrau Maria und nach Allerseelen und nach der Königin und nach Exeter und nach Allerheiligen und nach Jesus und nach Lady Margaret und nach einem John Balliol, der anno 1263 was gründete. Wie sie sonst alle getauft sind. Zwoundzwanzig … Ehrenmorsches Graugemäuer; sturmstille Klosterweisheitshallen. Türmlein. Und durch einen Torgang kommt man in den Garten, mit umsponnenen Himmelsstämmen, Rotblumen, Ligustersträuchen, alles pfarrgärtlich durcheinander.

Beglückend.

Und sieh: ein graubemoostes Halbmäuerle, wie eine heimisch alte Brustwehr, von viel hundert Sommern abgebraucht, nebenan versteckt im Winkel ein Gärtnergelaß, und man sieht hinab auf Triften – doch ein hoher gelber Anfang von einem Weizenfeld guckt nur sommersanft unter schlummerschweren, laubig tief hinabgewachsenen Ulmen.

 

VII

Und entstanden ist so was leicht anno Zwölfhundertundsoundsoviel – und mit der ältesten Bibliothek in England. (In dieser Art.)

Und ein völlig greiser Turm, erst quadratisch, dann oben spitz, schielt hinein. Ferner, das erwähn' ich gar nicht erst, lauter Bogengänge. Mit Grabtafeln an der Mauer, für längst hingeschiedene sodales … oder Gefährten.

 

VIII

Nein, Oxford ist keine Stadt um Drill, Rudern, Lernherden, gradlinige Zirkung.

Sondern eine Wonne. Ein Dichterspuk. Ein Träumerhort. Ein stehngebliebenes Stück der Zeit. Den Spitzweg hätte vor Jubel der Schlag hier getroffen. (Gut, daß er nicht hinkam.) Warum hat kein Mensch Oxford geschildert?

 

IX

 … Falsche Begriffe sind mit Namen verschweißt. Seht, meine Lieben, den Pelikan auf der Säule. Hier die Mitte des Quadrangelhofs, mit Spitzenbogentor, alt-rostiger Laterne, Steintreppen unter Torböglein; und auf diesem Blumenplatzl sind fünfzehn (fünf-zehn) Pforten. Hab' sie gezählt … War es das Merton College? Ja.

Nein …, sondern, am Ende, das Corpus Christi College. Ist Wurst. Manches Lehrkloster blieb eben besser beisammen, nicht so dösig verwittert  … Ach, die verwundersamen, himmlischen Shakespeare-Durchblicke; ja, das ist es: wie auf Shakespeare-Abbildungen. Weißt du? Kleine Spitztore, dahinter ein Gäßlein mit 'ner Mauer, und hinter einem Tor-chen wieder (hört es nie auf?) ein Torlein-Durchblick – und wiederum Gemäuer und Grün und Urfenster.

Ich bin kein Wissenschaftsmensch, sondern ein Malerich, doch diese Fenster nennt man hier »früher als Elisabethan«, nämlich »früher als zur Zeit der Königin Elisabeth« (sprich »Elisa-bieß'n«) …

Jedenfalls: der Wirt ist sogleich zu erwarten, der vor einem hinkenden Königsbruder dienert. Guten Tag, Schurke – sei froh, daß du's Leben hast … Diese Zeiten damals waren arg, der Mensch wurde kalt gemacht wie nichts; und besaß kaum Rechte … Heut wird er ja auch kalt gemacht – aber er hat doch Rechte …

 

X

Hier der Garten ist … mehr gekämmt sozusagen; fast französisch, – nicht nur eine herrliche Verfallenheit.

Aber doch nicht französisch! Bald kommt wieder voll Grün so ein Rasenhof. An der Wand wachsen Feigen; darunter: ein Heliotropfleck … Und graue Betkapellen immer zwischendurch oben mit der Holzdecke, die erinnern mich allemal an Schifferkirchen. Eine große Verwandtschaft: Halligenkirchen, bretonische Kirchen, und bis hier in Oxford.

Da im Queens College – was für eine kleine Tafel am Gartentor, halbversteckt? Ach so. 1914-1918. Namen eingemeißelt. »Invictis pax«; zu deutsch »Ruhestatt der Unbesiegten«. Hm. Weiter.

Enden die Vorzeitmirakel dieses Nestes nie? Der Mauerweg, schmal, mit Ligusterduft (Ihr kennt ihn: so halbmodrig). Kuppelchen, Geranien. Und hier (ist es St. Magdalen?) steinerne Chimären am Kreuzgang und Ritter; feierlich ergraut. Aber jetzt …

 

XI

Aber jetzt ein Riesengarten mit Toren, einem Wasser und abermals Fenstern – und (guck hin) selig-endlose Wiesengründe hinter dem Gartentor, und hier fließt also der Bach zwischen dem Steinstaden und einem Gegenufer mit Immergrün … Ach, fernschimmernde Gründe, von Buschbäumen begrenzt … Und bunteste Blumen … Dies college ist pikfein; deshalb hat auch der Prinz von Wales hier zwei Jahre studiert. Jawohl, in der Eßhalle sagt nachher ein Pförtnerbold andächtig: »Dort saß er«.

 

XII

Jasmin. Jelängerjelieber … Ein goldener Wetterhahn auf grauem, breitem Wartturm. – Still!

Man muß aufhören. Bloß diese alte Rundbücherei noch, mit Säulen; im Bauch hat so was dreißigtausend Manuskripte; wissen müßt' ich es, das Ganze soll weltbekannt sein … O wunderbares Oxford.

Du Zeitenstrahl. Du Abendgold. Du Jahre-Fluß. Erinnerung und Gewesenheit … C-Dur, von Robert Schumann, opus 12. »Fabel.« (Einst.)

Auf andrem Blatte steht: Du Merkmal für leise Gesittung eines milden Machtvolkes – das nebenbei die Welt gestohlen hat.

 

XIII

Ein Wanderer aus Amerika trat auf uns zu, blauer Anzug, blaues Hütchen, er war ein Schlankl, ein gerissener Hund, ein Halunke, nicht satt-vornehm; der nur durch Europa strömte, weil er ein bißchen Geld gemacht, aber nicht viel. Sehr ein ulkiger Halunke.

Sprach uns an; fragte was. Im alten Mönchshag am Turm. Wir plauderten. Woher er sei. Leichtfüßig sprach er: »Well, I live under my hat« – er lebe unter seinem Hut. Ich sprach: »And under what does your hat live?« Wir lachten. Er schwand; aus der Klosterwelt; zum nächsten Zug; der nette Halunke.

 

XIV

Und ich kaufte gegen abend in dieser Stadt eine Kirschbaumholzpfeife, zum Rauchen – sehr lang; fast bis auf die Erde. Riecht herrlich. So schön wie eine, die ich mal in Bonn (Rhein) gekauft. Sind so Studentenpfeifen. Wie die Schifferkirchen alle mitsammen verwandt.

Stets will ich an Oxford denken, wenn honigsüßer Gold Flake darin brennt, im Winter.

Und du, Liebste? Hier in Oxford hast du studieren sollen? Es ist schon besser so.


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