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Harriman

 

I

Ich sprach mit Mr. Harriman, dem Unternehmermagnaten. Er ist als Nachfolger und Erbe des Eisenbahnkönigs eine Wirtschaftsmacht. Sein Vater schuf den Stahlweg zum Stillen Meer. Gigantenwerk – bei Überwindung toller Abstände. Phantastisch alles.

Die letzte Wirkung davon erleben nicht wir, die wir heut atmen.

Wenn unser Flockenrest in der Urne träumt, dann schlägt vielleicht an der größten See dieses Erdballs, an der pazifischen, das Herz der Welt.

Ist es ein Traum?

Viele, nicht nur Californier, glauben: daß der Schwerpunkt menschlichen Einflusses und irdischer Kraft einst von der Ostküste, wo Newyork ragt, hier hinübergleitet.

Paradiese winken da; doch nicht voll Sonnenfaulheit: sondern zum Platzen gefüllt mit Unternehmerkraft.

Dort lebt straffste Gier nach Neuschöpfung unter einem vergeuderisch übermütigen Himmel. Ein gar nicht absehbares Kompaniegeschäft von Wucherwuchs und Hirn.

Neue Male südlicher Schönheit und ausgeruhter Nordkraft können hier einst planetenbeherrschend leuchten.

Newyork, also die Gegenwart, ist für den Westen die Vorstufe. Phantasterei?

Das Erdzentrum wandert!

Harriman war ein Pionier für den Weg.

 

II

Der Erbe steht im dreißigsten Jahr. Er ist es, welcher die bis jetzt greifbarste Beziehung zu Deutschland auf wirtschaftlichem Felde schlug. Unweit vom Hafen, wo das Zollhaus steht, wo der Broadway endet oder anfängt, dehnen sich seine Räume. Dort, in einer Schreibstube wirkt er – nicht wie ein Gott mit feierlichem Zugang in gemessener Höhe; sondern ziviliter; ohne Fisematenten.

Europäisches Magnatentum, das immer fürchtet, sich Verzierungen abzustoßen, hat in Amerika nicht Platz. Harriman, ein gewinnender, schlichter Mensch, zeigt nichts, was an ein Monokel erinnert  …

Seine Menschenschiffe und Frachtschiffe laufen heut vom Hudson zur Elbe. Der Sohn vervollständigt also den Weg zum Stillen Ozean – vom Sitz der alten, jetzt auf der Kippe stehenden Welt.

 

III

Harriman hofft von der Verbindung mit Deutschland Gutes für beide Teile. Handelsbeziehungen! Harriman weiß: in seinem reichen Land herrscht so viel Überschuß, ja Verschwendung, daß ein Ablenken und Verwerten zum Aufbau Europas das Gegebene wird.

Die kleine Krisis Amerikas, Arbeitsmangel, kann sich verringern, wenn die Brücke zu Ländern geschlagen wird – die darauf warten. Er hat einen der Anfänge gemacht.

Es kostet Mut … noch in diesem Zeitpunkt. Ich sagte zwar, daß die Stimmung für Deutschland günstiger geworden ist (viele schimpfen hier auf die Politik Frankreichs) – aber die Annäherung braucht ein gewisses Maß von Willenskraft …

 

IV

Wiederum sah ich in einem Wirtschaftsherrscher keinen Fachmenschen. Das bartlose, dunkeläugige Gesicht über dem blauen Anzug, mit einem sinnenden, fast schüchternen Zug, gehörte nicht einem Berufsfanatiker.

In diesem Lande, wo alles rapid geht, haben die maßgebenden Leute fast immer Zeit zu geschäftsfernem, ruhigem, unnervösem Plaudern.

Daß mich das Neue der Neuen Welt anzieht …, darüber wundert sich Mr. Harriman mit einem fast sehnsüchtigen Ausdruck. Ganz leuchtet ihm das nicht ein, weil er an Europa wohl justament vom Alten, Moosbewachsenen, Patinierten gelockt wird; von der länger durchwitterten Vergangenheit.

Er kennt Berlin. Reist gern. Lebt am liebsten auf seinem Landsitz. Es wird einem jetzt nur so schwer gemacht, findet er, hinauszukommen. Steigerung des Getümmels! Manhattan ist ja ein Eiland. Der Raum wächst also nicht – aber die Bevölkerung.

(Bekannte Tatsache, daß die reichsten Leute Newyorks jetzt mit der subway fahren, weil die Fülle der Autos den Weg sperrt …)

Es entstehen pro Jahr hier eine Million Automobile. Bei Herrn Ford wird – man lache nicht – alle vier Minuten ein Auto fertig. Der gebrauchte Ford-Wagen kostet hundertundfünfzig Dollars … also nach Friedensrechnung sechshundert Mark. Ein Nichts.

Ich dachte: bald hat ein Newyorker, wie er heut Stiefel besitzt, als einfachste Grundlage der Bewegung sein Flugzeug …

 

V

Harriman sprach zu mir von Dingen der Kunst. Das tun sie drüben gern. Er liebt Newyorks Architektur der letzten fünfzehn Jahre. Vorher Geschaffenes lehnt er sensitiv ab. Mit Recht.

Auch in der Fünften Avenue sondert sein Empfinden wählerisch das Edle vom fast Echten.

Ein feiner Mensch unsres Schlages. Europäer haben von Amerikas Häuptlingen einen grundfalschen Begriff. Zwar Pierpont Morgan war stiernackig, dickschrötig, brutal in der äußeren Wesenheit. Heut aber wächst in Newyork ein Nervengeschlecht heran; unsre Vettern. Dabei voll physiologischer Frische.

Ja, und immer haben diese Menschen, durch deren Hirn tausend hastende Pläne ziehn, zwischendurch Zeit zum Unterhalten. Das Tempo der Stadt ist märchenflink – aber die Beschäftigtsten, Wichtigsten, Einflußreichsten reden lächelnd und still von ganz Entlegenem: als ruhte die Welt. Als ginge nichts außer diesem Gespräch sie an.

Dahinter steckt oft ein Wunsch: eine Zugvogelstimmung; ein Idealismus.

Die Prominentesten hier sind allemal das Gegenteil von dem, was man sich unter business-man vorstellt.

 

VI

Harriman hat in dem Deutschböhmen Lederer, dem alten Freund Ballins, einen wertvollen Mitarbeiter. Der seit früher Jugend amerikanisierte Lederer (weitläufig verwandt mit dem prachtvollen Hugo, welcher das Bismarck-Denkmal für Hamburg schuf) ist in zwei Welten zu Haus, zwischen beiden der Verbindungsoffizier und ein glänzender Organisator.

 … Mit wem einer auch in Newyork redet: alle hier sagen, daß der Ausweg aus dem deutschen Übel nicht politisch, sondern wirtschaftlich zu finden ist.

Darüber spricht bei ganz andrer Gelegenheit der Premierminister des Eisenbahnkönigs, schon Großwesir des alten Harriman, lange mit mir, – Mr. Sickel. Welches sind heute die Möglichkeiten der Annäherung?

Sickel sieht ähnlich aus wie Wilson. Ein Fünfziger, hoch und schlank. Mildes Denkergesicht.

Der Sachwalter ungeheurer Dinge hat den Ausdruck eines Gelehrten.

Mir war es eine Freude zu sehn, wie seine Frau und er gefühlsmäßig für Deutschland eintraten. Im Gespräch mit dem Präsidenten der Technischen Hochschule von Pittsburg, welcher den deutschen Namen Mr. Hammerschlag führt, aber die schlimmsten Torheiten der französischen Politik billigt, kam es zwischen den beiden Damen zu einem dramatischen Auftritt, hart gegen hart. Mir wurde bei dem siegreichen Eifer der Ministergattin ganz warm ums Herz.

 

VII

Auch Sickel ist gewiß, daß jetzt kein Haß gegen uns mehr besteht. Aber doppelt und dreifach tut eines not: Geduld. Nichts überstürzen! die Dinge nicht puffen! nicht ein langsam von Tau und Regen sich sammelndes Wasser verschütten! Nur das nicht.

Was heut in Amerika fühlbar wird, ist ja bloß ein Aufhören der Feindschaft. Nicht geweckt ist eine Stimmung, die sich zur Hilfstat entschließt.

Amerika, sagt er, beobachtet die deutschen Zustände genauer, als wir meinen – an eine deutsche Bolschewistengefahr glaubt man drüben nicht mehr.

Deutschland sei jedoch in gefährlicher Lage, da jeder Kurs hochklettert, und ein Krach möglich ist …

Die Bedingungen für Deutschland können besser werden, weil der gallische Gegner sich selbst isoliert …

Houghton, der neue Botschafter, sei verständnisvoll und willig. Der denkbar beste Mann für diesen Platz. An ihm werde nichts scheitern. (Mr. Houghton, der Glasfabrikant, hat in Wahrheit schon wegen seines freundschaftlichen Verhältnisses zur thüringischen Industrie gewiß nichts gegen uns.)

Kurz: alles hänge heut an zwei Punkten. Erstens: understanding in Amerika. Zweitens: Geduld in Deutschland.

Das Grundverhältnis der zwei Länder sei zukunftsvoll.

Ich war ihm dankbar – und doch nicht getröstet.

 

VIII

Ich sprach mit einem Großindustriellen aus Cleveland, der jetzt in Atlantic City haust. Ein gesättigt zurückgezogener, idealistischer Mann; abermals vom Gelehrtentyp. Seine volkswirtschaftlichen Bemühungen haben diesem reichen Praktiker einen Namen gemacht. Der Vater des Mr. Wuest kam 1832 aus Deutschland. Er selbst, Mitte der Sechzig, Großingenieur, vormals mit Fabrikwerken in Cincinnati und Cleveland, hat, als er genug besaß, gleich dem Dichter Walt Whitman »seinen Stuhl vor die Tür gerückt, nun die Leute zu betrachten«.

 … Ich bekam von dem eisgrauen Mann mit dem mächtigen Kopf und einem machtlosen, durch Schlaganfall gelähmten Bein einen menschlich sehr starken Eindruck.

Auch er widerspricht in jedem Punkte dem blödsinnigen Bild, das viele sich vom »Dollarjäger« machen.

Ach, vielleicht ist man drüben philanthropischer als bei uns.

Mr. Wuest gab für eine ökonomische Zeitschrift mit seinen Besserungsvorschlägen jedes Jahr zweiunddreißig Millionen Mark her. Am Lebensabend hat er aus Gefühlsgründen (»sentimental reasons«) jene Ländereien gekauft, in deren Umkreis er die Kindheit verbracht – nur um sie vor Ausschlachtung zu schützen. Eine alte Dame bewarb sich um dies Gelände für den Bau von Arbeiterheimstätten. Er gab's ihr … mit einer Klausel gegen Verschacherung. Sie verbaute bis jetzt für Wohlfahrtszwecke dort dreißig Millionen Dollars. Also zweihundertvierzig Milliarden Mark; sie besitzt vierhundertachtzig. Die Frau ist alt – und opfert die Hälfte ihres Vermögens.

(Ja, wir haben den Witzblattstandpunkt gegen einen von Europäern erdichteten Yankee; das »understanding« muß auch bei uns beginnen.)

 

IX

Mr. Rob. Wuest hat vor dem Hilfsplan des Bankiers Vanderlip hohe Achtung. Frank Vanderlip sei ein ernster, tüchtiger, ja hervorragender und (hier das Entscheidende!) nicht selbstsüchtiger Helfer.

Er könne großen Anhang in Amerika finden. Dort sei »mancher Otto H. Kahn« gewillt, Millionen Dollars herzuleihen. Fehlt nur ein Sammelpunkt für gemeinsames Handeln.

Es geht von diesem alten Mann, dem alle bloßen Schieber und Geldhyänen ein Greuel sind, etwas Gütiges, Überzeugendes aus. Einer von denen ist er, welchen die Kraft innewohnt, hinauszudenken über das bißchen Selbst. Sie wollen die Erde nicht verlassen ohne das aufrichtende Gefühl erfüllter Menschenpflicht – im schwersten Zeitpunkt.

 

X

Den eignen Plan, an dem er arbeitet, in der Wirkung zu übersehen, vermag ich nicht. Er beruht auf der Gewißheit, daß weit mehr deutsches Geld in den Vereinigten Staaten ist, als angenommen wird. Mr. Wuest schätzt es auf zwischen fünfzig und hundert Millionen Dollars. (Auch in andren Ländern sei noch viel deutsches Geld.)

Kern seines Vorschlags ist also: die deutsche Regierung solle jeden Tausendmarkschein stempeln – mit der Verfügung, daß er fortab sehr viel weniger gilt …

Von innen leuchtend, das gelähmte Bein lang ausgestreckt, sprach er zu mir, der ihn nie gekannt hatte, mit einer Hingebung, als stünde sein Eigenstes auf dem Spiel.

Auch er ist ein Vertreter dieses Lands. Amerika hat Herzen und Köpfe solcher Art, von denen wir nicht genug wissen.

 

XI

Als der deutsche Konsul Kraßke mich zum Frühstück einlud (wir schmausten köstlich in einer fast hanseatischen Kneipe des Schifferviertels), hat er mir in jedem Fall bestätigt, daß eine Lawine von Handelsverbindungen jetzt, nach dem Friedensschluß, das Konsulat überdonnert. Alles hat sich lange gestaut. Monatlich fünftausend Briefe – bei einem Stab von achtundzwanzig Beamten; daß D'a Fraid' hast! …

 

XII

Also deutschfeindlich ist hier die Stimmung nicht mehr. (Der Marschall Joffre kam jetzt an, wurde mit einem Festmahl in meinem Hotel gefeiert, Wall Street hat viele Trikoloren gehißt – jedoch der Bürgermeister Hylan gab ihm einen Rüffel. Nahm kein Blatt vor den Mund … wider Frankreichs friedenstörende Haltung.)

Ich bin heute noch voll Zuversicht.

Ich glaube nach wie vor an Amerika. Nur, nur, nur an Amerika.

 

XIII

Die Nordpolentdecker, die Flugzeugerfinder, die Kriegstopper müssen uns helfen, – aus einer sehr irdischen … und aus einer himmlischen Ursache.

Aus dem nüchternen Grund ihres Geschäftsmangels. Zweitens aber (das unterschätzt nicht länger!) aus Gründen eines moralischen, kategorischen Imperativs.

Man läßt ein hochstehendes, unersetzbares Volk, man läßt einen Erdteil nicht verfaulen.

Ich hoffe. Ich glaube. Ich weiß.


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