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Weinsberg

Der Einzug

Im November 1818 wurde die Stelle eines Oberamtsarzts in Weinsberg frei. Der Vater meldete sich darum und erhielt sie.

Mir war alles, was der Umzug nach Weinsberg mit sich brachte, sehr merkwürdig und machte mir Freude. Nur einen Schmerz hatte ich, daß in Weinsberg wohl kein so schönes Dach am Kirchturm sein werde wie in Gaildorf. Dieses war immer mein Stolz gewesen, es war mit Zink gedeckt und glänzte in der Sonne wie eitel Silber.

Wenige Tage vor dem Abzug erkrankte eine den Eltern sehr befreundete Frau schwer, so daß der Vater sie nicht verlassen konnte. Es war nichts anderes zu tun, als daß die Mutter mit uns Kindern sich allein auf den Weg machte. Die Wägen mit dem Hausrat waren schon voraus, und man konnte nicht wissen, wie lange die Kranke den Vater noch nötig hatte. Einen Vorteil daraus zog das Kätherle, eine schon ältere Person, die auf das Rosele gefolgt war. Wäre der Vater mitgefahren, hätte sie zu dem Kutscher auf den Bock sitzen müssen, so durfte sie zu uns in den Wagen. Aber trotz aller Anstrengungen kam sie nicht in denselben hinein und auch innerhalb desselben hätte sie den ganzen Raum allein ausgefüllt; sie hatte, um sich das Packen abzukürzen, alle ihre faltenreichen wollenen Röcke angezogen und sich dadurch einen maßlosen Umfang geschaffen. Erst als sie sich einer Anzahl von Röcken entledigt hatte, konnte das Einsteigen bewerkstelligt werden.

Es war am 19. Januar 1819, als wir unsere Reise nach Weinsberg antraten. Der Tag war sehr kalt, und wir plagten die gute Mutter mit unsrem Jammer über die Kälte. Wir fuhren über Murrhardt und Löwenstein nach Weinsberg. Vor Willsbach kamen uns mehrere Wagen mit Herrn besetzt entgegen, die den Vater feierlich empfangen wollten und den Wagen, in dem nur eine Frau mit Kindern saß, nicht beachteten. Die Mutter dachte sich die Sache wohl, wollte aber die Herrn nicht anrufen, die, obwohl sie den Zweck ihrer Ausfahrt nicht erreichten, nicht weniger vergnügt von Willsbach aus am Abend ohne ihren neuen Oberamtsarzt heimkehrten.

Als wir über Ellhofen hinauskamen, sahen wir Weinsberg mit der Weibertreu vor uns liegen. Da ging mir zum erstenmal das Verständnis einer schönen Gegend auf und trotzdem, daß es eine Winterlandschaft war, die doch nicht den lieblichsten Eindruck macht, kam ich später nie an dieser Stelle vorüber, ohne mir das Gefühl zu vergegenwärtigen, das damals über mich gekommen war.

In Weinsberg fuhren wir an der Oberamtei vor, wohin wir auf das freundlichste eingeladen waren, bis der Vater ankam und wir unsre eigene Wohnung beziehen konnten. Diese befand sich in einem schön gelegenen Haus; aber wir mußten auf demselben Boden mit dem Hausbesitzer und sieben Kindern desselben wohnen, was eine Reihe von Unannehmlichkeiten in der Folge mit sich brachte. Wir hatten zwei größere Zimmer und ein ganz kleines Kabinett, das der Vater zu seinem Arbeitszimmer benützte. Im Parterre war noch eine Kammer, die als Gastzimmer eingerichtet wurde. Alles dieses muß man sich so einfach als möglich denken, nichts war tapeziert und angestrichen, mir kam es aber doch schön vor. Ich habe überhaupt immer das Glück gehabt, alles, was uns gehörte, für wunderschön zu halten, und dadurch wußte ich auch nichts von Neid gegen andere. Wenn ich jetzt zurückdenke, welche unbedeutende Gegenstände ich bewunderte und stolz darauf war, so sehe ich erst recht, welch ein glückliches Kind ich auch in dieser Hinsicht war.

Ärztliches Wirken in Weinsberg

Den Eltern und besonders dem Vater wurde es nicht ganz so leicht, sich in Weinsberg anzugewöhnen. Außer der schönen Lage des Städtchens bot es nichts weiter als jedes Weingärtnerdorf. Erst mit der Zeit wurde es durch seine Bemühungen sehr gehoben.

Als Arzt mußte er aber gleich in manchfachen Verkehr mit den Einwohnern treten, und sobald man seine Hülfe in Anspruch nahm, war er nicht nur der Arzt, sondern auch der herzliche, teilnehmende Freund. Wenn man ihn morgens bei seinen Gängen durch das Städtchen mit den Augen begleitete und sah, wie aus jedem Haus ihm ein Gruß zugerufen wurde, wie mancher Vorübergehende ihn anhielt, um mit ihm zu reden, und wie besonders die Kinder ihm entgegensprangen, konnte man sich von dem herzlichen Verhältnis, in welchem er mit jedermann stand, überzeugen.

Wie manche ärmliche Hütte hätte von Trost und Rat erzählen können, die er in sie trug; wie manche arme Hausfrau klagte ihm ihre Not, und er ging von ihr fort mit der Weisung: »Gehet zu meiner Frau, die wird schon wissen, wie zu helfen ist.«

Wie es aber schon zu Anfang seiner Praxis bei ihm war, so blieb es auch immer. Er hatte unbeschreiblich zu leiden, wenn er einen gefährlichen Kranken hatte, und die Sorge darüber ließ ihn Tag und Nacht nicht ruhen, er blieb oft lieber die ganze Nacht bei diesem, als daß er sich zu Hause schlaflos abquälte.

Die Anwesenheit der liebsten Freunde konnte ihm die Sorge nicht abnehmen, und er war ruhelos, bis er wieder bei dem Kranken war, wo sein Erscheinen als die größte Wohltat begrüßt wurde.

Am Krankenbett war er der ruhige besonnene Arzt; da saß er, das Kinn gedankenvoll auf seinen Stock gestützt, und sah den Kranken mit seinen wunderbaren Augen an, aus welchen schon mancher neue Hoffnung schöpfte. Ein alter Weingärtner sagte einmal: »Wie der Johannes saß er an meinem Bett.«

Das wurde ihm oft zur weiteren Qual, daß er so klar die Unzulänglichkeit des ärztlichen Wissens einsah, deshalb zog er auch oft, nur allzubescheiden, alles eigene Verdienst in Abrede.

In seiner ärztlichen Praxis hatte er viele traurige Erfahrungen mit Vergiftungen durch verdorbene Würste gemacht. Er stellte genaue Forschungen darüber an und machte mit dem Gifte Versuche an Hunden, Katzen, Kaninchen und Vögeln, was ein großer Jammer für mich war.

Ich hatte das größte Mitleiden mit den armen Tieren und erinnere mich noch besonders zweier kleiner Hunde, die, als der Vater ihnen das Gift eingießen wollte, sich auf die Hinterfüße stellten und ihn ganz kläglich ansahen; ich war dabei und ließ nicht mit Bitten nach, bis der Vater sie wieder frei gab. Er hatte wohl selbst ebensogroßes Mitleiden mit den Tieren wie ich, aber der Wissenschaft zulieb wollte er es tun. Er schrieb darüber an Karl Mayer im Juli 1821: »Ich lebe diesen ganzen Vice-Sommer unter nichts als Katzen, Eulen, Raben und Gift.«

Neue Bekannte

Besuche kamen schon damals viele, und auch hier war trotz des so beschränkten Raumes Platz für alle. Zweier hervorragender Männer erinnere ich mich noch genau, die zu gleicher Zeit bei uns waren. Achim von Arnim, der Herausgeber von des Knaben Wunderhorn, und der Nationalökonom List. Diese beiden in ihrer Richtung so verschiedene Männer kamen in heftigen Streit miteinander, über was, weiß ich nicht. Sie fuhren mit dem Vater über Land in seinem Einspänner; der Vater kutschierte selbst, und während der ganzen Fahrt setzten sie den Streit fort; auf dem Rückzug brach ein heftiges Gewitter aus, der Vater mußte sich auch in den halbbedeckten Wagen flüchten; da war nicht anders zu helfen, als daß von den Gegnern einer dem andern auf den Schoß sitzen mußte, und so fuhren sie zur großen Freude des Vaters nach Haus, und der Streit hatte ein Ende.

Beim Vater war es immer so, daß Männer von ganz entgegengesetzter Richtung sich friedlich vertrugen, bei ihm hörte jeder Streit auf, er wußte mit seiner Herzensgüte und seinem Humor alle zu entwaffnen.

In Heilbronn hielt sich längere Zeit ein russischer Naturforscher Parrot auf. Dieser kam beinahe jeden Abend zu uns. Es war eine innige Freundschaft zwischen den Eltern und ihm, und wir Kinder hingen mit der größten Zärtlichkeit an ihm. An einem Abend nahm er überaus bewegt von uns allen Abschied, den andern Morgen brachte der Torwart ein Paket, das ein Herr ihm aus dem Postwagen, der in der Nacht durchfuhr, für uns gegeben habe. In dem Paket war ein Brief für den Vater, ein Buch für mich und Soldaten für Theobald.

Parrot schrieb, daß es ihm den Abend vorher nicht möglich gewesen sei zu sagen, daß er für immer gehe, wir sollten ihn nicht vergessen.

Wir vergaßen ihn auch nicht. Sein Gehen war uns noch lange ein Schmerz. Es kamen noch öfters Briefe von ihm an den Vater, auch in der Zeitung las man, daß er sich als Naturforscher einen Namen erworben habe! Und als man uns erzählte, daß er den Ararat bestiegen habe, von dem ich wußte, daß die Sage geht, daß auf seiner Spitze noch ein Stück der Arche zu sehen sei, war ich äußerst stolz auf unsern russischen Freund. Er starb, soviel mir bekannt, im Jahre 1841.

Ein Besuch des Grafen Waldeck war die Veranlassung zu einem komischen Vorfall. Da der Graf ganz unerwartet kam, hatte die Mutter zu tun, um noch ein Abendessen zu richten. Theobald, sonst ein unruhiger Knabe, hatte sich in einer Ecke der Küche niedergelassen und war zum Verwundern ruhig. Da aber seine Ruhe unter diesen Umständen eine Wohltat war, so nahm sich die Mutter nicht Zeit, nach ihm zu sehen. Später kam er in das Zimmer, wo der Vater sich mit dem Grafen unterhielt; er hatte sein rotes gesticktes Röckchen an, das ohnehin nicht faltenreich war, aber jetzt war es sehr ausgespannt und Theobald hatte eine Unform, die schauerlich war. Der Vater sprang in der größten Bestürzung auf, stellte ihn auf den Tisch und fing an, ihn zu untersuchen, er glaubte vielleicht, Theobald sei plötzlich wassersüchtig geworden. Alles kam in Alarm, bis es sich herausstellte, daß er so lange neben einem Hafen gesottener Kartoffeln, den die Magd auf den Boden gestellt hatte, sitzen geblieben war, bis er alle samt der Schale aufgegessen hatte. Der Vater beruhigte sich über die Wassersucht, und am andern Morgen hatte das rote Röckchen wieder die gehörigen Falten.


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