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Jugendliebe und Ehestand

nach Briefen und eigenen Erinnerungen von Marie Niethammer

Mit großem Eifer widmete sich Kerner in Tübingen dem Medizinstudium, doch blieb ihm daneben noch immer genügend Zeit für seine literarischen und dichterischen Neigungen. Bald schloß er sich einem Kreis gleichgesinnter Studenten an, dem auch Ludwig Uhland, Karl Mayer, Heinrich Köstlin und Gustav Schwab angehörten. Durch diesen Freundeskreis lernte er Friederike Ehmann, seine spätere Gattin, kennen.

Friederike, die Tochter von Philipp Friedrich Ehmann, Pfarrer in Ruith bei Stuttgart, wurde als zweitjüngstes von fünf Kindern aus der ersten Ehe ihres Vaters in Ruith geboren. Noch als kleines Kind hatte sie das Unglück, ihre Mutter zu verlieren. Bald nach dem Tode seiner Frau verließ der Vater Ruith, um einem Rufe als Professor an das Seminar in Denkendorf zu folgen. Dort entschloß er sich seiner Kinder wegen zu einer zweiten Ehe, aus der drei Kinder entsprangen.

Friederike war der Liebling ihres Vaters, eines geistig hochbegabten, durch Herzensgüte wie durch weit umfassende Kenntnisse gleich ausgezeichneten Mannes. Neben ihren anderen liebenswürdigen Eigenschaften ward dem Vater ihre Lernbegierde bei ihrem klaren Verstände bald eine große Freude. Sie lernte aus eigenem Antriebe mit ihren Brüdern die lateinische Sprache, so daß sie noch ihren Enkeln die Argumente durchsehen konnte. Von ihrem Fleiße als Schülerin kann noch heute manches Buch reden, das sie mit Worten lebendiger Anerkennung von ihren Lehrern als Prämie erhielt.

Doch wurde über der geistigen Ausbildung die häusliche nicht versäumt. Schon frühe lernte Friederike unter der Anleitung ihrer zweiten Mutter sich mit den Geschäften der Haushaltung vertraut machen.

Als Friederike etwa das vierzehnte Jahr erreicht hatte, legte ihr Vater das Professorat in Denkendorf nieder und siedelte als Stadtpfarrer nach Großbottwar über.

Keines der Kinder hatte sich in so hohem Grade an den Vater angeschlossen wie sie, die wohl am meisten geistige Ähnlichkeit mit ihm hatte. Furchtbar schwer traf sie daher der Schlag, als sie, auf einem Besuche bei ihrer Tante Hehl in Lustnau von zu Hause abwesend, durch die Nachricht von dem Tode ihres Vaters überrascht wurde, ohne daß sie eine Ahnung von seiner Erkrankung gehabt hätte.

Noch beim Antritt ihrer Reise nach Lustnau hatte ihr Vater sie zum Abschiede in die Arme geschlossen und unter Tränen zu ihr gesagt: »Komm bald wieder, liebes Rickele, ich kann nicht leben ohne dich.« Ob er wohl geahnt hatte, daß er sein Kind zum letzten Male sah?

Häusliche Verhältnisse brachten es mit sich, daß Rickele, um der durch zahlreiche Kinder hart bedrängten Mutter Erleichterung zu verschaffen, nach dem Tode ihres Vaters dauernd bei ihrer Tante in Lustnau bleiben mußte. Wie dieser Aufenthalt neben mancher bittern Stunde ihr das Glück ihres Lebens brachte, will ich nun in den folgenden Blättern erzählen.


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