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Hausstand

Welzheim

Voll Glück zog das junge Paar am 1. März 1813 in die neue Heimat ein. Es war eine bescheidene Wohnung, von der man sich gegenwärtig kaum einen Begriff machen kann. Die Wahl derselben war nicht schwer, denn es war in Welzheim nur eine zu finden. Im Wirtshaus zum Ochsen bekamen sie zwei Zimmer und eine kleine Küche. An das größere Zimmer, das zum Schlafzimmer eingerichtet wurde, war die Bedingung geknüpft, daß es an jedem Markttag, jedem Hochzeitsfest, überhaupt, sooft es Veranlassung zum Tanzen gab, ausgeräumt werden müsse, um als Tanzsaal benützt werden zu können.

Dieser Fall ereignete sich öfters; dann mußte man im Wohnzimmer schlafen und das Schlafzimmer konnte mehrere Tage nicht bewohnt werden. Einen Schlüssel hatte die Wohnzimmertüre nicht, man mußte statt dessen eine große Schnalle abziehen, die allein eine Tasche ausfüllte.

Erzählten beide später von dieser Zeit, so hätte man glauben können, sie hätten die schönste, behaglichste Wohnung gehabt, so glücklich waren sie in derselben, trotz der nur geweißneten Wände, der kleinen, in Blei gefaßten Fensterscheiben und des Tanzsaals als Schlafzimmer.

Ihr erster Ausgang war, sich Geschirr auf den Tisch und in die Küche zu kaufen. Welzheim bot auch darin nur kleine Auswahl. Es war ein bescheidener Tisch und nicht einmal silberne Löffel darauf; aber keine Frau verstand es wie Rickele, alles behaglich und recht zu machen. Eine Magd hatte sie nicht, ein junges Mädchen brachte ihr Wasser und Holz, das übrige tat sie selbst, und Kerner konnte nicht genug sagen, wie köstlich ihm sein Rickele gekocht, wie gut alles gewesen und wie vergnügt sie am eigenen Tisch gesessen seien.

Derselbe wurde auch bald ein gastfreundlicher Tisch, und manche Freunde, wie Ludwig Uhland, Karl Mayer usw., labten sich an den guten Speisen, die Rickeles Hand bereitete. Es mögen schöne Tage gewesen sein, wenn die Freunde kamen, alle noch jung, lebensfrisch und treu zusammenhaltend. Rickele war aber nicht nur die schaffende Hausfrau, sie nahm auch an dem geistigen Verkehr der Männer vollen Anteil und alle liebten und verehrten sie.

Karl Mayer schreibt aus der damaligen Zeit: »Kerner und seine Frau, beide unserem ganzen Kreise von jeher lieb und vertraut, hatten überhaupt seit ihrer Vereinigung und in ihrer jungen fröhlichen Häuslichkeit unsere Liebe und Teilnahme in noch viel höherem Grade gewonnen; ihre Namen klangen in all unsern Mitteilungen aneinander wieder, und die Pläne, das junge Paar in Welzheim heimzusuchen, ein paar heitere Tage dort zu verleben, hörten nicht auf und gediehen häufig genug zur Ausführung.«

Es verging kein Tag, an dem nicht Kerner zu Kranken in die umliegenden Dörfer, Weiler und Höfe mußte; es waren ungebahnte Wege durch den Wald, die man nur zu Fuß oder zu Pferd zurücklegen konnte. Er schaffte sich daher bald ein Pferd an, einen sehr sanften Rappen.

Justinus wollte nicht ohne sein Rickele sein, und sie begleitete ihn treulich überall hin; dann wurde bisweilen noch ein weiteres Pferd für Kerner gemietet, während Rickele sich von dem Räpplein tragen ließ, öfter aber machten sie es, wie es in jener Gegend Sitte war, daß die Frau sich hinter den Mann aufs Pferd setzt und sich an ihm hält. Bei jeder Witterung, je schlechter das Wetter und der Weg waren, desto mehr fand auch Rickele es für nötig, bei ihrem Manne zu sein. Nie konnte dieser, wenn sie auch noch so lange unterwegs waren, sich entschließen, auswärts Mittag zu halten; kamen sie zurück, so hatte Rickeles geschickte Hand schnell etwas bereitet, für das sie schon vorgesorgt hatte. Einmal mußte auch Kerner selbst seine Kochkunst zeigen; Rickele hatte Erbsen an das Feuer gestellt, als sie heftige Kopfschmerzen bekam und sich schnell zu Bett begeben mußte. Als Kerner nach Haus kam, klagte sie über das noch nicht vollendete Mittagessen, da nahm er die Sache in die Hand, trieb die Erbsen kunstgerecht durch einen Seiher, und da er nicht gleich den Drücker von Holz dazu fand, nahm er statt dessen einen Bügelstahl. Noch lange rühmte er die guten Erbsen, die er gekocht habe. Von der grauen Farbe, die sie durch den Bügelstahl erhielten, sagte er kein Wort, das hat Rickele später verraten.

 

Am 2. Dezember 1813 gab der liebe Gott dem glücklichen Paar ein kleines Mädchen, und das bin ich, die ich hier diese Erinnerungen niederschreibe. Nach meiner Patin, der früher erwähnten Schwester Varnhagens, erhielt ich den Namen Rosa Maria.

Ich wurde später sehr stolz auf diese Namen, ein noch größerer Stolz war es mir, als es mir zum Bewußtsein kam, daß Ludwig Unland mein Taufpate war, und daß er das Gedicht: »Auf das Kind eines Dichters« eigens für mich gemacht hatte.

Sei uns willkommen, Dichterkind,
An deines Lebens goldner Pforte!
Wohl ziemen dir zum Angebind
Sich Lieder und prophet'sche Worte.

In großer Zeit erblühest du,
In ernsten Tagen, wundervollen,
Wo über deiner kind'schen Ruh
Des heil'gen Krieges Donner rollen.

Du aber schlummre selig hin
In angestammten Dichterträumen
Von Himmelsglanz und Waldesgrün,
Von Sternen, Blumen, Blütenbäumen!

Derweil verrauschet der Orkan,
Es weicht der blut'gen Zeiten Trübe;
Wohl blühst als Jungfrau du heran,
Du kündest so das Reich der Liebe.

Was einst als Ahnung, Sehnsucht nur
Durchdrungen deines Vaters Lieder,
Das sinkt von sel'ger Himmelsflur
Als reiches Leben dir hernieder.

Der Vater war sehr glücklich mit seinem Kind. Als das Frühjahr kam, durfte die Kleine schon mit auf die Praxis, die Mutter nahm mich zu sich auf das Pferd, oft auch der Vater, dann band er mir sein Taschentuch um den Leib, hielt mich weit hinaus und ritt schnell vorwärts, wobei ich laut aufjubelte und fröhlich zappelte. So wurden wieder gemeinschaftlich die Kranken besucht. Eine Freundin der Eltern erzählte mir später, wie sie der Familie begegnet sei: die Mutter auf dem Pferd mit dem Kind im Arm, der Vater daneben das Pferd führend, es sei wie ein Bild aus der heiligen Geschichte gewesen. – An Karl Mayer schrieb der Vater im Juli 1814: »Die kleine Rosa Maria ist sehr gesund, wild, auch sehr blühend, hell rosenrot. Sie reutet mit Rickele auf meinem schwarzen Pferd, welches Sessel (mit Roßhaaren gepolsterter) heißt.«

Endlich, nach einem Jahre, zeigte sich eine bessere Wohnung, in der man die Zimmer wenigstens für sich behalten durfte. Es waren drei kleine Zimmer mit der einfachsten Ausstattung, aber freundlich gelegen vor dem Städtchen. Es war nur eine Küche vorhanden, welche die Mutter mit zwei alten Fräulein Comerell, den Hausbesitzerinnen, teilen mußte. Das junge Mädchen, das früher Holz und Wasser zugetragen hatte, war jetzt ganz in den Dienst genommen. Wenn das Rosele, so hieß sie, zugleich mit der Jungfer Comerell in der Küche war und sich nicht genau in dem ihr zugewiesenen Kreis bewegte, schrie die Jungfer Comerell: »Hinweg da, das ist mein Territorium«; vor diesem ihr fremden Wort bekam das Rosele solchen Respekt, daß sie sich kaum mehr in die Küche wagte.

Rosele war noch sehr unerfahren, ein echtes Waldkind, das noch nicht einmal einen Begriff von einem Talglicht hatte; als ihr ein solches in das Wasser fiel, legte sie es auf den Ofen zum Trocknen und war höchlich erstaunt, daß es zerschmolz.

Es wurden damals im Welzheimer Wald nur Holzspäne gebrannt, die aus Kienholz geschnitzt und an einem Stock, der einen Fuß zum Stehen hatte, mit einer eisernen Klamme befestigt waren. Um diesen Lichtstock saß die ganze Familie, Frauen und Mädchen, Nachbarinnen und Freundinnen; die Männer lagen auf der Ofenbank oder schnitzelten die Lichtspäne; die Frauen saßen am Rocken und spannen mit der Spindel den schönen, weit berühmten Welzheimer Flachs. Dabei wurde lustig gesungen oder wurden Sagen und Geschichten erzählt, die meistens von Waldfrauen, Gnomen, Alraunmännchen usw. handelten, je schauerlicher, desto schöner.

Das Spinnen gehört nächstens zur Sage, aber damals, als es noch keine Maschinen als Ersatz dafür gab, wurde in jedem Haus der Bedarf an Leinwand selbst gesponnen, und ein Mädchen war noch nicht aus den Kinderschuhen, so fing die Mutter schon an, für ihre künftige Aussteuer Leinwandballen zurückzulegen; sie wäre keine sorgsame Mutter und Hausfrau gewesen, wenn auch nur eine Elle zur Aussteuer der Tochter hätte gekauft werden müssen. Jetzt ist es anders, die Maschinen machen es schneller fertig, aber nicht die Hälfte der Dauer hat die Leinwand der gegenwärtigen Zeit.

Ich lernte bald gehen, reiten konnte ich ja schon lange, freilich nur im Arm des Vaters oder der Mutter. Einmal gab mich die Mutter dem Rosele mit, um Aufträge zu besorgen. Diese brachte mich mit sehr erhitzten Wangen und besonders glänzenden Augen nach Haus. Als die Mutter mich auf den Boden stellte, fing ich an zu wanken und konnte nicht allein gehen, zudem roch ich auch stark nach Branntwein. Das Rosele gestand, daß man mir, wie man es dort oft den Kindern als Schleckerei gibt, Brot in Branntwein getaucht und mit Zucker bestreut gegeben habe, was ich mit großem Appetit verzehrt hätte. Zum Glück brachte es mir keinen Schaden. Später aber, als ich so lange klein blieb und die Altersgenossinnen mich im Wachstum weit überholten, machte es mir doch oft großes Bedenken, daß ich als Kind Branntwein bekommen hatte, denn man sagt bei uns, Kinder, denen man Schnaps zum trinken gebe, wachsen nicht mehr. – In Welzheim aber war es allgemeine Sitte, den kleinen Kindern den Schlotzer (Schnuller) in Branntwein und Zucker zu tauchen; dieselben bekamen dadurch mehr Schlaf. Schaden hatten die, welche davonkamen, später keinen dadurch; wenn sie das Leben über die ersten Jahre brachten, wurden sie kräftige Menschen, wie überhaupt dort ein sehr kräftiger Menschenschlag zu Hause ist. – Von den entferntesten Weilern und Dörfern brachten sie im tiefsten Winter die Kinder nach Welzheim zur Taufe. Nach dem Kirchgang wurde im Wirtshaus gezecht bis tief in die Nacht, und es war oft ein rechtes Glück für das Kind, wenn es, hinter den Ofen gebettet, von der Gesellschaft vergessen wurde. Es soll sogar öfter vorgekommen sein, daß ein solches Kindlein auf dem Heimweg verloren ging und erst die zu Hause gebliebene Mutter den Verlust entdeckte.

Bald drei Jahre war ich alt, als mein Vater zum Oberamtsarzt in Gaildorf ernannt wurde. Es tat beiden Eltern sehr wehe, Welzheim zu verlassen, wo sie vier so glückliche Jahre verlebt hatten.

Auch die Welzheimer sahen ungern ihren Arzt und seine Frau scheiden. Dem Mariele gaben die Bürger eine große Kiste Flachs zu ihrer Aussteuer. Diese Kiste mit Flachs, die mir eigen gehörte, war mein Stolz, und oft ging ich später der Mutter auf die Bühne nach und bat sie, mir den Flachs zu zeigen, den die Mutter mir treulich aufbewahrte und für meine Aussteuer schön spinnen und weben ließ.


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