Paul Keller
»Sieh dich für!«
Paul Keller

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Da kam der Dichter mit der Prinzessin an den Tisch, und während der blutige Dolch im Todeskampf brüllte, sagte der Dichter mit seiner schmachtenden Stimme: »Edle Herren, verzeiht eine kleine Unterbrechung, ich habe mich soeben mit unserer Prinzessin verlobt.«

»Das heißt, ich habe mich mit ihm verlobt!« verbesserte die Prinzessin. Dem Richter Dietrich sank das Schwert aus der Hand; ich glaube, er zitterte. Der schwerverwundete rote Ignaz erhob sich und starrte mit entsetzten Augen auf die beiden.

Der Richter faßte sich langsam.

»Prinzessin, Ihr dürft Euch verloben, mit wem Euch beliebt,« sagte er mit beklommener Stimme; »ich gratuliere Euch!«

Dann nahm das Paar auch die Glückwünsche der anderen entgegen. Unterdes ließ das Gespenst von seiner gräßlichen Henkersarbeit nicht ab, und die wilden Schreie des blutigen Dolches gellten zwischen die Glückwunschworte. Endlich wurde der Gemarterte still. Er streckte sich lang und rührte sich nicht mehr. Das Gespenst richtete sich auf, und die Prinzessinbraut sagte mit weiblicher Anmut, indem sie auf die Leiche des Dolches wies:

»Schade, daß ich keinen Röntgenapparat habe; den photographierte ich jetzt gern. –«

Dietrich stand regungslos hinter dem Richtertisch. Endlich mußte er in der Verhandlung fortfahren. Er schien schwer verdrossen. Nur langsam fand er die Worte:

»Da nun der größte Halunke tot ist, können wir mit den noch lebenden kurz verfahren: wir werden sie erschießen.«

Die anderen Richter stimmten bei, und die noch lebenden Räuber wurden ergriffen und ins Freie geführt. Auch mich versuchten die Schergen zu ergreifen. Aber ich wehrte mich. Ich sagte, daß alles, was ich im Leben an gerichtlich Strafbarem ausgefressen habe, ja immerhin vielleicht auf 20 bis 30 Mark Geldstrafe auslange, aber keinen Tod durch Henkershand verdiene, daß ich mir daher den Vorschlag erlauben möchte, mich am Leben zu lassen, sintemalen ich morgen nachmittag in Breslau eine wichtige Konferenz hätte.

Diese Einwendungen nutzten aber nichts. Das Gericht bestimmte meinen Tod durch Erschießen.

»Das ist ihm ganz recht,« hörte ich den Dichter sagen, »er hat mein Gedicht nicht verstanden, und außerdem ist er doch der bleiche Emil.« So sprach der Kerl, dem ich soeben Vorschuß gegeben hatte!

Dietrich aber als er die Worte des Dichters vernahm, straffte seine Gestalt, ein feindseliger Augenblitz traf den neubackenen Bräutigam, und mit stolzer Stimme sprach er:

»Halt! Ich begnadige den bleichen Emil!«

So verdankte ich mein Leben dem Umstande, daß der gehaßte Nebenbuhler meines Richters gegen mich gesprochen hatte.

»Du bist frei, bleicher Emil, und kannst hingehen, wohin dir beliebt.«

Ich ging durch den Wandschrank hinaus, den verurteilten nach. Eine Waldwiese stieß an das Haus, der Mond leuchtete matt; der Wind spielte mit welkem Laub. Die Verurteilten wurden an Baumstämme gebunden, die Femrichter traten zwanzig Schritte weit vor sie hin, sie hoben ihre Flinten. Scharf blitzten die Augen durch die Maskenschlitze. Einer zählte mit lauter stimme: »Eins – zwei – drei!« Schüsse krachten; die Häupter der Gerichteten sanken nach unten – –

Auch ich hätte unter ihnen sein können. So leicht! Schaudernd wandte ich mich ab und ging frierend nach der Stube zurück.

Dort lagen noch die Toten und saß das Brautpaar und küßte sich. Dietrich war verschwunden.

Da klopfte es von der Seite der Landstraße her an den Fensterladen.

»Ernestine! Ernstine! Mach' uff!«

Es war eine alte Weiberstimme. Das Klopfen und Rufen wiederholte sich und wurde immer stärker. Da kam die Ernestine, auf die ich inzwischen ganz vergessen hatte, aufgeregt in die Stube. Anfangs legte sie die Finger auf die Lippen zum Zeichen, wir sollten alle mäuschenstill sein. Dann huschte sie durch den »Wandschrank«, kam wieder zurück, nahm mich an der Hand, gab mir einige Weisungen. Dann, als das Klopfen wieder ertönte, fragte sie:

»Wer ist denn draußen?«

»Nu ich!«

»Wer ist ich?«

»Nu, die Botenfrau, die Liepolden! Ich will amal fragen, ob Se nich'n Mandel Eier ibrig han?«

»Nee, ich haa keene Eier ibrig.«

»Nu, do lossen Se mich doch wenigstens rein und geben Se mer'ne Schale Kaffee, 's ja a su verflixt kalt.«

Die Ernestine sah mich an. Ich ging nach der Wirtsstube und überzeugte mich, daß sie ganz leer war. Die Toten, die Femrichter, das Brautpaar, der Gerichtstisch, alles war verschwunden. Dort, wo der feierliche Gerichtsschild der Feme gehangen hatte, war jetzt ein Plakat, darauf stand: »Dr. Mampes Magenbitter«!

Ich gab der Ernestine ein Zeichen, worauf sie die klopfende Frau einließ. Ein schlesisches Bauernweib mit einem Kopftuch und einem Korb auf dem Rücken. Eine Botenfrau! Sie keuchte.

»Jeses ne,« sagte sie, »was is denn hier lus? Ich ha doch schießen geheert.«

Die Ernestine lachte.

»Schießen? Liepolden, Ihr seid wull ganz verrückt?«

»Nu, ich hör ja schon a bissel schlecht, aber's war doch, als wenn's schießen täte.«

»Ja, Liepolden,« sagte ich, »seh'n Se, es is doch jetzt Hasenjagd. Und bei der Hasenjagd, da schießt's halt.«

»Nu ja, ja! Da werd's wull der Herr Amtsvorsteher gewest sein, der geht immer uf die Jagd.«

O, du zugedrücktes Auge!

Das alte Weib blieb so lange schwatzend beim Kaffee sitzen, daß ich mich hinaus schlich. Draußen standen zitternd und frierend in rieselndem Regen die »Femrichter« mit Schwertern und Waffen, sie fürchteten sich vor der Liepolden. –

Aber als die Liepolden fort war, erstand die alte Herrlichkeit aufs neue. In feierlichem Zuge hielten die Richter ihren Einzug, und jeder von ihnen war die verkörperte Majestät, Größe und Furchtlosigkeit. Der Schild wurde aufgehängt, und Mampes Magenbitter verschwand. Auch die Totenköpfe und das Gerichtsschwert tauchten wieder auf. Nur Dietrich, der Anführer, war und blieb verschwunden. Er ließ sich entschuldigen; er war abgereist.

Der »Dichter« lächelte stolz, stieß mich an und flüsterte: »Eifersüchtig! Ja, einen echten Dichter sticht keiner bei den Weibern aus! Haben sie gemerkt, daß er Ihnen bloß darum das Leben schenkte, weil ich Ihren Tod wünschte?«

Ich sagte, das hätte ich wohl gemerkt, worauf er mich um einen neuen Vorschuß bat, den ich aber ablehnte.

Was jetzt erfolgte, würde ein gewöhnlicher Reporter schlichtweg als eine Kneiperei bezeichnen. Ich aber sah mit Dichteraugen, wie diese Fröhlichkeit ein Kannibalentriumph war, der sich auf den Gräbern ermordeter Feinde in wüsten, teuflischen Schwelgereien ergeht.

Und es nahte der Zug der Rache.

Die Tür tat sich von selbst auf; eiskalte Luft strömte in den Raum, die Lampe erlosch, das wüste Gelächter der Zechenden verstummte, und beleuchtet von mattem Mondlichte schritt ein furchtbarer Chor daher – die Geister der Gerichteten kamen langsam dahergeschwebt, und eine tiefe Grabesstimme sprach:

»Wir wollen einmal mit Euch anstoßen, Ihr Mörder!«


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