Paul Keller
»Sieh dich für!«
Paul Keller

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»– – – Mein Söhnchen, komm' herein, du erkältest dich draußen.«

Die Ernestine faßte mich am Ärmel und zog mich ins Haus.

In der Gaststube saßen sieben Männer. Lauter verwegene Gestalten. Ein einziger hätte genügt, dem Wandersmann, dem er auf einsamer Straße begegnete, den Atem zu verschlagen. Drei der Kerle würfelten, die vier anderen spielten Karten. Es war das Sechsundzwanzigspiel mit den großen italienischen Karten. Zwei zankten.

»Das Denar Cavell hättest du ausspielen müssen.«

»Ach was, ich wollte den Spade due machen.«

»Da – das ist der blasse Emil,« warf die Ernestine dazwischen und stellte mich den Gentlemen vor.

Dann wies sie auf die einzelnen und nannte ihre Namen:

Das zugedrückte Auge – der schnöde Wilhelm – der verliebte Franz – der Schleicher – Spitzelfritze – der Gurgeldrücker – und der blutige Dolch.

»Es freut mich, meine Herren, daß ich die Ehre –«

Sie knurrten unmutig. Einer schrie:

»Mach' deine Luftklappe zu, bleicher Emil, und red' nicht solchen Quatsch. Sag' Guten Abend, Genossen!«

»Guten Abend, Genossen!«

»So, und da trinke mal mit!«

Er hielt mir sein Branntweinglas hin. Ich trank.

»Na, alter Junge, und nu setz' dich mal hierher. Wo hast du denn so lange gesteckt?«

»In Breslau – auf Reisen – überall.«

»Überall, bloß nicht hier, wo du hingehörst und immer fehlst, wenn's mal einen ordentlichen Schlag Arbeit gibt.«

»Ich hatte so Wichtiges vor.«

»Wichtiges? Wichtig is nischt, mein lieber, wichtig is bloß der ›Sieh dich für‹! Wer das nicht einsieht, is und bleibt ein Trottel sein Leben lang.«

Sie tranken und lachten. Da klopfte es von draußen an den Fensterladen. Im Nu erloschen die zwei Lampen, und es war totenstill in der Stube. Der blutige Dolch, der neben mir saß, bohrte mir etwas Spitzes in die Seite. Ich erschrak, griff danach und merkte, daß es nur sein Finger war. »Nun geht's los!« sagte er vergnügt, aber leise.

Es pochte an die Tür.

»Macht auf! Macht Licht!« rief der rote Ignaz, der die Wache hatte, von draußen. Die Lampen wurden wieder angezündet, und bald darauf traten zwei Männer in die Stube, der schwarze Barthel und ein baumlanger Kerl, der den Namen ›Grauer Otter‹ führte. Ignaz verschwand wieder auf seinen Posten; der graue Otter aber sagte mit aufgeregter Stimme:

»Sie kommen! Die Halunken sind von Schlumpwitz rübergekommen. sie haben sich verteilt: drei sitzen im Roten Hahn, vier sitzen in Päselsdorf drüben, und ein paar – es können fünf oder sechs sein – sind hinter der Hundekehle gesehen worden.«

Hei, das war eine Aufregung unter dem Räubervolk über diese Meldung des Spähers! Die acht Männer stellten sich gleich in einen Kreis, auch die Ernestine trat dazu, und ich wurde auch mit einbezogen. Es gab eine Beratung. Der graue Otter, welcher der Hauptmann war, leitete die Verhandlung.

»Von Schlumpitz her sind sie gekommen – im Hahn sitzen ein paar, in Päselsdorf, bei der Hundekehle sind welche gesehen worden.«

»Sie werden sich doch vereinigen?«

»Natürlich! – Aber wo –?«

»Roter Hahn – Päselsdorf – Hundekehle –«

»Sie werden sich bei der krummen Eiche treffen.«

Diese Vermutung sprachen zwei zu gleicher Zeit aus. Es wurde ihr lebhaft zugestimmt. Bei der krummen Eiche vereinigten sich drei Wege, die vom Roten Hahn, von Päselsdorf und von der Hundekehle herkamen.

»Es sind Esel,« sagte Spitzelfritze, »einen solchen Plan zu machen, der so leicht zu durchschauen ist.«

»Aber was dann, wenn sie sich getroffen haben?«

»Sie wollen natürlich hierher,« sagte die Ernestine, »aber auf der Straße kommen sie nicht; sie kommen sicher über die Mühlweide und durch die Brombeerbüsche.«

»Richtig,« sagte der Hauptmann, »und sie kommen nicht alle auf einmal, das könnte auffallen, sie sammeln sich erst kurz vor dem Hause. Darum –«

»Darum müssen wir sie unterwegs einzeln abfangen,« vollendete das zugedrückte Auge.

»So ist es!« sagt« der Hauptmann, »einzeln abfangen, und zwar vor den Brombeerbüschen; dort ist's am besten. Und dann gleich mit den Kerls in den kurzen Prozeß oder in die kalte Küche oder in die Höhle. Und dann keine schwächliche Gnade. Wir sind also jetzt mit der Ernestine zehn Mann, sie werden ebensoviel sein.«

»Mehr!« sagte der graue Otter.

»Schadet nichts, wir sind ihnen überlegen! Es wird ein Hauptspaß. Wir müssen uns nur richtig verteilen. Alle können nicht zu den Brombeerbüschen. Sechs Mann zu den Büschen, vier bleiben hier, wer will mit hinaus?«

Auch ich meldete mich.

Der Hauptmann sah mich mißtrauisch an.

»Bleicher Emil, es ist schön von dir, daß du mutig bist, aber du hast wenig Übung –«

»Er darf nicht mit,« sagte die Ernestine, »er erkältet sich zu leicht.«

Ich war wütend auf die Ernestine. Dieses Weib kompromittierte mich mit ihrer fürsorglichen Affenliebe.

»Ich erkälte mich nie!« schrie ich; »ich will mit!«

»Er kann nicht,« sagte die Ernestine, »er hat gar nicht mal ordentliche Stiefel.«

»So bleibt er hier!« bestimmte der Hauptmann kurz. Ich knirschte vor Wut und Scham.

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und ein phantastisch gekleidetes Weib trat über die Schwelle, sie trug bunte, orientalische Gewänder, Goldmünzen am Halse und in dem rabenschwarzen Haar und war schön und jung. In der Hand hielt sie einen kleinen, schwarzen Kasten.

»Halt,« rief sie, »halt, ihr Männer und Helden, bleibet so stehen, so wie euch die Begeisterung der Stunde auf den Stirnen liegt und der große Entschluß aus den Augen leuchtet! Bleibet so stehen!«

Plötzlich kam sie auf mich zu. Sie sah mich erstaunt und zornig an und sagte:

»Wer ist denn der? Wie sieht denn der aus? Mann, augenblicklich machen sie, daß sie aus dem Kreise fortkommen? Sie verderben alles, stellen sie sich hinter den Ofen!«

Ich war verblüfft und rührte mich nicht. Da stellte das Weib den schwarzen Kasten weg und schob mich, den Erstaunten, hinter den Ofen.

»Wenn sie nicht hier stehen bleiben, bis ich werde auf drei gezählt haben, kratze ich Ihnen die Augen aus.«

Ich war so verwundert, daß ich der schönen orientalischen Bestie gehorchte.

Wenige Augenblicke später hörte ich sie zählen. Eins, zwei drei! Ein greller Blitz flammte durch die Stube – die Räuber waren photographiert.

Die Gruppe löste sich auf? die Räuber drängten sich um die Dame. Diese aber steuerte auf mich los.

»Kommen sie jetzt wieder heraus aus Ihrem Winkel!«

Ich blieb im Winkel und sagte, es gefalle mir da sehr gut. Im übrigen wolle ich durchaus nicht dabei sein, wenn hier kindische Faxen gemacht würden.

»Kindische Faxen?«

»Jawohl! Man photographiert Tante Schulz am Kaffeetisch oder Onkel Lehmann im Jagdanzug; man photographiert einen großen ›Künstler bei der Arbeit‹ oder einen Souverän, wenn er eine Ausstellung verläßt, aber man photographiert nicht Räuber, die eine Tat vollbringen wollen. Das ist geschmacklos! Das sollten sich ehrliche Räuber, die ein ernsthaftes Gewerbe betreiben, nicht gefallen lassen.«

Sie sah mich sprachlos an, fixierte mich von oben bis unten und brach endlich in die denkwürdigen Worte aus: »Er hat meine Pantoffeln an!«

Also das war die Prinzessin aus dem Turm!

»Meine echt orientalischen Pantoffeln, die ich in Montenegro gekauft habe. Und dazu trägt der Mensch rotwollene Strümpfe.«

»Meine Gnädigste, echt orientalische Pantoffeln, die in Montenegro gekauft werden, sind immer in Sachsen gemacht. Aber ich sehe, daß ich draußen mit den Pantoffeln in den Schmutz geraten bin, und das tut mir leid. Wenn Sie gestatten, behalte ich die Pantoffeln und schicke Ihnen ein paar neue.«

»Die auch in Sachsen gemacht worden sind?«

»Jawohl, ganz dieselben orientalischen Pantoffeln.«

»Er ist ein vorlauter Patron!« sagte sie und wandte sich ab.

»Madame,« schrie der blutige Dolch, »befiehl und ich bringe ihn um.« Auch die anderen Räuber erboten sich eifrigst, mir auf Wunsch der Prinzessin in dieser oder jener Weise den Garaus zu machen; sie aber schüttelte den Kopf und sagte: »Laßt ihn leben, er paßt so schön in die roten Strümpfe!«

Nun begann ein großes Courschneiden. Sämtliche Banditen waren arg in die schöne Prinzessin verliebt. In ihrer plumpen Form bemühten sie sich um die Gunst des schwarzhaarigen Mädchens, das nicht mehr ganz jung, aber von rassiger, wilder Schönheit war. Sie erboten sich, alle ihre Feinde zu erschlagen, ihr Sklaven ohne Zahl herbeizuschleppen, die Teppiche des Schah el Schah und die Goldgeschmeide des Negus von Abessinien für sie zu stehlen, ja, wenn es sein müßte, sich ihr zu Liebe rasieren zu lassen.

Sie stand wie eine Königin unter ihnen und hörte ihr Gerede mit geringschätziger Miene an. Dann sagte sie:

»Ich will mir einen Gespons unter Euch kiesen, aber ich stelle drei Aufgaben; wer die zuerst erfüllt, dem werde ich meine Hand reichen.« Da fingen sie alle an zu schwören und zu fluchen, nichts sei ihnen zu schwer, für die Prinzessin zu tun, und wenn sie auch die Steine des Himmels begehren sollte.

»Wohl,« sagte die Prinzessin, »der, den ich wähle, muß an erster Stelle mir den Schergenhäuptling Dietrich lebendig einliefern.«

Es sei nichts leichter als das, das wollten sie tun, wie man sich einen Spaß macht, schrien sie durcheinander.

»Der, den ich wähle, muß ferner in einer einzigen Nacht im Gasthaus des ›Sieh dich für‹ zwei gebratene Gänse aufessen und dazu zwanzig Liter Bieres trinken.«

Sie schrien, in der nächsten Nacht solle der Schmaus geschehen. Ein jeder wolle die Aufgabe erfüllen und sicherlich am Morgen darauf über Hunger und Durst klagen.

»Zum dritten muß sich mein zukünftiger Gemahl durch sechs Wochen lang jeden Tag einmal die Zähne putzen.«

Da wurden sie kleinlaut, und einige gaben offen zu, diese Aufgabe sei für sie zu schwer. Eine bedrückte Stille griff Platz.

»Ich wußte es, daß Ihr feig seid,« sagte die Prinzessin verächtlich. Die Räuber aber standen beschämt um sie herum. Da sprang das Fenster auf, und der rote Ignatz setzte von draußen herein.

»Madame,« schrie er, »ich übernehme es; ich werde sie mir putzen mit Bimsstein oder mit Eisenspänen oder mit ungelöschtem Kalk oder mit Stiefelwichse, mit was Madame befehlen.«

»Er ist ein Prahler! Er ist ein Lügner!« schrien die anderen durcheinander. »Was will er überhaupt hier? – Er hat die Wache! Er ist ein Aufschneider!«

»Ich bin kein Aufschneider!« rief Ignaz. »Ich habe mir die Zähne schon einmal freiwillig geputzt. Das war vor drei Jahren.«

Darauf gab ihm der graue Otter eine so fürchterliche Ohrfeige, daß Ignaz zu Boden stürzte. Die anderen schrien Beifall, die Prinzessin aber sagte mißbilligend:

»Ihr handelt zuweilen unkameradschaftlich aneinander; das gefällt mir nicht, wenn Ihr also meine Bedingungen nicht erfüllen wollt, so könnt Ihr meine Hand nicht erringen.«

Der blutige Dolch erbot sich, an Stelle des Putzens sich sämtliche Zähne ausziehen zu lassen, aber die Prinzessin lehnte das ab, indem sie sagte: Dieser Schmerz wäre zu kurz, um die Liebe ihres Ritters zu erproben.


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