Gottfried Keller
Martin Salander
Gottfried Keller

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12

Martin Salander war zur volksmäßig politischen Feier einer Hochzeit, welche bald überall von sich reden machte, durch den Brief seines Sohnes von neuem gereizt worden; er hatte dessen blasierte Weisheit, wie er es nannte, lakonisch mit einer Fortschrittstat beantworten wollen, so wortreich sie in der Ausführung geriet.

Nun stellte sich unvermutet eine Folge ein, an die er nicht gedacht. In der Gegend, wo das Fest stattgefunden, erklärte ein Mitglied des Großen Rates wegen häuslicher Zerrüttung mitten in der Amtsdauer den Rücktritt und mußte durch eine Neuwahl ersetzt werden. Indem sie sich nach dem Manne umschauten, verfielen die Leute auf den Volksfreund Salander, und weil er schon einmal abgelehnt hatte, sandten sie ein paar Männer, die ihn bewegen sollten, dem Rufe zu folgen. Überrascht bat er um kurze Bedenkzeit, so sehr sie in ihn drangen; denn er war aufrichtig gesinnt, nochmals ernstlich zu überlegen, ob er den Schritt tun solle und sich über dessen Bedeutung für seine Person insbesondere Rechenschaft zu geben.

Martin gehörte nicht zu den Befreiern oder Gleichstellern des Frauengeschlechts hinsichtlich des bürgerlichen Daseins, und seine eigene Frau, so hoch er sie hielt, fragte er nie ausdrücklich um Rat und Meinung in öffentlichen Dingen. Hiermit wahrte er seinen Standpunkt. Umso lieber gönnte er ihr den Einfluß, den sie von selbst übte, wenn er doch so ziemlich von allem sprach, was ihn bewegte, und zwar meist in Gestalt eines lauten Denkens in ihrer Gegenwart, beim Morgenkaffee, bei Tisch, beim Schlafen und Spazierengehen. Sie hatte dann die Auswahl, einen beliebigen Gegenstand aufzugreifen und ihre Gefühlsansichten oder Widersprüche zu äußern oder ganz zu schweigen. In letzterem Falle nahm er an, die Sache sei ihr ganz gleichgültig, und ließ das Selbstgespräch allmählich verstummen. Wenn sie sich aber zustimmend oder tadelnd aussprach, namentlich über Persönlichkeiten, so hatte er wiederum die Wahl, zu benutzen, was ihm klug und wahr schien, oder auf sich beruhen zu lassen, was etwa aus einem Denkfehler hervorgehen mochte oder aus mangelnder Einsicht. Auf diese Weise beraubte er sich nicht der Hilfsquellen, die aus dem Gemüte einer rechten Hausfrau fließen, und gab ihr die Ehre, die ihr gebührte.

So begab er sich jetzt mit der genommenen Bedenkzeit in die Nähe der Gattin, ihr zunächst den an ihn ergangenen Ruf mitteilend und irgend etwas Unbedeutendes beifügend. Dann ging er weg, kam bei erster Gelegenheit wieder und begann mit langen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen, nunmehr einer Reihe von Betrachtungen Raum gebend.

»Ich habe bis jetzt«, ließ er sich stückweise hören, »mancherlei mitgewirkt und getan, ohne jede Verantwortlichkeit, als diejenige gegen mein eigenes Gewissen, und ohne ein eigentlich zusammenhängendes Arbeiten. Das würde nun anders werden. Ich kann, wenn ich dort etwas nützen will, nicht in den Rat eintreten, um still auf der Bank zu sitzen und bei den Abstimmungen aufzustehen oder sitzenzubleiben. Ich kann auch nicht in den Tag hineinschwatzen, wenn ich reden will, sondern ich muß die Akten studieren und aktenmäßig reden; das ist die einzig ehrliche Beredsamkeit und schafft Einfluß! Wissen ist Macht! Ich tue das, gut! Dann komme ich in die Ausschüsse und Kommissionen, und wenn ich es dort wieder tue, so hängen sie mir die Berichterstattungen auf den Buckel, und ich kann mich hinsetzen halbe Nächte durch und Papier beschreiben wie ein Kanzlist.«

Hier unterbrach ihn Frau Marie oder benutzte vielmehr eine der kurzen Pausen, die er häufig machte.

»Verstehst du denn alle die Akten,« sagte sie, »oder das, wovon sie handeln, so gut, daß du darüber schreiben und reden kannst?«

»Darum sag' ich ja eben,« versetzte Martin, ohne stillzustehen, »daß ich sie studieren muß!«

Nach einigen weiteren Schritten hielt er dann doch vor der Frau an, die am Tische saß und für die Küche die letzten vorjährigen Apfel schälte; denn die Magd, sagte sie, gehe mit den raren Früchten so gröblich um, daß kaum etwas dranbleibe.

»Du hast aber«, fuhr er fort, »wohl nicht das gemeint, was man Aktenstudium nennt, sondern was man überhaupt unter Etwasgelernthaben versteht. Da darf man freilich nicht genau nachsehen; der Große Rat soll auch keine Akademie sein. Es handelt sich im Gegenteil darum, in Sachen, die man nicht von Grund aus kennt, nicht mitreden zu wollen, dafür aber die Sachkenner ins Auge zu fassen und sich nach ihnen zu richten, wenn sie einem als ehrlich erscheinen.

»Es gilt also in solchen Fällen« – hier setzte er die Füße wieder in Gang – »statt der Akten mehr die Menschen zu studieren, wie wenn zum Beispiel zwei gleich angesehene Fachmänner über eine kostspielige Flußkorrektion, über Bau und Einrichtung einer Landesirrenanstalt, über ein Seuchengesetz entgegengesetzte Ansichten äußern. In diesen Fällen würde ich in einer begutachtenden Kommission keinen Platz nehmen und mich auf meine Stimmabgabe beschränken wie jeder andere, je nach dem stillen Eindruck, den ich empfangen – und könnte doch unrichtig stimmen!« setzte er mit einem Seufzer hinzu. »Fragt sich nun, überwiegt das Positive, was man leisten zu können glaubt, die Nichtleistung so beträchtlich, daß es der Mühe lohnt, und was habe ich einzuwerfen?«

Er zählte die Fähigkeiten auf, die er zu üben oder zu erwerben sich getraute, voraus im Erziehungswesen, in Staatshaushalt und Volkswirtschaft, Ausbildung und Überwachung der Volksrechte, daß sie redlich arbeiten, und so noch mehreres. Weil aber die Frau nichts mehr fragte oder bemerkte, ließ er die abgebrochenen Sätze endlich ganz eingehen und begab sich, nach der Uhr sehend, rasch hinweg.

Einen Tag ließ er noch verstreichen, worauf er den Leuten in jenem Wahlkreise schrieb, er nehme die Kandidatur an.

Mit den besten Absichten blickte er dem neuen Lebensabschnitte entgegen. Nach der mit großem Mehr erfolgten Wahl las und prägte er sich sogleich die Ratsordnung ein und was in Verfassung und anderen Gesetzen damit zusammenhing. Sodann ließ er ein Taschenschreibbuch binden, auf dessen vorderste Seite er Auszüge aus den jährlichen Voranschlägen der Einnahmen und Ausgaben, aus den Staatsrechnungen usw. schicklich geordnet einschrieb, so daß er die Hauptposten aus allen Gebieten der Staatsverwaltung übersichtlich bei sich trug und sich jeden Augenblick über das ökonomische Gleichgewicht des Landes Rats erholen konnte.

Dies getan, suchte er sich aus gedruckten Berichten der letzten Periode über den Stand der Geschäfte im Großen Rate zu belehren, über unerledigte Anträge, Postulate und Motionen, stockende Gesetzentwürfe, ausstehende Berichte und Anträge der Regierung und dergleichen, für welche Gegenstände er in anderer Gegend des Taschenbuches, mit genügendem Raum zur Fortsetzung, eine gedrängte Notizenreihe anlegte.

Das brauche er nicht, bemerkte er der Frau, um sich allenfalls mit Nergeleien als Topfgucker aufzutun, sondern gerade um überflüssige Anfragen zu vermeiden und sich selbst Aufschluß geben zu können, wo die Sachen liegen.

Auf die Art leidlich gerüstet, seinem Alter und politischen Rufe entsprechend nicht zu sehr als Neuling zu erscheinen, wie er dachte, betrat er den Saal, nahm ohne Suchen den ersten besten Platz ein, der frei war, und verließ ihn nicht mehr vor dem Schlusse der Sitzung. Ohne Zerstreuung folgte er die ganze Zeit über den Verhandlungen und warf auch in die Zeitungsblätter, welche Nachbarn ihm hinreichten, kaum einige Blicke. Das gebührte sich zwar als selbstverständlich sowohl nach dem Wortlaute des Amtsgelübdes, das er abgelegt hatte, als nach dem Inhalte eines langen Gebetes, mit dem jede Session eröffnet wurde und das einen Bestandteil der gesetzlichen Geschäftsordnung bildete; allein wenige, gläubig oder ungläubig, nahmen das göttliche Pflichtenheft streng wörtlich. Martin Salander hingegen, der unkirchlich gesinnt war, erachtete sich nichtsdestominder für gebunden, weil die in Gelübde und Gebet enthaltenen Vorschriften richtig und notwendig waren und die liturgische Form ihre Gesetzeskraft nicht aufheben konnte.

Erst nach beendigter Sitzung fand er Gelegenheit, die Schwiegersöhne zu grüßen, deren öfteres Ab- und Zugehen er nicht einmal beachtet, zumal sie eine gute halbe Stunde nach ihm erschienen waren. Seine Einladung, mit ihm nach Hause zu kommen, lehnten sie dankend ab, weil der eine gewisser Verhandlungen wegen mit seinen Bezirksgenossen beim Essen zusammentreffen, der andere einige Geschäfte besorgen müsse. Nachher aber wollten sie miteinander einen Waffenladen aufsuchen, um sich zwei neue Scheibengewehre zu kaufen; denn sie waren seit einiger Zeit schon Mitglieder von Schützengesellschaften.

Martin Salander ging also allein nach Hause. In sich gekehrt, mit einem Gefühle von Zufriedenheit wie einer, der den langen Morgen hindurch gearbeitet hat, schritt er dahin, obgleich er keine Hand gerührt und kein Wort gesprochen. Lediglich die ununterbrochene Aufmerksamkeit, welche er während fünf Stunden den Verhandlungen gewidmet, gab ihm das Bewußtsein getaner Arbeit. Er hätte nicht gedacht, daß ein solcher Unterschied zwischen Anwesenheit und Anwesenheit sein könnte, und bedenkend, wie er bald auch angebrachtermaßen etwas zu sagen haben werde, empfand er einen kräftigen Appetit zu dem verspäteten Mittagsmahle.

Frau Marie, die ihn am Zuge der Hausglocke erkannt, trat ihm auf dem Flur entgegen und kündigte ihm einen sonderbaren Besuch an, seinen Vorgänger im Großen Rate, dessen Stelle er heute eingenommen. Der Mann scheine sich in schlechten Umständen zu befinden und würde ersichtlich nicht übelnehmen, wenn man ihn zum Essen dabehielte; sie habe ihn aber nicht einladen wollen, ehe Salander ihn gesehen.

»Was will er denn?« fragte dieser. »Ich habe ihn früher da und dort getroffen und erinnere mich, daß er ein gut und gescheit aussehender Mann gewesen ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, was er will.«

»Er sagt, er habe viel von dir gehört und auch von der berühmten Hochzeit; er freue sich, daß er einem solchen Nachfolger habe den Platz räumen können, und fühle sich dadurch erleichtert und sei gekommen, das zu sagen und zu der Wahl Glück zu wünschen.«

»Der arme Teufel! Laß ihm nur ein Gedeck hinsetzen, die Herren Tochtermänner sind ohnedies nicht mitgekommen!«

Als Salander in die Stube trat, erkannte er den Mann kaum wieder, der bescheiden auf einem Stuhle am Fenster saß, sich erhob und mit unsicher gewordener Beredsamkeit ihn begrüßte und seine Gratulationsworte vorbrachte. Er habe, sagte er, an der Staatskasse ein kleines Guthaben an Taggeldern beziehen wollen, leider aber nichts erhalten, sondern noch einen Überschuß von Bußen wegen versäumter Sitzungen erlegen müssen. Da habe er gedacht, er wolle den Weg nicht ganz umsonst gemacht haben und wenigstens dem würdigen Nachfolger seine Aufwartung machen.

»Aber, Herr Kleinpeter!« erwiderte ihm Martin Salander lächelnd, »wie mir scheint, ist hier nicht viel Glück zu wünschen, wenn man noch Geld verliert! Haben Sie schon zu Mittag gegessen, oder darf ich Sie vielleicht zu unserer Suppe einladen?«

Verlegen dankte der Mann, doch mit einem verräterischen Blick auf den gedeckten Tisch; Salander wiederholte daher die Einladung etwas entschiedener und nahm ihm den Hut aus der Hand, denselben beiseite legend.

Der offenbar einst hübsche Mann zeigte alle Anzeichen des Verfalles. Die frühere Wohlbeleibtheit war aus den Kleidern geschwunden, daß sie zu weit geworden und schlotterig an ihm hingen, dabei aber so abgetragen waren, daß es lange her sein mußte, seit er etwas machen lassen. Die Wäsche war unordentlich und das zerschlissene Halstuch so schlecht umgebunden, daß man die lieblosen und trägen Hände leibhaft zu sehen glaubte, die den Mann so aus dem Hause gehen ließen. Seine eigenen Hände hafteten gewohnheitsgemäß an verschiedenen Stellen der Rockklappen, um einen Fadenschein, einen Schmutzfleck oder ein zerrissenes Knopfloch zu decken. Die kümmerlich unfreie Haltung, welche ihm hierdurch anklebte, entsprach auch dem farblosen gedunsenen Gesichte, dessen Züge die Spuren von Niedergeschlagenheit und Kummer, sowie von zahlreichen Anläufen verrieten, im Trunke sich selbst zu vergessen.

Das Ehepaar Salander ermunterte den merklich erschöpften Kleinpeter, sich schmecken zu lassen, was da sei; Frau Marie legte ihm selbst auf den Teller; er war jedoch bald satt, oder vermochte wenigstens nicht viel zu essen. Dagegen sprach er dem Glase, welches Martin pünktlich füllte, mit unbewußtem Fleiße zu und wurde darüber fast aufgeweckt und zutraulich. Dies gewahrend, ging jener selbst in den Keller, ein paar bessere Flaschen auszusuchen; es kam ihn die Laune an, den Tag seines Einzuges ins Rathaus zu Münsterburg durch solche Mildtätigkeit an dem verarmten Manne zu feiern. Die Frau holte indessen gern neue Gläser herbei, den Gast freundlich unterhaltend; denn auch sie empfand ein seltsames Mitleid mit ihm, und sie glaubte vielleicht, sein Schicksal oder anderes Unheil von ihrem Martin abzuwenden, indem sie sich gegen das Unglück menschlich erwies.

Salander sprach einiges von den Ratsangelegenheiten zu dem redseliger werdenden Herrn Kleinpeter und glaubte ihn nach diesem oder jenem Verhältnis und dem Standpunkt, den er dazu eingenommen, befragen zu sollen; allein obschon der Vorgänger nicht viel länger als ein halbes Jahr keiner Sitzung mehr beigewohnt, so war es doch, als ob alles wie ein Traum hinter ihm läge. Er besann sich kaum auf die Dinge und beantwortete die Fragen gleichgültig und ungenau, während das Gesicht sich wieder zu trüben begann.

Salander entkorkte sogleich eine der Flaschen, die Frau nahm sie und füllte zwei Gläser, deren lieblicher Duft sich verbreitete und das Herbstsönnchen auf das blasse Gesicht zurückrief. Das ruhig teilnehmende Wesen dieser Eheleute, der tiefe Frieden, der zwischen ihnen zu walten schien, und der die Nerven belebende Wein ließen ihn jeden Unstern vergessen und machten sein Herz fröhlich, so daß er mit schwimmenden Augen und geröteten Backen dasaß und freiwillig begann, alte Drolligkeiten und Geschichten aus dem ländlichen Amtsleben zu erzählen, bis die erste der feinen Flaschen zu Ende ging. Während Salander die zweite zurechtmachte und der Gast mit froher Aufmerksamkeit zuschaute, benutzte Frau Marie die Pause, ihn zu fragen, welchen Familienbestand er zu Hause besitze, und ob alles gesund sei.

Da sah sie der Mann wie aus süßem Schlafe geweckt groß an, die glückselige Weinröte verzog sich gegen die Augen hinauf, die so schon glühten, er ließ den Kopf sinken, stützte ihn auf die Hände und weinte gleich darauf wie ein kleines Kind. Erstaunt und erschrocken betrachteten Martin und Marie Salander den Vorgang und den gewaltsam schütternden, angegrauten Kopf vor ihnen. Doch standen sie von ihren Stühlen auf, sich um den schluchzenden Gast zu bemühen und ihn aufzurichten. Es gelang zuletzt; doch stand er beschämt vor ihnen, entschuldigte sich wegen des krankhaften Anfalles, wie er sich ausdrückte, und wollte sich entfernen.

Salander sah aber wohl, daß es nicht eigentlich das »trunkene Elend« war, das ihn befallen, wie man landesüblich das Weinen der Betrunkenen nennt, sondern die plötzliche Erinnerung an ein unglückliches Dasein, welche den widerstandsarmen Altrat übermannt hatte. Er redete ihm daher freundlich zu, sich zu setzen und zu erholen.

»Bereite uns jetzt einen guten schwarzen Kaffee,« sagte er zur Gattin, »nachher wird uns die andere Flasche um so besser munden; denn die muß Herr Kleinpeter noch trinken helfen!«

Frau Salander besorgte den Kaffee auf das beste und ließ es nicht an einem Gläschen alten Kirschgeistes fehlen.

So dauerte es nicht lange, bis die Gedrücktheit des neuen Gastfreundes abermals wich und das Feld der froheren Laune überließ, welche das unverhoffte Wohlergehen nicht durch ihre Abwesenheit verabsäumen wollte. Kleinpeter wurde wieder so gesprächig und offenherzig, daß er mit beruhigten Sinnen selbst auf den Ursprung des krampfhaften Tränenvergießens zurückkam; ein Wort gab das andere, und da er vielleicht zum erstenmal einer teilnehmenden Aufmerksamkeit begegnete, erzählte er unbefangen und aufrichtig, wie es sich mit ihm verhalte. In Zeit einer Stunde wußten Martin und Marie Salander so ziemlich seine Geschichte, nach Maßgabe ihres Verständnisses.

Der alte Großrat Kleinpeter war ein geringer Fabrikant von Baumwolltüchern gewesen, mit einigem Vermögen das vom Vater überkommene Geschäft vorsichtig und gemächlich fortbetreibend, ohne stark vorwärts, aber auch ohne zurückzugehen. Als ein umgänglicher und beliebter Mann setzte er mehr Wert auf die Anforderungen des gesellschaftlichen und bürgerlichen Verkehres als auf den Erwerb von Reichtümern. Ein eitles, leichtsinniges Weib, das er geheiratet, trieb ihn noch dazu an; denn sie setzte das unschuldige Ansehen, dessen er sich erfreute, auf ihre alleinige Rechnung und spreizte sich in demselben wie ein Pfau. Alles, was er tat, war ihre Tugend, was an ihm gefiel, ihr persönlicher Vorzug, was ihm widerfuhr, ihr Verdienst. Es war ihr Mann, von dem man sprach und mit dem sie großtat, und weiter nichts, und überall wollte sie dabei sein, wo er hinging; auch fuhr sie allein im Lande herum, so oft sie konnte, sich sehen zu lassen und zu prahlen. Zu Haus aber machte sie ihm das Leben sauer durch die verächtliche Art, mit der sie sein Tun und Lassen und ihn selbst zu behandeln sich förmlich die Mühe gab, damit er ja nicht gegen sie aufzukommen sich unterstehe. Auch sonst lebte er schlecht in seinem Hause, weil ihr alles zu viel war, was einer Sorgfalt gleichsah. Zwei heranwachsende Söhne schlugen in ihre Art.

Als Kleinpeter, dem just kein Besserer im Lichte stand, zum Mitgliede des Großen Rats und bald zum Amtsstatthalter gewählt wurde, stieg der Hochmut der Frau auf den höchsten Gipfel. Die Titel schienen nur für sie da zu sein, und es war niemandem zu raten, sie nicht mit dem einen oder anderen anzureden. Und während sie dem ärmsten Mann es mißgönnte und ihn beinahe haßte, weil er doch der Inhaber der Titel war, benutzte sie dieselben wiederum, das damit verbundene Ansehen zum Schuldenmachen und anderen Mißbräuchen auszubeuten.

Hierin fand sie bald genügende Aushilfe, als die Söhne die Verwaltung der bescheidenen Fabrik übernahmen, die der Vater ihnen überließ, um sich ausschließlich seinem Amte zu widmen und Frieden zu haben. Darin täuschte er sich arg.

Die Söhne waren seit dem Verlassen der Schulen nicht vom Fleck zu bringen gewesen, um etwas von der Welt zu sehen und zu lernen, woran auch der Vater schuld war, der sie nicht dazu gezwungen und sie zu Hause herumlungern ließ, wo sie sich nur die Gemütsroheit und ungeschliffenen Sitten der Mutter und einer Anzahl von Gesellen gleichen Schlages zum Vorbild nahmen. Anstatt das Geschäft ordnungsgemäß zu führen, vernachlässigten sie dasselbe und gerieten in die ärgste Wechselreiterei, ohne daß etwas verdient wurde. Da zogen sie dann stets den Vater Statthalter mit hinein, der sich verbürgen oder geradezu seinen Namen auf die Papiere setzen mußte; und auch die Frau Statthalter und Großrätin entblödete sich nicht, ihm mit Schuldpapieren zum Unterschreiben zu kommen. Die von ihm mitunterzeichneten Wechsel und Obligi waren lange Zeit immer unterzubringen, kehrten nach weitläufigen Wanderschaften zu ihm allein zurück und mußten mit saurer Mühe und tausend Sorgen von ihm eingelöst werden.

Das alles ging unter stetem Zank und Streit vor sich, da Mutter und Söhne sich immer gröber und unverschämter gegen ihn betrugen, als ob er ein schlechter Hausvater wäre. Dies Elend zu vertuschen und den Lärm, der täglich auszubrechen drohte, zum Schweigen zu bringen, mußte er um seiner Ämter willen immer nachgeben. Er hatte seine Amtsstube mit einem Schlafzimmerchen in ein kleines Nebengebäude verlegt, um Ruhe zu finden. Allein das Weib ließ sich das nicht anfechten. Sie kam während der Audienzen, die er hielt, oder der Verhöre, die er leitete, durch die Amtsstube gelaufen mit brutalem Auf- und Zuschlagen der Türen, wenn sie nicht zu Wort kommen konnte. Sogar den Schreiber, den Polizeisoldaten und den Amtsboten des Statthalters suchte sie mit einer ganz einfältigen Falschheit und Untreue zu geheimen Gegnern des Mannes zu machen, der doch in all seiner Schwäche die Stütze des Hauses blieb bis zum Zusammenbruche.

Und niemanden gab es, der ihn klagen gehört. Ach, er wußte gut, warum er schwieg; denn niemand würde geglaubt haben, daß ein Mensch, welcher im eigenen Hause so elend dastand, das Wohl des Landes beraten und fremde Leute zu regieren sich unterstehen könnte.

Wie aber alles Menschliche ein Ende nimmt, ging es auch hier dem Feierabend so vielen Unrechtes und Leidens entgegen. Die Arbeiter waren wegen rückständiger Löhne schon aus der Fabrik weggeblieben und anderwärts angestellt worden. Trotzdem hatten die Söhne noch bedeutende Ankäufe von Garn gemacht, dieses aber sofort versetzt, und als der Zahlungstermin nahte, besaßen sie weder Garn noch Tuch noch Geld und liefen Gefahr, des betrügerischen Bankrotts verdächtig zu werden. Mit dieser schönen Enthüllung überfielen sie den Vater, als die fälligen Wechsel vorgewiesen wurden, in der Morgenfrühe, natürlich wieder im Tone des Vorwurfes, daß er sie in ein so erbärmliches Fabriklein hineingesetzt habe. Und als er hilflos dastand und fragte, wo er um Gottes willen auch Geld hernehmen sollte, da ja alles verpfändet und überschuldet sei, verwiesen sie ihn frech auf die von ihm bezogenen Steuergelder, die bequem bereitlägen und für den Augenblick ohne Gefahr in Anspruch genommen werden dürften.

Der Vater wurde blaß.

»Es ist mir genau vorgeschrieben,« sagte er, »wieviel Gelder ich im Hause behalten darf und wann ich sie an die Staatskasse abführen muß, abgesehen davon, daß ich meine Hand nicht auf irgend andere Art unter den Deckel stecke!«

»So haben wir morgen die Insolvenzerklärung!« sagten sie; »Kleinpeter und Söhne heißt ja die Firma!«

Sie schauten in der Stube umher, nach der alten Geldkiste, wo die denn hingekommen sei. Der Vater hatte sie kürzlich in eine andere Ecke geschleppt und an den Boden festgeschraubt, unter welchem sich dort ein starker Balken hinzog. Eben stand die Kiste offen; der eiserne Deckel war zurückgeschlagen, in einer Abteilung lag in Rollen abgezähltes Geld nebst einem Pakete Banknoten und obenauf ein mit den betreffenden Zahlenangaben beschriebener Zettel. Der ältere Sohn schritt unverweilt nach der offenen Kasse und ergriff den Zettel, indem er rief: »Hier ist mehr als genug für den Augenblick! Der vierte Teil sogar genügt, und später wird sich Rat schaffen lassen!«

Gleichzeitig wollte er nach den Banknoten greifen. Doch der Ratsherr stürzte sich dazwischen und hielt ihm den Arm fest; der zweite Sohn sprang herzu, dem Bruder zu helfen, und es rang nun der alternde Mann in Todesängsten mit den Söhnen, die sich nicht scheuten, den Vater unsanft hin und her zu stoßen.

Endlich gelang es ihm doch, den schweren Deckel zu packen und zuzuschlagen, worauf die räuberischen Söhne ein wenig zurückwichen, aber nicht aussahen, als wollten sie von ihrem Vorhaben abstehen. Diesen Augenblick benutzte er, einen der Schlüssel abzuziehen.

»Wenn ihr nicht auf der Stelle hinausgeht und euch heute nochmals hier blicken laßt,« sagte er zu ihnen mit bebender, doch gedämpfter Stimme, »so soll euch mein eigener Landjäger festnehmen und in Daumschrauben nach Münsterburg bringen! Er kann jede Minute da sein!«

Die unerwartete Kraft des schwachen Mannes, der um seinen letzten Besitz, den ehrlichen Namen, kämpfte, schreckte die ungeratenen Söhne zurück, und sie entfernten sich ebenso bleich, wie der Vater geworden war.

Zitternd und keuchend saß der Statthalter auf der eisernen Kiste und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Mit wirren Gedanken betrachtete er seitwärts die verjährte Schlosserarbeit an dem alten Erbstück, ohne sie zu sehen. Als er sich endlich etwas gesammelt, stand er mit müden Gliedern auf, öffnete die Kasse wieder und nahm die Steuergelder, sie zu verpacken. Er suchte das nötige Papier, Schnüre und Siegellack zusammen, wickelte und schnürte alles mit großer Hast und Eile doppelt und dreifach ein, fest aber ungefüg, denn es war sonst die Arbeit des Amtsdieners, und zuletzt zündete er Licht an und versiegelte das Paket an drei oder vier Orten, jedesmal mit einem Stöhnen das Siegel betrachtend, eh' er es aufdrückte.

Dann schrieb er den zur Ablieferung gehörigen kurzen Bericht, den er mit besonderem Umschlag versah und adressierte, und schickte den eintretenden Weibel mit beiden Stücken zur Post, ihm einschärfend, sich nirgends aufzuhalten und dafür zu sorgen, daß Geld und Brief mit der ersten Gelegenheit abgingen. Auch sollte er nicht vergessen, einen Postschein zurückzubringen. Er blickte dem Mann durch das Fenster nach und sah richtig, wie die Frau ihn auf dem Hof anhalten und sehen wollte, was er da forttrage; wie sie aber vom Weibel kurz stehengelassen wurde.

Hierauf legte er in zwei weiteren Schreiben an den Präsidenten des Großen Rates und an die Regierung seine Stellen als Ratsmitglied und als Statthalter nieder. Denn er wußte, daß es jetzt aus war, wenn auch nicht, was aus ihm werden sollte.

Die leere Eisenkiste ließ er offenstehen. Die Frau kam geschlurft und guckte sogleich hinein; aber es dünkte sie, es blase ein so kalter Wind ans dem leeren Hohlraum, daß sie die Nase stracks zurückzog und den Statthalter fragen wollte, was denn das sei. Dieser gab ihr jedoch keinen Bescheid, sondern wandte sich an den Landjäger, der erschienen war. Der Statthalter hatte ihm am Abend vorher angekündigt, er müsse in Polizeisachen mit Aufträgen nach der Hauptstadt gehen, und die bezüglichen Akten bereitgemacht. Die stellte er ihm jetzt zu und zugleich die beiden Entlassungsschreiben, welche pünktlich zu besorgen er ihm anbefahl.

So hatte er nun sein Haus bestellt und besaß nichts mehr als die hinterlegte Amtsbürgschaft, in ein paar Werttiteln bestehend, welche mit seinem Rücktritt frei wurden und seither wohl auch verschwunden waren.

Als die Herzausschüttung Kleinpeters nach und nach versiegte, herrschte mehrere Minuten lang eine Stille, in welcher Martin und Marie Salander die erschütternden Eindrücke nachwirken ließen, indessen jener, sein Vertrauen nicht bereuend, die fühlbare Teilnahme samt einigen nachgeholten Schlücken des duftreichen Weines ebenso schweigend genoß.

Martin bedachte mit Grauen, welch dunkle Zustände im Leben öffentlicher Vertrauenspersonen verborgen liegen oder auch als öffentliches Geheimnis bestehen können. Er wußte zwar, daß einzelne Erscheinungen dieser Art zu allen Zeiten hervorgetreten sind; sie waren dann auch als große Unglücksfälle empfunden worden. Jetzt wollte ihn aber eine Ahnung beschleichen, als ob es sich um Symptome handle, die ihm glücklicherweise eine Gegenbetrachtung tröstlich aufwog. Die rasche Entschlossenheit, mit welcher der Statthalter sich nicht mehr für amtsfähig hielt und seine Stelle niederlegte, nur weil die Söhne das Vergehen der Untreue ihm zugemutet und es selbst hatten verüben wollen, erfüllte ihn mit wahrer Achtung, und diese verminderte sich keineswegs, als ihm der Gedanke aufstieg, der scheinbar so schwache Mann habe nicht allein für die Gesunkenheit der Söhne büßen, sondern sich selbst verhindern wollen, doch noch in die Schlingen der wachsenden Not zu fallen. Nein, sagte sich Salander, gerade wenn der Haltlose noch am wahren Bürgersinne sich aufrichten und die Achtung vor sich selbst retten kann, ist das Gemeinwesen nicht im Niedergang.

Die Frau Marie bedachte anderes; sie hatte es mit dem wunderlichen Weibe zu tun, das der Mann mit bitterem Groll und ohne einen Rest von Neigung geschildert; sie zweifelte keinen Augenblick, daß dasselbe die Quelle seines Unglücks sei, verstand aber den Charakter der Unholdin nicht recht.

»Ich begreife nicht, Herr Kleinpeter,« nahm sie das Gespräch wieder auf, »wie eine Frau auf das Ansehen ihres Mannes so eitel sein und es auf jede Weise benutzen kann, während sie es ihm doch mißgönnt und ihn darum haßt, so daß sie sich förmlich abmüht, ihm die schuldige Achtung vorzuenthalten!«

»Ja, Frau Salander,« erwiderte der gewesene Statthalter, »das hab' ich nicht so studiert! Wer die Dinge an sich erlebt, der versteht sie, sozusagen, ohne sie deutlich erklären zu können. Nach allem übrigen zu schließen, denke ich, es werde dabei nebst der Eitelkeit eine mit geistiger Beschränktheit verbundene hochgradige Selbstsucht im Spiele sein und überdies das Herkommen sich geltend machen. Meine Frau Gemahlin stammt aus einer Gegend, wo, mit Respekt zu sagen, die Frauen besonders hochfahrig, aufgeblasen und als große Lästermäuler bekannt sind. Nachbarneid und Klatschsucht suchen ganze Dorfschaften heim, und zerklüften weitläufige Familien so gut wie das geringste Hüttenvölklein. Jede, die sich verheiratet, setzt sich vor, zu zeigen, wo sie her sei, und die Oberhand zu behaupten. Die Männer sind tätig, aber grob und fluchen in den unteren Schichten wie Seeräuber, in und außer dem Hause. Da üben denn die Weiber von Jugend an ihre Zungen, und wenn eine dazu nicht recht gescheit ist, so kann man sich denken, was da herauskommt!«

»Wie sind Sie denn in dies gelobte Land geraten?« fragte Frau Marie.

»Ein guter Freund sagte zu mir, er wisse für mich eine zum Heiraten. ›Wo steht sie?‹ fragte ich in dem damals üblichen schnöden Sprachstil junger Landlöwen. Jener nannte Ort und Namen und strich alle Vorzüge heraus. Ich fand eine hübsch aussehende, schöngekleidete Tochter, welche sich so freundlich und sanft anzulassen verstand, daß ich unverzögert anbiß, obgleich mir von unbekannter Hand zugesteckt wurde, sie habe den Anschicksmann selber abgesandt. Anstatt hierdurch mich schrecken zu lassen, fühlte ich mich vielmehr geschmeichelt und war völlig gerührt. Sie entpuppte sich ziemlich rasch und schrecklich. Indessen ist sie auch unter den Weibern ihrer Heimat noch eine Ausnahme und ärger als die anderen, gewissermaßen ein Extrakt!«

Mitten in der Rede mußte er lachen, da ihm ihr neuester Streich einfiel. Sie habe ein langes Gezänk über seine Verarmung mit der Androhung der gerichtlichen Scheidung geschlossen, worauf er lediglich bemerkt, sie werde dann jedenfalls Gelegenheit finden, die Titel einer Frau Statthalterin und Großrätin endlich abzulegen, die jetzt schon nicht mehr am Platze seien. Da habe sie ganz feuerrot und furibund einen Satz gegen ihn getan und geschrien, es falle ihr nicht ein, zu verzichten, sie besitze das göttliche Recht, sich lebenslang so nennen zu lassen, und werde nicht davon weichen.

Auf die Frage, was sie denn mit all dem Geld angefangen, wofür sie Schuldscheine ausgestellt, erwiderte er: »Für Kleider und Putz hat sie es ausgegeben! Weil ich das erste Amt im Bezirk versah, hielt sie es für ihre Pflicht, sich am schönsten zu kleiden, und das war in der Tat nicht wohlfeil, indem es einige große Industrielle gibt, deren Damen ordentlich Staat machen. Noch vor einem Jahre mußte ich ein Wechselchen von hundertundzwanzig Franken bezahlen, das sie auf mich gezogen, und für was? Für ein kleines Sonnenschirmchen mit elfenbeinernem Stock und mit kostbaren Stoffen behängt. Sie hatte es hier im Schaufenster eines Ladens gesehen, in welchem sie bekannt war, und es sogleich auf besagte Art gekauft. Mit diesem Schirmchen spazierte sie im ganzen Flecken und weiter herum, wo sie die reicheren Frauen und Fräuleins zu ärgern glaubte. Dann ging sie extra des Parasölchens wegen einige Wochen ins Bad und stellte auch dort wieder eine Anweisung auf mich aus. Überdies bezog sie von ihren bemittelten Eltern, die jetzt noch leben, mehrmals Geld mit der Angabe, ich brauche es. Als sich dann endlich herausstellte, daß sie gelogen hatte, erhielt sie nichts mehr auf diesem Wege.«

Der gute Mann würde noch lange geplaudert haben, wenn nicht die Stunde der Heimreise gekommen wäre; denn die bedrängten Umstände erlaubten ihm nicht, das Retourbillett für die Eisenbahn preiszugeben. Außerdem freue er sich, noch eine kurze Zeit ruhig in seinem alten Heim schlafen zu können; die Frau Statthalterin sei gestern mit ihrer ganzen Garderobe und dem Sonnenschirmchen zu ihren Eltern gezogen, die Söhne aber seien vor zwei Wochen nach Amerika gereist, um dort Anstellungen als Fabrikaufseher zu finden, die man ja gern aus der Schweiz beziehe. Jawohl, aber nicht solche! Wären sie früher gegangen! Seine Fabrik samt dem alten Grundbesitz dagegen stehe unter Konkursverwaltung; er gewärtige jeden Tag die Gant. Glücklicherweise gehe ihn die Sache weiter nichts mehr an.

»Könnten Sie«, fragte Salander, »das Anwesen jetzt nicht selbst wieder an sich ziehen, wenn sich eine Beihilfe fände, und es neu in Gang bringen?«

»Ich werde mich wohl hüten, Herr Großrat!« versetzte Kleinpeter ohne Besinnen. »Wenn es wirklich gelänge, so wären sie eines Tages alle drei wieder da, die Milch abzurahmen! Lieber will ich eine stillbescheidene Tätigkeit irgendwo übernehmen, sei es, was es wolle; wenn Ihnen etwas vorkommen sollte, das für mich geeignet wäre, so geben Sie mir vielleicht einen Wink, wenn Sie so gut sein wollten!«

»Ich will gewiß daran denken, seien Sie dessen versichert!« versprach ihm Martin Salander und gab ihm die Hand. »Sie sind ja noch wacker und kein alter Mann, wenn Sie sich ein bißchen aufrappeln! Leben Sie wohl, kommen Sie gut nach Hause!«

»Danke tausendmal, und Ihnen auch für alles Genossene, Frau Salander, und für alle erwiesene Freundlichkeit!«

»Es ist nicht wichtig und gern geschehen!« sagte Frau Marie und schüttelte ihm die Hand, »ich wünsche glückliche Reise und daß es Ihnen wieder bessergehe!«

Mit unerwartet raschen Schritten eilte der aufgerichtete Mann von dannen. Nachdenklich schauten ihm die Eheleute nach, wie er die Straße entlangging.

»Er schwankt ja nicht im geringsten!« bemerkte Marie, »ich besorgte, er würde ein Fähnchen bekommen. Es sollte ihm doch noch zu helfen sein, wenn er das saubere Weibsstück loswäre!«

»Und wenn er ein ruhiges Plätzchen hinter dem Winde hat, glaub' ich auch, daß er sich noch erholen kann. Aber regieren muß er nicht mehr wollen!«

Der neue Großrat bedachte auf dem Wege zum Kontor, das er noch aufsuchte, das sonderbare Erlebnis dieses ersten Tages seines späten amtlichen Daseins, wie er dazukomme, den verunglückten Vorfahren zu bewirten und zu trösten; und er pries sich glücklich, daß in seinem gutartigen Haushalt solche Gefahren nicht vorhanden seien. Dennoch behielt er einen melancholischen Eindruck von der so unmittelbar wahrgenommenen Unsicherheit der menschlichen Dinge in den obersten Anstalten selbst.


 << zurück weiter >>