Gottfried Keller
Martin Salander
Gottfried Keller

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2

Die beiden Männer hatten in der Tat nicht weit zu gehen, bis sie das hinter Obstbäumen verborgene Haus fanden. Die Wohn- und Gaststube des Wirtes war leer, als sie eintraten; eine Frauensperson, irgendwo beschäftigt, kam auf Wigharts Klopfen herbei.

»Wo haben wir den Herrn Friedensrichter?« fragte er, zugleich eine Flasche Wein bestellend.

»Sie sind alle in den Reben,« gab die Magd zur Antwort, während sie eine weiße Flasche aus dem Schranke nahm, sie ins Wasser des blanken Kupferkessels tauchte, auf welchem ein halbmondförmiger geschuppter Fisch getrieben war, zu beiden Seiten die Namenszüge eines Vorfahren und darunter eine Jahrzahl aus dem achtzehnten Jahrhundert. Jene ging, den Wein frisch im Keller zu holen, indes die Gäste sich an den breiten Nußbaumtisch setzten.

Martin Salander schaute sich um, holte tief Atem und sagte: »Wie ruhig und still ist es hier! Seit sieben Jahren bin ich nicht hinter einem Tisch wie dieser gesessen!«

Durch die Fenster sah man nur Grünes, Apfelbäume, Wiesen und statt der blauen Luft, soweit der Blick zwischen den Stämmen und Ästen den Weg fand, im Hintergrunde den ansteigenden Weinberg, dessen Erde soeben sorgfältig gelockert wurde. Nur hie und da sah man von den gebückten Werkleuten einen Kopf aus dem Laube emportauchen, und man glaubte die sonnige Ferne selbst zu erblicken, in die er hinausschaute.

»Sieben Jahre, bei Gott! Ist es schon so lang, daß du fort bist,« sagte Wighart.

»Und drei Monate!«

Die Magd brachte den Wein und ein paar Schnitte gutes Roggenbrot, und als die Gäste nichts weiter verlangten, ging sie wieder an ihre Arbeit. Wighart schenkte beide Gläser voll.

»Also sei willkommen!« begrüßte er, mit ihm anstoßend, wiederum den Heimkehrenden, der noch nicht ganz zu Hause war und vor der Zeit die Ruhe kostete; »auf deine Gesundheit! Aber gut siehst du ja schon aus, wirklich wie die Gesundheit selber! Also laß uns annehmen, es sei dir gutgegangen und alles wohlgelungen!«

»Auf jede Art ist es mir gegangen; doch habe ich mich gewehrt und getummelt und wenig geschlafen, das kann ich dir sagen, und endlich mich von dem Schlag erholt, der mich damals so schmählich getroffen hat. Es dauerte freilich länger, als ich meinte, daß es gehen würde!«

»Wenn ich nicht irre, so bist du durch eine Bürgschaft ins Unglück gekommen? Ich war zu jener Zeit auf Reisen, und als ich wiederkam, hieß es, du seiest fort.«

»Freilich, die Geschichte mit dem Louis Wohlwend!«

»Richtig! Jeder nahm teil an deinem Mißgeschick, aber allgemein wurde auch gefragt, wie du dein Vermögen durch eine so unbedachte Handlung aufs Spiel setzen konntest?«

»Ich habe nichts aufs Spiel gesetzt, ich wollte nichts gewinnen, sondern einfach ein Gebot der Freundespflicht erfüllen, das heißt – ich glaubte eben nicht, daß es zum Zahlen käme, war vielmehr der Meinung, soviel mir noch vorschwebt, die Suppe würde wohl nicht so heiß gegessen werden, wie sie gekocht sei, und jeder wahre Freundesdienst sei mit einem Wagnis verbunden, sonst wäre es keiner. Wir waren im Lehrerseminar schon gute Freunde. Er lernte schwer und hielt sich deshalb an mich, dem es leichter ging; vor den anderen schien es eher, als ob ich von ihm lernte, Gott weiß, wie es zuging! Es machte mir jedoch Spaß, denn er war sehr drollig, zutraulich und gescheit, und wo zwei beieinander standen, trat er hinzu, selbst unter den Lehrern und Professoren. Mit diesen wußte er sich sehr ergötzlich zu benehmen, wenn die Jahresprüfungen dawaren. Er forschte nicht etwa, worüber sie ihn besonders fragen würden, sondern wußte ihnen geradezu beizubringen, was er wollte, das sie ihn fragen sollten, worauf er sich die bezüglichen Gegenstände extra von mir eintrichtern ließ oder wie ich es nennen soll. Es war, wie wenn er eine Gabe hätte, die Gedanken der Menschen mit wenig Wörtchen zu reihen, hin und hergehen zu lassen und aufzulösen, und doch war er nicht imstande, selbst eine dauernde Gedankenordnung festzuhalten. Aber alles war, wie gesagt, spaßhaft, und jeder ließ ihn gewähren. Er erhielt auch richtig die Verweserei einer ländlichen Elementarschule, wo es herrlich und in Freuden ging; als er aber Realklassen übernahm, das heißt den Unterricht der größeren Kinder, begann er bald von Ort zu Ort zu rutschen und gab in kurzer Zeit das Schulmeistern auf. Ich hatte mich indessen noch zum Sekundarlehrer ausgebildet und ordentlich Fleiß darauf verwendet; auch verwaltete ich die Schule, an die ich gewählt wurde, nicht allein mit der üblichen Begeisterung, sondern auch mit einigem Pflichtgefühl und bemühte mich redlich, die Schüler so durchgehend als möglich emporzuarbeiten. Ich freute mich schon der späteren Tage, wo ich manchem Landmann zu begegnen hoffte, der es mir danken würde, wenn er eine richtige Berechnung anstellen, ein Stück Feld ausmessen, seine Zeitung besser verstehen und etwa ein französisches Buch lesen könnte, alles ohne die Hand vom Pfluge zu lassen! Allerdings hab' ich es nicht erlebt; denn die Buben schwanden einem vorweg aus den Augen und verkrochen sich in alle möglichen Schreibstuben. Keinen sah ich je wieder auf dem Feld und an der Sonne!«

Salander hielt inne und besann sich; dann tat er einen leichten Seufzer und redete weiter: »Aber hab ich es denn besser gemacht? Bin ich nicht selbst vom Pfluge weggelaufen?«

»Du meinst, als du den Lehrerberuf aufgabst?« sagte Wighart, da der andere ein Weilchen wieder verstummte; »wie bist du denn dazu gekommen?«

»Vater und Mutter starben mir in der Heimat in derselben Woche an einem bösartigen Fieber. Im Stall war ihnen ein krankes Kälbchen zugrunde gegangen, das haben sie oberhalb des Hauses in der Wiese vergraben, unfern unserer guten Brunnenquelle, und sich so das Wasser in aller Unschuld vergiftet. Knecht und Magd entrannen dem Tode mit Not. Die Ursache ward erst später entdeckt. Mir aber wandelten sich Schreck und Trauer bald in eine große Unruhe, als ich mich im Besitze des elterlichen Vermögens sah, das nach dem Verkaufe des Hofes für einen Schulmeister artig genug ausfiel. Ich heiratete meine Frau, die mir schon länger in die Augen gestochen, und auch sie besaß bare Mittel. Da wurde es mir plötzlich zu eng in der friedlichen Schulstube, in der entlegenen Landschaft; ich zog hierher, in die Stadt dort hinter den Bäumen, wollte mitten im Verkehr stehen, unter Erwachsenen, auf Freiheit und Fortschritt ausschauen, ein Geschäftsmann, ein Muster von Brotherrn sein, ja sogar noch den Militärdienst nachholen und Offizier werden, um meinen Mann zu stellen. Denn ich glaubte alles schuldig zu sein, weil ich etwas Vermögen besaß, das im Grunde doch kein Reichtum zu nennen war.

Zunächst beteiligte ich mich an einer bescheidenen Gewebefabrik, die von einem kundigen Manne geleitet wurde; daneben übernahm ich einen herrenlosen Handel mit Strohwaren; nun, das ist dir ja bekannt, es ging gar nicht übel. Ich hielt mich fleißig und aufmerksam an die Sache, ohne der Welt den Rücken zu kehren. Da war denn auch der Louis Wohlwend; der betrieb ein Kommissionsgeschäft, wie du auch weißt, nebst einigen Agenturen und war immer noch der gleiche zutuliche und vertrauliche Gesell und Hans in allen Gassen, von dem jeder den Eindruck empfing, daß es ihm gut gehe und er wohl wisse, was er wolle. Auch zu mir hielt er sich fleißig, so oft er Zeit fand, und bald stand ich im Rufe seines Spezialfreundes und wehrte mich nicht dagegen, obschon mir im stillen manches auffällig war, was ihm anhaftete. In einem Gesangverein, in den er mich einführte, bemerkte ich, daß er immer falsch sang; ich dachte aber, er könne nichts dafür, und nachher beim Glase Wein war er umso kurzweiliger und beliebter, und er behauptete sich, trotzdem der Übelstand offenkundig, im zweiten Tenor. Das ärgerte mich zuletzt ernstlich; er tat aber, als ob er keine Ahnung hätte, und am Ende sagte ich mir, das sei eigentlich auch ein Idealismus, wenn ein armer Teufel, der kein Gehör habe, durchaus singen wolle.

Als ich eines Abends in der Weihnachtswoche an meinem Rechnungsabschluß saß mit dem Vorsatze, bis nach Mitternacht zu arbeiten, kam er, mich in seinen Verein abzuholen, wo Christbaum und Hauptvergnügen sei. Ich wollte nicht mitgehen; er gab nicht nach, und da meine Frau mich ebenfalls zu gehen bat, mir die Erholung gönnend, tat ich es. Dies war der Unglückstag.

Unterwegs kaufte ich zum Überflusse auch noch eine Gabe für den Christbaum, ein artiges Bildungsbuch in Goldschnitt, und erhielt bei der Verlosung dafür einen westfälischen Schinken. Als das Essen, das folgte, vorüber und die Rennbahn für die komischen Sänger, die Deklamanten und Travestanten eröffnet war, bestieg auch Louis Wohlwend das Podium, den Vortrag der Schillerschen Ballade ›Die Bürgschaft‹ ankündigend und sogleich beginnend. Er wußte das Gedicht zu meiner Verwunderung auswendig und trug es mit einer gewissen Erregung oder Überzeugung, mit halb zitternder Stimme vor, aber mit durchgehend so verflucht falscher Betonung, daß die Wirkung mehr verdrießlich als lächerlich war. Unbewußt sprach er in jenem Tone ungebildeter Leute, welche klagend oder keifend ein Schriftstück vorlesen, dabei auf den Tisch klopfen und aus Leidenschaft die Rede verzerren, die Worte auseinanderdehnen und wie aus Wut die Nebensilben beschreien, da ihnen die Hauptsilben nicht ausreichen. Gleich den Schluß der erstem Strophe gab er mit steigenden Noten so:

       Die Stadt vom Tyrannen befreien:
Das sollst du am Kreuze bereuen!

Dann schloß er die zweite Strophe:

           Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.

Ganz heillos klang es, wie er fortfuhr:

           Da lächelt der König mit arger List,

und dazu wirklich ein Lächeln und eine arge Gesinnung auf seinem Gesichte zu mischen suchte. Das Ende des Gedichtes klang dagegen gemütlich aus:

Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der dritte.

Es sind jetzt sieben Jahre her und die Dummheiten mir dennoch so genau im Gedächtnis, als wären sie gestern abend geschehen.

Ich war etwas verstimmt, als Wohlwend, von seinem erhöhten Aufenthalte heruntergestiegen, sich wieder neben mich setzte, und da es bereits auf Mitternacht ging, erhob ich mich, um Hut und Mantel zu suchen, und begab mich hinweg. Kaum war ich aber auf der Straße, so holte er mich ein, lief neben mir her, räusperte sich, als wolle er ein neues Stück rezitieren. Ihn unterbrechend, fragte ich, was er für eine Freude daran finde, ein Gedicht, überhaupt eine Rede, so schlecht herzusagen, so aufgeregt und zugleich so grundfalsch zu deklamieren?

Ja, antwortete er mit immer noch nachzitternder Stimme, aufgeregt sei er und schön werde er allerdings nicht deklamiert haben, weil er selbst derjenige sei, der den Bürgen suche, und auf einem kritischen Wendepunkt schwebe.

Mit ganz veränderter, ganz vernünftiger Stimme gab er unverweilt seine Angelegenheit kund. Er hatte eine folgenreiche Unternehmung gewagt, welche bedeutenden Kapitaleinsatz verlangte, während sein Bankkredit durch das laufende Geschäft schon vollständig in Anspruch genommen war und ferner genommen wurde. Auf keiner Seite durfte er rückwärts gehen ohne Schaden an Gut und Ehre; das Vorschreiten aber konnte beides nur mehren; kurz, es handelte sich um Öffnung eines neuen Kredits gegen Bürgschaft, die mit drei Unterschriften zu leisten war. In fünfzehn Minuten hatte ich als solidarischer Bürge und Selbstzahler die erste Unterschrift auf ein in Wohlwends Hause bereitliegendes Dokument gesetzt und ging gleich darauf schlafen. Die zwei anderen Unterzeichner habe ich nie gesehen; es waren ein paar stille ordentliche Männer und Nichtzahler, welche sich vor der Katastrophe ruhesam verzogen, nicht ohne ihrerseits selbst verschiedene Bürgen oder deren Gläubiger geschädigt zu haben, insofern solche wirklich etwa bezahlten.

»Gut also, vor Ablauf eines Jahres erklärte Louis Wohlwend sich zahlungsunfähig, und was gleich mit Beginn der Konkursverhandlungen voll und unweigerlich gedeckt werden mußte, war der Betrag meiner Bürgschaftsleistung. Sie fraß auf, was ich und mein Weib besaßen, und zugleich liquidierte sich mein eigenes Geschäft ebenso rasch und reinlich, dank der guten Ordnung, die darin herrschte, und ich konnte gehen, wo ich wollte! Ich war für einmal fertig! Jetzt wäre es Zeit gewesen, in die Schulstube zurückzukehren; aber ach, es lag mir ferne! Wohlwend aber lebte noch Jahr und Tag in und von dem Konkurse, der im Sande verlaufen sein soll, ich weiß nicht auf welche Weise.«

»Aber, wie mochtest du dein Frauenvermögen so preisgeben?« unterbrach ihn Wighart, »die Frau konnte es ja nach Gesetz und Recht an sich ziehen!«

»Die Frau wollte nicht,« sagte Salander, »wegen der Zukunft der Kinder, denn ich wäre bankrott geworden. Wir waren jung und glaubten an unsere Zukunft, die wir nicht verderben mochten!«

»Aber warum nahmst du die Familie nicht mit oder holtest sie nachträglich, als es dir gut ging?«

»Weil ich im Vaterlande leben und sterben will, ich bin kein Auswanderer! Und dann hätte ich mich nicht drehen und tummeln können, wie ich tun mußte; hatte auch zweimal das Fieber und bezahlte sonst genug Lehrgeld, fing wiederholt von vorn an. Als ich hinüberging, nahm ich einige Kisten Strohhüte mit, die man mir anvertraute; etwas leichtere Seiden- und Baumwollsachen bekam ich auch mit, und so machte sich notdürftig ein Anfang, mit dem ich bescheiden am Ufer hinsteuerte, bis ein junger Mensch, den ich zu mir genommen, mich bestahl und durchging, während ich wehrlos im Fieber lag. Notgedrungen trat ich in den Dienst eines größeren Hauses und bereiste die brasilianischen Provinzen mit Kauf und Verkauf. Ich lernte dadurch den dortigen Binnenhandel, den ich in der Folge auf eigene Rechnung betrieb, natürlich nach Verhältnis meiner Mittel. Nun, ich bin jetzt durch und habe den Schaden ersetzt, mehr wollte ich nicht, und kann die Arbeit hier bei den Meinigen und in meinem Lande wieder aufnehmen. Hier habe ich Mosen und die Propheten!«

Er schlug auf seine trefflich gearbeitete Reisetasche, rief jedoch, sich endlich besinnend: »Sieh einmal, das ist eine schöne Heimreise! Sechs Wochen in Liverpool, und hier, fünf Minuten von der Frau, bleib' ich noch hangen! Trink die Flasche allein fertig, Freund, du wirst wohl noch sitzenbleiben! Der grüne Schattenwinkel hier ist wirklich zu gelungen!« Der alte Freund hingegen, auf die Tasche deutend, hielt ihn auf.

»Du hast gewiß«, sagte Wighart, »gute Papiere bei dir? Solltest du etwa das eine oder andere schöne Inhaberstück abgeben wollen, so bitte ich, mir die Gelegenheit zu gönnen; du weißt, man hat in diesen papiernen Zeitläuften immer etwas zu besorgen oder besserzustellen!«

»Nichts derartiges ist da!« versetzte Salander; »in der letzten Zeit ließ ich alles Erworbene bei der Atlantischen Uferbank in Rio de Janeiro zusammenlaufen, einem kräftig sich entwickelnden jungen Institut, und trage nun den Wert meiner nicht ganz drei Dutzend Contos de Reis in einer Anweisung bei mir, bar zehn Tage nach Sicht!«

Abermals schlug er vergnügt auf die Tasche.

»Donnerwetter, ein saftiger Wechsel!« meinte Wighart.

»Seit zwei Monaten oder länger avisiert, wie ich denke!« der andere.

»Bei welchem Hause? Gewiß beim ›großen Kasten‹? Oder der ›alten Kommode‹? Oder bei der ›neuen Kommode‹? Das sind nämlich die neuesten Scherznamen unserer Banken.«

»Xaverius Schadenmüller & Komp. heißt's; wart, ich hab's im Carnet!«

Er zog das Büchlein aus der Seitentasche seines Rockes.

»Ja, Schadenmüller, Xaverius & Komp.«

Wighart sah ihn mit weitaufgesperrten Augen an, bis er das Wort fand.

»Schadenmüller, sagst du? Weißt du, wer das ist?«

»Jedenfalls eine rührige Firma, wenn auch vor sieben Jahren noch unbekannt!«

»Unglücksmann! Es ist Louis Wohlwend und kein anderer!

Martin Salander erhob sich langsam hinter dem Tische, ganz fahl und blaß geworden, setzte sich aber gleich wieder und sagte: »Es scheint, daß jeder Mensch einen Ölgötzen hat, der allerorts wieder dasteht und ihm entgegenglotzt. Denkst du am wenigsten dran, so ist er da. Das ist mir jetzt eine angenehme Lage! Wer sagt indessen, daß er nicht zahlen werde? Er wird sich erholt und emporgeschafft haben; wie, kann mir gleich sein! Meine Atlantische Uferbank ist doch auch nicht von Stroh und weiß, was sie tut. Am Ende will das Schicksal, daß ich wieder zu meinem früheren Vermögen gelange, wenn der Bursche so zu Kräften gekommen ist!«

»Unglücksmann noch einmal! Der, welcher Schadenmüller heißt, ist schon vor zwei Jahren fort, sein Nachfolger, Wohlwends Gesellschafter, vor sechs Monaten, und vom jetzigen alleinigen Vertreter der Firma, Wohlwend, heißt es seit gestern, er habe wieder einmal eingestellt, die Proteste regnen nur so und das Kontor sei geschlossen!«

Salander sprang auf und mitten in die Stube, wo er unentschlossen sich umschaute, seine Reisetasche rückend. Er ermannte sich bald ein wenig und seufzte: »Die arme Frau! Ich hatte ihr verlorenes Weibergut so vergnüglich ausgeschieden in meinem Buche und um die Zinsen vermehrt, um es sofort nach der Heimkehr sicherzustellen! Nun hat's der Wohlwend zum zweitenmal! Ein Kerl, der so falsch singt und noch schlechter deklamiert!«

Der gute Mann wischte sich ein paar bittere Tränen von den Augen. Wighart, von Teilnahme und Entrüstung ungewöhnlich bewegt, stand bei ihm und redete ihm zu, keine Zeit zu verlieren.

»Vor allem«, sagte er, »mußt du stehenden Fußes in die Stadt hinunter, Wohlwends Kontor aufsuchen und dich überzeugen, wie's dort steht. Es ist in der Winkelriedsgasse.«

»Wo ist denn die? So eine gab es früher nicht.«

»Es ist eine vornehme, stille Seitenstraße im Westend; keine Verkaufsläden, nur blanke Metallplatten an den Haustüren und daneben, da wirst du Schadenmüller & Komp. gleich finden. Ich würde mit dir gehen; allein es wird vielleicht besser sein, wenn ich unterdessen deine Frau von deiner Ankunft benachrichtige und auf irgendeine zweckmäßige Weise vorbereite.«

Salander ergriff ihn beim Arm. »Nein!« rief er, »gehe nicht hin! Ich muß es selbst über mich nehmen. Seit ich in Europa bin, habe ich der Frau nicht geschrieben, weil ich sie immer überraschen wollte und nicht dachte, so lange in England hingehalten zu werden, wo ich noch einiges zu ordnen und Zukünftiges einzuleiten hatte. Nun kann ich es nicht über mich bringen, die arme Frau einer fremden Mitteilung auszusetzen. Es wird besser sein, wenn sie mich zuerst nur einmal wiedergesehen hat.«

»Wie du willst! Dann komm ich aber mit dir und führe dich zum Notar, wenn es nötig ist, wie ich glaube; denn das nächste wird sein, für den Protest zu sorgen. Am Ende hast du den Regreß auf deine Ozeanische Uferbank, oder wie sie heißt. Die Notariatskanzlei befindet sich nämlich auch nicht mehr, wo sie vor sieben Jahren gewesen. Es nimmt mich nur wunder, woher sie in Rio so bedeutend mit Wohlwend in Verkehr stehen!«

Hierauf rief Wighart die Wirtsmagd, bezahlte die kleine Zeche, und die Männer eilten abwärts nach dem schönen Stadtteil mit der Winkelriedsgasse.


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