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In einem benachbarten Kanton lebt ein Apotheker, ein Mann, der früh und spät unter seinen Töpfen mit Latwergen, Pillen und Salben anzutreffen ist, dessen emsige Hand mit einer bewundernswürdigen Fertigkeit die Rezepturen komponiert, Extrakte destilliert, Posten einregistriert und überhaupt alles besorgt, was im Bereich seines Geschäfts nur vorkömmt; er besucht keine Vergnügungsplätze, gibt keine Gesellschaften und nimmt auch keine Einladungen an; er geht jahraus jahrein in kein Wirtshaus und schmäht über jene, die abends nach vollbrachter Arbeit ihren Schoppen trinken. Seine teure Ehehälfte besorgt das Hauswesen; sie hat keine Magd, tut alles selbst, scheuern und putzen, kochen und braten, flicken und stricken, alles liegt ihr ob; auch sie besucht keine Teegesellschaften, keine Theater und Tanzpartien, sondern nur allwöchentlich mit ihrem Eheherren den Gottesdienst. Diese guten Eigenschaften verlieren aber plötzlich sehr an Gehalt, wenn wir diese Leutchen schärfer aufs Korn fassen – der Hauptzug ihres Charakters ist Geiz und Mißgunst; es ist zwar nicht jener gemeine Geiz, der sich selbst keinen guten Bissen gönnt und lieber am Hungertuch nagt, als einen Kreuzer aus der schweren Geldkiste nimmt, um schwarzes Brot zu kaufen; nein, dieser schmutzige Geiz ist es nicht, denn er und seine Ehehälfte sind Leckermäuler, und die schönsten und besten Bissen zieren tagtäglich ihren Tisch, die besten Weine kitzeln ihren Gaumen, und den allerfeinsten Knaster dampft der Herr aus seinem Pfeifchen; handelt es sich aber darum, ihren Mitmenschen beizustehen, so ist des Apothekers Herz und Haus verschlossen, und der Arme und Bedrängte kann getrost an seiner Türe vorbeigehen, denn nicht ein Pfenning wird ihm gereicht.
Wenn wir vorhin sagten, daß er alles selbst tue, so ist dieses ein moralischer Zwang bei ihm, ebenso bei seiner Frau, denn kein Gehilfe, keine Magd kann es in seinem Dienst aushalten; er so wie sie mißgönnen diesen jeden noch so karg zugemessenen Bissen; die elendesten Suppen, das schlechteste Brot ist mehr wie gut genug. Sein ganzes Dienstpersonal hatte sich demnach bis auf einen Kopf reduziert. Dieser Kopf gehörte dem Lehrling an, einem gefräßigen spindeldürren Burschen, der schon zweimal das Hasenpanier ergriffen hatte, aber jedesmal wieder eingeholt wurde, weil ihn ein Lehrkontrakt auf vier Jahre fesselte. Dieser Bursche wurde daher im Laboratorium, im Magazin und in der Küche je nach Bedürfnis postiert, um die rohen Arbeiten zu verrichten.
Hans, so ist sein Name, war aber die Gefräßigkeit selbst, und wo es irgendwo was Eßbares gab, entweder um den Hunger zu stillen oder aber um den Gaumen zu kitzeln, da waren seine fünf Finger zum Griffe bereit. Unzählige Male hatte schon der braunlackierte Rohrstock des Apothekers seinen Rücken blau und grün durchgewalcht, und täglich zogen der Frau Prinzipalin magere Krallen tiefe blutige Furchen in sein Gesicht; doch alle diese Mittel waren nicht kräftig genug, ihm den Kappzaum der Mäßigkeit anzulegen; seine Muskeln waren in steter Bewegung auch selbst dann, wenn sie nichts zu verarbeiten hatten. Öfters lag er vorm Schlüsselloch und sah seine geizige Herrschaft ein köstliches Gericht verzehren; unwillkürlich waren dann aber auch seine Kiefer in auf- und abgehender Bewegung; gekaut mußte unser Hans nun einmal haben, und wäre es auch nur zum Schein.
Sein Lieblingsaufenthalt war das Magazin; hier wurde Kakao mit Zucker, Schokolade, Sirup, wohlschmeckende Latwergen, Honig und so fort mit einer Gier und Wollust geleckt, gekaut und verschlungen, welchen seligen Genuß er aber stets, wenn er ertappt wurde, mit dem Braunlackierten zu büßen hatte. Eine kleine Entschädigung fand er dann immer noch in einem Gefräß, wo sein Tyrann noch gar keine Ahnung davon hatte; es waren nämlich die weltberühmten Pâte pectorale von Georgé, Apotheker in Epinal. Diese waren als Kommissionsartikel in einer Kiste verpackt, von welcher er den untern Boden gelöst hatte, die Schachteln schichtweise von ihrem Inhalte säuberte und wie geschnitten Brot hineinwürgte. Diese Mahlzeit nannte er seinen Rekompens-Artikel; doch nur sehr ungerne machte er Gebrauch davon, nicht deshalb als ob sie ihm nicht mundeten, sondern eine gräßliche Versuchung hatte er jedesmal zu überwinden, wenn er zu den Schachteln gelangen wollte. Auf dieser Kiste nämlich standen zwei große, weithalsige, wohlverschlossene weißgläserne Flaschen, in welchen nach seinem Dafürhalten die appetitlichsten, feinsten eingemachten Früchte sich befanden, und immer war es ihm, wenn er sie herunternahm, als müsse er, hineinlangen, um seine Freßbegierde zu befriedigen; aber die verdammten Etiketten dieser Gefäße machten ihn zittern und zagen; grau und schwarz wurde es immer vor seinen Augen, wenn er das gräßliche Wort las: »Gift, Sublimat«, und dann den grinsenden Totenkopf betrachtete, welcher darunter gemalt war – »nein, das ist jammerschade, daß diese herrlichen Früchte giftig sind«, murmelte er dann vor sich hin und stellte sie betrübt nach beendigtem Geschäfte wieder an Ort und Stelle.
Eines Morgens, es war Sonntag, als er eben seinem Rekompens-Artikel wieder tüchtig zusprach, tönte die grellende Stimme der Frau Apothekerin und beschied ihn in die Küche. Das böse Gewissen malte ihm schon die ausgestreckten Krallen der Haus-Xanthippe entgegen, als er die Treppe zur Küche hinabsprang und den letzten Knollen Gummi pectoral hinabwürgte, – doch hier erwartete ihn ein ganz anderer Anblick. Sein Tyrann stand da im zimmetfarbenen Satinrock, garniert mit blauen, stählernen Knöpfen, einem Paar engen Nankinghosen, weißseidenen Strümpfen und beschnallten Schuhen; in seiner Hand prangte der bekannte Braunlackierte; neben ihm verweilte die Hauseule im zeisiggrünen Kleid mit großem Pelerinkragen; ihre Kräuel waren nicht zur Attacke ausgestreckt, sondern waren eben damit beschäftigt, aus einer Handvoll kleiner Geldmünzen die falschen und ungangbaren herauszusuchen, um sie, wie es gewöhnlich geschah, nach dem Gottesdienst in die Armenbüchse zu schieben.
»Hans«, hub endlich der Apotheker an, »heute ist der Geburtstag deiner nachsichtsvollen Prinzipalin, meiner lieben Frau, und deshalb besuchen wir heute gemeinschaftlich den Gottesdienst.« – »Und hier«, nahm die Hausherrin das Wort, »hier ist Arbeit für dich, die du während unserer Abwesenheit verrichten kannst.« Ein Schupf unter die kurzen Rippen zeigte ihm den Weg zum Feuerherd, wo ein Spanferkel ganz allerliebst am Spieße stak und schon einen angenehmen Duft um sich her verbreitete. »Hier, Bursch, ist das, was du vollbringen sollst; du drehst in einem fort den Spieß, gießest öfters Brühe nach und schürst die Kohlen; gib acht, daß nichts verbrennt, oder ich rupfe dir die Ohren rot und blutig.« – »Und auch ich tu dann das Meinige, Schlingel«, rief der Herr, indem er den Stock über Hansens Kopf pfeifen ließ, »ich brate dich gleich jener Sau am Spieß; verstanden, he!« Unter solchen Drohungen verließ das fromme Paar das Haus. Nachdem das Schloß zweimal geknarrt und der Schlüssel den Rückzug genommen hatte, wurde es unserm armen Bratenwender wieder wohler ums Herz.
Die lieblichen Düfte, die gleich himmlischem Weihrauch seinen Geruchssinn bezauberten, machten endlich seinen Gaumen derart lüstern, daß seine Unterkiefer wieder in das unwillkürliche Kauen gerieten, immer brauner und saftiger wurde das Säulein, und hunderttausend kleine Fettbläschen gleich echten Perlen hüpften und tanzten jubelnd, sich vereinigend und zerplatzend und wiedergebärend, auf der glatten Fläche umher, und es knisterte und knasterte und spritzte und zischte, als wälze sich eine kleine Welt voll Leben am Spießdorn um und um. Und der arme Hans, da saß er nun und drehte die Spindel und löffelte und tunkte und schürte, und wie ein fein angerauchter Meerschaumkopf so braun, so glänzend und glatt war die Haut zur Kruste geschmort, und er saß da, den Mund voll Wasser und das stiere Auge fest auf das bratende Ferkelchen gerichtet. »Hat doch jeder Koch, jede Köchin das Recht, die von ihnen bereitete Speise zu versuchen«, hob er für sich sprechend an, »warum soll nicht auch ich ein kleines Pröbchen kosten? Das Krüstchen da am hintern Schinken, was ohnehin zu hoch hervorsteht, wäre wohl nicht übel, die Stelle wird schon wieder braun und glatt.« Gesagt, getan, und fort war das Krüstchen in Hansens bodenlosen Schlund. Es wäre ein frivoles Unternehmen, den Effekt zu beschreiben, den dieser Leckerbissen in Hansens Gaumen verursacht hatte; er saß da mit funkelnden Augen und schnalzender Zunge, und aus seinen Mundwinkeln triefte Fett im glänzend langsamen Zuge.
»Wer a gesagt, der sagt auch b, c, d dann hintendrein.« Auch unserm in Wollust und Wonne aufgelösten Hans erging es nicht besser. Mit dem Genuß des ersten Stückchens hatte der Satan ihn schon beim Wickel gefaßt und flüsterte ihm beruhigend zu: »Friß du nur, du armer Schelm, du hast ja sonst nichts auf der Welt als deine Wassersuppe mit verdorbenem Brot und einen ewig blauen Rücken, hast ja auch gar keine freudige Stunde, drum nur noch dreist ein Krüstchen abgelöst, es wird ja ganz gewiß schon wieder braun, sei deshalb ohne Sorgen, niemand merket den Raub« – und Hans, der arme Hans ging in die Falle, der zweite Angriff war noch viel besser und die folgenden zum Entzücken gut, fort war endlich die ganze Kruste – »sie wird schon wieder braun, du Narr, sie färbt sich schon, nur immer zu«, so klangs in seinen Ohren. Der Hauptbissen oder der Knalleffekt des ganzen Mahles waren die Öhrlein der Sau; diese knapperte Hansens Gebiß mit einer Behaglichkeit zusammen, daß er alles rings um sich vergaß: er lebte in einem Wonnetaumel, der seinen Geist, gleichsam wie zwischen Schlafen und Wachen, gefesselt hielt. Die lüsternsten Freßvisionen tanzten unablässig vor seinen Sinnen; bald war es ihm, als befinde er sich unter den Gästen der Hochzeit zu Kanaan und verschlinge eben eine ganze Pastete von gehackten Kapaunen, während der Oberkoch im rotgalonierten Scharlachfrack mit Beihilfe von noch vierzehn Unterköchen damit beschäftigt war, eine ungeheure Schüssel gerade vor ihm auf den Tisch zu placieren, worauf sich ein ganzer gebratener Ochse in aufrechter Stellung befand – und ihm sei die Aufgabe gestellt, diesen Koloß bis auf das nackte Bein zu verzehren. Einmal kam es ihm sogar vor, als sei er eine von den sieben mageren ägyptischen Kühen und habe Reißaus genommen und befinde sich eben jetzt in einer üppigen Kornquader, wo er nach Herzenslust seinen gräßlichen Hunger stille.
Unter solchen Träumereien war endlich das ganze Schweinchen aufgezehrt. Da ließ Hans noch einmal seinen trunknen Blick vom Kopf bis zum Steiß hinüberstreifen, ob nicht irgendwo ein Stückchen unbeachtet geblieben sei, – doch o weh! Diese Forschung warf ihn gleich einem zerschmetternden Blitz in die Wirklichkeit zurück, denn er gewahrte das noch unbeachtet gebliebene, stockgerade herausstehende braunglänzende Schwänzchen, das ganz getreu, nur im verkleinerten Maßstab, so aussah wie der braunlackierte Imperativ seines Herrn. Die Kapaunpastete, der ganze gebratene Ochse und die üppige Kornquader waren verschwunden, und jetzt erst sah er das häßliche Gerippe der abgenagten Sau vor sich, und es grinste ihn an, als wolle es sagen: jetzt Freund, jetzt kommst du an meiner Stelle an den Spießdorn. Das war dem armen Hans zuviel: nun stand es fest und unabwendbar vor seiner Phantasie, daß der Apotheker ihn zuerst halbtot schlagen und dann am Spieß braten werde. Nein, diese Marter ist zu groß – sterben mußt du nun doch einmal, nun so sei es denn in Gottes Namen, ich will mir lieber selbst einen plötzlichen Tod bereiten – ich will Gift nehmen! Und Hans holt die zwei großen gläsernen Flaschen herunter, setzt sich bequem hin und stopft und würgt die delikaten Früchte hinunter. »O köstliches Gift, schade, daß du tötest!« ruft er aus und sinkt ermattet am Herd nieder; hier erwartet er den Tod, der aber durchaus nicht erfolgen will. Da knarrt die Haustüre, und gleich einer Salzsäule, mit erhobenem Stocke, weit aufgerissenen Augen und offenem Munde steht der Apotheker da, er glaubt zu träumen, da fällt sein Blick auf Hans, dieser lächelt ihm noch sterbend zu, und mit einer Wut fährt er diesem nach der Gurgel, um ihn apfelweich durchzubleuen. Da lallt Hans mit schwacher Stimme: »Lassen's, Herr, lassen's, ich bin gleich tot, lassen's nur, ich habe mich vergiftet!« Da fährt der Apotheker entsetzt zurück. »Was, vergiftet, vergiftet, womit, mit was denn?« – »Herr, die delikaten Sublimatfrüchte, beide Gläser, Herr, beide Gläser leer, Herr!« – »Da soll dich ja der Teufel holen, du verfluchter Halunke, auch noch meine herrlichen Früchte hast du verschlungen?« Und Hieb auf Hieb fiel auf Hansens Rücken, bis er, trotz dem besten Rostbeaf, weich geplutzt war. »O ich Tor!« jammerte der Apotheker, »ich glaubte meine Früchte zu retten, als ich eine Gift-Etikette daraufklebte, und doch sind sie durch die gefräßige Bestie verzehrt worden.«
Wenige Minuten nachher sehen wir unsern vergifteten Hans mit einem tüchtigen Gerbemittel im Leib und einem wohlapplizierten Tritt zur Haustüre des Apothekers hinausfliegen.