Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hyperion.

(Ein Fragment)

Erstes Buch

In tiefen Tales schattigem Trauerdunkel,
Versunken vor des Morgens frischem Hauch,
Des Mittags Glut, des Abends einem Stern,
Saß, grau im Haar, Saturn, so still wie Stein,
Still wie das Schweigen um sein Lager rings.
Rund um sein Haupt hing bergend Forst bei Forst,
Wie Wolke über Wolkenbank. Die Luft
War stiller noch wie je an Sommertag,
Da sie dem Gras den leichten Samen nahm;
Und welkes Blatt blieb liegen, wo es fiel.
Ein Fluß zog stumm vorbei, verstummter noch
Im düstern Schatten des gefallnen Gottes.
Im Schilfversteck schloß bebend die Najade
Den kalten Finger fester auf die Lippen.

Fußstapfen gingen breit im Ufersand,
Nicht weiter, als sein Fuß gekommen war,
Und schliefen dann. Auf moorig feuchtem Boden
Lag kraftlos, reglos seine Rechte, tot
Und szepterlos. Sein Auge war geschlossen,
Das Herrscherauge, das kein Reich mehr bannte.
Gebeugtes Haupt schien seiner Mutter Erde,
Uralter Mutter, Trostwort zu erbitten.

Es schien, als könne keine Macht ihn wecken.
Doch eine kam, die seine breiten Schultern
Mit trauter Hand berührte, da der Stille
Nicht sah, wie sie zum Gruß sich tief verneigte,
Sie, eine Göttin der noch jungen Welt!
So groß war sie, daß selbst die Amazone,
Die hochgewachsne, zwerghaft neben ihr.
Sie hätte leicht Achill beim Schopf gepackt,
Den Nacken ihm gebeugt, und hielte leicht
Ixions Rad mit einem Finger an.
Ihr Antlitz war so breit wie memphischer Sphinx
Verschwiegnes Angesicht, in das Gelehrte
Um Kunde von Egypten prüfend blickten.
Doch oh, wie wenig marmorn dies Gesicht!
Wie schön, wenn nicht der Kummer es verstände,
Noch schöner als selbst Schönheit auszusehn!
Ein angstvoll Lauschen lag in ihrem Blick,
Als habe Unheil eben erst begonnen;
Als hätten erste Wolken böser Tage
Ihr Übel ausgespien und jetzt ergrolle,
Schwer voll von Donner, neues Leidgeschick.
Die eine Hand lag fest auf jener Stelle,
Wo Menschenherz in Schmerz zu schlagen pflegt,
Als fühle dort auch sie die herbste Pein,
Sie, die unsterblich doch und göttlich war;
Die andre um Saturns gebeugten Nacken
Geschmiegt, so bog sie sich zu seinem Ohr
Und sprach mit ernster voller Orgelstimme
Die Trauerworte, die in unsrer Sprache –
Wie kraftlos, ach, verglichen mit den Lauten
Der frühen Götter! – dies bedeutet hätten:

»Saturn, blick auf! – Wozu jedoch, du Armer?
Ich habe keinen Trost für dich, nicht einen!
Ich kann nicht sagen: o, was schläfst du doch?
Denn Himmel ist von dir getrennt, und Erde
Kann dich Gebeugten nicht als Gott erkennen;
Und Ozean mit seinem Wogenbrausen
Entwand sich deinem Szepter, und die Luft
Ist leer von deiner greisen Majestät.
Dein Donner, neuer Herrschaft untertan,
Umdröhnt nur zögernd dein gestürztes Haus.
Dein scharfer Blitz in ungeübten Händen
Zerstört das einst so selig heitere Reich.
O Schmerz! O Augenblicke groß wie Jahre!
Ihr rollt vorbei und schwellt die ungeheure
Grausame Wahrheit aus und preßt sie schwer
Auf unsern müden Gram, daß Selbstbetrug
Nicht einen Atemzug mehr wagen kann. –
Saturn, schlaf fort! – O wie gedankenlos
Verletzt' ich Schlummer dir und Einsamkeit.
Warum den schwermutvollen Blick dir öffnen?
Saturn, schlaf fort! Ich weine dir zu Füßen.«

Wie wenn in tief entrückter Sommernacht
Die grünberockten Ratsherrn mächtiger Wälder,
Die hohen Eichen, von den ernsten Sternen
In Bann gezaubert, träumen und die Nacht,
Die ganze Nacht so reglos weiter träumen,
Nur dann und wann von Windstoß wachgeschaukelt,
Der sachte in das Schweigen stößt und stirbt,
Als ebbe hoch in Luft nur eine Woge,
So kamen, gingen diese Tränenworte.
Sie bog die schöne breite Stirn zu Boden,
So daß ihr Haar, ein sanfter seidner Teppich,
Saturn zu Füßen ausgebreitet lag. –
Ein Mond war mählich wechselnd hingegangen,
Und reglos ruhten immer noch die beiden,
Wie Steingebild in domgewölbter Grotte:
Der Gott erstarrt am kalten Boden kauernd,
Die Göttin tränenvoll zu seinen Füßen –
Bis nun Saturn den welken Blick erhob
Und sah, sein Königreich war fort, und sah
Das Dunkel und die Trauer dieses Ortes
Und jene schöne Göttin knien und sprach,
Indem sein Bart wie Espenlaub erbebte,
Mit schwerer, wie von Gram gelähmter Zunge:
»O Thea, sanft Gemahl Hyperions,
Ich fühl dich mehr, als ich dein Antlitz sehe;
Blick auf und laß mich unser Schicksal lesen,
Blick auf und sprich, ob dieser schwache Leib
Saturn noch ist, ob diese leere Stimme
Saturn noch ist, ob diese Runzelstirne,
So nackt und ihres Diadems beraubt,
Saturnens Stirne gleicht? Wer hatte Macht,
Mich arm zu machen? Woher kam die Kraft,
Wer nährte sie zu so gewaltgem Sturm,
Da Schicksal doch in meiner sehnigen Faust
Gefesselt schien? Doch ach, es ist geschehen,
Ich bin gestürzt und grabesfern dem Wirken
Der Göttlichkeit, der gütigen Gewalt
Auf bleiche Sterne und auf Wind und Meer,
Dem sanften Segen über Saat und Ernte
Und allem Tun, darein erhabne Gottheit
Ihr Herz voll Liebe gießt. – Dem eignen Busen
Bin ich entflohn und ließ mein wahres Selbst,
Mein bessres Ich wohl irgendwo am Thron
Und hier am Boden liegen. Thea such!
Tu auf den ewigen Blick und schick ihn rund
In alle Weiten, weit in Sternenraum,
Der lichtverlassen, weit in leere Luft
Und weit in Feuerschlund und Höllengähnen. –
Such, Thea, such! Und sag mir, ob du nicht
Ein seltsam schattenhaftes Wesen schaust,
Das hoch auf Flügeln oder Feuerwagen
Sich Wege bahnt, um Himmel zu erobern,
Die unlängst es verlor: es muß, es muß
Ans Ziel hinauf – Saturn muß König sein!
Ja, kommen muß ein herrlich goldner Sieg;
Gestürzte Götter und Trompetenblasen,
Triumphgetön und helle Festgesänge
Auf goldnen Wolken hoch in Herrscherhöhn,
Verkündungsruf und silbersanftes Rühren
Von Saitenspiel; und vielfach schöne Dinge
Will neu ich schaffen: Lust den Himmelskindern
Und Überraschung! Auf! Befehlen will ich!
O Thea! Thea! Sag, wo ist Saturn?«

Dies Feuer riß ihn auf. Er stand und drohte
Mit Fäusten in die Luft. Aus Götterlocken,
Die flogen, troff der Schweiß; in seinen Augen
Lag Fieberglut, und seine Stimme brach.
Er stand und hörte Theas Seufzen nicht.
Nur kurze Zeit, und dann entstürmte neu
Sein Zorneswort: – »Kann ich nicht Schöpfer sein?
Kann ich nicht formen? Eine zweite Welt,
Ein ander Universum auferwecken,
Das dieses stürzt und ganz zu nichts zermalmt?
Wo ist ein andres Chaos? – Wo?« Dies Wort
Schwang aufwärts zum Olymp und ließ erbeben
Die drei Rebellen. – Thea sprang empor,
Und Hoffnung schien ihr Wesen zu beleben,
Als sie nun schnell, doch ehrfurchtsvoll, begann:

»Dies bringt den Unsern Mut! Komm zu den Freunden,
Saturn! Komm fort und sprich den Armen Trost.
Ich kenne ihr Versteck, ich kam von dort.«
Nur dies. Beschwörend brannten ihre Blicke,
Indem sie rückwärts fort ins Dunkel schritt.
Er folgte, und sie wandte sich voran
Durch altes Dickicht, das wie Nebel wich,
Wenn Adler ihn, vom Horste fliegend, teilen.

In andern Reichen flossen währenddessen
Noch schmerzlicher die schweren Leidenstränen,
Und Gram war größer, als des Menschen Wort,
Als Spruch und Feder wiedergeben können.
Titanen, die in Schmach und Fessel lagen,
Verlangten nach der alten Lehnspflicht heim
Und lauschten leidvoll, ob Saturn nicht rufe.
Nur einer aus der Mammuthbrut bewahrte
Noch Überlegenheit und Zucht und Größe.
Hyperion, der Lodernde, saß noch
Auf seiner Feuerkugel, tief umduftet
Vom Weihrauch, den zum Sonnengott empor
Die Menschen schickten, – Unruh doch im Herzen.
Denn wie uns Erdenvolk ein düstres Omen
Verwirrt und schreckt, so schauderte auch er –
Nicht über Hundelaut und Eulenschrei,
Noch über Spuk beim Klang des Totenglöckchens,
Noch über Lampenlied um Mitternacht –
Viel stärker ist das Graun, das Riesen schreckt
Und das Hyperion erbeben machte.
Sein strahlender Palast, von Pyramiden
Durchglühten Golds umwogt und mild beschattet
Von bronznen Obelisken, glomm wie Blut
Durch all die tausend Höfe, Bogen, Hallen,
Und jeder Vorhang morgenroter Wolken
Erglühte bös, und breite Adlerschwingen,
Wie Götter nicht noch Menschen je sie sahn,
Verdunkelten den Ort; und Rossewiehern,
Wie Götter nicht noch Menschen je gehört,
Ertönte, und die würzigen Weihrauchwellen,
Die heilige Hügel aufwärtsdampften, schmeckten
Des Gottes weitem Gaumen garnicht süß,
So beißend scharf vielmehr wie giftiges Erz.
So kam es, daß der Gott, wenn schläfrig müde
Im Westen er nach klaren Tages Schluß
Zu sanfter Ruh in Armen von Musik
Auf hochgehäuften Kissen Zuflucht nahm,
Die Stunden, die ihm Schlummer bringen sollten,
Mit riesigem Schritt von Saal zu Saal durchwachte;
Indeß in tiefen Winkeln weiter Hallen
In dichten Gruppen seine Treuen standen,
Erschreckte, angstverwirrte Flügelgeister, –
Gleich Menschen, die zu atemlosen Haufen
Zusammenrennen, wenn die Erde bebt
Und Turm und Häuser durcheinanderrüttelt.
Jetzt, als Saturn, aus eisiger Starrsucht wach,
Mit Thea Schritt für Schritt durch Wälder nahte,
Kam schräg herab auf Westens goldne Schwelle
Hyperion, das Zwielicht hinter sich.
Wie stets, so flog nun des Palastes Tor
In sanftem Schweigen auf, nur Feierflöten,
Die Zephir bliesen, gaben heilig süß
Und hingehaucht gemessne Melodien.
Und rosengleich in Farbe, Form und Duft,
Das Auge kühlend, stand in Pracht erschlossen,
Dem Gotte Einlaß bietend, dieses Tor
Zu aller hehren Himmelsherrlichkeit.

Er überschritt die Schwelle, doch in Zorn:
Sein Kleid goß Flammen hinter seinen Füßen
Und gab ein Brausen, wie von Feuersbrunst,
Daß all die ätherzarten Stunden flohn,
Erschreckt wie Taubenflug. Und weiter flammte
Von hohem Säulengang zu Saal und Saal,
Durch Bogenhallen voll verhülltem Glanz
Und lange lichte Diamant-Arkaden
Der Gott bis hin zur ungeheuren Kuppel.
Dort stand er feurig still und stampfte auf,
Daß tief vom Fundament zu höchsten Türmen
Sein goldnes Reich erbebte; und bevor
Das Donnerrollen noch geendet hatte,
Brach, göttlicher Beherrschung müd, sein Schmerz
In diesem Ruf: O Träume Tag und Nacht!
O Graungestalten, Bilder ihr von Leid!
Geschäftige Geister durch die kalte Nacht!
Langohrige Gespenster schwarzer Sümpfe!
Was kenn ich euch? Was sah ich euch? Warum
Ist so zerstört mein ewiges Dasein, daß
Ich neu und immer neu die Schrecken sehe?
Saturn sank hin, soll dies auch mir geschehn?
Soll ich den Hafen meiner Ruh verlassen,
Die Wiege meiner Pracht, dies sanfte Reich,
Den stillen Glanz des segensvollen Lichtes,
Krystallne Pavillons und reine Tempel
All meiner Herrscherherrlichkeit? Nun liegt
Mein Zufluchtsort vereinsamt, leer und tot;
Die Helle, Freudigkeit und Symmetrie –
Ich seh sie nicht – nur Dunkel, Tod und Dunkel.
Selbst hier ins Tiefste meiner Schlummerhallen
Sind düstre Visionen eingedrungen,
Um meine Macht zu kränken und zu stürzen. –
Zu stürzen? – Nein, bei Tellus' salzigem Kleid!
Hervor aus Feuergrenzen meines Reichs
Will furchtbar dräuend rechten Arm ich recken
Und den Rebellen Jupiter vernichten,
Den knabenhaften Donnrer, und Saturn,
Den Greis, von neuem auf den Thron erheben.« –
Er sprach, verstummte; denn noch schlimmres Drohn
Würgt' ihn im Hals, doch wagte sich nicht vor.
Denn wie ein Lärm, je mehr man Ruhe fordert,
Sich durchs Theater weiterpflanzt, so regten
Beim Wort Hyperions sich die bleichen Schatten
Wohl dreifach grauenvoll und dreifach kalt.
Und von der Spiegelfläche, wo er stand,
Stieg Nebel auf wie Schaum von glattem Sumpf.
Da kroch ein wilder Schmerz durch seinen Leib,
Von Fuß zu Kopf, wie muskelstarke Schlange,
Die sich geschmeidig windet, Kopf und Nacken
In Krampf erstarrt. Erlöst entfloh er dann
Zum Tor des Ostens; und sechs volle Stunden
Eh Dämmrung ein Erröten schuldig war,
blies an verschlafnes Tor sein heißer Atem,
Blies schwere Dünste fort und warf sie weit
Auf Meeres eisige Strömungen hinaus.
Die Feuerkugel, die ihn jeden Tag
Von Ost nach West durch alle Himmel trug,
Flog wirbelnd hinter schwarzen Wolkenschleiern;
Doch darum nicht verschleiert und verborgen,
Denn oft erglommen Kreise und Koluren
Und flochten in das milde Dunkel Blitze
Tief vom Nadir bis aufwärts zum Zenith –
Uralte Hieroglyphen, die die weisen
Sterndeuter jener Erdenzeiten lasen
Und durch Jahrhunderte erobert hatten –
Verloren nun, bis auf die wenigen Zeichen
Auf alten Steinen oder Marmortafeln,
Ihr Sinn nicht faßbar, ihre Weisheit fort. –
Zwei breite Silberschwingen trug die Kugel,
Zwei Flügel ihrer Pracht und Herrlichkeit,
Die bei des Gottes Nahn verzückt erbebten.
Jetzt spreiteten sich vor aus Dämmerdunkel
Die riesigen Federn, eine nach der andern,
Bis alle flugbereit gebreitet lagen.
Noch immer aber schwamm der Ball in Dunkel,
Hyperions Befehl entgegenbebend.
Gern hätte er befohlen, gern den Thron
Bestiegen und den Tag beginnen lassen –
Er durfte nicht – er, der Urgötter einer –
Weh dem, der heiligen Zeitenlauf verrückt!
So hielt das Morgenweben zögernd inne
Und harrte, wie es hier beschrieben steht.
Die Silberschwingen schwammen schwesterlich,
Des Flügelschlags begierig. Hohe Tore
Enthüllten offen weite Nachtbereiche.
Und der Titan, in Weh und Wahnsinn bebend,
Dem Beugen ungewohnt, er beugte nun
Den Sorgen dieser Zeit die starre Seele.
Und weit entlang auf grausen Wolkenrücken,
An schmalem Grenzgebiet von Nacht und Tag,
Streckt er in Gram und matten Glanz sich hin.
Als so er lag, sah Himmel mit den Sternen
Mitleidig nieder, und aus Weltallräumen
Drang Coelus' Stimme leis und ernst zu ihm:
»O hellstes meiner lieben Kinder du,
Den Himmel zeugte, Erde mir gebar,
Sohn von Geheimnissen, selbst denen dunkel,
Die dich geschaffen: seltsam süße Freuden
Und Herzgefühle, die mir Wunder waren,
Mich, Coelus, wunderten, woher sie kamen.
Und Wunder waren dieser Freuden Früchte,
Klar sichtbare und göttliche Symbole,
Wie Offenbarung jenes schönsten Lebens,
Das ungesehn durch ewige Weiten strömt:
Von diesen Neugeschaffnen bist auch du,
Sind jene Göttinnen und deine Brüder!
Doch wehe! Streit ist unter euch, Empörung
Des Sohnes gegen seinen Herrn. Ich sah,
Sah meinen Ältesten vom Throne sinken!
Zu mir reckt' er die Arme, sandte Rufe
Hervor aus Donnersturm, der ihn umtost.
Erbleichend barg ich mein Gesicht in Wolken.
Droht solch Geschick auch dir? Dies ängstet mich,
Denn wenig göttlich seh ich meine Söhne.
Als Götter wurdet ihr erschaffen; göttlich,
In Würde, himmelhehr und ungestört
Gleich hohen Göttern lebtet, herrschtet ihr.
Jetzt seh ich Furcht in euch und Leid und Hoffen,
Und Wut und Leidenschaft durchtoben euch,
Als wärt ihr nichts denn niedre Staubgeborne
Und Todessöhne. – Dies ist Leid, o Sohn!
Verfall und Angst und Sturz! Doch ringe du,
Der du, ein wahrer Gott, dich regen kannst
Und jeder bösen Stunde Körperkraft
Und Wesenheit entgegensetzen kannst.
Ich selbst bin nichts als Stimme, und mein Leben
Ist Leben nur von Strömungen und Stille,
Nur Strömungen und Stille dienen mir. –
Du aber kannst!– So sei ein kühner Kämpfer,
Ja, halt des Feindes Pfeile auf, bevor
Die straffe Sehne summt. – Hinab zur Erde!
Dort findest du Saturn und seine Klagen.
Ich will indessen deine helle Sonne
Und deiner Zeiten rechten Lauf behüten.« –
Eh halb dies Weltgeflüster niederkam,
War auf Hyperion; die gebogenen Lider
Zu Sternen hochgerichtet, horchte er,
Bis Stille ward. Und schaute immer noch
Und noch hinauf in feierliche Sterne.
Dann, wie der Taucher taucht in Perlenmeere,
Bog sachte er die breite Brust nach vorn
Und stieß von luftiger Küste weit hinab
Und tauchte lautlos unter in die Nacht.

Zweites Buch

Derselbe Flügelschlag der Zeit, der sachte
Hyperion durch bewegte Lüfte trug,
Ließ Thea mit Saturn den Ort erreichen,
Wo Cybele und die Titanen murrten.
Kein Lichtschein konnte ihre Tränen treffen
In jener Höhle, wo sein eignes Grollen
Ein Jeder fühlte, doch nicht hören konnte;
Denn donnernd brüllten nahe Wasserstürze
Und gossen ewig neue Mengen aus.
Block griff empor zu Block, und Felsen schienen
Wie aufgeschreckt aus langem fernem Schlaf
Eng Stirn an Stirn und Horn an Horn zu pressen
Und schufen so in tausend Traumgebilden
Dem Klagenest ein seltsam düstres Dach.
Sie saßen nicht auf Thronen; harter Kiesel
Und zottiger Stein und spitzer Schiefergrat,
Den Eisen härtete, gab ihnen Lager.
Nicht alle waren da, denn manche rangen
In Kettenbanden, manche schweiften weit.
Coeus und Gyges und Briareus,
Typhon und Dolor und Porphyrion
Und viele mehr, die Sehnigsten im Kampfe,
Sie waren eingepfercht zu Not und Mühn,
In dunkle Elemente eingekerkert,
Wo sich verbissner Mund nicht öffnen durfte
Und festgeschlossne Glieder reglos drohten,
Gepreßt, gekrampft, wie Adern von Metall.
Nur ihre großen Herzen keuchten Qual
Und pulsten fiebernd auf in blutiger Not.
Es schweifte Mnemosyne durch die Welt
Und Phoebe weilte ihrem Monde fern.
Und viele andre waren frei zu wandern –
Die meisten aber suchten hier den Schutz.
Wie leblos lagen sie: Druidenblöcke,
Die auf verlassnem Moor in Runde stehn
Wenn Abend dunkelt und der kühle Regen,
Novemberregen fällt in ihre Gruft,
Der Himmel selbst in Nacht erblindet ist.
Verschlossen lag ein Jeder, gab dem Nächsten
Nicht Wort noch Blick, noch Zeichen der Verzweiflung.
Creus war einer; mächtiger Eisenhammer
Lag neben ihm, und ein zersprungner Fels
Gab Bild von seiner Wut, eh daß er sank.
Iäpetus ein andrer. Seine Faust
Umspannte schleimigen Schlangenhals; gespalten
Quoll aus der Gurgel gierig lange Zunge,
Und steif und tot lag sie und nicht gerollt
Und konnte dem Erobrer Jupiter
Nun nicht ihr Gift ins kecke Auge spritzen.
Dann Cottus, auf der Erde das Gesicht,
Kinn aufgereckt als wie in Schmerz, denn noch
Schlug er den Schädel wütend an den Stein
Mit offnem Mund und furchtbar wilden Blicken.
Nächst ihm Asia. Caf, die ungeheure,
Gebar sie, die, ein Weib, der Mutter Tellus
Mehr Weh gemacht als einer ihrer Söhne.
Nicht Leid, – Verträumtheit lag in ihrem Blick,
Denn Ruhm und Ehre ahnte sie voraus.
Vor ihren weiten Seheraugen standen
Palmschattige Tempel, ragende Altäre,
Am Oxus und auf heiligen Gangesinseln.
Wie Hoffnung sich auf ihren Anker stützt,
Doch nicht so schön, so lehnte sie am Stoßzahn,
Der ihrem größten Elefant genommen.
Auf zackigem Klippenrande über ihr,
Den Arm gestützt und lang am Boden liegend,
Düstrer Enceladus; einst zahm und mild,
Wie friedlich grasend Rind auf grüner Wiese,
Jetzt tigerwild und löwenlauernd, plante
Und raste er und warf Felsblöcke auf
In jenen Kampf, daß scheu die jungen Götter
In Tiergestalt sich zu verbergen suchten.
Nicht ferne Atlas; neben ihn gestreckt
Lag Phorkus, der Gorgonen Herr. Und enge
Beisammen Thetis und Oceanus.
In Thetis Schoß gebettet lag Clymene
Und schluchzte ruhlos in ihr schönes Haar.
Inmitten aller Themis, eng zu Füßen
Von Ops, der Königin, die ganz umwölkt,
Den Blicken unsichtbar – noch mehr, als wenn
Aus Wolken und aus Fichtenwipfeln Nacht
Ein Ganzes macht – und viele andre noch.
Ihr Name sei verschwiegen, denn wenn Muse
Die Schwingen hebt, wer hindert ihren Flug?
Und von Saturn und seiner Führerin
Muß nun sie singen, die mit nassem Fuß
Aus Tiefen kamen, die noch grauenvoller.
Ob düstern Felsen ragte beider Haupt,
Und die Gestalten wuchsen, bis ihr Schritt
Auf ebnem Boden endlich Ruhe fand.
Da reckte Thea bebend ihre Arme
Hin über dieses Nest des großen Leids
Und seitwärts sah sie in Saturns Gesicht:
Hier flammte harter Kampf. Der große Gott
Rang schwer mit Gram und Schwäche, Furcht und Wut,
Besorgnis, Mitleid, Reue und Verzweiflung.
Vergeblich stritt er gegen diese Plagen,
Denn Schicksal hatte tödlich schwächend Gift
Ihm übers Haupt gegossen, so daß Thea
Erschreckt zur Seite wich und ihn als ersten
Eintreten ließ zu der gefallnen Horde.
Wie Sterblichen das schwerbeladne Herz
Noch mehr in bangem Druck und Qualen fiebert,
Wenn es dem trauervollen Haus sich nähert,
Wo andre Herzen gleicher Schmerz gebrochen,
Befiel Saturn, der zu den andern trat,
Ein Ohnmachtweh, das fast ihn niederwarf.
Da aber traf sein Blick Enceladus,
Des Auge machtvoll, doch in Ehrfurcht flammte
Und alle Kräfte hob; und laut erscholl
Sein Wort: »Titanen, blickt auf euren Gott!«
Da grollten manche Antwort, manche sprangen
Erwacht empor, und manche schrien laut.
Und manche weinten, andre klagten schwer,
Und alle neigten sich in Ehrerbietung.
Und Ops hob ihren schwarzen Schleier auf,
Ließ bleiche Wangen, müde Stirne sehn,
Schwarzdünne Augenbraun und hohle Augen. –
Ein Raunen weht durch kalte Fichtenstämme,
Wenn Winter seine Stimme hebt; ein Raunen
Durcheilt die Ewigen, wenn ein Gott den Finger
Verwarnend hebt, zum Zeichen, daß ihm nun
Die volle Wucht urmächtiger Gedanken
Mit Donner und Musik vom Munde komme.
Solch Raunen ist wie Rauschen kalter Fichten,
Dem, wenn es in der Bergeswelt verstummt,
Kein andrer Laut mehr folgt. Doch hier bei diesen
Gefallnen hob Saturnens Wort sich nun
Wie Orgel, die ihr Tönen neu beginnt,
Wenn andre Harmonien, schnell verstummt,
Die Luft in Schwingungen zurückgelassen.
So hob es an: – »Nicht in der eignen Brust,
Die selbst ihr Richter und Erforscher ist,
Find ich den Grund, weshalb ihr also seid;
Nicht in Legenden von urerstem Tage
Aus jenem Buch, drin Weisheit jedes Blatt,
Das sterniger Uranus mit hellem Finger
Vom Meeresstrand der Finsternis gerettet,
Da Ebbewogen es in Dunkel bargen,
Aus jenem Buch, das immer, wie ihr wißt,
Als sichre Fußbank mir gedient: – wahrhaftig,
Nicht dort und nicht in Zeichen noch Symbol,
Noch Warnungsbild in Erde, Wasser, Luft
Und Feuer, Krieg und Frieden oder Streit
Des einen Elementes gegen andres,
Noch auch im Streit von dreien oder allen,
Noch auch wenn eines gegen dreie steht,
Wenn Luft und Feuer miteinander zanken,
Wenn Regen sie in Wasserflut ertränkt
Und beide ans Gesicht der Erde preßt,
Wo, Schwefel findend, vierfach Ungestüm
Das arme Weltall aus den Angeln hebt;
In jenem Kampfe nicht, aus dem ich Kunde
Seltsamer Weisheit tief verstehend lese,
Find ich den Grund, weshalb ihr also seid.
Enträtseln kann ich nicht – wie sehr ich suche
Im ungeheuren Buche der Natur,
Bis Schwindel mich erfaßt – weshalb ihr Götter,
Ihr Erstgebornen von Gestalt und Form,
Euch beugen solltet unter eine Macht,
Die, euch verglichen, nur erbärmlich ist.
Da seid ihr dennoch! Überwunden, siech,
Verachtet und geschlagen seid ihr hier!
Titanen! soll ich sagen: Auf! – Ihr grollt.
Ich sage: Nieder! – Ah, ihr grollt! – Was also?
O weiter Himmel, lieber ferner Vater!
Was kann ich? Sagt mir, all ihr hehren Brüder,
Wie kämpfen wir, wie formen wir die Schlacht?
O sprecht jetzt Rat! Saturnens Ohr verlangt
Nach euerm Wort. Oceanus, nun rede,
Du grübelst tief, und staunend sieht mein Auge
In deinem Antlitz jenen sanften Ernst,
Den klares Denken breitet. Gib uns Hilfe!«

So endete Saturn. Der Gott der Meere,
Sophist und Weiser, zwar nicht von Athen,
Vielmehr ein Denker tief in Wassergrotten,
Stand auf, mit trocknen Locken, und begann
In schweren Lauten, die wie Brandung brausten:
»O ihr, die Wut verzehrt, die Leid zermartert!
Die ihr Vernichtung fürchtend Kummer pflegt!
Verschließt die Sinne, schließet eure Ohren,
Mein Wort ist nicht wie Blasebalg für Zorn.
Doch die ihr wollt, hört zu, wie ich beweise,
Daß ihr zu beugen euch gezwungen seid.
Und viel an Tröstung bietet mein Beweis,
Wenn wir des Trostes Wahrheit ganz erfassen.
Naturgesetz ist Ursach unsres Sturzes,
Nicht Jupiter und auch nicht Donnerkraft.
Saturn, erhabner Gott, wohl forschtest du
In jede Einzelheit dem Weltall nach,
Doch weil du König bist, warst du auch blind
Aus Überlegenheit, und eine Straße
War deinem Blick verborgen, eine Straße,
Auf der ich selbst zur ewigen Wahrheit kam.
Und höre erstens: wie du nicht die erste
Der Mächte warst, bist du auch nicht die letzte;
Du bist der Anfang nicht und nicht das Ende.
Aus Dunkelheit und Chaos kam das Licht,
Aus jenen Früchten innerlichen Aufruhrs,
Der finstern Gärung, die zu fernen Zielen
Hinreifte. Und die reife Stunde kam,
Und mit ihr Licht und Licht, das mit dem eignen
Erzeuger weiter zeugte und fortan
Ins Leben rief unendliche Materie.
Seit jener Stunde ward es offenbar,
Daß Erd und Himmel nah Verwandte sind.
Denn du, der Erstgeborene, und wir, die Riesen,
Regierten neue schöne Reiche nun.
Jetzt kommt der Wahrheit Schmerz – wenn's Schmerz bedeutet.
O Narrheit! Denn die nackte Wahrheit tragen
Und dem Ereignis still ins Antlitz sehn,
Das ist die höchste Hoheit. Merket wohl!
Wie Erd und Himmel viel, viel schöner sind,
Als Dunkelheit und Chaos, und wie wir
Dem Himmel und der Erde weit entragen,
In Wuchs und in Gestaltung fest und schön,
In Willen, Tun und Kameradschaft frei,
Und tausend andern Zeichen reinen Lebens,
So folgt Vollkommneres uns auf dem Fuße,
In Schönheit stärker und von uns geboren,
Bestimmt, emporzuwachsen über uns,
Wie wir das alte Dunkel überragen.
Und mehr nicht sind von ihnen wir besiegt,
Als einst durch uns das formenlose Chaos.
Sagt, streitet denn die träge Erde mit
Den stolzen Wäldern, die sie großgefüttert
Und heut noch füttert – besser als sich selbst?
Kann sie die Hoheit grüner Haine leugnen?
Und soll der Baum die Taube wohl beneiden,
Weil sie mit weißen Schwingen wandern kann,
Wohin sie will, und gurren kann in Lust?
Wir sind so Waldesbäume. Unsre Knospen,
Sie sprangen auf; doch keine bleichen Tauben,
Nein, goldne Adler brachten sie zur Welt,
Die über uns in heller Schönheit schweben
Und darum herrschen müssen; denn Gesetz
Ist dieses: Schönstem sei die Macht! Wahrhaftig!
Durch dies Gesetz mag späteres Geschlecht
Die Sieger über uns in Nöte bringen.
Habt ihr den jungen Meeresgott gesehn?
Ihn, der mich stürzte? Saht ihr sein Gesicht?
Den Wagen, den durch Schaum und Wogen zogen
Beschwingte Wesen, die er selbst sich schuf?
Ich sah ihn durch die sanften Wasser gleiten,
Mit solchem Schönheitsglanz in seinen Augen,
Daß ich von meinem Reiche Abschied nahm,
In Trauer schied und hierher kam, zu sehen,
Wie Schmerzgeschick euch drückte und wie Trost
Ich fände für dies furchtbar große Weh.
Nehmt hin die Wahrheit, laßt sie Balsam sein.«

Ob sie, als nun Oceanus geendet,
Das Schweigen wahrten aus Ergriffenheit,
Aus Hochmut, kann kein tiefstes Denken wissen.
Doch war es so: nicht einer schenkte Antwort;
Nur sie, die Unbeachtetste, Clymene.
Doch kein Entgegnen war's, nur sanfte Klage
Mit Fiebermund und tränenmildem Blick,
Die schüchtern in der andern Grimm sich wagte:
»O Vater, ich bin hier die schwächste Stimme,
Und all mein Wissen ist, daß Lust entfloh
Und dieses Leid in unsre Herzen kroch,
Für immer dort zu bleiben, wie ich fürchte.
Ich würde nicht von Unglück prophezeihn,
Dächt' ich, ein arm Geschöpf wie ich vermöchte
Die Hilfe abzuwenden, die nach Recht
Uns kommen sollte von den höchsten Göttern.
Doch laß mich meinen Kummer sagen, – sagen,
Wovon ich hörte, was mich weinen machte,
Mir Wissen gab, daß alle Hoffnung fern.
Ich stand an einem anmutvollen Ufer,
Wo süßer Atem einer Gegend wehte,
Die Duft und Ruhe, Baum und Blumen hatte,
Voll stiller Freude war, wie ich voll Leid, –
Zu voll von Lust und selig sanfter Wärme,
Sodaß mein Herz Verlangen trug zu schelten
Und jene Einsamkeit mit Klageliedern,
Mit Sang von unsren Schmerzen tief zu schmähn.
Ich setzte mich und nahm geklaffte Muschel
Und sprach hinein und machte Melodie –
O Melodie nie mehr! Denn als ich sang
Und wenig kunstvoll in die Lüfte blies
Der dumpfen Muschel Echo, kam von drüben,
Von grünbebuschtem Inselland im Meer,
Ein Zauber mit den Winden hergetrieben,
Der mich betäubte und doch wach erhielt.
Ich warf die Muschel fort in Sand, und Flut
Verschlang sie, wie mein Sinn verschlungen ward
Von jener neuen goldnen Melodie.
Lebendiger Tod erfüllte diese Klänge
Und jeden Ton und wonnigen Akkord,
Der eilig lief, in neuen Klang verschmolz,
Wie Perlentropfen, die von Fäden fallen.
Und immer wieder folgten andre Töne –
Wie Tauben, die den Ölbaumzweig verlassen,
Musik statt Federn in den leichten Schwingen –
Mich zu umflattern und mich krank zu machen
Mit Lust und Leid in einem Atemzug!
Leid überwog. Ich hielt die Ohren zu,
Doch trotz des Schutzes angstverwirrter Hände
Kam ach wie süße Stimme zu mir her,
Viel süßer noch als Sang erklang's: »Apollo!
Apollo, jung und morgenhell und jung!«
O Vater und o Brüder, hättet ihr
Gefühlt, was ich da litt, hätt'st du's, Saturn,
Gefühlt, ihr würdet den demütigen Mund
Nicht schelten, daß er sucht, gehört zu werden.«

So floß ihr Wort dahin wie schüchtern Bächlein,
Das sachte sich durch Kieselufer schlängelt
Und die Begegnung mit dem Meere fürchtet.
Doch Meer-Begegnung kam und ließ es schaudern:
Gewaltig hob Enceladus die Stimme
Und schlang es ein in Wut. Die Silben rollten
Gleich dumpfen Wogen in durchspülten Höhlen
Der Klippenfelsen tosend ihm vom Mund,
Indes er lässig aufgestützt in Trotz
Noch immer lang auf Felsenplatte lag:
»Wem schenken wir Gehör – dem überweisen,
Dem überdummen dieser Riesen, Götter?
Nicht Donnerschlag auf Donnerschlag, bis jener
Rebell sein Waffenzeug verschleudert hätte,
Nicht Welt um Welt auf meinen Schultern könnte
Mich bittrer peinigen als Kinderworte
In Not und Jammer dieses Schreckensturzes.
So sprecht doch, brüllt, ihr schläfrigen Titanen!
Vergaßt die Schläge ihr, den frechen Stoß?
Hat nicht ein Jünglingsarm euch umgeworfen?
Vergißt du, Herr der Wogen, deinen Sturm? –
Ha! Hab ich mit so wenig schlichten Worten
Schon euern Groll geweckt? O Freude, Freude!
Jetzt seh ich, daß ihr nicht verloren seid.
Jetzt seh ich tausend Augen Rache glühen!«
Als er das sagte, stand er ragend auf,
Und ungehindert fuhr er also fort:
»Jetzt, da ihr Flamme seid, will ich euch lehren,
Der Feinde Äther gründlich durchzuläutern,
Des Feuers Zackenstachel recht zu lenken
Und Jupiters Gewölke wegzusengen,
Den Schwachen in sein Zelt zurückzuscheuchen.
O laßt ihn fühlen, was er Übles tat!
Veracht' ich gleich Oceanus' Gerede,
Trag ich doch Leid um mehr als nur Verlust
Von Reichen. Fort ist Friede, fort die Ruhe
Stillsanfter Tage, denen Kämpfe fremd,
Da jede schöne Wesenheit des Himmels
Mit offnen Augen nahte, um zu lauschen.
Das war, eh unsre Stirn das Runzeln lernte,
Eh unsre Lippen andre Laute kannten
Als feierlichen Klang; war, eh wir wußten,
Daß Sieg, dies Flügelding, verloren gehn,
Gewonnen werden könne. Und bedenkt,
Hyperion, strahlendster von unsern Brüdern,
Er ist noch ungekränkt – Hyperion, oh!
Sein Strahl, sein Glanz und Strahl ist hier bei uns!«

Sie blickten alle auf Enceladus
Und sahn, indes von seinen Lippen noch
Hyperions Name an die Felsen hallte,
Ein blasses Leuchten auf den strengen Zügen,
Die nicht mehr wild; sah er doch manchen Gott
Gleich ihm in Glut. Er blickte auf sie alle
Und fand in jedem Antlitz hell ein Licht;
Und leuchtender als alle stand Saturn,
Die greisen Locken schimmerten wie Schaum
Um blanken Kiel, der nachts den Hafen sucht.
In silberblassem Schweigen harrten sie,
Bis morgenhellster Glanz die steilen Hänge,
Die dunklen Klüfte der Vergessenheit
Und jede Schlucht und jede Felsenspalte
Und jede Höhe und erschreckte Tiefe,
Durch die mit heiserm Schrei sich Ströme quälten,
Und all die ewigwilden Katarakte
Und nah und fern die kopflos hastigen Bäche,
Zuvor in schweren Schatten eingedunkelt,
Mit grauenhafter Helligkeit durchdrang.
Es war Hyperion. – Ein granitner Gipfel
Bot seinen hellen Füßen Platz zur Ruhe.
Da stand er und beschaute Not und Jammer
Und Graun und Schauder, die sein Glanz enthüllt, –
Sein Haar wie Gold, numidisch kurze Locken,
Von königlicher Hoheit die Gestalt,
Die, riesiger Schatten, stand im eignen Licht
Wie Memnons Leib bei Sonnenuntergang,
Wenn ihm aus dunklem Ost ein Wandrer naht.
Auch Seufzer, trauervoll wie Memnons Klage,
Entflogen ihm; er preßte beide Hände
In Leid zusammen, mitten in dem Schweigen.
Verzagtheit faßte wiederum die Götter,
Als sie den Herrn des Tags so mutlos sahn,
Und viele wandten ihren Blick vom Licht.
Enceladus, der Feurige, doch sandte
Das glühe Auge zu den Brüdern hin.
Auf stand Iäpetus und Creus auch
Und Phorcus, und zusammen schritten sie
Zum Felsen hin, wo jener turmgleich ragte.
Dort riefen laut die vier Saturn bei Namen:
Hyperion rief vom Gipfel hell: »Saturn!«
Saturn saß nahe bei der Göttermutter,
In deren Antlitz keine Freude war,
Obgleich die Götter all aus dumpfen Kehlen
»Saturn!« und wieder diesen Namen riefen.

Drittes Buch

So tobten die Titanen bald in Aufruhr,
Bald sanken sie in stiller Trauer hin.
O laß sie, Muse! Laß sie ihrem Leid.
Zu zart bist du, solch Toben zu besingen.
Ein einsam Weh liegt deinen Lippen besser
Und schöner singst du Gram des Einzelnen.
O laß sie, Muse! Oft noch wirst an Ufern,
In Wildnis du gefallne Götter finden,
Die rastlos die verlornen Reiche suchen.
Doch rühre sanft die delphisch süße Harfe,
Und Himmelshauch nur darf das liebe Zwitschern
Dorischer Flöte lieblich unterstützen,
Denn sieh, dem Herrn der Dichtung gilt dein Lied.
Erröte alles, was die Röte kennt!
Du Rose, glühe Wärme in die Luft,
Du Abendrot, ihr morgenroten Wolken,
Umfließt in wonnigem Gelock die Höhn!
Der rote Wein im kühlen Silberbecher
Er brause auf, wie junger Sprudelquell;
Zartlippige Muscheln tief in Meereswogen
Und hoch am Strand, sie mögen Röte fühlen
Durch alle Gänge ihres Labyrinths,
Und Mädchen mögen glühen, wie geküßt!
O Delos, erste Insel der Cycladen,
O Freude deinen grünenden Oliven
Und Pappeln, Palmen über Wiesengründen
Und Buchen, deren Lied der Zephir wiegt,
Und Haselstauden, die in Schatten stehen!
Apoll ist wieder unser goldnes Thema!
Wo war er, als der Sonnenriese leuchtend
Das Leid der andern Götter überstrahlte?
Die schöne Mutter und die Zwillingsschwester
Ließ er in Schlaf im Laubengrund zurück
Und schritt im Morgenzwielicht durch die Weiden.
Maiglöckchen blühten hell um seinen Fuß
Am Bache hin. Die Nachtigall war stille,
Und letzte Sterne zögerten am Himmel.
Die Drossel sang gelassen. Weit und breit
Trug diese Insel Dickicht nicht noch Grotte,
Durch die nicht Murmellaut von Wasser rauschte.
Er lauschte, weinte, und die hellen Tränen
Durchtropften blitzend seine goldne Leier.
Er stand, die feuchten Augen halb geschlossen,
Da nahte unter niedern Zweigen her
Mit feierlichen Schritten eine Göttin,
Und sinnvoll lag auf ihm ihr tiefer Blick,
Den er befangen zu enträtseln suchte,
Indem er sanft und klingend zu ihr sprach:
»Wie kamst du über unwegbare Meere,
Doch wär es möglich, daß in diesen Hainen
Du seltsam Wesen unsichtbar gehaust?
Ja sicherlich, ich hörte diese Kleider,
Wenn ich allein in kühlen Wäldern lag,
Durch welke Blätter rauschen. Ja, ich fühlte
Der faltigen Gewänder sanfte Bogen
Durch Wiesen gleiten, sah die Blumen alle
Die Köpfe heben, als ihr Flüstern kam.
O Göttin! Dieser Augen ewige Ruhe,
Ich sah sie schon, sah dieses Antlitz schon –
Es sei denn, daß ich träumte.« »Ja,« sprach sie,
Die Himmlische, »du hast von mir geträumt
Und wachtest auf und sahst an deiner Seite
Die Leier ruhn, die ganz aus Golde war,
Mit Saiten, denen, wenn du sie berührtest,
Das ungeheure nimmermüde Ohr
Des ganzen Weltalls schmerzbeseligt lauschte,
Daß solch ein Tönewunder möglich war.
Wie sonderbar, daß du nun weinen solltest,
Der so begnadet ist! Erzähle, Jüngling,
Welch Sorgen fühlst du? Denn ich bin in Trauer
Um jede Träne, die du weinst: enthülle
Den Kummer einer, die auf dieser Insel
Die Stunden deines Schlafs und deiner Freude
Bewachte, von dem jungen Tage an,
Da deine Kinderhand gedankenlos
Die zarten Blumen pflückte, bis dein Arm
Für alle Zeit den Bogen spannen konnte.
Zeig einer altehrwürdigen Macht dein Herz,
Die heiligen Thronen nur um dich entsagte,
Der neugebornen Lieblichkeit zum Heil.«
Apollo dann, mit klaren Augen forschend,
Gab Antwort, und die liederreiche Kehle
Erbebte, als er sprach: »O Mnemosyne!
Dein Name kommt mir, weiß ich auch nicht wie.
Muß ich dir sagen, was so gut du siehst?
Muß ich zu zeigen suchen, was dein Mund
Enträtseln kann? Vergessenheit drückt dunkel
Und leidvoll auf mein Auge ihre Siegel.
Ich forsche nach, weshalb ich traurig bin,
Bis Schwermut alle meine Glieder lähmt.
Im Grase lieg ich dann und seufze tief
Wie einer, der einst Schwingen trug. – Warum
Fühl ich mich so erniedrigt, da die Luft
Doch meinen Schritten fügsam ist. Warum
Ist meinem Fuß verhaßt der grüne Rasen?
O selige Göttin! Zeige Unbekanntes:
Gibt's keinen andern Ort als diese Insel?
Was sind die Sterne? Und da ist die Sonne,
Die Sonne! Und des Monds geduldiger Glanz!
Und Tausende von Sternen! Zeig den Weg
Zu irgend einem einzig schönen Stern,
Und mit der Leier will ich in ihn flüchten,
Daß seine Silberpracht vor Wonne bebe.
Ich hörte wolkigen Donner. Wo ist Macht?
Wes Hand, wes Art, o welche Göttlichkeit
Schafft diesen Aufruhr in den Elementen,
Indes ich tatlos hier an Ufern lausche,
Unwissend, furchtlos, dennoch schmerzbewegt?
Einsame Göttin, sprich, bei deiner Harfe,
Die jeden Morgen, jeden Abend klagt,
Weshalb durchirr ich fassungslos die Haine?
Stumm bleibst du – stumm! Doch kann aus deinem Blick,
So stumm er ist, seltsame Lehr ich lesen.
Unendlich Wissen weckt in mir den Gott.
Namen, Ereignisse, Legenden, Taten,
Rebellen, Herrscher, Götterstimmen, Kampf,
Erweckung und Zerstörung, alles dies
Stürzt in die weiten Höhlen meines Hirns,
Macht einen Gott aus mir, als hätt' ich Wein,
Hätt' Trank getrunken, der unsterblich macht.«
So sprach der Gott, und seine Augen strahlten
Ihr zitternd Licht auf Mnemosyne hin.
Bald faßte ihn ein Beben, und Erröten
Durchglühte seinen himmlisch schönen Leib.
Es schien wie Kampf am schweren Tor des Todes,
Nein, mehr noch, als ob einer Abschied nehme
Von ewigem Tod und mit lebendigem Schmerz –
So heiß, wie Todesschmerzen eisig sind –
In wildem Krampf ins Leben sterbe. So
Durchbebte jung Apollo heiße Qual.
Sein Haar, die so berühmten goldnen Locken,
Umwogten seinen ungestümen Hals.
Und über seinen Kampf hielt Mnemosyne
Die Arme aufgereckt wie Seherin.
Da schrie Apollo auf – und seht, von seinen
Himmlischen Gliedern .............


 << zurück