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Isabella oder der Basilikumtopf

Schön Isabell wie eine Lilie rein!
Lorenzo einem jungen Palmbaum glich!
Des atemlosen Sehnens starre Pein,
Wenn sie einander sahn, sie jäh beschlich;
Doch durften sie einander nahe sein,
So war's als ob ein Alp von ihnen wich;
Und einsam, nachts, wenn sie einander fern,
Verband sie eines Traumes heller Stern.

Mit jedem Tag ward zärtlicher ihr Herz
Und zärtlicher und tiefer jede Nacht.
In Haus und Feld litt er der Liebe Schmerz,
Bis klar vor seinem Blick ihr Bild erwacht.
Und süßer schien sein Wort ihr als der Scherz
Des Windes, der in Blättern spielt und lacht;
Die Laute sang ihr seinen Namen nach,
Den ihre Nadel in die Seide stach.

Er wußte gut, wenn ihre zarte Hand,
Noch eh sie selbst erschien, die Tür berührt;
An ihrem Fenster hing sein Blick gebannt,
Bis er zu ihm ihr schönes Bild entführt;
Er sah zum Sternenhimmel unverwandt,
Weil er in ihm ihr Nachtgebet verspürt;
In banger Qual verbrachte er die Nacht,
Bis auf der Treppe hell ihr Schritt erwacht. –

Es war ein langer unruhvoller Mai,
Er grämte ihre jungen Wangen bleich.
»Ich schwöre mir, daß es nun morgen sei,
ja, morgen fleh ich um mein Königreich!« –
»O wann, Lorenzo, wird dein Sehnen frei
Und spricht ein Wort, ein Wort, das himmelgleich?« –
So träumten sie in Nacht und Einsamkeit –
Der Tag fand ihn zu reden nicht bereit.

Und als der Rosen frohe Pracht erblüht,
Ward Isabellens Wange fahl und schmal,
Wie einer Mutter Wange, die verblüht
Bei ihres Kindes Fieberkampf und Qual.
»Wie krank sie ist,« sprach er, »o mein Gemüt,
Nun schweige, – nein, bekenne deine Wahl:
Die Tränen, ihre Tränen sind ja dein,
Und deinem Leiden wohl gilt ihre Pein.«

So sprach er zu sich selbst. Den ganzen Tag
War seines Herzens Schlag wie Hammerklang,
Weil seine Seele in Inbrünsten lag
Und betete um Mut und fiel und rang.
Der Hochflut seines Blutes unterlag
Der Stimme Kraft und seiner Sehnsucht Zwang;
Sie wurde sanft, demütig wie ein Kind:
Ja, sanft und dennoch wild, wie Kinder sind.

So wär es beinah wiederum geschehn,
Daß trüb die Nacht sein Liebesleid umschloß,
Hätt Isabella nicht den Blick gesehn,
Der hingegeben ihr sein Herz ergoß;
Und seine Stirne sah sie bleich vergehn
Und wieder jäh sich röten; ach, da floß
Von ihren Lippen zag der süße Laut:
»Lorenzo!« – ihr aus Träumen so vertraut.

»O Isabella! Ist es mehr als Traum,
Daß ich dir sagen darf von meinem Weh?
O Gütige! Gib der Verzeihung Raum,
Da ich so kühn, so hoffend vor dir steh!
Sieh, meine Seele bebt und atmet kaum,
Weil ich in deinem Aug ihr Schicksal seh –
Doch keine Nacht soll mehr in Qual vergehn,
Nein, frei will ich mein Hoffen dir gestehn!

Liebe! Du wecktest mich aus kalter Nacht!
Herrin! Du führest mich in Sommerglut!
Dem Kuß des Sonnenmorgens sind erwacht
Alltausend Blüten, die im Lenz geruht!« –
Die Seligkeit von seinem Antlitz lacht,
Und seine scheuen Lippen finden Mut.
O, ihre Wonne wuchs so licht empor,
Wie in den Morgen rings der Blumenflor.

Und scheidend schwebten sie so leichtbeschwingt
Wie Zwillingsrosen, die ein Zephir wiegt
Und trennt und inniger zusammenbringt,
Daß Duft in Duft und Glut in Glut sich schmiegt.
Sie schritt und sang: »In meinem Herzen singt
Ein Vöglein, das der Liebeslust erliegt ...«
Und er stieg einen Hügel schnell hinan
Und betete die Abendsonne an.

Und eh die Dämmerung den Schleier hob
Vom Sternenlicht, war eins dem andern nah,
Und eh die Dämmerung den Schleier hob,
War jeden Abend eins dem andern nah,
In stiller Laube, die Muskat umwob,
Wo keiner je sie hörte oder sah –
Ach, gut und süß war die Verborgenheit,
So fern den Menschen und so fern dem Leid.

Doch als das Leiden kam, traf es sie sehr? –
O nein! zu tief ist unser Mitgefühl,
Die Tränen bittrer Wehmut sind zu schwer,
Die Mitleid weint an ihrem letzten Pfühl,
Und Liebende, die leiden, gibt es mehr,
Die wohl am besten ruhten still und kühl;
Nur Theseus, ach, fand selbst im Tod nicht Ruh:
Jenseits des Meers nickt sein Gemahl ihm zu.

Doch pflegt es in der Liebe so zu sein,
Daß ihr ein süßer Augenblick aufwiegt
Ein vollgerüttelt Maß von Gram und Pein.
Obgleich schön Isabell vom Harm besiegt
Und auf Lorenzos Grab kein Marmorstein
Sich gleißend spreizt – ja dennoch, dennoch liegt
In Bitternis selbst Lust, das weiß gar gut
Die Biene, die am Giftkelch saugend ruht.

Mit zweien Brüdern lebte Isabell;
Sie trieben Handel nach ererbtem Brauch.
Es plagte sich für sie manch jung Gesell
In dumpfer Gruben faulem Dunst und Rauch;
Manch kraftgestraffte Lende siechte schnell
An Wunden, die die Peitsche hieb, und auch
Im Glanzgeflirr des Flusses mancher stand,
Der Erzgewinnung opfernd Aug und Hand.

Es stieg der Taucher zu des Haifischs Gier
Hinab in Indiens Meere nur für sie,
Die Robbe schrie, ein pfeilgespicktes Tier,
Auf weißer Eisprairie, sterbend für sie,
Und Leidgeschlagne gab es tausend schier,
Die Tag und Nacht sich schindeten für sie;
Wie mahlte doch der Geldgier blinde Sucht
Für diese Armen gar so bittre Frucht!

Woher ihr Stolz? Weil der Fontänen Strahl
Viel stolzer strömt, als müdes Elend weint? –
Woher ihr Stolz? Weil sanfter sich zu Tal
Orangenhügel stufen, als versteint
Die Stufen abwärts führen vom Spital? –
Woher ihr Stolz, dem Milde nicht vereint?
Woher ihr Stolz, den gar kein Leiden schmolz?
Woher in Teufels Namen all ihr Stolz?

Es schlossen diese Florentiner so
In blinder Gier sich ab von aller Welt
Wie zwei Hebräer, die, verfilzt und roh,
Von Haß verfolgt, ganz nur auf sich gestellt.
Maulesel waren sie, die Gold und Stroh
In Speicher schleppten, brüderlich gesellt
Dem Lug und Trug und nimmersatten Geiz,
Denn nur Gewinn, Gewinn bot ihnen Reiz.

Ach, wie erspähten diese Blinden nur
Schön-Isabell im heimlich stillen Nest?
Und in Lorenzos Blick die süße Spur
Vom Liebesfest? – O ganz Egyptens Pest
In ihren Argwohn, der dies Glück erfuhr!
Wie kannten diese Blinden Ost und West?
Doch wer zu ihnen kam, arglos und mild,
Der wurde bald ein müdgehetztes Wild. –

O vielberedter, vielberühmter Mann,
Boccacc', ich flehe um Vergebung dich;
Die Düfte deiner Myrthen fleh ich an
Und deine Lilien, deren Rot verblich,
Seit deiner Laute Letztakkord verrann,
Und deine Rosen, die dem Monde sich
Verlobt – vergebt der schrillen Dissonanz
In dieses Liedes schlichtem Blütenkranz.

Vergib mir, Dichter! Und es wird mein Sang
Fortschreiten nun in schicklich ernstem Stil.
Welch toller Einfall war es, der mich zwang
Um alte Kunde neuer Reime Spiel
Zu ziehn! Doch ist's geschehn (und wenn's mißlang)
Zu deinem Preis, denn sieh, es war mein Ziel,
Die Blüte, die dem Süden süß entsprang,
Zu wecken in des Nordwinds wildem Klang. –

Die Brüder also hatten bald entdeckt,
Wie's um Lorenz und Isabell bestellt.
Wie wurde da ihr böser Zorn geweckt,
Da nun ein langgehegter Plan zerschellt!
Sie sahen sich von ihm, der sich erkeckt,
Zu ihrer Schwester aufzusehn, geprellt,
Denn ihre Habsucht traf schon längst die Wahl:
Ein reicher Grundherr nur sei ihr Gemahl.

Und haßerfüllt berieten nun die zwei,
Und jeder grübelte für sich allein,
Bis sie sich einig, was das Beste sei,
Von jenem Lästigen sich zu befrein.
Und endlich war erdacht die Teufelei,
Und endlich kamen beide überein:
An irgend einem fernverborgnen Ort
Mord zu begehen – schauerlichen Mord.

Und so, als einst im frühen Morgenlicht
Auf dem Altan Lorenzo sich erging
Und glücklich war in lieber Zuversicht,
Und bunt der Tau an Blatt und Blüten hing,
Da riefen sie mit freundlichem Gesicht
Zu ihm hinauf: »Lorenzo, komm und schwing
Dich schnell aufs Roß, zu reiten durch den Hag,
Noch ist es kühl, doch wird's ein heißer Tag.

Wir wollen auch ... vielmehr es scheint uns gut ...
Kurz – mitzureiten plagt uns ein Gelüst;
Drum, bitte, komm, eh noch der Sonne Glut
Den Hagebuttenrosenkranz geküßt.« –
Und höflich grüßte er die Schlangenbrut
Und eilte dann, betört von so viel List,
Betört auch von des Sommermorgens Pracht,
Schnell anzulegen knappe Weidmannstracht.

Dann schritt er durch des Hofes Säulengang
Und blieb oft stehn und lauschte oft empor,
Ob nicht etwa der Herrin Morgensang
Herab zu seiner Sehnsucht sich verlor –
Ganz hingegeben seiner Liebe Zwang.
Da schlug ein süßes Lachen an sein Ohr;
Er blickte auf und sah so zart und licht
Am Gitterfenster lächeln ihr Gesicht.

»Heil, Isabell!« rief er. »Gebenedeit,
Daß ich dich grüßen durfte, eh ich ritt!
Drei arme Stunden nur Abwesenheit –
Und schon hängt Sorge sich an meinen Schritt.
Doch, was der Liebe dieser Tag entleiht,
Bringt überreich der traute Abend mit.
Lebwohl, du Liebste, du!« »Lebwohl auch du!«
Und munter singend grüßte sie ihm zu.

Durchs liebliche Florenz ging nun der Ritt
Der drei Gefährten zu des Arno Strand,
Wo sich die Strömung mit den Strudeln stritt
Und an den Ufern tanzend Band bei Band
Das scharfe Schilf die schnelle Flut zerschnitt.
Die Brüder bleich, Lorenzo liebdurchbrannt,
Durchquerten sie den seichten Strom, und bald
Umbrauste sie ein grausig düstrer Wald.

Dort ward Lorenz erschlagen und verscharrt.
Doch seine Seele, die so heiß geloht,
Die auf der Liebe höchstes Glück geharrt,
Sie ächzte nun in unerhörter Not,
Ihr warmer Lebensstrom war jäh erstarrt,
In Eisesfrost gebannt durch blutgen Tod. –

Die Mörder wuschen ihre Schwerter rein
Und jagten wieder nach Florenz hinein.

Der Schwester sagten sie: nach fernem Land,
Mit dringenden Geschäften reich betraut,
Sei heut zu Schiff Lorenzo abgesandt. –
Nun nimm den Witwenschleier, junge Braut,
Leg an der Witwen trauerndes Gewand!
O, Fluch der Hoffnung, der du süß vertraut!
Du wirst ihn heut nicht sehn und morgen nicht,
Und niemals mehr grüßt dich sein Angesicht.

Sie weint um Freuden, die nun nicht mehr sind,
Sie weinte bitterlich bis in die Nacht.
Wie schien ihr sonst der Abend lieb und lind,
Weil überreiche Wonnen er gebracht –
Jetzt sah ihr Auge sich im Dunkel blind,
Bis in den Schatten ihr sein Bild erwacht,
Und immer wieder ihrem Mund entfloh
Der Schmerzenslaut: »Lorenzo! Wo, oh wo?«

Doch Selbstsucht hielt nicht lang in ihrer Brust
Der Schmerzen wilden Nachtbrand angeschürt;
Wohl bangte sie nach all der süßen Lust,
Die mit so flüchtgem Kuß sie erst berührt –
Nicht lange doch – denn bald hob sich bewußt
Die Trauer, die nichts Kleinliches mehr spürt,
Und Sorge, daß der Reise Unrast gar
Für ihre junge Liebe voll Gefahr. –

Aus Nordlands Höhlen weht wie Todes Hauch
Zur Herbstzeit schon des Winters Atem schwer
Aufs Laub und wirft es welk von Baum und Strauch,
Der kranke West tanzt mit dem toten Heer
Den Totentanz im bleichen Nebelrauch;
Und liegt das Land ergraut und stumm und leer,
Dann stürmt der Winter ein. O Isabell,
Auch deiner Schönheit Herbst kam allzuschnell.

Denn kein Lorenzo kam. Und welk und bleich
Ward ihre Wange von so herbem Gram.
Sie fragte oft die Brüder, welch ein Reich
Nun für so lange schon ihn von ihr nahm?
Da logen sie von Mal zu Mal. Ihr Streich
Wie Rauch vom Tale Hinnom auf sie kam;
Sie konnten keine Nacht dem Alp entgehn,
Die Schwester tot im Totenhemd zu sehn.

Sie würde auch in Leid gestorben sein,
Doch da war etwas, das noch finstrer war
Als Tod; es kam in plötzlich bittrer Pein,
So wie im Todeskampf oft wunderbar
Noch einmal glüht des Lebens Widerschein;
Es kam wie Lanzenstich, der grausam klar
Den Wilden weckt im rauchdurchbeizten Zelt,
Daß schreiend er aus tiefstem Schlafe schnellt.

Es war ein visionäres Bild: – In Nacht,
In träger Mitternacht Lorenzo stand
An ihres Lagers Rand und weinte sacht:
Erloschen war in Grabes feuchtem Sand
Des goldnen Haares sonnenwarme Pracht,
Erloschen seiner Lippen roter Brand,
Der Stimme Wohllaut tot, und gramestief
Am Ohr vorbei die Tränenrinne lief.

O grausig klang es, wenn der Schatten sprach;
Denn seine arme Zunge mühte sich
Zu sprechen, wie sie einst auf Erden sprach,
Und Isabella lauschte bitterlich:
Wie seine Stimme oft sich zitternd brach,
Als wenn ein Wind gelähmte Harfen strich;
Als wenn ein heisrer Wind durch Dornen stöhnt,
So war von Ächzen jedes Wort durchtönt.

Und seltsam – das Phantom entsetzte nicht
Das arme Weib; sein Blick war mild und groß,
Von Gram verwirrt und doch von Liebe licht;
Es redete: es sprach vom Todesstoß,
Vom Mord im tiefen Wald, und wie so dicht
Sein Grab bewachsen sei mit Kraut und Moos,
Wie schwarze Fichten hielten Totenwacht,
Dort wo die Mörder ihre Tat vollbracht.

Und weiter sprach es: »Süße Liebste du!
Waldbeeren reifen über meinem Mund,
Ein schwerer Stein deckt meine Füße zu,
Die hohen Buchen stehen blätterbunt
Und werfen Frucht herab; die Waldesruh
Durchirrt ein ferner Ruf von Hirt und Hund;
Das Heidekraut ist rot; o komme bald,
Komm bald und weine bei dem Grab im Wald.

Ich bin ein Schatten nun, der das Gebiet
Des Lebens von den Grenzen nur erschaut;
Ich singe nun allein das heilge Lied
Zum Ruf der Glocken, der mir so vertraut;
Und wenn das Kraut ein Bienenschwarm durchzieht,
Wie lauscht mein Ohr des Lebens süßem Laut,
Des Lebens – darin meine Liebe lebt,
Dem ferner, ferner stets mein Geist entschwebt.

Ich weiß, was war, ich fühle tief, was ist,
Und würde rasen, könnte das ein Geist!
Daß du um mich so bleich, so leidend bist,
Durchglüht mein Grab, als würde es umgleißt
Von einem Glanz, der überirdisch ist;
Ach, ich vergaß, was Erdenwonne heißt:
Doch heiliger die Liebe mich durchdringt,
Seit deine bleiche Seele um mich ringt.« –

Der Geist entschwand, nachdem er dies gesagt.
In leisen Wellen wogte rings die Nacht,
So wie das Dunkel tanzt, wenn wir verzagt
Im Bett des Tages harte Müh bedacht
Und von der stürmenden Gedankenjagd
Verfolgt, gehetzt, kein Auge zugemacht.
Und Isabella fuhr verwirrt empor
Und starrte in den leeren Nebelflor.

»So gibt es,« rief sie, »schlimmeres als Qual?
So kannte ich des Schicksals Fluch noch nicht,
Da ich gemeint, nur dieses sei die Wahl:
Glück – oder Tod, wem es an Glück gebricht;
Doch hier ist Schuld – des Bruders blutiger Stahl!
O Dank, Geliebter! Dank für den Bericht!
Ja, morgen grüßt dich meiner Liebe Kuß,
Und wenn ich dich im Himmel suchen muß!«

Und als der Morgen kam, da war gefaßt
Ihr Plan, zu prüfen, was der Geist verriet,
Dem Liebsten, den die Brüder so gehaßt,
Den letzten Gruß, das letzte Liebeslied
Zu weihn. Kaum war der Sterne Licht verblaßt,
So eilte sie ins ferne Waldgebiet,
Und daß nicht Argwohn folge ihrem Schritt,
Nahm sie die alte treue Amme mit.

Sieh nur! Sie eilen hin am Uferrain,
Und Isabella spricht von ihrem Gram,
Vom Heidekraut und von dem schweren Stein
Und zeigt ein Messer, das sie mit sich nahm.
»O Kind, wie leidest du so harte Pein!
Wann wirst du wieder froh?« – Der Abend kam,
Da hatten sie Lorenzos Grab entdeckt,
In Moos und Kraut und Beeren tief versteckt. –

Wer je das grüne Gräberfeld durchschritt,
Der wühlte wohl im Geist in Lehm und Sand,
Bis er von allen, die die Sense schnitt,
Die hohlen Schädel und die Knochen fand,
Und schauderte, wie sehr wohl jeder litt,
Als würgend ihn erfaßt des Todes Hand ...
Ach, qualvoll mochte wohl sein Mitleid sein –
Qualvoller noch war Isabellas Pein.

Ihr Blick durchdrang der Grube dunklen Schlund,
Doch sah er Tod und Wurm und Moder nicht:
Sah wie aus klaren Quells krystallnem Mund
Lorenzos Leib, Lorenzos Angesicht.
Wie eine Lilie, die in Grabes Grund
Die Wurzel schlug, so stand sie ernst und licht;
Dann sank sie hin und grub so fiebernd heiß,
Wie nur der Schmerz sich einzugraben weiß.

Bald lag ein Handschuh aufgewühlt, von ihr
Einst selbst mit bunter Stickerei geschmückt –
Wie küßt sie nun die fast verblaßte Zier!
An ihrer süßen Brust, die nie beglückt
Sich füllen sollte für des Säuglings Gier,
Verbirgt sie ihn, und seine Kälte drückt
Wie Todeshand ihr Herz. Sie sprach kein Wort,
Strich nur das Haar zurück – und suchte fort.

Betroffen stand die alte Magd dabei,
Bis mit der Armen Mitleid sie empfand,
Und sie begriff, wie schwer die Arbeit sei
Für Isabellas ungeübte Hand;
Sie kniete hin und stand der Herrin bei.
Drei Stunden gruben sie so unverwandt;
Da endlich war's geschehn – und ernst und licht
Blieb Isabell und schrie und raste nicht. –

Was öffne ich des Grabes Moderschacht,
Daß schwarz sein schaudervoller Rachen gähnt? –
Ach, ob des alten Liedes süßer Pracht,
Des Liedes, dem die Sage ich entlehnt!
O Leser, der für solcher Liebe Macht
Noch tiefres Wort, noch reinern Klang ersehnt,
Lies die Romanze, lies den alten Sang,
Der machtvoll alle Herzen einst bezwang! –

Wohl war viel stumpfer als des Perseus Schwert
Der Stahl, der jetzt ein Haupt vom Rumpfe schnitt,
Doch war's ein Haupt, so schön und liebenswert,
Daß selbst im Tode nicht sein Zauber litt.
Die Liebe höret nimmer auf! So lehrt
Ein altes Wort. O wie in Liebe stritt
Jung Isabella um Lorenzos Haupt –
In Liebe, die kein Grabeshauch beraubt!

Und Isabella nahm den Kopf mit fort
Und kämmte seines Haars verblaßten Schein
Und pflegte sorglich ihren heiligen Hort:
Um seiner Augen hohle Kämmerlein,
In denen Licht und Liebe jäh verdorrt,
Flocht Locken sie und weinte still hinein
Und wusch den Schatz mit Tränen kühl und klar
Und küßte ihn und kämmte neu sein Haar.

Sie nahm ein Tuch, dem seltne Spezerein
Gar auserlesnen Wohlgeruch verliehn,
Und tauchte es in einen Saft hinein
Von Blumen, die nur in Arabien blühn;
Das sollte nun des Kopfes Bahrtuch sein.
Sie barg ihn gut darin und legte ihn
In einen Topf und pflanzte süßes Kraut,
Basilikum, darauf und weinte laut.

Und sie vergaß das Mond- und Sternenlicht,
Und sie vergaß den blauen Sonnentag,
Und sie vergaß, was Wind und Welle spricht,
Und sie vergaß den bunten Herbst im Hag;
Und wenn der Tag erstarb, sie sah es nicht,
Und sah den neuen Morgen nicht: sie lag
Nur immer weinend bei dem lieben Kraut,
Das bis ins Herz mit Tränen sie betaut.

Und so getränkt wie nie ein Kraut zuvor
Erhob es sich in grüner Üppigkeit
Und duftete wie nie ein Kraut zuvor
Auf Florentiner Beeten weit und breit.
Wann sproß auch je Basilikum empor
Auf einem Boden, so voll Fruchtbarkeit
Wie Menschenleid, wie Herzensnot und Tod!
Wann war's ein Menschenkopf, der Dünger bot!

Verbirg, o Muse, trauernd dein Gesicht
Und raste stumm, wo dumpf Verzweiflung stöhnt
Wie eine Stimme, die aus Grüften bricht
Und hohl in dunklen Tiefen wiedertönt.
Hier laß den Tod sich freuen, der verspricht,
Daß sich in ihm der tiefste Gram versöhnt;
Er setzt ein mildes Licht auf alle Pein:
Im Totenhof den bleichen Marmorstein.

Ihr trauertiefen Töne schluchzt und bebt!
O weint, ihr Saiten meiner Leier, weint,
Daß wild aus euch des Schmerzes Sturm sich hebt
Und mit des Windes Klage sich vereint!
Wann hätte je ein Weib wie sie gelebt,
Dem so das Schicksal alles Glück verneint!
Der Palme gleich, die man des Safts bestahl,
So stirbt sie hin in langsam bittrer Qual.

O stört ihr sanftes Sterben nicht! O quält
Sie nicht noch roh ins nahe Grab hinein! –
Doch ach, die Brüder, deren Herz verstählt
Von Gier und Geiz, sie konnten nicht verzeihn,
Daß ihre Schwester sich dem Gram vermählt,
Statt eines reichen Grundherrn Braut zu sein;
Und auch Verwandte forschten oft und viel,
Warum sie mied der Jugend Tanz und Spiel.

Die Brüder hatten staunend bald entdeckt,
Daß dem Basilikum ihr Weinen galt:
Das blühte wunderprächtig, wie erweckt
Durch Zauberwortes wirkende Gewalt;
Doch welcher Wert lag denn darin versteckt,
Daß Isabell dem Kraut zuliebe kalt
Für alle Freuden war und wahnbestrickt
Selbst den vergaß – den weit man fortgeschickt!

Sie harrten lange auf Gelegenheit
Dem Rätsel heimlich auf den Grund zu sehn,
Doch nie entfernte Isabell sich weit
Und wollte kaum zum Beichtgang sich verstehn.
Und wie's den Vogel treibt zur Brütezeit
Ins teure Nest zurück mit Windeswehn,
So flog sie unruhvoll zum Hort zurück
Und weinte dort bei dem begrabnen Glück.

Und dennoch stahlen sie das Kraut ihr fort,
Durchwühlten es bis auf der Wurzeln Grund:
Ein Totenkopf, Lorenzos Kopf lag dort –
Wie schnell erkannten sie den grausen Fund!
So rächte furchtbar sich der frevle Mord.
Entsetzt entflohen sie zur selben Stund –
Fort von Florenz und fort von Hab und Gut,
Verbannt, verdammt durch feig vergossnes Blut!

Verbirg, o Muse, trauernd dein Gesicht!
O weint, ihr Saiten meiner Leier, weint –
Wie eine Stimme, die aus Gräbern bricht
Und mit des Windes Klage sich vereint!
Ach, Isabell ertrug dies Letzte nicht,
Zu tief schon hat ihr bittres Leid geweint:
Vom Harm verwirrt, neigt einsam sie das Haupt,
Des letzten Trosts, der Tränen selbst beraubt!

Wie blickte Mitleid bittend sie umher
Und sprach die toten Dinge zärtlich an
Und fragte sie, wo ihr Basiltopf wär.
Und kam des Wegs vorbei ein Wandersmann,
Sie hielt ihn an und bat und flehte sehr,
Und wenn er ratlos schwieg – wie klagte dann
In stumpfen Schmerz sie stets das gleiche Wort:
»Was nahmt ihr mein Basilikum mir fort!«

So starb sie einsam hin in müdem Gram,
Nach dem Basiltopf fragend bis zum Tod.
Da war es ganz Florenz, das Anteil nahm
Und solchem Liebesleid sein Mitleid bot –
Bis daß ein Lied von Mund zu Munde kam,
Ein traurig Lied von Isabellas Not;
Und heut noch singt das alte Volkslied dort:
»Was nahmt ihr mein Basilikum mir fort!«


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