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Ich sah von Hügelhöh ins Land hinein ...

Ich sah von Hügelhöh ins Land hinein.
So stille lag die Luft im Sonnenschein,
Daß volle Knospen, die in sanftem Bogen
Die leichten schwanken Stengel seitwärts zogen,
Noch glänzten in dem bunten Sternenprangen,
Mit dem der Morgen schluchzend sie behangen.
Die Wolken waren weiß und rein wie Schafe,
Die nach der Schur und nach geruhigem Schlafe
Im Bache badeten; sie lagen matt
Im blauen Himmelsfeld; und Blatt um Blatt
Schien nur ein leiser Atem zu bewegen,
Das Schweigen nur schien seufzend sich zu regen;
Denn jeder Schatten, der ins Grüne fiel,
Lag steif und starr und wußte nichts von Spiel.
Die Landschaft ruhte still und weit und frei
Und lud den Blick zu trunkner Schwelgerei:
Des Horizonts krystallnen Glanz zu sehen
Und seinen zarten Linien nachzugehen,
Auch jenem Feldweg, der sich seltsam windet,
Durch Wälder krümmt und fern, ganz fern verschwindet;
Und an bebuschten Streifen zu erkennen,
Wo unter Schatten kühle Wasser rennen.
Ich schaute, und mir war so wohl und klar,
Als fächle sanft des Hermes' Flügelpaar
Die Füße mir. Mein Herz war leicht und frei,
Den Geist entzückten Freuden mancherlei.
Nach buntem Strauß begann ich mich zu bücken,
Mir weiße, blaue, goldne Lust zu pflücken:

Ein Busch Maiglöckchen, daran Bienen hängen,
Die wühlend tief in süße Kelche drängen;
Ein Guß Goldregen soll darüber fließen,
Und langes Gras soll meinen Strauß umschließen,
Ihn feucht und kühl erhalten und in Schatten
Die Veilchen hüten, daß sie nicht ermatten.

Hier grünt ein Haselstrauch, um den mit schlanken
Schmiegsamen Armen wilde Rosen ranken,
Und dunkles Geißblatt, das zu lichten Höhen
Die schwanke Winde hebt. Daneben stehen
Und wiegen ihre süßen Frühlingsträume
In kleiner Reihe schlanke junge Bäume,
Aus wunderlichen Wurzeln aufgeschossen.
Das alte moosige Flechtwerk wird umgossen
Von klarem, frischem, sprudelfrohem Quell;
Im Vorwärtshasten plaudert er noch schnell
Von seiner Töchter blauer Lieblichkeit –
Von Glockenblumen. Ach, er ahnt die Zeit,
Da wohl gedankenlose Kinderhand
Die zarten pflückt und wirft in Sonnenbrand.

O Ringelblume, goldner, goldner Glanz!
Entzünde deinen Kranz!
Wisch ab den Tau, der dir vom Aug sich stiehlt,
Denn Gott Apoll befiehlt,
In diesen Tagen soll nur eine Weise
Die Harfen rühren: nur zu deinem Preise!
Und wenn er morgen deine Augen küßt,
Sag ihm, daß du in meinen Wonnen bist;
Und streif ich dann in fernem Tal – vielleicht
Daß seine Stimme meine Stirn umstreicht.

Platterbsen stehen flugbereit auf Zehen
Und lassen rot und weiße Flügel wehen;
Ihr spitzer Finger hascht nach allen Dingen,
Sie fest mit winzigen Ringen zu umschlingen.

Sieh hier das Bächlein, niedrig überbrückt
Von schwanken Planken; weile hier entzückt
Und lausche, wie Natur so sanft sich rührt,
Die süßer noch als Taubenruf verführt;
Wie still das Wasser um die Biegung zieht:
Kein Flüstern, das hinauf ins Grüne flieht,
Kein Gruß den Weiden. Gras und Halme kommen
Durch wirre Schatten langsam hergeschwommen,
So langsam – könntest du nicht zwei Sonette
Gelesen haben, eh im trägen Bette
Dies Gras dorthintreibt, wo die Strudel kreisen
Und Holz und Halm im Tanzen unterweisen
Und so geschwätzig mit den Kieseln lärmen?
Elritzen stehen dort in ganzen Schwärmen
Und stemmen sich dem kräftigen Strom entgegen,
Genießen so den vollen Sonnensegen
Im kühlen Wasser. Wie sie immer ringen
Um diese süße Lust! Und glitzernd schlingen
Sie flink den Silberleib durch Kieselsand.
Erhebe nur ein wenig deine Hand,
Im selben Augenblick sind alle fort –
Und senkst du sie, sind alle wieder dort.
Sieh, wie die kleinen Wellchen Freude fühlen,
Sich zwischen Kressenlocken abzukühlen.
Sie nehmen Kühlung und sie geben Feuchte
Dem krausen Grün, damit es frischer leuchte,
Gleich guten Menschen, die in Redlichkeit
Zu wechselseitigem Geben gern bereit.
Von niedern Zweigen schwingt sich hin und wieder
Ein Häuflein bunter Distelfinken nieder:
Nur kurze Zeit, nur nippen und geschwind
Die Federn feuchten, die voll Sonne sind,
Dann plötzlich fort, wie's muntre Laune will.
Doch manchmal hält ihr gelbes Schwirren still
Und zeigt die glänzend schwarz und goldnen Schwingen.
Wär ich wie sie bestimmt zu solchen Dingen –
Ach, wär ich sie, ich würde beten mögen,
Daß meine Lust in grünenden Gehegen
Nur süßres störe, nur ein Mädchenkleid,
Das nahe rauscht und voll Behendigkeit
Vom Löwenzahn die Samenfäden fegt –
Als eines Mädchens Fuß, der nah sich regt
Und der im Spiel beim schnellen Vorwärtsgehen
Den Sauerampfer schaukelt mit den Zehen.
Wie würde sie erschreckt zusammenfahren,
Weil man ihr liebes kindliches Gebahren
Entdeckt. Oh, übers Wasser sie zu leiten,
Das halbe Lächeln sehn, das Niedergleiten
Der scheuen Blicke, ihre Hand zu fassen –
Von ihrem Atem mich berühren lassen!
Und wenn sie von mir geht – daß sie sich wende,
Den schönen Blick durch braune Locken sende!

Was weiter? Primeln hier ein voller Strauß!
O schaue, Seele, träume, ruhe aus
Und sinke schlummernd hin; doch immer wecke
Dich sanft das Platzen einer Knospendecke,
Dich irgend eines Falters trunkne Hast,
Der ruhlos weiterfliegt von Rast zu Rast,
Und Luna wecke dich, wenn sie die Schale
Nun aus dem Wogen schimmernder Opale,
Aus milchigen Wolkenmeeren, silbern hebt
Und sacht empor in Himmelsbläue schwebt.
O Göttin du der Dichter, liebe Lust
Der schönen Welt und jeder edlen Brust!
Du Heiligenschein, der alle Wasser schmückt,
Du süßer Kuß, der uns mit Tau beglückt,
Du milde Hand, die schöne Augen schließt
Und schönen Traum in stillen Schlummer gießt,
Du Freundin von Gebet und Schwärmerei,
Von Einsamkeit und Liebegrübelei!
Dich preise ich vor allen andern Dingen,
Die tief beglückend uns zum Dichten zwingen.
Du Paradiesesglanz, du ewiges Licht,
Du bist die Seele, die der Dichter spricht.
Du nahst – und irgend eine dunkle Linie
Wird ihm zum Umriß würdevoller Pinie;
Dein Lächeln, das zur dunklen Erde schwebt,
Gibt Silberfäden, draus er Märchen webt.
Und ist solch Märchen köstlich aufgebaut,
So atmen wir den Duft von Sommerkraut
Und gleiten hin auf üppigen Wollustschwingen,
Die uns in himmlische Regionen bringen:
Taufeuchte Rosen streicheln unsre Wangen,
Wir sehen Lorbeer reich in Blüten prangen,
Zu Häupten gleißt Jasmin in voller Laube,
Und lächelnd blüht aus grünem Kleid die Traube,
Ein Bächlein hüpft, mit sanftem Sang zu rühren
Und alles Leid ins Weite zu entführen.
Wir fühlen uns befreit von Not und Welt
Und hoch auf weiße Wolken hingestellt.
So fühlte er wohl, der zuerst erzählt,
Wie Amor seine Psyche sich erwählt:
Was sie gefühlt, als erster Kuß ihr glühte,
Und wie sein Seufzen ihr entgegenblühte,
Und wie sie beide bebten und Verlangen
In Küssen zitterte auf Mund und Wangen;
Die Silberlampe – und der Gott im Schlafe –
Dann Dunkel – Einsamkeit – und schwere Strafe –
Der Flug zum Himmel – Ende aller Leiden –
Und ewige Vereinigung der beiden. –
So fühlte er wohl, der die Zweige bog
Und unsern Blick in weite Waldung zog,
Um Faune und Dryaden zu belauschen,
Wie sie so sorglos durch die Büsche rauschen
Und sich mit süßen wilden Blumen kränzen
Und Freude finden in verzückten Tänzen;
Wie Syrinx flieht in namenlosem Schrecken
Und angstvoll sucht, vor Pan sich zu verstecken.
O armer Pan! Verloren war die Spur
Am schilfigen Strom, und Windesseufzen nur
Erlauschtest du, nur schwermutvollen Hauch,
Der leise hinglitt über Schilf und Strauch. –

Dem war Natur wohl tief ins Herz gedrungen,
Der einst Narzissus' Liebespein besungen.
Er schritt vielleicht durch dunklen Wald und fand
Sich plötzlich an umbuschten Teiches Rand,
Der still und glatt und ungewöhnlich klar
Dem Himmelsblau ein treuer Spiegel war,
Das hie und da durchs dichte Laubdach blickte
Und heitern Gruß in müde Schwermut schickte.
Am Ufer stand ein einsam Blümelein,
Sah sanft und traurig in den Teich hinein,
In dem es seine bleiche Schönheit sah –
So unerreichbar – und so greifbar nah!
Taub war die Blume für des Zephirs Werben,
Nur schauen mochte sie, nur glühn und sterben.
Der Dichter stand und träumte lange dort,
Und seine Seele nahm dies Bild mit fort,
Und bald darauf, da war der Sang geschrieben
Von jung Narziß und seinem kranken Lieben.

In welches Wunderreich war Er gedrungen,
Der uns den süßesten, den ewig jungen,
Den anmutvollen reinen Sang geschenkt,
Der Seligkeiten senkt
Ins Herz des Mondscheinwandrers, ihm enthüllt
Die unsichtbaren Götter, ihn erfüllt
Mit Sphärenklang, der hoch aus Himmeln tönt,
Wo Nacht und Glanz sich friedevoll versöhnt?
O sicher! Dieser wußte nichts von Banden,
Er wandelte in wundersamen Landen,
Der Fesseln ledig schwebte er davon,
Um dich zu suchen, o Endymion!
Ein Dichter war er, ein Verliebter auch,
Der hoch auf Latmos stand, als süßer Hauch
Vom heiligen Myrthental sich aufwärts schwang
Zugleich mit feierlichem, frommem Sang,
Dem Hymnus, den man zu Diana schickte,
Die hell aus dunklen Himmeln niederblickte.
Doch ob sie auch sich huldvoll lächelnd neigte,
Ein Antlitz klar wie Kinderaugen zeigte –
Der Dichter weinte, sie so schön zu sehn,
So einsam durch die Ewigkeiten gehn:
Hell sang die Leier, die sein Hymnus schwellte,
Der Cynthia den Endymion zugesellte.

Du Königin, du lieblichstes Gesicht!
Du köstlich reiner Glanz, du mehr als Licht!
Gleich wie dein Lächeln alles überragt,
So jenes Lied, das deine Schönheit sagt.
O gib mir Worte, die wie Honig fließen,
Ein Wunder deiner Brautnacht zu erschließen:

Wo ferne Schiffe wie im Äther hängen,
Hielt Phoebus seiner Räder mächtiges Drängen
Für kurz zurück und lächelte dich an,
Eh weiter stob sein feuriges Gespann.
Der Abend war so mild und leuchtend klar,
Daß, wer gesund war, auch voll Frohsinn war
Und ausschritt wie Homer beim Hörnerschall,
Wie jung Apollo auf dem Piedestal;
Und Frauen waren schön und warm belebt,
Wie Venus, die entzückt die Wimper hebt.
Die Luft war lind und wehte frisch und rein,
Schlich in verhängte Krankenstuben ein
Und kühlte sanft den Fieberschlaf der Kranken,
Die bald in tiefen festen Schlummer sanken.
Sie wachten auf – und atmeten gesund,
Klar war ihr Auge und erfrischt ihr Mund,
Und Schmerz und Fieberhitze war vergangen;
Und wie sie nun erquickt vom Lager sprangen,
Da sahn sie rings geliebte Freunde stehn,
Die staunend kaum begriffen, was geschehn,
Die sie umarmten und mit inniglichen
Gebärden ihre stille Stirne strichen. –
Und Jünglinge und Mädchen sahn betroffen
Einander an und glühten in Erhoffen,
Denn aller Augen waren lichterfüllt,
Und alles Sehnen lag so schlicht enthüllt –
Sie staunten, lächelten – bis Poesie
All ihrer Sehnsucht schöne Worte lieh;
In süßen Reimen wußte man zu werben,
Und kein Verliebter brauchte mehr zu sterben.
O Cynthia, als dein lieber Hirt dich küßte –
Wer ist, der alle Seligkeiten wüßte,
Die da erblühend sich herniedersenkten,
Vielleicht der Erde einen Dichter schenkten? –
Doch Seele, sieh, du schweiftest weit genug,
Zurück, zurück vom allzuhohen Flug!


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