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Drittes Kapitel.
Jean Meslier.

Jean Meslier oder Mellier wurde am 15. Juni 1664 Nach Voltaire 1678. zu Mazerny in der Champagne als Sohn eines Webers oder Zeugmachers geboren. Ein Geistlicher der Nachbarschaft unterrichtete ihn in den Humaniora und ermöglichte ihm den Eintritt in das Seminar zu Châlons-sur-Marne, wo er neben seinen geistlichen Studien sich mit der Philosophie Descartes' beschäftigte. 1692 wurde er Geistlicher zu Etrépigny im Departement der Ardennen, und hier hat er bis zu seinem Tode, pflichtgemäß seine amtlichen Obliegenheiten erfüllend, gelebt. Sein stilles und einförmiges Leben wurde nur durch ein Zerwürfnis mit dem Edelmann seines Dorfes gestört. Dieser, ein Herr von Clairy, hatte nämlich eines Tages einige Bauern mißhandelt, und Meslier, dessen ganzes Leben dem Dienste dieser von allen Seiten geplagten, elenden Menschenkinder gewidmet war, hatte empört den edlen Herrn am Sonntag im Kirchengebet weggelassen. Der Edelmann klagte beim Erzbischof von Reims, Kardinal von Mailly; der Erzbischof verlangte Abbitte von Meslier und Gebet für den Edelmann. Der folgende Sonntag kam. Meslier bestieg die Kanzel und betete angelegentlich für den Herrn von Clairy. »Das ist das Schicksal der armen Landpfarrer!« so rief er aus. »Die Erzbischöfe, große Herren, wie sie sind, verachten uns und kümmern sich nicht um uns. Sie haben nur Ohren für den Adel. Laßt uns also für den Herrn des Dorfes beten. Laßt uns Gott um seine Bekehrung bitten, daß er ihn nicht mehr in die Sünde fallen lasse, die Armen zu mißhandeln und die Waisen zu berauben.« Eine neue Beschwerde und ein neuer Verweis waren die Folge dieses sonderbaren Kirchengebets. Der Streit zwischen Pfarrer und Edelmann scheint sich in die Länge gezogen zu haben, und der Verdruß über die Mißhandlung durch seine Vorgesetzten habe – so erzählte man sich später im Kirchspiel – Meslier zum Hungertod getrieben (1729). Nach anderen 1733. – Während der Herrschaft des Konvents beantragte Anacharsis Cloots, der überspannte »Redner des Menschengeschlechts«, Meslier, den er den »Unerschrockenen, Edlen, Musterhaften« nannte, ein Denkmal zu errichten. Der Konvent verwies den Antrag an das Komitee für öffentlichen Unterricht zurück: »Der Nationalkonvent schickt an sein Komitee des öffentlichen Unterrichts den von einem seiner Mitglieder gemachten Vorschlag zurück, Jean Meslier, dem Geistlichen von Etrépigny in der Champagne, dem ersten Priester, der den Mut und guten Glauben gehabt hat, die religiösen Irrtümer abzuschwören, ein Denkmal zu errichten.«

So still und ruhig dieses Leben, nur durch diesen Streit für Gerechtigkeit unterbrochen, seinen Beichtkindern erschienen sein muß, so schwer und elend war es für den, der es zu leben hatte. Er war ein Atheist – und es war seine Aufgabe und sein Beruf, die Herrlichkeit und Göttlichkeit der katholischen Religion und Kirche zu verkünden; er war ein Kommunist, der die gesamte Ordnung des französischen Staates mit Königtum, Adel und Geistlichkeit aufs furchtbarste haßte – und er war gezwungen, für diese jeden Sonntag zu einem Gott, an den er nicht glaubte, zu beten und seine Gemeinde anzuhalten, sich dieser Ordnung, die sie knechtete und elend machte, freudig zu unterwerfen. Kühn genug, in seinen Gedanken mit allem, was damals als heilig galt, zu brechen, aber nicht kühn genug, die Wahrheit aller Welt zu verkünden, nicht stark genug, um ihretwillen Verfolgungen zu erleiden, Le Testament de Jean Meslier, I, S. 25: »Ich bin es wohl zufrieden, meine lieben Freunde (das sind seine Bauern), so friedlich wie ich gelebt habe zu sterben, und da ich euch niemals Gelegenheit gegeben habe, mir Übles zu wünschen oder euch zu freuen, wenn mir solches zustieße, so glaube ich auch nicht, daß ihr es vorziehen würdet, mich deshalb verfolgt und tyrannisiert zu sehen: deshalb habe ich mich entschlossen, Stillschweigen zu bewahren.« zog er es vor, diesen qualvollen Konflikt durch sein Leben hinzuschleppen und die Menschen zu fliehen, um seine Gedanken und Gefühle nicht zu verraten. In rührenden Worten rechtfertigt er seinen Pfarrkindern gegenüber diese lebenslange Heuchelei damit, daß ihn in seiner Jugend seine Eltern für den geistlichen Stand bestimmt hätten, um ihm so ein angenehmes, friedliches und ehrenvolles Leben zu sichern, daß er aber niemals danach gestrebt, durch frommen Wucher mit gottesdienstlichen Verrichtungen sich zu bereichern, sondern stets bemüht gewesen sei, was er durch seine Predigten Unheilvolles zu tun gezwungen, durch gute Werke wieder gutzumachen. Ein furchtbarer, durch Zinseszins gemehrter Flammenschatz des Hasses leuchtet uns aber aus seinen Worten entgegen, wenn er daran denkt, wie er seinen Bauern törichte Irrtümer und leeren Aberglauben gepredigt, die er verabscheute, haßte, verdammte, wie er götzendienerische Messen gefeiert und ihnen lächerliche Sakramente gereicht hat, die er in seinem Herzen tausend- und tausendmal verfluchte. Siehe seine Rechtfertigung im Testament, I, S. 21 bis 25. Was er aber im Leben nicht zu sagen gewagt hat, das soll wenigstens nach seinem Tode seiner Gemeinde und aller Welt verkündet werden! So hatte er denn während seines Lebens seine Denkschrift zum Zeugnis der Wahrheit aufgesetzt, in der er, was sein Herz und seinen Geist während seines Lebens bewegt hatte, niederlegte, um es als wertvolles Erbteil seiner Gemeinde zu hinterlassen.

Drei von ihm mit großer Sorgfalt angefertigte Kopien dieser Denkschrift mit der Aufschrift »Mein Testament« fand man nach seinem Tode vor, zwei in seiner Wohnung, eine in der Kanzlei von Sainte-Ménéhould, und sehr bald zirkulierten mehrere hundert Abschriften dieser verbotenen, aber um so gieriger gelesenen Ware in der Champagne. Der Ruf des Werkes drang sogar nach Paris, und schon 1735 wurde Voltaire auf dasselbe aufmerksam gemacht. Indes erst 1762 machte er einen Auszug aus dieser »zu langen, zu schwerfälligen und zu empörenden Schrift, der kurz alles enthält, was lesenswert ist«, das heißt in dem er alles, was Meslier gegen den Gottesglauben und die sozialen Zustände seiner Zeit gesagt, den Kernpunkt des ganzen Werkes, sorgfältig unterdrückt hatte. Wie hätte auch der Deist Voltaire, der Verfasser des » Siècle de Louis XIV.«, der feine Höfling und leichtfertige Spötter diese Sturmfluten von Haß gegen Gott und Königtum befreien können. Welchen Eindruck aber das Buch auf ihn gemacht hat, sieht man aus einem Brief an d'Alembert vom Februar 1762: »Man hat in Holland das Testament von Jean Meslier gedruckt; es ist nur ein kurzer Auszug aus dem Buche dieses Pfarrers. Ich habe geschaudert vor Entsetzen, da ich es las. Das Zeugnis eines Pfarrers, der im Sterben Verzeihung von Gott dafür erbittet, daß er das Christentum gelehrt hat, kann ein starkes Gewicht in die Wagschale der Freigeister werfen. Ich werde Ihnen ein Exemplar von diesem Testament des Antichrist senden, da Sie es ja widerlegen wollen. Es ist mit einer plumpen Einfalt geschrieben, die unglücklicherweise der Redlichkeit gleichsieht.« Brief an d'Alembert, Februar 1762. Le Testament etc., I, LIV. So ist denn das Buch über hundert Jahre der Welt nur in diesem Auszug bekannt gewesen, und erst 1864 hat R. Charles, der es vollständig herausgab, Meslier von der unglücklichen und unwürdigen Rolle befreit, zu der ihn Voltaire verdammt hatte. Le Testament de Jean Meslier ... par Rudolph Charles, Amsterdam 1864, drei Bände, die Ausgabe, nach der ich zitiere. Das Buch trug ursprünglich den Titel: »Aufzeichnungen der Gedanken und Gefühle des J. M..., Priesters, Pfarrers zu Etrépigny und But, über eine Anzahl von Mißbräuchen und Irrtümern im Betragen und in der Regierung der Menschen, in denen man klare und evidente Beweise von der Eitelkeit und Falschheit aller Gottheiten und aller Religionen der Welt findet, geschrieben, um als eine Denkschrift für seine Pfarrkinder nach seinem Tode zu dienen und um ihnen und allen ihresgleichen ein Zeugnis der Wahrheit zu sein.«

Dies Testament ist mit dem Herzblut des Verfassers geschrieben. Durch drei Bände wälzt sich die Flut des ein Leben lang aufgestauten Hasses und der geschärften Erbitterung in ungeheuren Perioden wild und trübe schäumend dahin. Voltaire nennt Mesliers Stil »den Stil eines Droschkenpferdes«. Brief an Helvetius, 1. Mai 1763. Von überallher holt der Scharfsinn eines kühnen, vor keiner Konsequenz zurückschreckenden Geistes die Felsblöcke der Kritik, um sie gegen die Burg des Gottesglaubens und die Feste des Staates zu schleudern – und krachend sinken deren Türme und Wälle in Schutt und Trümmer. Dann sehen wir aus dem gereinigten Grund ein neues Reich des Glücks für die Menschheit erstehen, in dessen Schilderung sich die ganze Güte und Milde dieser von Geschick und Menschen mißhandelten Natur zeigt, so daß wir den wilden Stürmer kaum wiedererkennen.

»Ich habe«, so schreibt er auf dem Umschlag der für seine Gemeinde bestimmten Kopie seines Testaments, »ich habe die Irrtümer, die Mißbräuche, die Eitelkeiten, Torheiten und Schlechtigkeiten der Menschen erkannt; ich habe sie gehaßt und verabscheut.« Le Testament etc., I, XXXIX. Gegen die Irrtümer, Eitelkeiten und Mißbräuche der Menschen ist also sein Werk gerichtet, und daher gilt denn auch sein Angriff in letzter Linie dem Gesellschaftssystem, das die Tyrannei der Fürsten und die Unterjochung der Völker bedeutet. Religion und Kirche werden von ihm, obschon sich der größte Teil seines Werkes mit ihnen beschäftigt, nur deshalb angegriffen, weil sie die Hauptmittel sind, die Völker in Dummheit und Gehorsam zu erhalten. Religion und Politik sollten eigentlich einander entgegengesetzt und feindlich in Prinzipien und Maximen sein. Die Milde und Frömmigkeit der Religion sollten die Härten und Ungerechtigkeiten einer tyrannischen Regierung verdammen; andererseits sollte die Klugheit einer weisen Politik die Mißbräuche, Irrtümer und Betrügereien einer schlechten Religion unterdrücken – aber was sein sollte, ist deshalb noch nicht; nur zu oft ist das, was nicht sein sollte. Religion und Politik verstehen sich vortrefflich, wenn sie einmal eine Allianz miteinander eingegangen sind und Freundschaft geschlossen haben. Wie zwei Beutelschneider arbeiten sie einander in die Hände, stützen und verteidigen sie sich gegenseitig. Die Religion unterstützt die Regierung, so schlecht diese auch sei; zum Lohne dafür unterstützt die Regierung die Religion, so töricht und leer auch ihre Lehren sein mögen. Die Priester, die Diener der Religion, empfehlen bei Strafe des Fluches und ewiger Verdammnis den Gehorsam gegen die Obrigkeiten, Fürsten und Souveräne, da sie von Gott zur Regierung des Volkes eingesetzt seien; die Fürsten sichern die Würde der Priester, geben ihnen gute Stellen und gute Einkünfte und erhalten sie in den leeren und mißbräuchlichen Funktionen ihres falschen Amtes, indem sie das Volk zwingen, alles, was sie selbst tun und den anderen zu glauben und zu tun befehlen, als heilig und geheiligt zu betrachten. Le Testament etc., I, S. 14 bis 15.

Nach einer Kritik der Religionen überhaupt und insbesondere der Dogmatik der christlichen Religion, deren Wesen er in einem gemeinen und verächtlichen Fanatismus erblickt, und deren Stifter für ihn nichts anderes ist als ein »gemeiner und verächtlicher Mensch ohne Geist, ohne Talente, ohne Wissen, kurz, nur ein Narr, ein Unsinniger, ein elender Fanatiker und ein unglücklicher Galgenstrick ( pendard)«, Ebenda, II, S. 66 bis 67. wendet Meslier sich zu einer Kritik der christlichen Moral, die ihn dann zu der des französischen Staates und der Gesellschaft hinüberleitet. Diese Kritik der Religion durch Meslier hat Strauß in seinem Buch über Voltaire, zweite Beilage: »Der Pfarrer Meslier und sein Testament«, ausführlicher auf S. 409 bis 423 dargestellt.

Drei Irrtümer sind es, die Meslier in der christlichen Moral entdeckt: die gänzliche Verdammnis des Fleisches; die Ansicht, daß die Vollendung der Tugend und das größte Gut des Menschen in der Lust an Schmerzen und Leiden bestehe; den Satz, welcher der Gewalt mit Gewalt zu begegnen verbietet und die Feinde zu lieben befiehlt. Diese Moralsätze des Christentums seien geradezu verhängnisvoll für das Geschick der Völker geworden, hätten die Erhaltung und Fortpflanzung des Menschengeschlechts in ihrer Wurzel bedroht und sogar die Tyrannei der Könige und Großen der Welt zum Schaden der Völker autorisiert, die unter dem Joch ihrer harten und grausamen Knechtschaft elend und unglücklich sind.

Wohin man blickt, sagt er, zeigt sich ein ungeheures Mißverhältnis in den Zuständen und Lebensbedingungen der Menschen. Die einen erscheinen nur geboren zu sein, um tyrannisch über die anderen zu herrschen und immer Vergnügen und Genüsse im Leben zu haben; die anderen nur, um elende, unglückliche, gemeine Sklaven zu sein und ihr Leben lang in Schmerz und Not zu seufzen. Weil dieses Mißverhältnis weder durch das Verdienst der einen Klasse noch das Unverdienst der anderen begründet ist, muß es von Grund aus ungerecht und unseres Hasses wert sein. Diese eine Klasse, der aller Reichtum, alle Güter, alle Lust und alle Muße eignet, umfaßt den König und die Prinzen, Adel und Geistlichkeit und alle die reichen und überflüssigen Nichtstuer, die samt ihren Dienern nur von den Früchten der mühseligen Arbeiten der anderen Klasse leben. Diese andere Klasse aber, erdrückt von der Last der Sorgen und des Elends, der Mühe und der Arbeit, das ist das arme Volk, der französische Bauer. Von ihm hat man mit Recht gesagt, daß es nichts so Gemeines und Verworfenes gibt, nichts so Armes und Verächtliches als ihn, der nur für Adel und Geistlichkeit schafft und mit all seiner Arbeit kaum ein Stück Brot für sich gewinnt. Le Testament etc., II, S. 250. Bis herab zum kleinsten Edelmann schindet und plagt alles den Bauern. Wie Ungeziefer den Leib derer, die damit behaftet sind, unaufhörlich beunruhigt, auffrißt und zernagt, so tun alle diese Leute nichts anderes, als das arme Volk beunruhigen, quälen, zernagen und auffressen. Auf dieses drücken nicht bloß die Könige und Fürsten, seine Tyrannen, sondern außerdem noch der ganze Adel, die ganze Klerisei, die ganze Möncherei samt allen Rechtsvertretern, allen Blutsaugern von der Finanz- und Steuerpacht und allem müßigen und unnützen Volk, das es auf Erden gibt. Le Testament etc., II, S. 223. »Man redet euch,« so ruft er aus, »meine lieben Freunde, vom Teufel vor; man jagt euch mit dem bloßen Namen eines Teufels Schrecken ein, indem man euch glauben macht, die Teufel seien nicht nur die größten Feinde eures Glücks, sondern auch das Häßlichste und Abscheulichste, was man sich denken könne. Aber die Maler irren sich, wenn sie in ihren Bildern die Teufel uns wie gräßliche und entsetzliche Ungeheuer vormalen; sie täuschen sich und täuschen euch wie eure Prediger, wenn die einen in ihren Bildern, die anderen in ihren Predigten euch die Teufel so häßlich, so garstig, so mißgestaltet vorstellen. Sie sollten sie euch vielmehr vorstellen wie alle die schönen Frauen und Fräulein, die ihr so wohlgekleidet, so wohlfrisiert und gepudert, so bisamduftend und so strahlend von Gold, Silber und Edelsteinen seht. Die Teufel, die eure Pfarrer und eure Maler euch unter so häßlichen und unerfreulichen Gestalten vorstellen, sind nur eingebildete Teufel, die nur Kindern und Unwissenden Furcht einjagen und denen, die sie fürchten, nur eingebildete Übel verursachen können. Jene anderen Teufel und Teufelinnen dagegen, die Herren und Damen, von denen ich rede, die sind nicht eingebildet, sie sind sichtbar und wirklich vorhanden, wie die Übel, die sie den armen Völkern zufügen, nur gar zu wirklich und fühlbar sind.« Ebenda, S. 180, 181. Übersetzung von Strauß.

Worauf aber, fragt nun Meslier, gründet sich das Recht der Könige und des Adels, allen Reichtum und alle Macht für sich in Anspruch zu nehmen und das arme Volk als seine Sklaven zu behandeln, da doch alle Menschen von Natur gleich sind, von Natur dieselbe Geburt und denselben Ursprung haben und die Natur keine Adligen hervorbringt? Er antwortet darauf mit den folgenden Worten: »Wenn wir den Ursprung des Adels und der königlichen Größe betrachten, die Genealogie der Fürsten und Potentaten verfolgen und bis an die Quelle zurückgehen, werden wir finden, daß die ersten Ahnen dieser Leute, die so viel Lärm und Wesens von ihrem Adel machen, blutdürstige und grausame Leute, Unterdrücker, Tyrannen, Schufte, Verletzer des öffentlichen Friedens, Diebe, Verwandtenmörder waren, kurz, daß der älteste Adel nur Schufterei, unterstützt von Gewalt und Ruchlosigkeit, begleitet von Würde war.« Le Testament etc., II, S. 175. Diese auf so unrechtmäßige Weise erworbene Gewalt wurde dann durch die Jahrhunderte fortgeerbt und mit dem Mantel der Gerechtigkeit, Ehre und Tugend zugedeckt. Es wäre nun die schreiendste und verhaßteste Ungerechtigkeit, auf solchem Fundament ein so seltsames Mißverhältnis zwischen den verschiedenen Klassen der Menschheit zu begründen, das den einen alle Macht, Lüste und Reichtümer gibt, die anderen in die vollendetste Abhängigkeit von ihnen setzt und tatsächlich zu ihren Sklaven macht. Der Stolz und Hochmut der Großen aber ist so gewachsen, daß sie sich für eine vom Volke verschiedene, bessere und reinere Rasse, für ganz und gar andere Wesen halten, zu deren Vergnügen und Dienst das erstere von den Göttern in die Welt gesetzt ist. Das Glück, ihnen zu dienen, ist ihrer Ansicht nach schon eine hinreichend große Belohnung für die, die ihnen zu dienen gezwungen sind.

Als würdiger Gefährte stellt sich dem Adel die absolute Monarchie zur Seite, unter deren Tyrannei ganz Europa seufzt. Ihr Stolz und ihre Unverschämtheit ist so hoch geschwollen, daß sie bereits als einzigen Grund ihrer Handlungen, ihrer Gesetze und Erlasse nur ihren Willen, ihr Belieben anführt: car tel est notre plaisir; sic volo, sic jubeo, stat pro ratione voluntas. Le Testament etc., II, S. 239. Schmeichler haben unseren Königen eingeredet, daß sie Herren über Leib und Gut ihrer Untertanen sind. So opfern sie denn auch alles ihrem Ruhm und ihrem Ehrgeiz, ihrer Habsucht und ihrer Rache. Unter den lächerlichsten und erlogensten Vorwänden bürden sie ihren Untertanen alle Arten von Tailles, Subsidien und anderen Steuern auf; unter ebenso lächerlichen und erlogenen Vorwänden vermehren, verdoppeln, verdreifachen sie dieselben. Fast kein Tag geht ohne neue Lasten, neue Edikte, neue Ordonnanzen hin, und wehe, wenn die Bauern nicht sofort gehorchen, weil sie nicht imstande sind, so schnell die exorbitanten Summen aufzutreiben, die man von ihnen verlangt; dann schickt man ihnen Gendarmen, Soldaten oder anderes dergleichen Gelichter, die sie so lange zu unterhalten und zu besolden gezwungen sind, bis sie ihre Rückstände bezahlt haben. Denn die Maxime der Fürsten und ihrer Premierminister ist, das Volk zu entkräften, bettelarm und elend zu machen, damit es unterwürfiger und unfähig bleibt, jemals etwas gegen ihre Autorität zu unternehmen. Deshalb geben sie auch dem Heere, den Finanziers und Steuerpächtern, deren Diebstähle, Schuftereien, Unterschlagungen, Brutalität und Arroganz alles erdenkliche Maß überschreiten, die Erlaubnis, auf Kosten des Volkes sich zu bereichern, und suchen sie im Volke selbst Streit und Zwietracht zu säen. Um dieses Ziel zu erreichen, konnten sie kein besseres Mittel ersinnen, als die Taille, deren Verteilung auf die einzelnen Zahler alle Einwohner der Dörfer unaufhörlich in Streit und Verfolgungen, in Haß und Feindschaft gegeneinander verwickelt, so daß sie sich gegenseitig mit der größten Bereitwilligkeit umbringen würden, Ebenda, S. 243. deren Beitreibung den Steuerbeamten die schönste Gelegenheit gewährt, nach Herzenslust zu plündern und zu erpressen. Aus alle Art von Waren haben die Könige ihre Zölle und Steuern gelegt, um aus allem, was gekauft und verkauft wird, ihre Profite zu ziehen. Sie legen sie auf Weine und Fleisch, auf Branntweine, Biere und Öle, auf Wolle, Gewebe und Spitzen, auf Pfeffer und Salz, auf Papier, Tabak und alle Arten Getreide; sie lassen sich Eingangs- und Ausgangsgebühren, Kontrollgebühren und Insinuationsabgaben, Gebühren für die Ehen, Taufen und Beerdigungen bezahlen; sie lassen sich für Amortisationen, Servitutskontrakte, für die Benutzung der Wälder und Hölzer, für die Wasserläufe bezahlen, und wenig fehlt, daß sie sich nicht auch für den Lauf der Winde und Wolken bezahlen ließen. Wer in den Ländern der Könige Handel treiben will, muß das Zeichen des apokalyptischen Tieres, die Steuer- und Erlaubnisscheine des Königs, die Zertifikate seiner Leute, Quittungen, Zollfreischeine, Passierscheine, Pässe und Seepässe besitzen, will er sich nicht der Gefahr aussetzen, von den Wächtern und Beamten des »königlichen Tieres« arretiert und ruiniert, zu Geldstrafen, Gefängnis, Galeeren, ja zum Tode verurteilt zu werden. Le Testament etc., II, S. 245 und 246. Ebenso scharf wie gegen das Übermaß von Steuern wendet sich Meslier dann gegen die Art und Weise, wie dieselben, insbesondere die Salzsteuer und Taille, erhoben werden, wobei er sich eng an das damals außerordentlich bekannte Buch L'Espion Turc anschließt. Vaubans und Boisguilleberts Schriften scheint er merkwürdigerweise nicht gekannt zu haben. Wie alle oppositionellen Schriftsteller erblickt auch er eine Hauptursache des Ruins Frankreichs in der Verpachtung der Steuer an die Steuerpächter. 30 bis 40 000 Steuerbeamte sind mit der Beitreibung der Steuern beschäftigt, aber von den 80 Millionen, die sie von dem Volke erpressen, fließen kaum 30 in den Schatz des Königs. Ausführlicher behandelt Meslier dann die Geschichte der Salzsteuer und der Tailles, die wir hier füglich übergehen können. Ebenda, S. 252 bis 256. Das so erpreßte Geld wird dann in wahnwitzigsten Festen und Schwelgereien vergeudet, während die Völker Hungers sterben.

Wenn der König nach Ruhm dürstet oder Ländergier unter den nichtigsten Vorwänden ihn zum Kampf mit seinen Nachbarn treibt, immer ist es das arme Volk, das mit seinem Gut und Blut die Neigungen und Launen seiner Fürsten zu befriedigen hat. Denn aus der Jugend des armen Landvolkes werden die Heere gebildet, in die man sie wider ihren Willen mit Gewalt hineinpreßt, und das arme Landvolk selbst hat sie dann mit seinem Geld und Gut zu unterhalten und ist außerdem noch im Kriege in erster Linie den Insulten und Gewalttätigkeiten einer verrohten und unverschämten Soldateska ausgesetzt. Ob es der französische oder ausländische Bauer ist, der unter der Kriegsfurie zu leiden hat, ist für unseren Pfarrer einerlei. »Patriotismus« ist ein Gefühl, das er nicht kennt, und wenn er etwas verflucht, so ist es das französische Königtum mit seinem Kriegsruhm und seiner Tyrannei. Nirgends haben die Könige ihre Absolutheit zu schwindelnderer Höhe getrieben, nirgends haben sie ihre Völker so arm, so zu Sklaven und Elenden gemacht wie in Frankreich, und alle die französischen Herrscher wiederum, die so viele Menschen getötet haben, so viele Tränen der Witwen und Waisen haben fließen lassen, so viele Städte und Provinzen geplündert und verödet haben, werden bei weitem übertroffen von Ludwig XIV., zubenannt der Große, wahrlich nicht um seiner großen und löblichen Handlungen willen – denn er hat keine, deren er sich rühmen könnte –, sondern seiner großen Ungerechtigkeiten, Räubereien und Usurpationen, seiner großen Verwüstungen und Menschenschlächtereien willen, die er zu Lande und zu Wasser vollbracht hat. Le Testament etc., II, S. 247. Meslier ist einer der bittersten Feinde des Königtums, speziell der absoluten Monarchie, und hat für ihre Verteidiger nur Verachtung und Haß. Ein ganzes Kapitel widmet er der Darstellung »der tyrannischen Regierung der letzten Könige von Frankreich«, die er zum größten Teil einer außerordentlich interessanten Schrift: » Salut de l'Europe en 1'an 1694«, entnimmt, Le Testament etc., II, S. 256 bis 270. Es liegt nicht im Rahmen unserer Darstellung, auf die genannte Schrift einzugehen. Ihr Gedankeninhalt zeigt eine außerordentliche Übereinstimmung mit der schon oben zitterten Schrift » Les soupirs de la France« etc. und sucht darin zu beweisen, in wie hohem Grade diese Fürsten die in ihre Hände gelegte Gewalt mißbraucht haben. Das Ziel aller Regierungshandlungen sollte das Wohlergehen des Volkes sein, und den Fürsten und Königen, die die unerträglichste Tyrannei über ihre Völker gebracht haben, ist ihre Macht und Autorität nur gegeben, um die Völker weise in Gerechtigkeit zu regieren und den Frieden zu erhalten. Die Völker sind nicht für die Fürsten, sondern die Fürsten für die Völker gemacht – es hat Völker gegeben, bevor es Fürsten gab – und die Pflicht eines Fürsten ist es, dem Volke Ruhe durch seine Arbeit und Sicherheit durch seine Gefahren zu verschaffen, zu wachen, daß seine Untertanen in Sicherheit schlafen, kurz, seine Persönlichkeit dem Vaterland zu opfern. Der gute Fürst liebt seine Untertanen wie der Vater seine Kinder, der Tyrann aber behandelt sie wie Sklaven; der gute Fürst opfert sich für das Heil seines Volkes, der Tyrann alle Völker seinem Stolz, seinem Ehrgeiz und seiner Rache; der gute Fürst unterwirft sich dem Gesetz, der Tyrann will, daß ihm alles erlaubt sei; der gute Fürst will lieber das Leben eines seiner Untertanen retten, als Tausende seiner Feinde töten – doch der König Ludwig XIV. war nicht dieser Ansicht, er hätte lieber Tausende seiner Untertanen geopfert, als einem seiner Feinde verziehen. L'Etat c'est moi war sein Prinzip, und ihm gefielen die Worte der Schmeichler, daß er allein Herr im ganzen Königreich sei, daß er allein die Macht hätte, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, nach Belieben Tailles zu erheben und Zölle aufzulegen, Gesetze, Edikte, Ordonnanzen zu erlassen, ganz wie es ihm beliebe. Die Schmeichler haben ihn auch die brutale Politik gelehrt, daß man ein Volk Hungers sterben lassen muß, um es in Unterwürfigkeit zu erhalten, Vergl. dazu noch Bonnemère, La France sous Louis XIV., II, S. 241. In dem L'esprit du cardinal Mazarin, Köln 1695, S. 295, sagt die Maintenon zu Mazarin, der ihr als Geist erschienen ist: »Sie wissen sehr gut, daß Sie zu Ihrer Zeit die Maxime beobachteten, die Völker nieder- und in Armut zu halten, aus Furcht, daß sie im Wohlstand sich widersetzen würden: es ist sicher, daß das Elend sie in Unterwürfigkeit hält und ihnen den Mut nimmt.« und daß Reformen nicht in seinem Interesse sind. Sobald das Volk in Überfluß lebe, werde es stolz und ungelehrig und sei immer zur Revolte bereit. Wohlleben des Volkes und Ansehen der königlichen Gewalt schlössen sich aus, und da die letztere für das Volk notwendig sei, so würde man ihm selbst das größte Unrecht tun, falls man es in eine gute Lage bringen würde. Mit solcher Sophistik wird das Ohr des Königs angefüllt. Niemand wagt ihm zu widersprechen oder sein Benehmen zu tadeln. Ein jeder preist die Laster der Könige als Tugenden, und das Wenige, was sie an Talent und Tugend besitzen, als die außerordentlichsten, seltensten, heroischsten Tugenden. Richter und Magistrate sind zu feige, gegen ihre Laster und Ungerechtigkeiten aufzutreten: wohl verfolgen und bestrafen sie aufs strengste die kleinen Verbrecher, lassen sie die kleinen Diebe und Mörder hängen und rädern, aber sie wagen es nicht, irgend etwas den großen und mächtigen Dieben zu sagen, diesen großen und mächtigen Mördern und Brandstiftern, die die ganze Erde verwüsten, alles in Brand setzen und Tausende und Millionen von Menschen hinmorden lassen. Le Testament etc., II, S. 271, 277, 281 und 282.

Der deutlichste Beweis aber der allgemeinen Korruption ist es, daß sogar die Geistlichkeit alle Prärogative ihres geistlichen Amtes gebraucht, um die Gewalttätigkeiten der Regierung zu rechtfertigen, und in schimpflichster und verbrecherischster Selbstprostitution alle Subtilität des Geistes anwendet, um ihre Usurpationen zu Ansehen zu bringen und deren Übereinstimmung mit allen göttlichen und menschlichen Gesetzen nachzuweisen. Sie, deren Beruf die christliche Religion ist; sie, die als die geistlichen Lenker des Volkes und Verkünder christlicher Liebe ihre Stimmen gegen die Ungerechtigkeit der Großen erheben und die eifrigsten Verteidiger des Volkes und seiner Rechte gegen die Bedrückung und Grausamkeit seiner Henker sein sollten; sie, die Päpste und Bischöfe und Doktoren und Priester und Verkünder des Evangeliums, sind die größten Schmeichler der Könige und Prinzen, die feigsten Verräter des Volkes und die größten Sünder gegen die Pflichten ihres Amtes. Gegen die geringsten Fehler und Laster des armen Volkes donnern sie von ihren Kanzeln, bei den verabscheuungswürdigsten Lastern und Ausschweifungen der Könige und Großen sind sie »stumme Hunde«. Le Testament etc., II, S. 284. Sie lehren, daß die Macht der Fürsten von Gott stammt und daß, wer sich diesen widersetzt, gegen Gott sündigt und die ewige Verdammnis erwirbt. Sie beten täglich für das Wohlergehen der Könige und lassen die Völker dahinsterben. Sie beten für den Sieg ihrer Heere und die Niederlage ihrer Feinde. Bleiben die Siege trotzdem aus, so ist die Sünde des Volkes schuld an diesem Zorne Gottes; folgt aber der Sieg ihren Fahnen, so preisen sie in Tempeln und Kirchen die Gnade, die Gott seinem Gesalbten erwiesen, und danken dem Herrn in prächtigen Freude- und Lobgesängen für die siegreichen Schlächtereien, Plünderungen und Verwüstungen, mit denen jene die Länder beglückt haben. Das sind die falschen Propheten, die zu Tausenden vom Schweiße des französischen Bauern sich mästen, die das Gelübde der Armut abgelegt haben und in prächtigen Schlössern die Genüsse dieses Lebens schlürfen, die zur Arbeit und einem ehrlichen Leben zu faul, von Bettelei und Erpressung leben. Gerade dieses faule und nichtsnutzige Gesindel ist am besten mit allen Gütern dieser Welt versehen. Die Pfarrer dagegen, die mit der geistlichen Leitung der Seelen und der Sorge beauftragt sind, die Bauern ebenso in guten Sitten wie in dem leeren Aberglauben ihrer Religion zu unterrichten, die also in einer gewissen Art und Weise für das Gemeinwohl arbeiten und damit ein Recht auf Unterhalt erwerben, sind schlecht bezahlt und leben nicht viel besser als die Bauern selbst.

Die Mönche geben vor, in der Abtötung des Fleisches und Geistes und in fortwährenden Bußübungen zu leben, hören aber doch nicht auf, angenehm in der Welt zu leben und Reichtümer, Güter und Annehmlichkeiten des Lebens zu besitzen. Ihre Klöster sind wie Herrenhäuser oder Fürstenpaläste; ihre Gärten wie irdische Paradiese, wo die schönsten Blumen und Früchte gedeihen; ihre Küchen sind in allem mit Überfluß versehen, was die Gelüste des Magens zu befriedigen vermag, Fisch wie Fleisch, je nach den Einrichtungen ihrer Orden. Sie haben überall bedeutende Pachtgüter, die ihnen große Revenuen einbringen, ohne daß sie sich die geringste Mühe zu geben hätten, sie durch die Arbeit ihrer Hände zu erwerben; in den meisten Kirchspielen erheben sie reichliche Zehnten und genießen oft alle Rechte eines Seigneurs, so daß sie das Glück haben, reichlich, ohne Mühe und Arbeit da zu ernten, wo sie nicht gesät haben, und da zu sammeln, wo sie nicht ausgestreut haben. Sie sind daher tatsächlich reich, ohne etwas zu tun, und befinden sich in der Lage, gut und nach Behagen in einer süßen und frommen Faulheit zu leben. Le Testament etc., I, S. 186. So hat zum Beispiel ein kleiner Benediktinermönch die Auswahl zwischen 15 000 oder nach anderen sogar 37 000 Klöstern, alle wie fürstliche Paläste gebaut, in die er sich zurückziehen kann, um dort im Schoße des Reichtums seinem Gelübde der Armut nachzuleben. Alle diese Faulenzer aber leben von der Arbeit anderer und fallen der Gesellschaft zur Last, da sie selbst keine nützliche Arbeit verrichten. Eine schreiende Ungerechtigkeit ist es, diesem faulen und unnützen Volke die Nahrung zu geben, welche die guten Arbeiter allein haben müßten, und deren Händen zu entreißen, was sie im Schweiße ihres Angesichts produzieren, um es so vielen unnützen Mönchen zu geben. Und was von diesen gilt, trifft in noch viel höherem Grade auf die Bettelmönche Gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts nimmt die Zahl der Mönchs- und Nonnenklöster ebenso zu wie die Zahl der Bettelmönche. Es ist dies ein untrügliches Zeichen für das steigende Elend. Die Arbeit ernährt nicht mehr, und so greift man zum Bettel, aber zum legalen, geachteten: man wird Bettelmönch. Meslier gibt im Testament, II, S. 193, die Zahl der Bettelmönche nach der Schätzung des Bischofs du Bellay auf 1 200 000 an. Ohne Zweifel übertrieben! zu, die dem Publikum noch mehr zur Last sind. Denn obschon sie scheinbar nichts besitzen, besitzen sie tatsächlich alles, und noch dazu mit geringerer Sorge, Arbeit, Mühe und Anstrengung als die Klostermönche. Sie sind die Herren aller Gewissen und aller Börsen in den Städten und brauchen nur zu bitten, um zu haben; sie sind kleine Götter: sie sagen, und es geschieht. Während aber der Staat mit strengen Gesetzen die arbeitsfähigen Bettler bestraft, schickt die Kirche ein ganzes Heer solcher arbeitsscheuen Schufte aus, für die es ehrenvoll ist, vom Bettel zu leben. Denn es ist eine große Albernheit, zu sagen, daß sie durch ihre Gebete, Messen und Opfer den Zorn Gottes abwenden und die Segnungen des Himmels, die, wie man sagt, das größte Gut für die Menschen sind, auf die Völker herabbeten und deshalb einen guten und ehrbaren Unterhalt verdienten. Eine einzige Stunde tüchtiger Arbeit ist mehr wert als alle die Messen, Gebete und Predigten aller Pfaffen und Prediger. Der gute Landarbeiter schafft mit seinem Pfluge mehr Nahrung, als er für sich gebraucht; die Gewerbe der kleinsten und geringsten Handwerker sind für den Staat nützlich und notwendig, selbst die Flötenspieler und Fiedler haben ihr Verdienst, da sie die Menschen ergötzen; aber das Gewerbe der Priester und besonders der Mönche ist nur eine Profession voll Irrtümer, Aberglauben, Betrügereien und Gauklereien und weit entfernt davon, nützlich und notwendig zu sein, vielmehr schädlich und verderblich. Wozu dienen denn alle diese Priester und Pfaffen, diese Äbte und Priore, diese Kanonizi und Kaplane, alle diese frommen und lächerlichen Maskeraden von Mönchen und Nonnen in der Welt, da sie doch der Gesellschaft keinen wirklichen Dienst erweisen und nicht die geringsten Funktionen in den Kirchspielen verrichten? »Ich begreife nicht,« sagt ein Türke, den Meslier zitiert, wohl der Espion Turc, »aus welchen Gründen der Politik man wohl eine Pflanzschule geistlicher Blutsauger kultiviert, die zu nichts anderem dienen, als das Blut der Nation bis auf den letzten Tropfen auszusaugen.« Le Testament etc., II, S. 201. Unser Pfarrer ist ebenfalls nicht imstande, dies zu begreifen, und so sagt er denn, man könnte sich nur dem Wunsche jenes Mannes anschließen, der da geäußert hätte: »Ich wünschte, daß alle Großen und Edlen der Erde mit den Gedärmen der Pfaffen aufgehängt und erdrosselt würden.« Der Ausdruck wäre zwar plump und roh, aber frei und naiv, kurz, aber deutlich und drücke in wenig Worten alles aus, was diese Art von Leuten verdiene!

Aber mit dem Königtum, dem Adel und der Geistlichkeit ist die Zahl derer noch nicht erschöpft, deren einzige Aufgabe es ist, ihre weniger starken Nebenmenschen niederzutreten, zu peinigen und aus ihnen soviel wie möglich herauszupressen. Dazu müssen noch alle die gerechnet werden, die man gewöhnlich Diener des Rechts nennt, die aber vielmehr des Unrechts sind: die Gerichtsdiener, Prokuratoren, Advokaten, Aktuare, Notare, Räte usw., die Unzahl von Bureaubeamten, Zoll- und Steuererhebern, das Gewimmel der Schurken, Canaillen und Schufte von Tabaks- und Salzsteuerbeamten, die alle am Ruin des Volkes sich vergnügen und unter dem Vorwand, dem König zu dienen, alle Schwachen und Wehrlosen berauben und bestehlen, ruinieren und bedrücken. Le Testament etc., II, S. 210.

Die Gewalt der Starken in Verbindung mit dem Trug der Pfaffen hat die Ungleichheit in der Menschheit dadurch geschaffen, daß sie die Güter und Reichtümer der Welt in ihren Sonderbesitz nahmen, um sie für sich zu genießen, ein jeder, wie es ihm gut dünkt. Dieser Mißbrauch, der fast allgemein in der ganzen Welt herrscht, ist von den unheilvollsten Wirkungen für die Menschheit geworden. Ein jeder strebt, soviel wie möglich zu haben. Die unersättliche Habgier, die Wurzel alles Übels, erblickt, gewissermassen durch eine offene Tür, die Erfüllung aller ihrer Wünsche und treibt den Menschen hinein in den Kampf um das Eigentum, damit er soviel als möglich davon zur Befriedigung seiner Bedürfnisse und Genüsse für sich erwerbe. Die Stärksten und Schlauesten, die oft zugleich die Schlechtesten und Unwürdigsten sind, gehen als Sieger aus diesem Kampfe hervor. So scheidet denn diese Einrichtung des Privateigentums die Menschen in die Klassen der Reichen und Armen. Die einen wohlgekleidet, die anderen in Lumpen; die einen in prächtigen Palästen, die anderen in schmutzigen Hütten; die einen in allen Genüssen der Erde schwelgend, die anderen vor Hunger sterbend; die einen ein Leben voll Freude, die anderen voll Elend und Kummer lebend; die einen mit Ehren überhäuft, die anderen verachtet und gemieden; die einen durchs Leben dahinfaulenzend, die anderen für ein erbärmliches Stück Brot Blut schwitzend; die einen im Paradiese, die anderen in der Hölle – und oft nur eine schmale Straße, die Dicke einer trennenden Mauer zwischen Himmel und Hölle – das sind die Reichen und die Armen; das ist das Glück, das der Besitz den einen, das Elend, das die Armut den anderen als Patengeschenk in die Wiege gelegt hat. Woher anders stammen aber alle diese Reichtümer, durch deren Besitz es dem Reichen möglich wird, die Erde zu einem Paradies für sich zu gestalten, wenn nicht aus der Arbeit des armen Volkes? Seine Industrie schafft all den Glanz und Schimmer, der die Höfe erfüllt, seine Hände schaffen die Größe und Macht seiner Unterdrücker. Was sie ihm erpreßt haben, das macht sie so stolz und übermütig und liefert ihnen neue Mittel zur Unterdrückung. Aus dieser Scheidung der Menschen in die beiden Klassen der Besitzenden und Nichtbesitzenden entstehen mit Notwendigkeit der Haß und Neid unter ihnen, die Aufstände und Kriege mit ihrem ganzen ungeheuren Gefolge von Leiden und Lastern. Das ganze Leben wird zum fortgesetzten Kampfe um das Eigentum. Die Besitzenden leben in fortwährender Unruhe und Sorge um ihr Hab und Gut, für das sie in unendlichen, sie oft ruinierenden Prozessen zu kämpfen haben. Die aber, die nichts, nicht einmal das Notwendige besitzen, werden gezwungen, alle möglichen schlechten Mittel zu gebrauchen, um ihren Lebensunterhalt zu erringen. So entstehen die Betrügereien, Schuftereien, Ungerechtigkeiten, Räubereien, Diebstähle, Totschläge und Morde, die eine Unzahl von Übeln über die Menschen bringen. Le Testament etc., II, S. 215.

Hier tritt nun die merkwürdige Doppelstellung, die Meslier in seiner Kritik des damaligen Gesellschaftssystems einnimmt, aufs klarste zutage. Er lebt in der Übergangszeit, in der sich das moderne kapitalistische Wirtschaftssystem und der moderne Staat aus dem feudalen in Frankreich herausringen. Alles, was stabil gewesen, gerät ins Schwanken. Die neuen Bildungen erscheinen neben den alten und erzeugten mit ihrer Existenz neue Übel zu den alten überlieferten Mißbräuchen hinzu. Daher ist auch die Kritik Mesliers eine schwankende, doppelte, gegen den alten Feudalstaat wie gegen das neue, siegreich sich die Herrschaft erkämpfende kapitalistische System gerichtet, die bei aller Verschiedenheit beide das gemeinsam haben, daß sie auf der Versklavung des Volkes sich aufbauen. Neben der Kritik der feudal-bevorrechtigten Stände des Adels und der Geistlichkeit finden wir die nicht minder scharfe Kritik des privaten Eigentums und der Klasseneinteilung der modernen Gesellschaft in Besitzende und Nichtbesitzende. So zeigt sein Werk ein doppeltes Gesicht: kapitalistische Kritik des Feudalismus und sozialistische Kritik des Kapitalismus. Voltaire hatte die letztere sorgfältig aus seinem Auszuge ausgemerzt.

Doch mit der Kritik des französischen Staates und der christlichen Religion ist Mesliers Werk noch nicht vollendet. Es gilt noch die Kritik des Gottesbegriffes selbst, der Seele und ihrer Unsterblichkeit durchzuführen, um nach Vernichtung alles Wahns von einem den Guten lohnenden, den Schlechten strafenden Gott den in Phantasien überirdischen Glückes sich verlierenden menschlichen Geist auf dieser Erde festzuhalten, auf ihr allein ihm die Stätte seiner Wirksamkeit anzuweisen. Vor seinem Denken zerfällt die Person eines Gottes als wesenlose Schöpfung, mit ihr die Immaterialität der Seele, das Leben nach dem Tode und die jenseitige Vergeltung. Die Priester gaukeln dem Volke zwar vor, daß sie es zum Himmel führen und ihm dort ewige Glückseligkeit verschaffen wollen, hindern es aber gerade dadurch, in Ruhe sein wirkliches Glück auf der Erde zu genießen. Unter dem Vorwand, es in einer anderen Welt vor den eingebildeten Strafen einer Hölle zu bewahren, die es nicht gibt, lassen sie es in diesem Leben, dem einzigen, das es anzusprechen hat, die Qualen einer wirklichen Hölle erdulden. Tausende und aber Tausende guter und gerechter Menschen gibt es, die nie eine Belohnung ihrer Tugenden und guten Werke erhalten, und andererseits Tausende und aber Tausende elender und verabscheuungswürdiger Verbrecher, die niemals für ihre Schandtaten bestraft werden. Denn es gibt keinen Gott, der irdisches Leid mit himmlischem Glück belohnt. Will also das Volk noch länger auf alles Glück verzichten?

»Ich wollte,« so ruft Meslier aus, »meine Stimme schallte von einem Ende des Königreichs zum anderen, wie von einem Ende der Welt zum anderen. Ich würde aus allen Kräften schreien: Ihr seid Toren, o Menschen! Ihr seid Toren, euch so gängeln zu lassen und so blind an eine Unzahl von Dummheiten zu glauben! Ich würde ihnen ihre Irrtümer zeigen und ihre Leiter als Betrüger und Menschenschinder entlarven! ... Ich würde ihnen ihre Feigheit zum Vorwurf machen, daß sie so lange die Tyrannen leben lassen und das hassenswerte Joch ihrer tyrannischen Regierung nicht abschütteln.« Le Testament etc., III, S. 372. Und hier verliert sich nun unser Pfarrer in eine Spekulation über den Tyrannenmord, die uns mit einem Schlage aus dem Beginn des achtzehnten Jahrhunderts – denn in diese Zeit müssen wir die Abfassung des Testaments setzen – in die Zeit der Religionskriege mit ihren tyrannenmörderischen Maximen und Taten zurückversetzt. Wir würden uns nicht wundern, unserem Pfarrer in den Zeiten der Liga zu begegnen, in die er mit der mächtigen Energie und Maßlosigkeit seiner Worte, Gedanken und Gefühle viel eher hineinpaßt als in jene Fin-de-siècle-Periode der Regierung Ludwigs XIV. mit ihren kraftlosen degenerierten Marionetten, deren Opposition in einem weinerlichen Gegreine erstirbt.

Ein Schriftsteller des Altertums, so beginnt unser Landpfarrer seinen Aufruf an die Völker zum Kampfe gegen ihre Unterdrücker, Ebenda, S. 373 ff. hat einmal gesagt, daß es nichts so Seltenes gäbe, als einen alten Tyrannen; und der Grund davon war, daß damals die Menschen noch nicht feige genug waren, Tyrannen lange leben und regieren zu lassen. Jetzt aber haben sich die Menschen, ohne es selbst gewahr zu werden, an die Knechtschaft so gewöhnt, daß ihnen ihre Sklaverei fast zu einem natürlichen Zustand geworden ist, und mit dem Sklavensinn der Menschen ist der Hochmut und Übermut der Tyrannen »aus dem Übermaß ihres Glückes und dem Überfluß ihres Fettes gewachsen«. Schon lange ist das Geschlecht der Tyrannenmörder, der würdigen und edlen Verteidiger der Freiheit entschlafen. Es gibt keine Jacques Clement und Ravaillacs mehr, die einst den Mut hatten, diese verabscheuungswürdigen Ungeheuer und Feinde des Menschengeschlechts zu erschlagen, keine Prediger und Schriftsteller mehr, die kühn genug wären, ihre Laster, Ungerechtigkeiten und schlechte Regierung zu tadeln und zu brandmarken und das Volk zum Aufstand gegen sie zu entflammen. Zur Schande des Jahrhunderts sei es gesagt, daß es nur noch feige und miserable Sklaven, erbärmliche Schmeichler und gemeine Vollführer der schlechten Pläne und Erlasse der Tyrannen gibt. Richter und Beamte des Königreichs, die Intendanten und Gouverneure der Provinzen, die Führer der Heere, alle Offiziere und Soldaten suchen ihre Ehre darin, die Befehle des Königs auszuführen, was immer dieselben auch enthalten mögen, und würden sich nicht scheuen, ihr eigenes Vaterland in Brand zu stecken, wenn die Laune des Tyrannen es einmal verlangte. Von all diesen Leuten ist keine Rettung für das Volk zu erwarten, sie alle haben vielmehr ein Bündnis geschlossen, das Volk unter ihrem tyrannischen Gesetzesjoch festzuhalten, gemeinsam, wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe es niederzuhetzen und als Beute zu verschlingen. Die Rettung des Volkes liegt in seinen eigenen Händen; seine Befreiung hängt nur von ihm ab, da es alle Mittel und Kräfte besitzt, sich zu befreien und seine Tyrannen zu seinen Sklaven zu machen. Denn alle ihre Größe, ihre Reichtümer, ihre Kräfte und ihre Macht kommen ihnen nur aus dem Volke. Seine Kinder dienen ihnen im Krieg wie in den meisten Ämtern. Mit seinen eigenen Kräften werfen sie es nieder und halten es in Knechtschaft, und mit seinen eigenen Kräften würden sie die Städte und Provinzen eine nach der anderen vernichten, falls wirklich einige von diesen es unternehmen würden, ihnen Widerstand zu leisten und ihr Joch abzuschütteln. Wenn aber alle Völker und alle Städte und Provinzen sich vereinigen und verschwören, vom gemeinsamen Feind sich gemeinsam zu befreien, so würden die Tyrannen sehr bald besiegt und vertilgt sein.

So fordert Meslier denn alle Völker zur Einigung und zum Kampfe gegen ihre Unterdrücker auf. » Unissez-vous donc, peuples« – »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« – vereinigt euch, wenn ihr das Herz habt, euch von all eurem gemeinsamen Elend zu befreien! Ermutigt einander zu einem so edlen und wichtigen Unternehmen! Beginnt zuerst damit, heimlich eure Gedanken und Wünsche einander mitzuteilen! Verbreitet überall aufs geschickteste Flugschriften, die aller Welt die Leerheit der Irrtümer und des Aberglaubens der Religionen klarmachen und überall das tyrannische Regiment der Könige und Fürsten der Erde verhaßt machen! Helft einander in dieser so gerechten und notwendigen Sache, bei der es sich um das gemeinsame Glück aller Völker handelt. Vereint wird es den Völkern gelingen, die Throne ihrer Unterdrücker umzuwerfen, die Herrschaft des Adels und der Reichen zu vernichten. Alle Streitigkeiten und Feindseligkeiten gegeneinander müssen die Völker unterdrücken, allen Haß und allen Unwillen gegen die gemeinsamen Feinde, gegen die übermütige, überstolze Rasse von Menschen wenden, die sie elend machen und ihnen die besten Früchte ihrer Arbeit rauben. Wenn dann die hochmütigen Tyrannen mit ihren Intendanten, Gouverneuren, Steuerempfängern und Beamten, der stolze Adel, die prächtigen Prälaten, Bischöfe, Abbés, Mönche und all die anderen reichen Herren und Damen, die nur von der Arbeit des armen Volkes leben, verjagt, die Völker befreit sind und das unterdrückende Gesellschaftssystem zerschlagen ist, so gilt es, das neue Gemeinwesen zu schaffen.

Wir wollen nun versuchen, von diesem neuen Gemeinwesen nach einigen Andeutungen Mesliers ein Bild zu entwerfen. Selbstverständlich liegt der Schwerpunkt des Meslierschen Buches nach der Seite der Kritik, in der er an vielen Stellen geradezu Vortreffliches leistet, während der konstruktive Teil nur sehr dürftig ausgefallen ist. Die ganze Anlage des Buches wie sein Zweck brachten es mit sich, die Kritik der Konstruktion gegenüber in den Vordergrund zu stellen. Er wollte die Menschen über ihre Vorurteile und Torheiten, über die Ungerechtigkeiten der bestehenden Gesellschaft belehren; da mußte er denn auch in der Hauptsache kritisch vorgehen und sich darauf beschränken, an einzelnen Stellen Andeutungen zu geben, wie er sich eine bessere Gesellschaftsform dächte und die Hauptzüge einer solchen, die Gütergemeinschaft mit der für alle gleichen Arbeitspflicht, die Föderation der Gemeinden, die gesellschaftliche Erziehung der Kinder, die neue Eheform usw. nur zu skizzieren. Aber noch ein anderer Grund kommt hinzu, seine Kürze nach dieser Richtung hin zurechtfertigen. Meslier schrieb für Bauern, in erster Linie die französischen Bauern, die Bauern seines Kirchspiels, und wenn er diesen die Gütergemeinschaft als Idealform der Gesellschaft hinstellte, so sah er sich der Notwendigkeit überhoben, diese bis in ihre Einzelheiten, wie sie sich vielleicht in seinem Kopfe darstellte, zu entwickeln. Gütergemeinschaft kannte der französische Bauer aus seinen Hausgemeinschaften, den Communautés agricoles, zur Genüge – auch in der Champagne, wo Mesliers Dorf lag und wo er den größten Teil seines Lebens zubrachte, gab es noch unter Ludwig XIV., bis tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein solche Hausgemeinschaften in großer Zahl –, ihr Mechanismus war ihm durchaus vertraut, wozu hätte also Meslier noch ausführlicher auf diese eingehen sollen? Das Ziel war ein bekanntes für den Bauern, es war nur die Ausdehnung einer bereits vorhandenen Einrichtung auf ganz Frankreich. Um die Mittel und Wege, dahin zu gelangen, handelte es sich also für Meslier, und diese konnte er zunächst nur in der Belehrung und Erziehung des unterdrückten Bauernstandes sehen, »den man gemäß den Sätzen einer erleuchteten Politik in die tiefste Unwissenheit und Furcht vor Gott und den ewigen Strafen verstrickt hatte, um ihn besser im Zaume zu halten«. Le Testament etc., III, S. 391. Außerdem ist auch Meslier seinem ganzen Wesen und geistigen Horizont nach so durchaus Bauer, daß die Industrie und die durch ihre Entwicklung bereits bewirkte oder doch sich bereits vollziehende Revolution der gesamten Verhältnisse vollständig seinem Blick entgehen konnten, und daß Probleme, welche die großen Städte, wie Paris und Lyon zum Beispiel, bieten, für ihn ebensowenig vorhanden sind.

Das Grundprinzip seiner neuen Gesellschaft ist der Satz, daß alle Menschen von Natur, und zwar nicht nur juristisch, sondern in erster Linie sozial gleich sind. Ein jeder Bürger hat ein Recht daraus, zu leben, seine natürliche Freiheit und seinen Anteil an den Gütern dieser Welt zu genießen; aber dies Recht auf eine ausreichende Existenz ist an die Bedingung nützlicher Arbeit für das Gemeinwesen gebunden. Der Mißbrauch des privaten Eigentums ist abgeschafft; alle Güter und Reichtümer der Erde sind Gemeineigentum. Die Bewohner einer Stadt, eines Marktfleckens, eines Dorfes schließen sich zu einer großen Familie zusammen, »indem sie sich als Brüder und Schwestern, als Kinder desselben Vaters und derselben Mutter betrachten und deshalb friedlich und gemeinschaftlich zusammenleben, dieselbe Nahrung haben, in gleicher Weise gut gekleidet sind, gut wohnen, gut schlafen und mit gutem Schuhwerk versehen sind«. Ebenda, II, S. 211. Unter Leitung der Weisesten und Besten der Gemeinde leisten sie alle, ein jeder in seiner Profession, nützliche und ehrbare Arbeit, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Denn obschon alle gleich sind, so bedarf doch die Gesellschaft, weil es eben eine menschliche Gesellschaft ist, um ihre Zwecke, die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Versorgung der Glieder mit dem notwendigen Lebensunterhalt, zu erfüllen, einer bestimmten Gliederung und Unterordnung der Menschen untereinander. Diese soll aber eine durchaus gerechte und wohlproportionierte sein und weder die einen zu sehr erheben noch die anderen zu sehr erniedrigen. Es ist nicht die Aufgabe junger Kinder, Toren und Tollhälse, noch lasterhafter und schlechter Menschen, wie der Zufall der Geburt sie heutzutage zur Regierung bestimmt, sondern die Aufgabe der Weisesten, die anderen zu leiten, zu regieren und gute Gesetze zu geben, deren Ziel stets die Beförderung und Erhaltung des öffentlichen Wohles sein muß. – Wenn ein jeder ehrbare und nützliche Arbeit verrichtet und die Güter der Erde und die Früchte der Arbeit und des Fleißes der Bürger weise verwaltet werden, so werden alle hinreichend und genug haben, um zufrieden und glücklich zu leben. Denn die Erde produziert die zum Unterhalt der Menschen notwendigen Dinge fast immer in hinreichender Menge, oft aber im Überfluß. Keine Sorge für sich und seine Kinder würde den Menschen in einer solchen geregelten Gemeinschaft bewegen. Betrug und Täuschung werden verschwinden: kein Prozeß wird um die Güter gefochten werden müssen, um die dann niemand mehr den anderen beneidet, kein Mord und kein Diebstahl wird den Frieden der Gemeinde stören.

Die Gemeinden würden also friedlich ihr Land in Gemeinsamkeit planmäßig bebauen und gemeinsam die Früchte verzehren, die sie auf ihrem Gebiet durch ihre Arbeit erzielt haben. Alle diese Dorf- und Stadtgemeinden schließen untereinander Frieden und ewiges Bündnis ab, um sich gegenseitig zu helfen und in ihren Bedürfnissen zu unterstützen, denn ohne das könnte das Gemeinwohl nicht existieren.

In diesem neuen föderativen Gemeinwesen wird es keine neue Religion geben, da der Glaube an Götter und ihre Idole die Menschen nur wieder unglücklich machen und, wenn mit der Abschaffung der Gütergemeinschaft verbunden, in die alte Sklaverei zurückwerfen würde. Nur eine Sittenlehre soll gelten, deren Prinzipien die Gerechtigkeit und Brüderlichkeit sind. Sie wird den Menschen den Adel der Gesinnung geben, indem sie für das Wohl und die Freiheit der Gesamtheit zu arbeiten lehrt. Da aber nur das Licht der natürlichen Vernunft, nicht Bigotterie die Menschen zur Vollendung in Wissenschaft, Kunst und Moral bringen kann, Unwissenheit aber und Mangel an Erziehung die Menschen lasterhaft und schlecht macht, so legt Meslier den größten Wert auf die Erziehung der Kinder. Während jetzt viele von ihnen unter der Armut und Verkommenheit ihrer Eltern zu leiden haben oder als Waisen schutzlos, ohne Erziehung und Unterricht aufwachsen und oft jämmerlich ihr Brot von Tür zu Tür erbetteln müssen, übernimmt in Mesliers Staat die Gemeinschaft die Erziehung und den Unterricht der Kinder. Alle werden den gleichen Unterricht sowohl in der Sittenlehre wie den Wissenschaften erhalten und so zu brauchbaren Mitgliedern der Gemeinschaft erzogen werden. – Auch die Regelung des Verhältnisses der beiden Geschlechter unterliegt einer vollständigen Umwälzung. An die Stelle der unauflöslichen katholischen Ehe, die er auf das schärfste angreift, und deren Übelstände für Gatten und Kinder im Falle einer unglücklichen Ehe er auf das scharfsinnigste darlegt, tritt die freie Verbindung der beiden vollständig gleichberechtigten Geschlechter nur nach Neigung. Da nur diese eine glückliche Ehe garantiert, so kann die Verbindung sofort gelöst werden, wenn sie geschwunden ist und eine neue Neigung die Gatten zu neuer Ehe treibt.

Dieser Pfarrer in dem kleinen Ardennendörfchen ist eine wunderbare Persönlichkeit. Er empört sich, daß die kartesische Schule den Tieren die Empfindung abspricht und sie als bloße Maschinen betrachtet, und beklagt es, daß es keine Tyrannenmörder mehr gäbe. Er provoziert einen Streit mit dem Edelmann seines Dorfes, weil dieser einen Bauern geprügelt, und erträgt geduldig ein Leben, das nichts weiter war als eine große Mißhandlung aller seiner Gedanken und Gefühle. Selbstempfundenes Leid – Meslier hatte eine harte Jugend hinter sich – und mitempfundenes Elend haben mit der ganzen Gewalt ihrer Unmittelbarkeit eine zarte Natur getroffen, die es nicht verstehen kann, wie ein Gott der Güte die große Mehrheit der Menschen so unglücklich hat machen können. Die Ungerechtigkeit des Gesellschaftssystems, in dem er lebte, ergriff einen freien und kühnen Geist, warf ihn aus dem Gleichgewicht heraus und zerstörte eine Ergebenheit, in die ihn die Erziehung zum geistlichen Stand zu fesseln drohte. So ward sein Priestergewand für Meslier zum Nessuskleid, das wie höllisches Feuer auf seiner offenen, wahrheitsliebenden Natur brannte und ihre Milde und Güte in furchtbaren Haß und Bitterkeit verkehrte. Sein Mitleid mit denen, die er unter fast untragbarer Last durchs Leben dahinkeuchen sah, hat ihn Töne des Hasses gegen alle Unterdrücker und Ausbeuter finden lassen, die in ihrer dämonischen Gewalt noch die jetzigen Leser ergreifen. Heine sagt einmal von Kant, »hätten die braven Königsberger Spießbürger gewußt, welche zerstörenden, weltzermalmenden Gedanken das Gehirn jenes Mannes umwälzte, den sie so freundlich zu grüßen pflegten, sie würden vor ihm eine weit grauenhaftere Scheu empfunden haben als vor einem Scharfrichter«. Was ist Kant gegen unseren Pfarrer? Der Teufel selbst hätte seinen Beichtkindern nicht grauenhafter und fürchterlicher erscheinen können als dieser Priester, der nicht nur Gott und die ganze himmlische Besatzung, sondern auch Könige und Prinzen, Adel und Geistlichkeit mitleidslos über die Klinge springen ließ.


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