Carl Karlweis
Wiener Kinder
Carl Karlweis

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Fünftes Kapitel.

Eine Verlobung.

Am nächsten Morgen, da Herr Riedl eben seine Schlafkammer verlassen will, tritt ihm Frau Stölzl in der Küche entgegen. Die resolute Witwe spricht anfänglich kein Wort, sie stemmt nur die Arme in die Hüften und sieht ihren jungen Mieter durchdringend an. Dieser vermag ihren Blick nicht zu ertragen. Verlegen senkt er den Kopf, fährt sich mit den langen Fingern durch die krausen Haare und stottert endlich ein verschüchtertes »Guten Morgen, Frau Stölzl!«

Die Witwe mißt ihn immer drohender vom Kopf bis zu den Füßen.

»Na?« beginnt sie endlich mit unheimlicher Ruhe. »Ist das alles? Haben Sie mir sonst nichts zu sagen?«

»O, Frau Stölzl, – ich weiß wohl, daß heute der Erste ist!« Herr Riedl macht hier eine verzweifelte Anstrengung, seiner gestrengen Hauswirtin ins Gesicht zu sehen. Aber es geht nicht; etwas Raubtierähnliches liegt in dem Blicke dieses Weibes, das jetzt einen vernichtend ironischen Ton anschlägt.

»Ah, das ist aber schön von Ihnen, Herr Riedl, daß Sie den Kalender so gut im Kopf haben! Ich hätt' mir 136 ja auch denken können, daß ein so pünktlicher, ordentlicher Mensch wie Sie nicht auf den Ersten vergessen wird! Gewiß haben Sie jetzt grad in die Sparkasse gehen und dort das Geld für mich holen wollen, – nicht wahr, Herr von Riedl?« Eine Welt voll Hohn liegt in diesem »Herr von Riedl«. Der Geiger fühlt die ganze Wucht dieses Spottes und knickt ersichtlich zusammen. Frau Stölzl aber wechselt nun noch einmal die Angriffsart.

»Das sag' ich Ihnen,« droht sie mit plötzlich anschwellender Stimme, die wie nahe grollender Donner klingt, »wenn Sie mir den schuldigen Zins nicht noch heute bezahlen, dann erleben Sie was! Merken Sie sich das. Ich bin nur eine arme, hilflose Witwe, aber mit Ihnen werd' ich doch noch fertig!«

Herr Riedl bezweifelt dies nicht im geringsten. Er murmelt zerknirscht eine unverständliche Versicherung und sucht sich dann vorsichtig an der resoluten Witwe vorbei zu drücken. Dabei lächelt er so ergeben und verbindlich, als er nur irgend vermag, und versucht, um recht harmlos zu scheinen, ein anderes Gespräch anzuknüpfen. Er fragt nach Pepi, dem »herzigen« Sprößlinge der Witwe.

Diese Frage wirkt denn auch in der That beruhigend auf Frau Stölzl. Sie antwortet zwar noch immer abweisend:

»Seit wann kümmern denn Sie sich um das arme vaterlose Kind?« Aber sie benutzt diesen Anlaß doch, die außerordentlichen Eigenschaften des in seiner Art einzig dastehenden Pepi des Ausführlichen aufzuzählen und ihre Stimmung wird dabei von Minute zu Minute weicher.

»Ja, wenn der Bub einen Vater hätt'!« schluchzt sie endlich mit thränenerstickter Stimme. Der Geiger ist nun erst recht verlegen. Die Witwe hat in ihrem jäh erwachten Schmerze eine Stütze gesucht und lehnt an der Ausgangsthüre, 137 er kann ihr also noch schwerer als vorhin entschlüpfen. Überdies vermag er Thränen nicht zu sehen, ohne selbst ein bedenkliches Zwinkern in den Augen zu spüren. Auch jetzt fühlt er sich wahrhaft ergriffen von dem Jammer der Verlassenen. Teils um sie zu trösten, teils um endlich den Ausgang zu gewinnen, faßt er die Hand der klagenden Witwe und sagt mit bewegter Stimme:

»Weinen Sie nicht, Frau Stölzl. Wenn Sie nur wollen, finden Sie ja gewiß einen Mann, der gerne Vaterstelle bei dem lieben Pepi vertritt; Sie sind doch noch eine ganz annehmbare Frau, und – –« Er kann nicht weiter sprechen, ja er läßt erschrocken die Hand der Wirtin fallen.

Frau Stölzls Blick, der mit einem ganz merkwürdig liebenswürdigen Ausdrucke auf ihm ruht, raubt ihm plötzlich die Fassung. So hat er die resolute Witwe noch nie gesehen. Ihr Drohen und Keifen war ihm unangenehm, aber ihr Lächeln beängstigt ihn geradezu.

Jetzt schlägt sie die Augen nieder. »Ach ja!« lispelt sie seufzend. »Einen Vater möcht' der Pepi wohl brauchen. Aber es müßt' ein braver Mensch sein, ein Mann, dem auch ich gut sein könnt'! Denn sehen Sie, lieber Herr Riedl, mein erster Mann war halt ein Engel, der reine Zucker, sag' ich Ihnen, und wenn ich denk', daß er so früh hat aus der Welt gehn müssen – –«

Hier perlen abermals reichliche Thränen über Frau Stölzls Wangen. Der Geiger trocknet sich den Schweiß von der Stirne.

»Und der Pepi ist ein so lieber, herzensguter Bub!« schluchzt Frau Stölzl weiter, indem sie noch einen Schritt näher an den jungen Mieter herantritt. Dieser kann nicht weiter zurückweichen, er lehnt bereits an der Kammerthüre. Da fällt unten im Hofe etwas klirrend zu Boden und zugleich dringt ein mörderisches Schreien und Heulen herauf. 138 Die elegische Witwe hält in ihren Betrachtungen inne und horcht.

»Jesus! Der Pepi!« ruft sie dann und eilt ans Fenster. »Da raufen die Schneiderbuben schon wieder mit ihm! . . . Mir scheint gar, sie hauen ihn! . . . Oh!«

Und sich weit aus dem Fenster biegend, schreit sie zornsprühend hinab: »Laßt's ihn gleich los, Ihr nichtsnutzigen Malefizbuben, sonst komm' ich selbst hinunter! Auslassen sag' ich, oder –« Mit ein paar mächtigen Sätzen springt sie aus der Küche über den Korridor der Treppe zu. Der Geiger sieht ihr erst verdutzt, dann tief aufatmend nach, späht einen Augenblick vorsichtig um sich und schleicht dann aus der Wohnung. –

Lange vorher, da der Tag eben erst zu grauen begann, hat Marie nach kurzem, unruhigem Schlummer ihren Platz am Arbeitstische wieder eingenommen. Lori liegt noch auf ihrem Bette und schläft ruhig. Marie bleibt, ehe sie ihre Arbeit beginnt, einen Augenblick vor der schlummernden Schwester stehen. Wie ein harmloses, unschuldiges Kind liegt Lori da, mit geröteten Wangen, den kleinen Kopf tief in das niedere Kissen eingegraben und um die leise geöffneten Lippen, zwischen welchen die weißen Zähne durchschimmern, ein liebliches sorgloses Lächeln.

»Wie hübsch sie ist!« murmelt Marie unwillkürlich und ihr Blick ruht mit stolzer Zärtlichkeit auf der schönen Schwester. Aber gleich darauf seufzt sie und wendet sich kopfschüttelnd ab:

»Wenn Sie nur nicht gar so leichtsinnig wär'!«

Auch in der Stube nebenan ist noch alles still, nur die Kohlmeise begrüßt zwitschernd den ersten Sonnenstrahl, und ab und zu dringt das Geräusch laut schnarchender Atemzüge durch die verschlossene Thüre in die Kammer. Stunden vergehen. Lori erwacht endlich, reckt und dehnt sich auf ihrem 139 Lager, öffnet den Mund zu einer Frage, besinnt sich aber und steht trotzig schweigend auf.

»Guten Morgen, Verschlafene!« sagt Marie freundlich zurücknickend. Sie erhält keine Antwort. In der Stube rumort jetzt die Mutter, die von Zeit zu Zeit den Kopf durch den Thürspalt steckt und mit Lori plaudert. Den Morgengruß Mariens erwidert auch sie nicht, doch jedes Wort, das sie zu Lori spricht, ist ein heimlicher Stich für die ältere Tochter, welche die verletzende Absicht wohl merkt, aber ruhig weiter arbeitet.

»Möchst ein Frühstück, Lori?« fragt endlich die Mutter gereizt. »Gleich geh' ich in die Küch'! Ich bin zwar eine alte schwache Person, aber ich fürcht' mich doch nicht, daß ich mir mit ein bißl Arbeit die Finger schmutzig machen könnt', – ich nicht!«

»Die Frau Mutter ist halt keine Prinzessin!« erwidert Lori mit einem Seitenblick auf Marie.

»Nein, das bin ich nicht! Und lang' werd' ich das Prinzessin-Spielen auch nicht dulden, heut' oder morgen kommt's zum Krachen!«

Damit fliegt die Thüre zu.

Marie legt die Arbeit nieder und steht auf.

»Mußt Du die Mutter noch hetzen?« sagt sie vorwurfsvoll.

Lori rümpft die Nase. »Du hast's nötig, mir einen Vorwurf zu machen, – Du Angeberin!« erwidert sie verächtlich und kehrt der Schwester den Rücken zu. Diese will ihr rasch entgegnen, zuckt aber endlich die Achsel und verläßt die Kammer. Die unaufgeräumte Stube, welche sie durchschreitet, ist leer, der Vater scheint bereits ausgegangen zu sein.

»Ist der Vater ohne Frühstück fortgangen?« fragt Marie in der Küche die Mutter, welche dort in ihrer schmutziggelben Jacke, die Arme in die Hüften gestemmt, auf der Schwelle steht.

140 »Dumme Frag'!« brummt Frau Schober zurück. »Wer hätt's ihm denn kochen sollen? Ich kann doch nicht alle Arbeit allein besorgen!«

Die Tochter wirft nur einen kurzen Blick um sich und macht sich dann still an die Bereitung des Frühstücks.

Da ertönt das Heulen und Wehklagen unten im Hofe, und Frau Stölzl stürzt zornschnaubend über den Gang.

»Ich komm' schon, Pepi, ich komm' schon!« ruft sie dabei atemlos und die bunten Bänder ihrer Haube flattern im nächsten Augenblicke schon auf der Treppe. Während Frau Schober neugierig ans Fenster tritt, um zu sehen, was es unten gebe, drückt sich Herr Riedl, die Geige im verschlissenen Futteral unter dem Arme, vorsichtig den Korridor entlang. An der Schoberschen Küche macht er jedoch plötzlich Halt, denn dort winkt ihm Marie, bei ihr einzutreten. Der lange Musiker errötet und folgt hastig der überraschenden Einladung. Heute ist ein wahrer Glückstag für ihn! Der bösen Witwe ist er entschlüpft und nun – –! Einmal in der Küche verläßt ihn aber der frohe Mut. Er bleibt an der Thüre stehen und stottert:

»Haben Sie mich gerufen, Fräulein?«

»Ja!« erwidert Marie halblaut und blickt ängstlich nach der Mutter, welche jedoch eifrig die Vorgänge im Hofe verfolgt. »Ich hätt' eine Bitt' an Sie!« fährt das Mädchen sodann flüsternd fort. »Sie sollen einen recht schweren Gang für mich machen. Wollen Sie?«

Der Geiger antwortete nichts. Er öffnet nur erstaunt den Mund und nickt heftig.

»Der Vater hat gestern unten im Wirtshaus einen Ring ver . . . verspielt!« erklärt jetzt Marie so leise, daß Riedl sich weit vorneigen muß, um sie zu verstehen. Da er es aber nicht wagt, näher an das Mädchen heranzutreten, so gerät 141 er dabei in ernstliche Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren und wiegt sich mit größter Anstrengung auf den äußersten Spitzen seiner knarrenden Stiefel.

Nach einer kleinen Pause vollendet Marie:

»Den Ring sollen Sie auslösen, – der Wirt wird Ihnen schon sagen, wer ihn hat! Warten Sie einen Augenblick, ich hol' das Geld.«

Damit huscht sie aus der Küche und kommt nach einer Weile hochgerötet zurück.

»Da!« hastet sie, indem sie dem Geiger die Handvoll Silbermünzen, die sie im Bette verborgen hielt, und ein dünnes goldenes Kreuzchen in die Hand drückt. »Es ist alles, was ich hab', aber es wird hoffentlich langen. Ich muß den Ring wieder haben! . . .«

Herr Riedl will etwas erwidern, murmelt aber nur ein unverständliches: »Meiner Seel' . . . haben . . . Fräulein!« nickt dann noch heftiger als früher und eilt, ohne sich umzusehen, davon. Mittlerweile ist Frau Stölzl, ihr Söhnchen hinter sich her schleppend, die Treppe heraufgekommen.

»Armes Kind, wie sie Dich zugerichtet haben!« tröstet sie, selbst noch keuchend, ihren arg zerzausten Sprößling, der ab und zu aus seinem stillen Schluchzen in ein markerschütterndes Brüllen verfällt. »Was thut Dir denn weh? Der Kopf?«

»Nein!« heult Pepi, »Da!«

Und er berührt mit den gespreizten Fingern jenen Körperteil, welcher allerdings als ganz besonders geeignet zur Anbringung einer gesunden Tracht Prügel erachtet wird. Die Witwe ist entsetzt.

»Jesus, der arme Bub!« ruft sie. »Am End' haben sie ihm was 'brochen!« Hier unterbricht sie aber plötzlich den Ausbruch ihrer mütterlichen Angst, denn in diesem Augenblicke stolpert eben der Geiger verklärten Angesichts aus der 142 Schoberschen Küche und stürmte die Treppe hinab. Frau Stölzl sieht ihm erstaunt nach, schüttelt dann den Kopf und geht, während Frau Schober den jammernden Knaben zu beruhigen versucht, einige Schritte vor, als wollte sie in ihre Wohnung treten. Dabei wirft sie einen raschen Blick in die Küche, welche Riedl soeben verlassen hat.

»Hm, niemand mehr da!« murmelt sie. »Na, aufpassen werd' ich doch!«

Eine Stunde später herrscht wieder tiefe Ruhe auf dem Korridore. Die Witwe hat sich mit Pepi zurückgezogen, um seine Schmerzen durch kalte Umschläge und große Zuckerstücke zu lindern. Frau Schober ist auf den Markt gegangen, wo sie stets sicher ist, die wichtigsten Tagesneuigkeiten der Vorstadt zu erfahren, Frau Sobotka aber besucht irgend eine öffentliche Versteigerung. Das ist ihre liebste Zerstreuung, zugleich ebenso angenehm als wohlfeil, da die Amtsdienersgattin niemals selbst mitbietet. »Es ist nur so viel Aufregung beim Licitieren!« erklärt sie jedesmal, wenn sie erhitzt heimkommt. Fräulein Kathi endlich hat sich mit vieler Umständlichkeit auf den Weg gemacht, um bei der Hoftheaterkasse ihre Pension zu beheben, – ein überaus wichtiger Gang, zu welchem sie nicht nur ihr Feiertagskleid hervorsucht, sondern auch in der an solchen Tagen doppelt mächtig hervorbrechenden Erinnerung an die entschwundene Zeit ihres Glückes ihr welkes Gesichtchen gar wunderlich herrichtet, Wangen und Ohren rot färbt, die Augenbrauen mit einem kühnen Schwunge verstärkt und verlängert, ein paar spärliche Löckchen zierlich in die Stirne dreht und das ganze Kunstwerk durch einen dicht anliegenden, stellenweise allerdings ein wenig schadhaften Schleier vor allzu naher Betrachtung schützt. Lori schmollt heute mit aller Welt. Sie bleibt in der Kammer, hockt stundenlang vor dem Spiegel und geht nur ab und zu in 143 die Stube, wo sie zur Abwechslung die Kohlmeise im Bauer quält oder in den Schubfächern der Kommode nach irgend einem bunten Fetzen sucht, um sich damit zu behängen. Marie hat zuerst die Stube aufgeräumt und sich dann mit ihrer Arbeit in die Küche geflüchtet. Hier sitzt sie an der Thüre und stichelt ununterbrochen darauf los.

Nach einer Weile nähern sich Schritte auf dem Korridore und eine Stimme ruft leise:

»Fräulein Marie!«

Der junge Bauführer steht vor ihr. Wie bleich er ist!

»Ich bin eigens vom Bau weggelaufen,« sagt er unsicher, »weil ich Sie jetzt allein zu treffen hoffte und weil ich weiß, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden, wenn ich Sie ehrlich frage!«

»Was ist denn geschehen, Herr Sturm?«

»Die Leute im Hause zischeln immerzu von einem Ring, – – Sie wissen wohl, was ich meine! Sagen Sie mir offen, was für eine Geschichte das ist! Zu Ihnen allein hab' ich Vertrauen – – Sie müssen ja einsehen, wie mir bei solchen Reden zu Mute ist. Zwar, Sie können es nicht wissen, Sie sind ja nicht verliebt, aber ich sag' Ihnen, ich muß endlich die Wahrheit hören, sonst taug' ich zu keiner Arbeit mehr und geh' noch zu Grund vor Angst und Ungewißheit!«

Seine fahlen Wangen und sein trüber Blick sprechen noch deutlicher als seine Worte. Schwer atmend steht er vor dem Mädchen, an dessen Lippen seine Augen in banger Erwartung hängen.

Marie ist nicht minder erregt. Sie fühlt es, von ihrer Antwort hängt jetzt das Schicksal der Schwester ab.

. . . Noch ist es ja Zeit, noch kann Lori, die bisher nur unbesonnen war, an der Seite dieses braven, redlichen 144 Mannes selbst brav und damit glücklich werden! Gewiß, das kann sie, und das wird sie am Ende auch! . . . Aber Lori liebt ihn nicht, das weiß Marie, und das müßte sie ihm jetzt sagen, da er doch einmal die Wahrheit hören will.

. . . Er verdiente wohl eine bessere Lebensgefährtin, eine Frau, die seinen Wert zu schätzen wüßte, und seine schlichte, innige Neigung ebenso schlicht und hingebend erwiderte! . . .

All' diese Gedanken fliegen wirr und ungeordnet durch Mariens Kopf. Es drängt sie, dem Bauführer die Augen zu öffnen, ihn vor Lori zu warnen. Aber da sie zu sprechen anheben will, erschrickt sie doch vor ihrem Vorhaben und unterdrückt das verhängnisvolle Wort. Will sie denn wirklich nur der Wahrheit wegen der Schwester den Freier abtrünnig machen? Plötzlich wird es ihr klar, daß sie den Bauführer selbst liebt. Ihr Blick huscht über ihn hin, gleich als wollte sie noch einmal prüfen, ob das denn wirklich der Mann ist, dem das laute Pochen ihres Herzens gilt, das sie bis in den Hals spürt. Dann senkt sie die Augen, und ohne eine Sekunde länger zu überlegen, erzählt sie dem atemlos aufhorchenden Bauführer mit fester Stimme, daß Lori den Ring zugesendet erhalten und der Vater das ungehörige Geschenk zur Rückgabe übernommen hat.

Franz atmet freier auf.

»Ich danke Ihnen, liebe, gute Marie!« sagt er herzlich und ergreift ihre Hand.

Marie blickt noch immer nicht auf.

»Sie haben die Lori vom Herzen gern, nicht wahr, Herr Sturm?« fragt sie jetzt ernst.

»O ja!« erwidert er einfach.

»Dann bringen Sie die Sache mit ihr endlich einmal ins reine. Sagen Sie ihr heute noch grad heraus, daß 145 Sie sie heiraten wollen, und ich glaub', just heut wird sie nicht Nein antworten.«

Der Bauführer wirft unwillkürlich den Kopf zurück und reckt sich ein wenig.

»Glauben Sie, . . . glauben Sie wirklich?« meint er mit stockender Stimme.

Marie nickt, und Franz drückt ihr noch einmal die Hand.

»Ich thu's auch!« sagt er dann hastig. »Noch heute red' ich mit ihr. Mein Wort darauf, Fräulein Marie!«

Damit eilt er fort.

Marie sieht ihm nicht nach. Gesenkten Hauptes kehrt sie an den Stickrahmen zurück, und bald sticht die Nadel wieder taktmäßig durch die straff gespannte Leinwand.

Fräulein Kathi, die nach einer Weile heimkommt und noch ein wenig über den Korridor trippelt, ehe sie das »schöne Gewand« wieder ablegt, erblickt das eifrig arbeitende Mädchen in der Schoberschen Küche und bleibt vor der Thüre stehen. Sie räuspert sich leise, um Mariens Aufmerksamkeit zu erregen, da die jugendliche Stickerin aber auch jetzt nicht aufsieht, so tritt die Tänzerin lächelnd näher an sie heran und faßt sie endlich am Kinn.

»Nicht gar so eifrig, Fräul'n Marie!« ruft sie scherzend und hebt den Kopf des jungen Mädchens sanft in die Höhe. Aber der fröhliche Ton erstirbt ihr auf den Lippen, denn in Mariens Augen schimmern Thränen und zwischen den feinen Brauen lauert wieder die böse Falte . . .

»Ja, was ist denn schon wieder geschehen?« fragt Kathi erschrocken, vergißt alle gebotene Schonung des Feiertagskleides und setzt sich hart neben Marie auf die Küchenbank. »So reden S' doch, armes Kind!«

. . . »Was sollt' denn geschehen sein?!« erwidert das Mädchen ausweichend und fährt mit der Hand eifrig über 146 die Augen. Rasch den Ton wechselnd setzt sie mit erzwungener Heiterkeit hinzu: »Wie schön Sie heut wieder sind! Sie müssen's auf jemand abg'sehen haben, Fräul'n Kathi!«

Die alte Tänzerin lächelt zwar unwillkürlich, da Marie ihres hübschen Aussehens gedenkt, und betrachtet geschmeichelt ihren schon etwas verblichenen Sonntagsstaat, blickt aber gleich wieder kopfschüttelnd in Mariens blasses Gesicht.

»Machen S' mir keine Faxen vor!« fällt sie ihr halb schalkhaft, halb ernstlich besorgt ins Wort. »Ich will wissen, weshalb Sie schon wieder die Augen voll Wasser haben, – – heraus mit der Sprach', Mädl, sonst werd' ich meiner Seel' noch recht bös auf Sie!«

Marie faßt die drohend erhobene Hand der alten Freundin und drückt sie zärtlich herab.

»Lassen Sie's gut sein, Fräul'n Kathi!« erklärt sie freundlich aber bestimmt. »Es giebt halt einmal Sachen, über die man mit keinem Menschen reden kann, auch mit der besten und liebsten Freundin nicht. Die muß man mit sich selber ausfechten. – – Nicht wahr, da hab' ich recht?«

Nach einigem Murren und Kopfschütteln muß sich die Tänzerin endlich der unbeugsamen Entscheidung Mariens fügen und beginnt von ihrem heutigen Ausgange und all' den Bekannten aus der guten alten Zeit zu erzählen, die sie an der Hoftheaterkasse getroffen hat.

Das junge Mädchen hört ihr mit freundlichem Kopfnicken zu, wendet das Gesicht aber nicht von der Arbeit und hängt dabei ihren eigenen Gedanken nach. Wenn nur Riedl endlich käme! Am Ende hat er den Ring nicht zurückerhalten! . . . Die geschäftige Hand hält zitternd inne. Wenn der Sparpfennig und der Erlös des Kreuzes nicht ausreichten! . . . Sie schüttelt heftig den Kopf. Den Ring muß sie wiederhaben, er muß dem frechen Menschen zurückgestellt werden.

147 »Glauben Sie's vielleicht nicht, Fräul'n Marie?« fragt plötzlich die Tänzerin. Sie hat aus dem Schatze ihrer Erinnerungen eben die kostbarste Perle heraufgeholt: die Geschichte ihres ersten und einzigen Pas de deux an der Oper, als sie für eine während der Vorstellung erkrankte Tänzerin einspringen durfte. Ein Zweifel an diesem größten Moment ihres Lebens könnte sie geradezu tötlich beleidigen, glücklicherweise vermag Marie sie rasch zu beruhigen. So erzählt sie denn eifrig weiter. Wie ihre Augen leuchten und ihr Atem fliegt! Wenn der böse Husten nicht wäre, möchte sie gleich wieder in die prächtigen Trikots fahren und einen »Spitz« versuchen. Oh, sie bringt ihn noch heute zuwege, gewiß, so etwas verlernt man nicht!

Und ehe Marie sie zurückhalten kann, springt die alte Tänzerin auf, hebt das Kleid ein wenig in die Höhe und versucht auf den Fußspitzen zu stehen. Wahrhaftig, mit richtigen Balletschuhen ginge es noch! Was die Erinnerung doch thut. Fräulein Kathi erscheint in diesem Augenblicke um zwanzig Jahre verjüngt. Sie wiegt sich in den Hüften, biegt den Kopf ein wenig zurück und lächelt dazu genau so gezwungen und geziert, wie sie es einst allabendlich im Bühnenlichte that. Der böse Husten unterbricht freilich gar rasch den schönen Traum. Fräulein Kathi sinkt auf die Küchenbank zurück und bedarf einer geraumen Weile, ehe sie wieder Atem gewinnen kann. Marie führt die Erschöpfte sorgsam in ihre Wohnung zurück, bereitet ihr dort rasch einen lindernden Thee und kehrt dann an ihren Arbeitsplatz zurück.

Auf dem Korridore trifft sie den Geiger, der schon eine Weile vergeblich vor ihrer Thüre wartete. Sie eilt hastig auf ihn zu.

»Haben Sie den Ring?« stößt sie bange hervor.

Statt aller Antwort reicht er ihr mit der Linken stumm 148 ein Päckchen, während er die Rechte verlegen hinter dem Rücken versteckt. Marie merkt sein sonderbares Gehaben nicht. Sie reißt die Hülle von dem schwarzen Lederetui und öffnet dieses mit zitternden Händen.

»Gott sei Dank!« haucht sie vor sich hin, ganz in den Anblick des Ringes versunken.

»Das Geld und das Kreuz haben also gereicht?« fragt sie, ohne die Augen von den funkelnden Steinen abzuwenden.

»Ja!« erwidert der Geiger zögernd und errötet dabei über und über. Aber er faßt sich rasch und fährt entschieden fort: »Natürlich haben sie gereicht!«

Da Marie nun nicht weiter spricht und auch nicht aufblickt, tritt er nach einigem Zögern langsam den Rückweg nach seiner Wohnung an. Aber er wendet sich nicht um, sondern weicht Schritt für Schritt zurück, immer die rechte Hand hinter dem Rücken verborgen. Endlich fährt Marie aus ihrem Hinstarren auf, schließt das Etui und bemerkt das langsame Zurückweichen des Geigers.

»Herr Riedl!« sagt sie freundlich.

Der Angerufene bleibt stehen.

»Fräulein Marie?«

»Ich hab' Ihnen ja noch gar nicht gedankt für Ihre Bemühung! Verzeihen Sie, aber ich war so glücklich, daß ich den Ring wiederbekommen hab'! Ich hab' schon gefürchtet, das Geld und der Schmuck könnten nicht reichen! Sie haben mir da einen großen Dienst erwiesen, – ich danke Ihnen, Herr Riedl!«

Sie reicht ihm die Hand, die er schüchtern mit der Linken berührt.

»Ich werde freilich nie in die Lage kommen, Ihnen auch einen so großen Dienst erweisen zu können!« fährt Marie fort, »aber wenn ich einmal irgend etwas für Sie thun kann, 149 dann machen Sie mir die Freude und verlangen es von mir, – nicht wahr, lieber Herr Riedl?«

Lieber Herr Riedl! Dem Geiger flimmert es vor den Augen. Lieber Herr Riedl! Und das mit einer Stimme, mit einem Lächeln . . .! Er findet keine Antwort.

» . . Oh . . oh . . . Fräulein Marie!« murmelt er nur mit Anstrengung und atmet erst wieder auf, da er in seiner Kammer auf einen Stuhl sinken und den Kopf in beide Hände stützen kann. Wie er seinen Rückzug endlich bewerkstelligt hat, weiß er gar nicht. Nach einer Weile springt er plötzlich in die Höhe und tappt in der Kammer umher. Er sucht seine Geige, denn nur ihr allein kann er verraten, was in seinem Innern tobt, er muß ausspielen, was er nicht aussprechen kann! Aber die Geige ist nicht da. Herr des Himmels, er hat sie in der Aufregung der letzten Stunden irgendwo liegen lassen! Seine Geige, die ihn nie verließ, – niemals, just so wenig als der Ehering seiner Mutter, der heute ebenfalls an dem Goldfinger seiner rechten Hand fehlt. Wo er diesen ließ, weiß er allerdings ganz gut. Der Ring ruht neben dem Kreuzchen bei dem Geldverleiher drüben in der Schleifmühlgasse . . ., er hat ihn dazulegen müssen, um die Summe voll zu machen, die der Wirt für den Ring forderte, den er Marie bringen sollte . . . »Ich muß ihn haben!« hatte sie gesagt. Er hätte seinen Kopf verpfändet, um den Ring zu erhalten. Der alte Goldreif wollte gar nicht vom Finger, es war ein schwerer Entschluß, ihn dennoch abzustreifen, aber sie wollte es, – fahr hin, alter Kamerad! Der Geiger betrachtet den weißen Streif an seinem Finger. Hier saß das alte Ringlein. Er blickt so lange auf die Stelle, bis ihn die Augen beißen. Dann zwinkert er ein wenig, preßt die Zähne zusammen und greift nach dem Hute, der ihm vom Kopfe gefallen ist.

150 »Meine Geig'n! Ich muß meine Geig'n wieder haben!«


Die Mittagsstunde ist vorüber.

Lori geht gähnend und sich streckend in den Hof hinab. Daheim wird es von Stunde zu Stunde langweiliger. Am liebsten kehrte sie gar nicht zurück in die enge, dumpfige Wohnung, in der nur Verdrossenheit und Bettelarmut hausen.

Ist es denn auch erhört, daß sie, die schöne Lori, die Jeder bewundert und viele beneiden, in dieser abscheulichen Umgebung verkommen muß? Am anderen Ende des Hofes, vor der Thüre des Vergolders, der dort einen kleinen Laden hält, hängt ein alter, halb erblindeter Spiegel. Dorthin wendet Lori ihre Schritte und beguckt sich lange in dem grünlich schillernden Glase, das zwar ihr Gesicht ein wenig verzerrt und ihre roten Wangen leichenfahl erscheinen läßt, aber doch immerhin genügt, um davor die Haare glatt zu streichen und zum Zeitvertreib allenfalls auch allerlei Stellungen zu versuchen, welche den hübschen Wuchs in besonders günstigem Lichte erscheinen lassen. Dabei spricht Lori immerzu mit ihrem entstellten Spiegelbilde: »Schön bist du freilich, aber was hilft's? Schau das geflickte, ausgewaschene Kleid an, das an dir hängt, als ob's für eine andere gemacht wär'! Und die Ohrring', um fünfzig Kreuzer das Paar! Und das armselige blaue Bandl mit dem schwarzen Glaskreuz! Wer schaut ein Mädl an, und wenn's noch so schön ist, das in so einem Aufzug daherkommt? Die Holler-Resi drüben vom fünften Hof, die beim Theater ist und in ihrem eigenen Wagen mit einem wirklichen Bedienten spazieren fahrt, die Schodl-Marie, die Gatterer-Kathi und die Strobl-Hanni, – sie alle sind nicht halb so schön wie du, aber sie führen doch ein lustiges, köstliches Leben, während du so recht der Niemand, ein Hascherl bist, von dem keiner spricht und um das 151 sich keiner kümmert. Nein, das halt' ich nicht länger aus, – das muß anders werden, . . . so oder so!«

Da taucht plötzlich das geschminkte Gesicht Fannys hinter ihr im Spiegel auf.

Lori wendet sich zuerst hastig zurück, um die Freundin zu begrüßen, besinnt sich dann aber und fragt, ohne das Mädchen anzublicken, über die Achsel hin.

»Wo kommst denn Du wieder her?«

Fanny thut als bemerke sie den wegwerfenden Ton der Frage nicht.

»Geh doch!« erwidert sie schlau blinzelnd. »Als ob Du nicht wüßtest, von wem ich komm'!«

»Wird auch der Rechte sein!«

»Aber Lori, ich weiß gar nicht, wie Du mir heut' vorkommst! Der Graf . . .«

»Der Herr Graf!« fällt ihr Lori höhnend ins Wort und zuckt dabei geringschätzend die Achsel. »Ein sauberer Herr, Dein Graf, der gar kein Graf ist!«

Da Fanny verdutzt einen Schritt zurücktritt, dreht sich Lori auf dem Absatze um und blickt ihr voll ins Gesicht.

»Hast Du vielleicht gemeint, ich käm' nicht dahinter, was für einen Schwindel Du und der noble Herr Graf . . . Wiesinger mit mir getrieben habt? Gelt, jetzt schaust mich groß an? So dumm ist die Lori halt doch nicht, daß man sie nur so mit der Hand fangen könnt'! Für Euch ist sie, Gott sei Dank, noch lang g'scheit genug!«

Sie weidet sich eine Weile an der Verblüffung Fannys und fährt dann mit steigender Entrüstung fort:

»Und überhaupt, was glaubt der Herr Wiesinger denn eigentlich von mir? Hab' ich nach ihm und seinem dummen Ringl g'fragt? Meint er vielleicht, daß ich mich verschaut hab' in sein fades G'sicht? Da täuscht er sich aber schon 152 großartig! Wenn ich einen Liebhaber nehmen will, brauch' ich ihn nicht dazu – Gott sei Dank! Da giebt's noch andere, . . . viel ehrlichere Leut' . . . Ja! Und Schmuck könnt' ich auch bekommen, so viel ich wollt'! Aber ich will nicht, weil –«

Sie findet im Augenblicke keinen recht triftigen Grund für ihre angebliche Abneigung gegen Schmuck und hält deshalb verlegen inne. Da fallen ihr die Worte ein, die Marie gestern zu ihr sprach. Das ist's, was sie hier braucht. Und mit ungemein würdevollem Kopfnicken fährt sie fort:

»Weil ich an meinen ehrlichen Namen und an die Zukunft denk', – ich!«

Fanny hat sie scharf beobachtet und blickt nun ernsthaft in das von Eifer und Entrüstung glühende Gesichtchen der Freundin.

»Eigentlich hast Du ganz recht,« sagt sie bescheiden, »aber Du mußt deswegen, weil der junge Mann kein Graf ist, nicht gleich gar nichts mehr von ihm wissen wollen! Er hat halt damals bei den Volkssängern einen Spaß gemacht und von einem Freund die Karte hergegeben. Mein Gott, das ist doch nichts Arges! Nachher hat er Dich nicht mehr sprechen können, und ich hab' ganz vergessen, Dir seinen rechten Namen zu sagen. Verliebt ist er doch in Dich, ob er jetzt ein Graf ist oder nur Wiesinger heißt.«

Lori lacht geringschätzig.

»Nein, die Ehr' für mich!«

Dabei knixt sie spöttisch. Das Blumenmädchen läßt sich dadurch nicht irre machen. Mit gedämpfter Stimme fährt sie fort:

»Überleg Dir's noch einmal, Lori! Willst vielleicht Dein ganzes Leben in einem so armseligen Waschkleidl herumlaufen und alle Tag Einbrennsupp'n essen? Oder willst irgend 153 einen armen Handwerker heiraten, ein Haus voll Kinder bekommen und Dich von früh bis spät rackern müssen, bis Du alt und runzlig bist wie die anderen Weiber hier im Haus? . . . Der junge Wiesinger ist reich. Er kann Dir alles geben, was Du nur willst: Kleider, Hüte, einen Schmuck, . . . und ein lustiges Leben kannst Du führen, ausfahren, alle Abend ins Theater gehen . . .! Und er meint's ja auch gar nicht unehrlich mit Dir. Wenn er Dich nicht gleich heiraten kann, weil's sein Vater nicht erlauben wird, später thut er's gewiß; er ist ja ganz verschossen in Dich und hat mir erst gestern g'sagt: Wenn Du ihn nicht willst, thut er sich was an!«

Noch eine geraume Weile spricht sie in dieser Weise mit halblauter Stimme, aber warm und eindringlich fort. Lori hört ihr schweigend zu. Der alte Traum von jenem geheimnisvollen Glücke, das ihr urplötzlich vor die Füße fallen müsse, umgaukelt sie wieder. Sie blickt zu Boden und ihr ist, als sähe sie all' die Herrlichkeiten, von welchen die Freundin spricht, vor sich liegen. Sie braucht sich nur zu bücken, nur nach ihnen zu langen! . . . Fanny bemerkt den Umschwung in Loris Stimmung und sucht ihn nach Kräften auszunützen.

»Wenn ich an Deiner Stelle wär',« schließt sie lauernd, »ich thät gar nicht lang überlegen. In einer halben Stund' wartet neben im Fünferhof der verliebte Wiesinger auf Dich, – ein g'schwinder Entschluß, und morgen fahrst Du schon in Deinem eigenen Wagen! Weißt, was das heißt? Überleg Dir's! Was verlierst denn? Glaubst vielleicht, der Bauführer, mit dem Du damals bei den Volkssängern warst, meint es ernst mit Dir? Der laßt Dich auch sitzen, wenn er ein reiches Mädl heiraten kann! Da wett' ich drauf!«

Sie glaubt damit den letzten, entscheidenden Trumpf ausgespielt und die Freundin vollends gewonnen zu haben, allein zu ihrer Überraschung fährt Lori heftig auf:

154 »Soll das vielleicht heißen, daß ich mir noch eine Gnad' daraus machen muß, daß mich der Herr Wiesinger mag? O nein, so armselig stehn wir Gott sei Dank noch nicht da! Ich brauch' dem Franz nur ein freundliches Gesicht zu zeigen, nur Ja zu sagen brauch' ich, – und er heiratet mich vom Fleck weg, wie ich da bin. . . . Da kann das reichste Mädl ihm nachlaufen, so viel's will!«

Fanny sucht nun einzulenken.

»Meinetwegen, ich will's ja glauben,« erklärt sie rasch. »Aber was hast denn davon, wenn er Dich auch wirklich heiratet? Frau Bauführerin, – das ist was Rechtes!«

Das Blumenmädchen hat heute nun einmal kein Glück mit seinen Bemerkungen. Lori hört nur das Wort »Frau« und dieses übt mit Eins einen ganz mächtigen Zauber auf sie aus. Die Zukunft und ein ehrlicher Name! schwirrt es wieder durch ihr Querköpfchen, sie sieht sich als Braut im weißen Kleide, mit langer Schleppe, den Myrtenkranz im Haare, über den Korridor schweben, von allen Seiten bewundert und beglückwünscht, sieht unten im Hofe die dichtgedrängte Menge und steigt, vom Gemurmel der Neugierigen und Neiderinnen begleitet, in den Wagen, um zur Kirche zu fahren . . . Oh, es ist wirklich etwas Schönes um die Ehrbarkeit! Sturms treues Gesicht taucht vor ihr auf, es heimelt sie an wie noch nie. Weg, weg mit dem Flitterkram, den die Verführerin vor ihr ausbreitet. Er ist unecht, so falsch wie der Grafentitel des Gebers. Lori will gar nicht mehr überlegen, nichts mehr hören von dem verlogenen Menschen, der ihr bisher nur Verdruß und Beschämung gebracht hat. Hastig steht sie auf. Da gewahrt sie Marie, die sich eben aus dem Korridorfenster beugt und suchend im Hofe umherblickt.

»Die Marie! Wie sie sich ärgern wird, wenn ich den Franz nehme!«

155 Und entschlossen wendet sie sieh zum Gehen.

»Adie, Fanny!« sagt sie, den Kopf hochmütig zurückwerfend.

Sie weicht der Freundin, die ihr erstaunt in den Weg treten will, in einem großen Bogen aus. »Schon gut! Schon gut! Vielleicht lad' ich Dich zu meiner Hochzeit ein. Aber ein ordentliches Kleid mußt Du haben, sonst nicht!«

Fanny sieht ihr völlig verblüfft nach; diese sprunghaft wechselnde Entschließung ist ihr denn doch unerklärlich. Da Lori in dem Stiegeneingange, der zu Tinis Dachkammer führt, endlich verschwindet, schlägt sich Fanny ärgerlich vor die Stirne.

»Bin ich aber dumm!« murmelt sie. »Ich hätt' den Ring zurückverlangen sollen! . . . Oder nein, es ist vielleicht besser so! Mit dem Ring halt' ich sie ja noch fest!«

Aber auch diese letzte Hoffnung wird zunichte. Marie hat nicht absichtslos in den Hof herabgespäht, sie folgt jetzt dem Blumenmädchen und zwingt demselben trotz seines anfänglichen Sträubens das Etui mit dem Ringe auf.

»Da, nehmen S' nur, er gehört Ihnen, – oder eigentlich dem Herrn, der Sie damit zu meiner Schwester geschickt hat. Haben Sie denn im Ernst geglaubt, daß wir ein solches Geschenk behalten werden?!«

Da Marie wieder den Korridor betritt, hört sie den Vater in der Wohnung laut schelten. Wie er poltert und droht! Die Mutter versteht aber auch gar nicht ihn zu beruhigen! Jetzt wird die Stubenthüre aufgerissen und Frau Schober klappert pustend heraus.

»Wo steckst denn?« schnauzt sie die Tochter an. »Der Vater will sein Essen! Bist Du denn zu gar nichts auf der Welt zu brauchen? . . . Muß denn alles auf mir liegen? Auf mir, einer armen schwachen Person, die doch geschlagen genug ist mit so einem Mann und so einer Gott'sstraf' von Tochter?«

156 Marie stellt so rasch sie vermag die Suppe zurecht, indes die Mutter, immer noch grollend und schmälend, in die Korridorthüre tritt und hinausspäht, ob sie nicht eine der Nachbarinnen fände, um diese zur Zeugin ihres Jammers zu machen, den sie in Ermangelung einer Zuhörerin vorläufig den Lüften anvertraut: »Sie bringen mich noch ins Grab, der Mann und das Mädl!« . . .

In der Stube geht der Vater mit schweren Schritten auf und nieder. Jetzt nähert er sich der Thüre und reißt sie heftig auf. Er erblickt nur Frau Schober, da Marie neben dem Herde kniet, um das Feuer anzufachen.

»Na, was stehst da und heulst?« schreit er die jammernde Frau an, geht auf die ängstlich Zurückweichende zu und faßt sie an der Schulter. »Hab' ich Dir nicht g'sagt, daß ich mein Essen haben will? Schau, daß ich Dir nicht Füß' mach'!« Und er zerrt sie in die Küche zurück.

Frau Schober pustet immer stärker. »Flenn nicht!« herrscht er sie an. Da sie nun erst recht zu schluchzen beginnt, wiederholt er stärker: »Flenn nicht, sag' ich Dir, oder – –«

Da erhebt sich Marie und der Vater hält inne.

»Du bist auch da?« murmelt er mit plötzlich veränderter Stimme. Er vermeidet es, die Tochter anzusehen, blickt wie suchend in der Küche umher und geht dann zur Stubenthüre zurück.

»Das Essen!« sagt er kurz, aber weder laut noch drohend. Und auf der Schwelle fügt er ohne sich umzusehen hinzu: »Die Mutter soll mir's bringen!«

Die Mutter steht mit offenem Munde da und findet die Sprache erst wieder, da ihr Marie endlich den Suppennapf reicht. Nun schüttelt sie energisch den Kopf.

»Ich trag' ihn nicht hinein!« Marie sucht vergeblich sie umzustimmen. Da kommt Lori über den Korridor getänzelt. 157 Zum erstenmale seit dem gestrigen Auftritte blickt sie wieder zufrieden und lachend um sich, summt ihr Lieblingslied und wiegt sich dabei wie ehedem in den Hüften.

». . . Vorwärts mit frischem Mut
Lieb' ist mein Panier . . .«

Tini hat ihr völlig beigestimmt, als sie ihr den so plötzlich gefaßten Entschluß mitteilte, daß sie den Bauführer heiraten und eine honnette, vor allem eine beneidete Frau werden wolle. Die beiden Mädchen haben sich das Glück dieser Ehe in den lebhaftesten Farben ausgemalt, Tini wußte im Geiste bereits die kleine aber überaus nette Wohnung einzurichten, und Lori hat die überglückliche Freundin sogar schon »auf einen Kaffee« eingeladen. Dann haben sie zusammen alle die Mißgünstigen aufgezählt, die sich ob dieses Glückes vor Neid verzehren werden, und Lori kehrt nun höchlich vergnügt heim. Marie soll ihr noch einmal mit ihren Vorwürfen kommen! Wie will sie die Schwester beschämen, wie erhaben wird sie vor der Verstummenden dastehen! O, es ist ein Großes um die Achtung der Menschen! . . . Lori blickt triumphierend um sich. Ihr ist, als müsse ihr jeder den Sieg ansehen, den sie über sich selbst errungen hat, als müsse ihr jeder ehrfurchtsvoll Platz machen und sich demütig vor ihr neigen.

Da die Mutter sie so lächelnd und glückstrahlend heimkommen sieht, hat sie einen guten Einfall: Lori soll dem Vater das Essen bringen.

Lori willigt sofort ein. Warum auch nicht? Es paßt ihr ganz gut, dem Vater gerade jetzt gegenüber zu treten. Wie will sie auch ihn beschämen, – ihn, der ihr ein so schweres Unrecht zugefügt hat!

Mit herablassender, schier mitleidsvoller Miene nimmt 158 sie der Schwester den Suppennapf ab und trägt ihn in die Stube.

Der Vater sitzt, den Kopf in beide Hände gestützt, finster vor sich hinbrütend am Tische. Er hat einen bösen Tag hinter sich. Mit dem frühesten Morgen ist er aufgestanden und aus dem Hause gelaufen, – um Arbeit zu suchen, wie er sich selbst beschönigend vorspiegelt, in Wahrheit aber, weil er sich schämt, den Leuten im Hause, insbesondere aber seiner Tochter Marie vor die Augen zu treten. Da er nun einmal in den Straßen umherlief, versuchte er denn doch hier und dort Arbeit zu erhalten, aber überall wurde er kurz abgewiesen, vielfach sogar heftig angefahren und mit sichtlicher Verachtung von der Schwelle geschickt . . . »Einen notorischen Säufer nehmen wir nicht!« schnauzte man ihn an, oder: »Für einen Wirtshausbruder haben wir keinen Platz!« . . . Das mußte er in jeder Baukanzlei hören, bis er es endlich nicht mehr über sich brachte, an eine neue Thüre zu pochen. So ist er endlich, ohnmächtige Wut und Verzweiflung im Herzen, heimgekehrt, da er in seinen Taschen kein Geld fand und sich somit nicht einmal in einem Wirtshause erholen konnte. Daheim hat ihn sein Weib mit Keifen und Klagen empfangen und damit seine böse Stimmung nur noch verschlimmert. So hockt er nun vor dem Tische und kaut an den Fingernägeln.

Da Lori eintritt, fährt er heftig auf:

»Ich hab' g'sagt, die Mutter soll mir das Essen bringen! Warum kommt sie nicht?«

Lori, die so siegesgewiß und selbstbewußt auf ihn zuging, erschrickt bei diesem rauhen Empfange, stellt wortlos die Suppe ab und will rasch die Stube wieder verlassen.

»Na,« herrscht der Vater sie an, »kannst nicht antworten, wenn man Dich fragt?«

Die Tochter zieht die Stirne in Falten und blickt schmollend 159 vor sich hin. Ist das der Lohn für ihre tugendhafte Entsagung? Nein, nun spricht sie gewiß keine Silbe.

Der Vater schlägt auf den Tisch, daß es dröhnt, und springt auf:

»Antwort will ich haben!« schreit er die Tochter an, die im Bewußtsein ihres gekränkten Rechtes trotzig die Achsel zuckt.

Er faßt sie am Arme und schüttelt sie heftig. »Reiz mich nicht, Lori, ich sag' Dir's!« knirscht er. »Just Du bist die letzte, die das darf! . . . Red jetzt, sag' ich, oder – –«

Lori erschrickt und weicht zitternd bis an die Thüre zurück, die sie rasch öffnet.

»Mutter!« kreischt sie hilfesuchend, »Mutter!«

Damit hastet sie durch die Küche und flüchtet auf den Korridor. Hier bleibt sie einen Augenblick stehen, holt tief Atem und sieht mit einem Ausdrucke von Furcht, Zorn und Haß nach der Thüre zurück. Wie? Die glänzendsten Anerbietungen hat sie von der Hand gewiesen, um ihren ehrlichen Namen zu retten; der Hoffnung auf das so lang ersehnte Glück hat sie tapfer entsagt, um keine Schande über ihre Familie zu bringen, um groß dazustehen vor dem Vater und den Ihrigen, um bewundert zu werden, wie sich's doch gebührte, – und nun diesen Lohn? Oho, Herr Vater! Noch kann sie ja zurück! Unten im Fünferhof wartet der verliebte Wiesinger, – wer hindert sie jetzt hinunterzugehen und ihm die Hand zu geben? Wer? . . . Und hat Fanny nicht völlig recht gehabt? Was hat sie hier zu verlieren? Ein rascher Entschluß, und morgen fährt sie im eigenen Wagen . . . Sie will es auch. Entschlossen wirft sie den Kopf zurück und huscht der Treppe zu.

Wie ärgerlich, daß gerade jetzt jemand heraufkommen muß! Warum scheut sie plötzlich jede Begegnung? Sie weiß es nicht, aber sie tritt unwillkürlich an den Pfeiler zurück und 160 wartet. Da steht der junge Bauführer vor ihr und grüßt sie mit einem seltsamen Blicke. Lori nickt verwirrt und will eilends die Treppe gewinnen, aber er tritt ihr in den Weg.

»Fräulein Lori! Nur einen Augenblick hören Sie mich an. – – ich bitte!«

Sie bleibt stehen.

»Was wollen Sie denn, Herr Sturm?« fragt sie unsicher. Wie er sie anblickt! Just als ob er wüßte, wohin sie jetzt will. Sie muß die Augen niederschlagen.

»Gehen Sie nicht hinunter, Fräulein Lori!« beginnt er mit leise bebender Stimme. »Sonst muß ich am Ende doch glauben, daß Sie wissen wer drüben im fünften Hof auf Sie wartet. Ich hab' ihn dort stehen gesehen wie einen, der zu einem Rendezvous gekommen ist . . ., den jungen Wiesinger nämlich . . .!«

Lori zuckt zusammen und Franz fährt mit schmerzlicher Betroffenheit fort:

»Sie haben es also gewußt und jetzt eben zu ihm gehen wollen? O, dann . . ., dann hab' ich Ihnen freilich nichts mehr zu sagen. Gehen Sie nur, Fräulein Lori, ich habe ja kein Recht, Sie zurückzuhalten!«

Er tritt zurück und giebt die Treppe frei. Lori steigt auch wirklich zwei Stufen hinab, bleibt aber dann stehen. Ihr ist mit Eins, als müsse sie sich um jeden Preis vor dem jungen Manne rechtfertigen.

»Herr Sturm!« sagt sie leise.

»Fräulein Lori?«

»Sie denken jetzt gewiß recht schlecht von mir! – – Nun ja, . . . Sie urteilen halt wie die andern, die nicht wissen, was heut schon vorgegangen ist! Das kann ich Ihnen freilich nicht sagen, aber die Tini weiß alles, – o ja, die Tini könnt' Ihnen schon erzählen, daß ich noch vor einer Stund – –«

161 Sie kann nicht weiter sprechen, ein heftiges Schluchzen erstickt ihre Stimme. Sie verbirgt das Gesicht in den Händen, zwischen welchen die Thränen durchsickern. Franz steigt die beiden Stufen zu ihr hinab, löst ihr erst zitternd, dann immer entschlossener die Hände von den geröteten Augen und lehnt ihr Köpfchen an seine Schulter. Sie läßt es willenlos geschehen, duckt sich nur ein wenig, wie unter der Last ihres Schmerzes, und weint still fort. Er spricht ihr halblaut begütigend zu, schlingt dabei sachte den Arm um ihre Schulter und drückt sie immer enger und fester an sich. Da ihre Thränen endlich zu versiegen beginnen, sagt er innig:

»Lori, liebe Lori, . . . nicht wahr, Sie gehen jetzt nicht mehr hinunter zu dem – –?«

Sie schüttelt heftig den Kopf.

»Nein, ich geh' nicht hinunter!« murmelt sie, ohne aufzublicken.

Nach einer Pause fährt er flüsternd fort:

»Lori, liebe Lori, . . . können Sie mir denn ein wenig . . . gut sein? Ich möcht' Sie auf Händen tragen und Sie so glücklich machen, – so glücklich, wie ich selber wär', wenn Sie mich . . . zum Mann nehmen wollten!«

Lori antwortet nicht sogleich. Sie lehnt noch immer an seiner Brust und zittert dabei so recht verschüchtert. Erst nach einer Weile sagt sie zögernd und wie ein Kind nachschluchzend:

»Wenn Sie immer so lieb und gut zu mir sein wollten, wie jetzt –«

»Aber Lori!« fällt er ihr ins Wort. »Ich ließ' mir ja eher die Zung' ausreißen, eh' ich Ihnen ein einziges hartes Wort gäb'!«

Da schlägt sie die feuchtschimmernden Augen zu ihm auf und blickt ihn matt lächelnd an.

162 »Lori!« jauchzt er auf, faßt mit beiden Händen ihr Köpfchen und küßt sie, erst noch ein wenig zaghaft auf die Stirne, dann auf die niedergeschlagenen, noch thränenfeuchten Augen und endlich auf den leise zuckenden Mund. Wie kalt ihre Lippen sind! Als müßte er ihnen erst Leben und Wärme einhauchen, küßt er sie immer und immer wieder so stürmisch, daß dem Mädchen schier der Atem vergeht.

Erschrocken windet sich Lori aus dieser heftigen Umarmung und sieht den jungen Mann mit großen Augen fast feindselig an. Franz erscheint ihr nun plötzlich wieder so fremd, seine Zärtlichkeit so unerträglich, daß sie am liebsten auf der Stelle davon liefe. Aber aus seinen Blicken leuchtet es doch so treuherzig, so ergeben – – –, allmählich wird ihr wärmer ums Herz. Sie errötet und wendet sich ab.

»Wie ich ausschau'!« sagt sie mit kokettem Schmollen. »Ganz zerrauft!«

Sie steigt langsam die Treppe empor und nestelt dabei an ihren Haaren. Franz folgt ihr, schlingt seinen Arm um ihre Mitte und hascht nach der kleinen Hand, die glättend über den Scheitel fährt.

»Oh, da geht's ja recht gemütlich zu! Nur nicht genieren, Herr Sturm!« ruft eine schrille Stimme dazwischen. Frau Sobotka ist aus ihrer Thüre getreten und hat das junge Paar erblickt.

Franz richtet sich stolz auf.

»Wir haben uns just verlobt, – gelt, Lori?« sagt er glückstrahlend, und ohne die überraschte Nachbarin weiter zu beachten, geleitet er seine Braut langsam über den Korridor. »Jetzt reden wir mit dem Vater!« erklärt er laut. Lori bleibt stehen.

»Nicht gleich!« sagt sie unsicher.

»Warum denn nicht?« fällt er ihr zärtlich drängend 163 ins Wort. »Willst vielleicht ein Geheimnis daraus machen? Ich möcht' mich am liebsten auf die Gasse stellen und es jedem zuschreien: Da schaut her, das ist meine Braut! . . . Meine Braut!«

Aber Lori schüttelt den Kopf. »Ich mag nicht hineingehen!« flüstert sie beklommen.

Marie tritt aus der Stube und erblickt die beiden, die vor der Wohnungsthüre stehen.

»Fräulein Marie!« ruft der junge Bauführer entzückt. »Sie hat wirklich nicht Nein gesagt! – Aber, mein Gott, was haben Sie denn, sind Sie krank?«

Marie stützt sich auf die Herdplatte.

»Nichts, – es ist nichts!« erwidert sie mit sichtlicher Anstrengung. »Mich freut's, daß endlich – – –«

Sie kann nicht weiter sprechen. Franz will teilnahmsvoll auf sie zugehen und sie unterstützen. Aber Lori, die plötzlich alle Bangigkeit abgestreift hat, hält ihn zurück.

»Komm!« sagt sie scharf. »Komm zum Vater!«

Sie durchschreitet die Küche und öffnet mit fester Hand die Stubenthüre. Der junge Bauführer tritt ein. Ehe Lori ihm folgt, wirft sie noch rasch einen triumphierenden Blick auf die Schwester, die in sich zusammengesunken vor ihr steht.

»Nun, Marie, Du hast mir ja noch nicht Glück gewünscht zu meinem Bräutigam!« sagt sie, sich hoch aufrichtend. »Er hat Dir ja sonst immer so gut g'fallen, oder nicht?«

Marie sieht auf.

»Gewiß . . . gewiß!« murmelt sie tonlos. »Ich wünsch' Dir auch recht viel Glück, – Dir und . . . ihm!« 164

 


 


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