Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Kapitel

Ein zweites Opfer der Grillen.

Der ältere elegante Herr, der am folgenden Mittag den Modesalon Holder in Begleitung einer sehr schicken Dame betritt, wird von der noch schickeren Geschäftsführerin mit einem wohlwollenden diskreten Lächeln begrüßt.

Fräulein Gatting hat eben auf Grund vieljähriger Erfahrungen einen todsicheren Blick für vornehme Ausländer, die bei Holder ihre Saisongattin neu einkleiden möchten.

Der elegante Herr näselt in halbem Englisch, ob die Inhaberin nicht zur Stelle sei ... Er kaufe nur von Miß Holder persönlich ...

Die Direktrice lächelt jetzt säuerlich ...

Miß Holderston, Miß Grace Holderston, sei leider verreist.

»Holderston?«, wundert sich der graue Spitzbart mitsamt Monokel.

»Ja, Mylord ... Die Inhaberin war früher Engländerin.«

Mylords Begleiterin macht ein enttäuschtes Gesicht, aber ihr Freund nickt ihr zu. »Einiges kaufen wir doch, my Darling ...«

»Wann kehrt Miß Holderston zurück ...«, erkundigt sich der steifbeinige Engländer.

»Uebermorgen.«

Dann erhält Darling zwei Kleider, ein Hütchen, einen Mantel, und der kleine Spaß kostet »Mylord« 950 Mark.

Die Kartons werden in die draußen wartende Autotaxe geschafft, und Mylord und Darling rollen davon, halten in einer Nebenstraße, und der Engländer sagt zu der Schicken mit einem vergnüglichen Lächeln:

»So, Kleine, – hiermit wäre unsere Zufallsbekanntschaft beendet ... Sie hat genau eine Stunde gedauert. Leben Sie wohl!«

Inzwischen ist Mylord Harst mit mir in ein anderes Auto übergestiegen, und Harald erstattet Bericht.

»Grace Holderston ist verreist ...«, sagte er lakonisch. »Und Professor Tonio Saduzzi, der im selben Hause seine Privatklinik hat, ist auch verreist ... Sein Vertreter riet mir. falls die Konsultation eile, nach Harzburg zu fahren, wo Saduzzi sich erhole ... – Würdest du fahren?«

»Ja!«

»So?! Wozu denn?! Wir wollen uns doch darüber klar sein, mein Alter, daß das Geschöpf, das ich Königsgrille nenne, eine Frau ist – unbedingt. Es kann Grace Holderston sein, sehr vieles spricht dafür, vieles dagegen. In jedem Falle ist Saduzzi mit ihr nicht im Bunde, denn Freund Schirmer, der vorn als Schofför sitzt, hat uns auf Grund genauester Informationen erklärt, daß die Holderston wie eine Männerfeindin lebt und noch nie mit Saduzzi zusammengesehen wurde. Anders verhält es sich hinsichtlich der Dienerschaft Saduzzis in der großen Villa bei Dachsberg, die Leute sind Grillen, das wissen wir ...«

Ich erlaubte mir einen Einwand. »Gestatte mal, deine »Königsgrille« hat in der verflossenen Nacht den beiden Torhütern der Villa gegenüber von »ihm« gesprochen. Wer soll das sein?!«

»Natürlich der Haupthelfershelfer der Königsgrille.«

»Also ein Bedienter Saduzzis, gut. Und wobei hilft er ihr?«

»Das wirst du sofort selbst vielleicht merken ...« Er beugte sich vor. »Hallo, Schirmer, – nun also zu der »Witwe«, – Sie wissen Bescheid.« –

In einem ärmlichen Hause im Osten Berlins wohnte vorn in einer Dreizimmerwohnung eine Frau Mieze Menzel, die vor etwa anderthalb Jahren durch das rätselhafte Verschwinden ihres Mannes, eines fleißigen, äußerst tüchtigen und mit allen modernen Maschinen vertrauten Buchdruckers, eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte. Der Fall Menzel hatte die Polizei monatelang beschäftigt, Frau Mieze war auch hilfesuchend bei uns gewesen, und Harald hatte sich jetzt rechtzeitig darauf besonnen.

Frau Menzel öffnete uns persönlich, Harald erklärte (ohne Monokel und ohne englischen Lordton) flüsternd durch die Türspalte (die Sicherheitskette lag noch vor), wir kämen ... aus Emden.

Er betonte: Emden!!

Die hübsche junge »Witwe« blieb eine Weile stumm und stierte uns ängstlich an.

»Von ... ihm?«, stotterte sie.

»Ja.«

– Daß Harald hier so einfach die Tatsache, daß die Briefe für Anneliese auch in Emden aufgegeben waren, bis auf die beiden letzten, in dieser Weise ausnutzte, war einer seiner scheinbar so einfachen Kniffe.

In Wahrheit gehörte zu dem Kniff eine ganze Kette klarer Schlußfolgerungen.

Frau Menzel ließ uns in die »gute Stube« ein, war sehr aufgeregt, und erst als Harald ihr unter dem Bemerken, Namen täten nichts zur Sache, fünfhundert Mark auf den Tisch zählte, rief sie erstaunt:

»Ich erhielt ja erst vorige Woche Geld ...!« – Aber ihr letztes Mißtrauen war geschwunden.

Harst nickte. »Das wissen wir ... Wir wissen nur nicht mehr genau, ob aus Emden oder Holland. Der Vertreter unserer Firma war etwas nachlässig.«

»Aus Holland«, beeilte sich Frau Menzel zu erklären.

»Also aus ...« – Harald hüstelte, und die ahnungslose Frau ergänzte prompt:

»Wie immer aus Buitenzoorg bei Amsterdam.«

»Dann ist die Sache in Ordnung«, sagte Harst freundlich.

»Wie geht es ihm?«, fragte Frau Menzel besorgt. »Wann kehrt er heim?«

»Es geht ihm gut ... Nur die Wunde muß erst verheilen, liebe Frau Menzel, es war noch eine kleine Nachoperation nötig ...«

Sie seufzte. »Zungenkrebs ist furchtbar ...!«

Harald fragte so beiläufig: »Haben Sie eigentlich Professor Saduzzi für die Operation sehr viel zahlen müssen?«

»Wäre Gustav sonst nach Holland gegangen?!«, meinte die hübsche Frau sehr bitter. »Wir waren doch jung verheiratet, und ...«

»Das ist uns bekannt ... natürlich bekannt ... Sie werden ihn ja auch bald wiedersehen ... – Kennen Sie übrigens den Modesalon Holder, Frau Menzel? Sie sollten dort einmal kaufen – bei Ihrer Figur und bei dem Gelde, das Sie aus Holland bekommen, – – ein Spaß für Sie!«

Aber Frau Menzel zog jetzt finster die Brauen zusammen.

»Holder?! – Nicht zehn Pferde bekommen mich dorthin!! Die Miß Holderston wollte mir Gustav ja mal abspenstig machen, und noch heute weiß ich nicht recht, sie ihn kennenlernte ...!«

»Oh, – – bedauerlich!«, meinte Harald und erhob sich. »Nun noch eins, Frau Menzel ... Nichts von diesem Gelde da erwähnen, nichts!«

»Na, – das darf ich doch überhaupt nicht ... – Bestellen Sie herzliche Grüße, meine Herren ...«

»Das werden wir tun ... bestimmt! Und sehr bald wird Gustav bei Ihnen sein, sehr bald ...« – Wir verließen das Haus, – ich wie im Traum, allerdings in einem entsetzlichen Traum ...

Im Auto sagte Harald grimmigen Tones:

»Also dasselbe Spiel wie mit Professor Gerty!! Ja, es sind Bestien, diese Grillen!! – – Lieber Schirmer, nun also gen Dachsberg zur Stromerherberge ...«

Während der Fahrt kleideten wir uns um und wurden wieder zu den schlichten Arbeitern, die an der Havel geangelt hatten, nur daß unser Aussehen einen Stich ins Stromerhafte bekam.

Jenseits Dachsberg und jenseits der Villa Saduzzi liegt an der Chaussee an einer mehrfachen Wegekreuzung der Landkrug »Zum Stern«, berüchtigt als Stromerherberge, von der Polizei geduldet, um die Vagabunden leichter kontrollieren zu können, von Sommerausflüglern gern besucht wegen des schattigen Gartens, der Aussicht auf den Stern-See und der vorzüglichen Verpflegung.

Auf der Insel im Stern-See erhob sich eine frühere Fischerhütte inmitten dicksten Gestrüpps, und große Holztafeln zeigten den Ruderern und Seglern an (der Stern-See stand mit anderen Gewässern in Verbindung), daß das Landen und Anlegen im Schilf verboten sei.

Trotzdem näherte sich bei Einbruch der Dunkelheit ein Faltboot mit zwei Leuten sehr vorsichtig der verbotenen Insel, landete auf der dem Sternkrug abgekehrten Seite, und die beiden Insassen verschwanden in der uralten, dicht mit wildem Hopfen umrankten Hütte, wo auf einem Lager aus Blättern, Gras und Wolldecken unser Schützling Anneliese beim Lichte einer abgeblendeten Laterne in einem Buche las.

Dies hier war unser Versteck, das wir vom Sternwirt für teures Geld in aller Stille gemietet hatten. Auf seine Verschwiegenheit war Verlaß.


 << zurück weiter >>