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1. Kapitel

Die Frau mit dem geheimnisvollen Auftrag

Die nächtliche Finsternis war so dicht, daß der herbstliche Park mit seinen weiten Rasenflächen und Baumgruppen zusammen mit dem pechschwarzen Gewölk des Himmels ein untrennbares Ganzes zu bilden schien.

Der hohle, schwache Wind, der so matt durch die Buchenwipfel strich, erzeugte kaum ein Säuseln ... Es klang wie das Flüstern von Kobolden, die sich bei dieser Dunkelheit an die Erdoberfläche gewagt hatten ...

In dieser Finsternis, die nicht die Hand vor Augen sehen ließ, erklang außer dem Flüstern der unsichtbaren Kobolde vom Brunnenrand her, dessen weiße Einfassung nur ein fahl-helles Oval in dieser drückenden Dunkelheit ahnen ließ, das unheimliche, unverständliche, abgehackte Gestammel eines Menschen, der nicht vollends Herr seiner Sprechwerkzeuge ist und der sich dennoch verzweifelt bemüht, sich irgendwie verständlich zu machen.

Es war ein alter Landstreicher, der auf dem Rande der Fontäne zwischen zwei genau so verschwommenen Gestalten saß.

Der Mann war als Stromer echt, goldecht.

Er stank ...

Es war der Geruch eines ungepflegten Körpers, muffiger Lumpen, Pfeifenrauchs und Fusels.

Wir hatten den alten Burschen vorhin abgefaßt, als er die Villa Saduzzi durch die prunkvolle Haupttür verlassen hatte, und die eisernen Griffe unserer Hände belehrten ihn schnell, daß es keinen Zweck hätte, sich irgendwie zu wehren.

Harst sagte zu mir ganz gedämpft in Esperanto, das der Strolch wohl kaum verstehen würde:

»Es hat keinen Sinn ... Nehmen wir ihn mit. Der Mann ist stumm, aber vielleicht kann er lesen und schreiben.«

Er sprach absichtlich rauh und sehr heiser, und ich erwiderte genau so rauh:

»Was erhoffst du von ihm?!«

»Wir werden sehen ... – Verbinde ihm die Augen.«

Und zu dem Alten meinte er beruhigend:

»Sie haben nichts zu fürchten ... Wir sind nicht Beamte ...«

Der Strolch lachte leise ...

Es klang furchtbar – wie das Röcheln eines sterbenden Teufels.

Aber der alte stinkende Bursche bereitete uns weiter keine Schwierigkeiten, wir führten ihn vorsichtig zur fernen Mauerpforte und in das auf den Feldweg einsam und ohne Lichter harrende Auto.

Auf dem Führersitz der schweren Limousine, deren blanke Metallteile bei dieser beängstigenden Finsternis unklar und matt wie hingestreute Glasscherben schimmerten, saß ein Etwas, das mit noch krächzenderer Stimme fragte:

»Wen bringen Sie da?!«

Dann funkte eine Taschenlampe auf, unser Schofför betrachtete den Stromer, dem die Mühe tief ins Genick gerutscht war, und der Lichtfaden verkroch sich wieder ...

Plötzlich hüstelte unser Fahrer sehr hell, und dieses Hüsteln endete mit dem täuschend nachgeahmten Zirpen einer Grille.

Was dann folgte, war die schmählichste Niederlage, die wir je erlebt haben.

Wir hatten den alten Burschen unterschätzt, seine Fäuste waren wie Schmiedehämmer, ich landete links auf einem Haufen Kartoffelkraut, und Harsts unfreiwilliger Purzelbaum endete in ekligen Brombeeren, wie ich nachher feststellte.

Blitzschnell waren die Schläge erfolgt, blitzschnell flogen wir von den Trittbrettern in die pechschwarze Nacht, blitzschnell ruckte der Wagen an, und wutschäumend stierte ich dem Scheinwerferlichte nach, das rasch jenseits des Hügels verschwand.

Mein Schädel brummte wie ein Propeller, und es blieb bei alledem ein sehr schwacher Trost, daß auch Harald später eine wundervolle Stirnbeule als Andenken an zwei Unbekannte tagelang liebevoll mit Puder schamvoll bedecken mußte.

Stumm saßen wir eine Weile am Wegrande. So, wie die Dinge lagen, mußten wir zu Fuß ins nächste Dorf.

Harst blieb stumm. Ich begriff das durchaus, denn das Benehmen unserer geheimnisvollen Klientin und des Stromers waren ein unerschöpfliches Thema für spürende Gedanken.

Im Dorfe fanden wir das Wirtshaus noch offen, und der dicke, gemütliche Herbergsvater glaubte uns ohne weiteres, daß wir Tagestouristen aus Berlin seien, uns nur verirrt hätten und mit dem Schädel im Wald gegen Bäume gelaufen seien. – Er führte uns in ein behagliches Fremdenzimmer mit zwei Betten, brachte uns Erfrischungen, heizte den Ofen, und dann wünschte er uns angenehme Ruhe.

Im Ofen bullerte ein Riesenfeuer von Tannenscheiten, die Ofentür stand offen, und die Wärme umstrahlte uns so freundlich und der Grog war so vorzüglich, daß ich die Dinge bereits etwas freundlicher betrachtete, – trotz der Beule ...

Wir hatten eben Pech gehabt.

Harst, in einen Lehnstuhl vergraben, rauchte minutenlang wieder stumm wie ein Fisch seine Zigarette und aß mitunter einen Happen des famosen Landschinkens.

»Also sie kannte ihn und erkannte ihn sofort trotz des Taschentuches, das du ihm vor die Augen geknotet hattest«, sagte er dann ganz unvermittelt. »Woran erkannte sie ihn? Sahst du die Stirnnarbe dicht am Ansatz des buschigen grauen Haares, mein Alter?«

»Nein, aber ich sah, daß der Strolch eine einzelne schneeweiße Strähne hatte, etwa in der Scheitellinie.«

Horst nickte lebhaft. »Immerhin zwei Kennzeichen! – Und was hältst du von der ganzen Geschichte?« Seins Gleichgültigkeit war wie weggewischt. »Ueberlegen wir uns ...! Heute früh ruft jemand bei uns an, eine Dame ... Verspricht uns tausend Mark, wenn wir den Park und die Terrasse der Villa Saduzzi in der kommenden Nacht beobachten und Leute, die die Villa um elf Uhr verlassen würden, abfangen wollten, da es Einbrecher seien, denn Professor Saduzzi sei verreist. – Mehr war aus der Klientin nicht herauszuholen. – Wir willigen ein, treffen uns um Neun mit ihr in einer dunklen Straße, die Frau sitzt verkleidet als Schofför am Steuer, ist völlig unkenntlich, sie gibt uns das Honorar und wir fahren nach Potsdam in einem geradezu höllischen Tempo ... Dann sagt sie uns Bescheid, wo wir die Parkpforte finden würden, beschreibt uns Park und Villa und wir lauern auf der Terrasse, bis der alte Strolch aus der Haustür schlüpft – genau um elf Uhr. Und dann merken wir: der Mann ist stumm, bringen ihn zum Auto, und unsere Klientin entführt ihn uns und entflieht selbst! – Eine verrückte Geschichte!«, schloß er lächelnd.

Sein Lächeln kenne ich. »Noch viel verrückter ist die Frage«, erklärte ich erquickend grob, »weshalb du dich überhaupt auf die oberfaule Geschichte eingelassen hast!«

Er streckte mir impulsiv die Hand hin. »Max Schraut, wenn du die Frage jetzt nicht gestellt hättest, würde ich es aufgegeben haben, jemals aus dir einen brauchbaren Detektiv zurechtzukneten. – Also weshalb ich die taufend Mark mit in Kauf nahm? Nun – des Kongresses der Stummen wegen!«

Er sagte das so merkwürdig ernst, daß ich stutzig wurde. – Ein Kongreß der Stummen ist heutzutage, wo schon die internationalen Hochstapler fast in aller Oeffentlichkeit Tagungen abhalten und belehrende Erfahrungen austauschen, absolut nichts Aufregendes mehr. Nur Harsts ungewöhnlich ernster Ton ließ vermuten, daß es mit dem Kongreß der Stummen doch eine ganz eigene Bewandtnis habe müßte.

Leider klopfte es jetzt, der dicke Wirt, wahrscheinlich sein bester eigener Gast der Nasenröte nach, kam hereingestolpert und hielt sich leichenblaß am Türrahmen fest.

»Meine ... Herren ...«, er konnte nur stottern, »es ... ist ein schreckliches Unglück geschehen ... Nebenan ...« – er zitterte voller Angst – »liegt ... ein ... Fremder ... tot, – ich weiß nicht ... Ich weiß gar nichts ... Ich hörte die Haustür klappen, und ...«

Aus seinem wirren Gerede war nicht klug zu werden.

Harst winkte mir, im Nebenzimmer fanden wir vor der Verbindungstür zu unserem Zimmer, die hier durch dicke Vorhänge verdeckt war, denselben Stromer zusammengekrümmt liegen, der uns vorhin die tadellosen Fausthiebe versetzt hatte.

Harald bückte sich, beleuchtete die armselige Gestalt, lief plötzlich in unser Zimmer zurück, holte seinen Rucksack, entnahm ihm die kleine Reiseapotheke, machte dem Alten zwei Injektionen und legte ihm dann ein Kissen unter den Kopf.

»Gehen Sie schlafen, Herr Brandt!«, meinte er befehlend. »Der Stromer ist vor Hunger und Erschöpfung ohnmächtig geworden. Wir sorgen schon für ihn ... Es hat nichts zu bedeuten.«

Herr Brandt atmete sehr erleichtert auf. »Ich danke Ihnen, meine Herren ...«, – und seine feiste Gestalt verschwand in höchster Eile.

»Schließe die Tür, mein Alter!«, – Harst selbst rührte sich nicht, ließ nur die scharfen Augen umherwandern und deutete stumm auf die zugezogenen Fenstervorhänge.

Auch dies hier war eins der hübschen Fremdenzimmer des Gasthofes »Eldorado«. Es war unbelegt und kalt, aber blitzsauber. Im Sommer hatte das »Eldorado« stets zahlreiche Gäste, jetzt im Oktober war die Saison natürlich abgeflaut.

Mein Freund fühlte dem Alten den Puls.

»Er wird am Leben bleiben ...«, erklärte er leise. »Und das wird gewissen Leuten sehr gegen den Strich gehen. Wenn der Wirt nicht infolge des Geräusches der Haustür hier oben auf Einbrecher gefahndet hätte, wäre es ein vollendeter Giftmord geworden.«

Ich war starr. – »Giftmord, Harald?«

»Natürlich ... Bitte schau dir den linken Handrücken unseres Fremden an ...! Die Schramme ist nur dünn, aber blau-grün an den Rändern verfärbt, – – sehr eigentümlich!«

»Was hast du ihm injiziert?«, fragte ich verwirrt.

»Das Allheilmittel gegen Herzschwäche ... Der Mann besitzt eine zähe Natur ... Das Herz arbeitet schon kräftiger ...«

Er schritt nun auf die Vorhänge zu, die die Verbindungstür verhüllten, beleuchtete sie mit der Taschenlampe und schüttelte wiederholt den Kopf.

»Das sieht nach Weiberarbeit aus«, murmelte er. »Stecknadeln mit Glasknöpfen ...!! – Anders konnte die Schramme am Handrücken nicht entstanden sein. Der Alte sollte uns belauschen, in Wahrheit sollte er sterben ... Als er die Vorhänge anfaßte und sie auseinanderschlug, um besser hören zu können, ritzte er sich die Hand, – wie gemein, dieser Mordversuch!«

Ich trat neben ihn, noch völlig benommen.

Es ist wirklich nicht so einfach, Harsts blitzschnellen, sprunghaften Schlußfolgerungen das wirklich Wichtige zu entnehmen ...

»Halte mal die Lampe ...«, bat er.

Dann zog er aus den Innenrändern der Doppelvorhänge acht Stecknadeln mit allergrößter Behutsamkeit hervor, legte sie in seine Brieftasche und meinte nur:

»Ob sie es war?! Dann kommt sie wieder. Kühn genug ist sie! Sie wird die Stecknadeln entfernen wollen.«


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