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3. Kapitel

Der stumme Stromer Professor Gerty.

Anneliese Gerty stand im Sonnenschein des Vorgärtchens und blickte glücklich über den heute recht belebten Fluß hinweg. Der warme Oktobertag hatte nach der unfreundlichen Nacht eine Menge Ruderer und Jachtbesitzer hinausgelockt, und auch das schlanke, ranke blonde Mädchen hätte am liebsten die Arme selig ausgebreitet und irgend ein Lied hinausgeschmettert, nur um ihrem freudetrunkenen Herzen Luft zu machen.

Das Häuschen, das sie in aller Heimlichkeit hier am Havelfluß unweit Potsdam gemietet hatte, genügte ihren sehr, sehr bescheiden gewordenen Ansprüchen vollkommen.

Ihr liebliches Gesichtchen verzog sich plötzlich zu einer klaren Grimasse des Unwillens und höchster Entrüstung. Dort stand dieser aufdringliche Mensch schon wieder am abgesteiften Ufer mit seiner Angel, – und wahrhaftig, er grüßte höflich und lächelte dabei so ungezwungen-freundlich, daß Anneliese wirklich nicht so ungezogen sein wollte, sich schroff abzuwenden. Im Grunde sah ja Herr Peter van Amsteln gar nicht übel aus und blieb stets zurückhaltend, nur in letzter Zeit hatte Anneliese das blonde Köpfchen mit anderen Dingen nur allzu voll gehabt, und da war ihr diese Zufallsbekanntschaft auch recht unbequem gewesen, und wenn sie ganz streng mit sich ins Gericht ging, mußte sie zugeben, daß weder zu Entrüstung noch Empörung Anlaß vorläge, – mithin dankte sie ihm kühl-gemessen und schaute sich seine Anglernachbarn an, zwei schlichte Arbeiter mit Rucksäcken, – vielleicht Erwerbslose, die für ihre hungernden Familien einen lohnenden Fischfang erhofften. –

Mit dem »Fischfang«, auf den die beiden bärtigen Leute hofften, stimmte es. Nur daß sie es mehr auf Grillen wie auf Fische abgesehen hatten, nachdem ihnen heute um halb zwei mittags mitgeteilt worden, daß ein Fräulein Anneliese Gerty ein Auto in Berlin gemietet und nachts in der Nähe des Dorfes Dachsberg gewesen sei und dort aus Mitleid einen ermüdeten Landstreicher mit in den Wagen und mit nach Potsdam genommen habe, wo sie den Schofför abgelohnt und noch ein Trinkgeld für »Verschwiegenheit« hinzugefügt hatte. Unser Trinkgeld war größer gewesen, und der Schofför erzählte das Wenige, das er wußte. Dann hatten wir zum zweiten Male unser Heim durch die »Notröhre«, das heißt über das angrenzend« Grundstück verlassen, – alles weitere war leicht zu ermitteln, und jetzt kurz nach vier Uhr waren wir bereits mit dem netten jungen Herrn bestens bekannt geworden, hörten, daß er Maler sei, in Potsdam wohne und Peter van Amsteln heiße. – Sein Deutsch verriet den Ausländer, sein strohblondes Haar und einiges andere deuteten auf einen Holländer hin.

Peter van Amsteln fehlte zum Holländer nur eins: Die beschauliche Ruhe, das Phlegma! – Gewiß er war beherrscht, gemessen, aber zuweilen kam doch sein Feuergeist zum Durchbruch, und als Harald ihn nun weiter sehr geschickt auszuhorchen suchte, trat in Amstelns blaugraue Augen urplötzlich ein so eisiger Ausdruck. daß Harald schleunigst seine Loblieder auf die Schönheit des jungen Mädchens dort im Gärtchen abbremste und gleichgültig meinte: »Entschuldigen Sie, Herr, – aber meine Tochter ähnelte dem Fräulein da. und sie ist unlängst ...« – er senkte traurig die Stimme – »... unlängst gestorben.« – Er dachte an Fred Steen dabei.

Dann packte Amsteln sein Angelzeug zusammen, verabschiedete sich, bestieg ein kleines Motorboot und fuhr davon.

Inzwischen waren auch »Die leuchtenden Hände« wieder im Hause verschwunden, und da die Dunkelheit nun rasch zunahm, entfernten auch wir uns scheinbar und verbargen uns hinter einem an Land gezogenen Frachtkahn.

Der bis dahin wolkenlose Himmel nahm ein düsteres Aussehen an, Wind kam auf, und wir beide waren froh, daß unsere schäbigen Rucksäcke alles enthielten, was uns unsere kalten Wachtstunden behaglicher gestalten könnte. Wir aßen, tranken, zogen die Gummimäntel, dritte Garnitur, über die schäbigen Jacken und Wollwesten und schlichen gegen sieben Uhr bei feinem Sprühregen und dichtester Dunkelheit in den nahen Vorgarten und vor das erleuchtete Fenster. Die Vorhänge und hölzernen Läden waren jedoch so gut versperrt, daß Harst mir zuraunte, wir müßten unser Heil von der Hintertür versuchen – mit Nachschlüsseln.

»... Ich muß Professor Albert Gerty sehen und hören«, fügte er entschlossen hinzu. »Wie dieser bekannte Künstler zum Landstreicher werden konnte, ist mir unbegreiflich, erst recht, wodurch er die Sprache verlor ...«

Es regnete stärker ... Wir glitten um die Hausecke, an die sich ein kleiner Stall anlehnte.

Zum Glück sahen wir auch die dunkle Gestalt an der Hintertür zuerst, blieben stehen und drückten uns dicht an die Stallwand.

Der Mann dort vor uns trug einen langen Mantel, Sportmütze und Schnallgamaschen. Seine Bewegungen waren völlig lautlos, hatten etwas geradezu Katzenhaftes an sich und zeigten in allem, daß der Fremde mit dieser Art Handwerk sehr vertraut sei.

Trotzdem schien das Türschloß ihm Mühe zu bereiten ...

Das leise Klirren seiner Dietriche ertönte immer von neuem, und so mochten etwa zehn Minuten verstrichen sein, als Harst plötzlich mein Handgelenk umspannte und mir warnend ins Ohr zischt«:

»Keine Bewegung!! – – Du – – hörst du es?!«

Ich horchte ...

Der Regen plätscherte, der Wind rumorte um das Hausdach, schüttelte die letzten welken Blätter von den alten Linden und Kastanien des Hintergartens, und nur ein sehr gutes Ohr vernahm irgendwo aus der Finsternis ein helles Zirpen, das mehrmals beantwortet wurde – von anderen Stellen.

Dann – nach Minuten wieder – huschten drei Leute an uns vorüber, – an der Hintertür ertönte ein dumpfer Schlag, und die drei schleppten den Vierten eilends davon.

Harst duckte sich zusammen. »Schnell, – unsere Rucksäcke holen!! Kriechen!!«

Bevor wir dann der nahen Fahrstraße zustrebten, hatte Harald vorn an den Fensterladen geklopft und – sehr mäßig, aber sehr laut – den Grillenton erklingen lassen, worauf im Zimmer sofort das Licht erlosch.

»So, nun werden Vater und Tochter sich wohl in acht nehmen! – Zur Straße!! Hoffentlich finden wir eine leere Autotaxe!«

Wir fanden sie. Der Schofför war mißtrauisch trotz der ihm dargebotenen zwanzig Mark.

»Ich bin Harst!«, fauchte Harald ihn gereizt an. »Hier ist mein Ausweis ...!«

»Oh – – dann ja!! – Also nach Dachsberg ...«

»Und fahren Sie wie der Teufel! Ich setze mich neben Sie!«

Der Mann fuhr in einem Tempo, als wäre wirklich der Satan hinter ihm drein.

Harst beugte sich in den Wagen und flüsterte mir zu: »Sie werden Amsteln nur auf Umwegen nach Saduzzis Villa bringen, wenn meine Annahmen zutreffen!« –

Die Autotaxe hielt im Walds jenseits des Dorfes, und Harst befahl dem Schofför zu warten.

Wir liefen die Chaussee entlang bis dicht zur Parkpforte der Villa. Das große Flügeltor stand offen, – nicht schnell genug konnten wir uns niederwerfen, denn aus dem Tore traten zwei Männer in den Lichtschein der beiden Lampen, die über dem Eingang angebracht waren, und schauten spähend die dunkle regennasse Chaussee hinab, wobei sie sich eifrig und hastig durch Zeichensprache unterhielten. Dann tauchten in der Ferne Scheinwerfer auf, – eine dunkle große Limousine schoß heran, bremste, und aus dem Innern des Wagens ertönte ein sehr helles, schrilles Zirpen, und die beiden Männer stürzten dienstbeflissen näher.

Harst wagte hier alles ... Er schob sich in die schwarze Schattenlinie des Chausseebaumes neben der Auffahrt, auch mich deckte die Finsternis, und klar und deutlich hörten wir's in schärfstem Tone aus dem offenen Wagenfenster hervorklingen:

»Sagt ihm, daß er uns doch entwischt ist! Auch die beiden Gefährlichsten sind nicht daheim, obwohl sie den alten Trick anwandten, Stellvertreter zu bestellen ... Ich habe angerufen ... Es war nicht seine Stimme ... – Also doppelte Vorsicht! Die Geschichte wird unangenehm! – Weiter, Jell!!«

Das Letzte galt dem vermummten Schofför.

Die Limousine ruckte an, jagte ein Stück weiter, wendete und sauste wieder in Richtung Potsdam davon.

Die beiden Leute in den Dienermützen und Mänteln schlossen das Tor, die Torlampen erloschen, und wir eilten schleunigst in den Wald zurück.

»Nach Potsdam zurück, mäßiges Tempo!«, befahl Harald.

Er setzte sich wieder neben den Schofför.

Wir hatten die Hälfte der Strecke noch nicht zurückgelegt, als vor unseren Lampen ein müde dahinschleichender Mann erschien – ein Stromer offenbar. Wir fuhren so langsam, daß auch ich trotz des Regens den einsamen Wandrer erkannte: Es war Professor Gerth!

»Anhalten!!«, rief Harst und sprang hinaus.

Bevor er Gerty jedoch ansprechen konnte, der ohnedies Miene machte zu fliehen, ertönten ein paar schwache Schüsse kurz hintereinander, – unsere Scheinwerfer zersplitterten und erloschen. Harst flog die Taschenlampe aus der Hand, und eine zweite Gestalt zog Gerty über den Chausseegraben in den Kiefernwald.

Eine Verfolgung wäre zwecklos gewesen.


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