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9. Was wurde aus den Blumen des Südens?

Ferdinand Harter war seinem Ziele einige Schildkrötenschritte näher gerückt. Er konnte oft genug mit Malwine zusammen kommen. Er führte, vermöge seines Amtes, die oberste Kontrolle über die Unternehmungen, welche Herr Lemming von der Regierung kontraktlich übernommen hatte. Bei einem solchen Herrn schont man nicht ein paar Tassen Thee, und vielleicht auch anderes nicht.

Dann hatte Ferdinand Harter auch seine Privatangelegenheiten, bei denen er Herrn Lemmings Dienste in Anspruch nahm.

So z. B. die Angelegenheiten des jungen Herrn Elemer, dem beständig Geld nachgeschickt werden mußte, zuerst nach Italien, dann nach Frankreich, dann nach England. Er kam mit dem Gelde natürlich nirgends aus. Überall machte er Schulden bis zur Höhe von Staatsschulden. In jeder Stadt mußte er aus dem Schuldgefängnisse durch künstliche Ausgleichungen frei gemacht werden, welche nur durch die Verbindungen des Herrn Lemming negoziirt werden konnten.

Alle diese Fälle gaben Herrn Ferdinand Harter eben so viele Gelegenheiten, an einem vertraulichen Theeabend bei Lemmings seinem verschwenderischen Sohn um Malwinen's schöner Augen willen zu verzeihen.

Wußte doch die schöne Frau so schön für den ungeratenen Sohn um Verzeihung zu bitten, den sie noch jetzt wie ehemals ihr Söhnlein nannte. Es that Herrn Harter so wohl, dies zu hören.

Eines Abends kam wieder die Botschaft, Se. Hochgeboren möge sich gütigst zu Herrn Lemming bemühen, der wegen eines Rheuma das Zimmer nicht verlassen dürfe, über den jungen Herrn Elemer aber Mitteilungen sehr dringender, unaufschiebbarer Natur zu machen habe. Ein großes Unglück sei geschehen.

Herr Lemming erwartete Herrn Harter im Kaminzimmer; sein Kopf war mit warmen Umschlägen aller Art stark verbunden. Seine Frau saß an seiner Seite und pflegte ihn, wie es einer getreuen Lebensgefährtin geziemt.

»Sie sind krank, geehrter Freund? Glauben Sie mir, daß ich sehr, sehr ...«

»Bitte nicht mich zu bedauern!« unterbrach ihn Lemming mit der Verstimmtheit einer angeschwollenen Wange. »Hier ist ein Telegramm aus Toulon von Elemer.«

Jetzt bekam auch Herr Harter Kopfschmerzen.

»Aber das ist doch zu arg! Was hat er in Toulon zu suchen, der Taugenichts? Ich schicke ihm kein Geld mehr.«

»Au, au, au, mein Zahn!« ächzte Herr Lemming – »Aber, mein Herr, lassen Sie mich nur zu Worte kommen. Ihr Sohn ist nicht in Toulon, und Sie brauchen ihm kein Geld mehr zu schicken. Hier ist das Telegramm: »Der Atlantic ging im Sturme unter; von Passagieren und Mannschaft ist keine Seele gerettet.«

»Das ist ein schrecklicher Schlag ... mein Herr ... ich weiß nicht, wie ich das überlebe ... die Hoffnung meines ganzen Lebens.«

Bei diesem Gedanken mußte er sich in die Lippen beißen. Es war so schmerzlich ihn auszusprechen. Herr Lemming aber, in der üblen Laune eines Rheumatikus, warf ihm den Trost hin: »Jetzt werden der Herr Rat ihm kein Geld mehr zu schicken brauchen.«

Malwinens Zartgefühl beeilte sich, die Plumpheit gut zu machen. Sie reichte Ferdinand Harter ihre Hand.

»Armer Elemer! Er war bei alledem doch ein guter Sohn.«

Und als sie ihm so die Hand reichte und ihn mit den in Thränen schwimmenden Augen ansah, machte sie ihn noch mondsüchtiger, als er bisher schon war. Er segnete im Stillen das Meer und den Sturm, die ihm diesen Händedruck und diesen zärtlichen Blick einbrachten.

Und er war bemüht, sich die Vorteile der Situation möglichst zu Nutze zu machen. »Sie haben ihn immer so lieb gehabt, gnädige Frau,« sagte er, die ihm dargereichte Hand ergreifend. »Sie waren immer so gut gegen ihn ... Und er war mein einziges Kind ... der einzige Sprößling meiner Familie.« Wer durfte es ihm übel nehmen, wenn der Schmerz des Vaterherzens ihn zwang, bei diesen Worten mit beiden Händen die zarte Frauenhand an seine Brust zu ziehen? Selbst der anwesende Gemahl konnte daran kein Ärgernis nehmen. Ist ja doch Malwine immerhin einstmals Elemers Stiefmama gewesen.

Am andern Tage liefen die Trauerblätter auf Bristolpapier durch das ganze Land; die Dienerschaft wurde vom Wirbel bis zur Zehe in Schwarz gekleidet; auch die frommen Patres thaten alles, was für die Seelenruhe des Verstorbenen nötig befunden wurde; nicht minder wurde ein lebensgroßes Porträt bestellt, ein Granitdenkmal rückte gleichfalls seiner Vollendung entgegen; es fehlte nur noch die Grabschrift, welche Herr Andjaldy schon dreimal aufgesetzt, Ferdinand aber stets verworfen hatte, da er nicht alles darin genügend ausgedrückt fand, was die staunende Nachwelt auf dem Grabstein eines Harter finden sollte, von der Größe der Familie, der noch größeren Größe des Schmerzes und der allergrößten Größe des Stolzes.

»Ich sehe es schon, ich werde es selbst schreiben müssen.«

So sprach Herr Ferdinand, als er das dritte Epitaph zurückwies. Und er machte sich an das Trauerwerk, indem er die Lampe anzündete, denn es begann dunkel zu werden. Es gehört eine seltene Seelenstärke dazu, für das Denkmal des einzigen Sohnes die Grabschrift zu entwerfen. Ferdinand Harter besaß diese Seelenstärke.

Er zeigte seinem Sekretär, wie er es hätte machen sollen.

 

Zum Andenken an Elemer von Harter

errichtet dieses Denkmal der Schmerz des trauernden Vaters. Seine Gebeine deckt der Ocean.

 Soweit war er gekommen, als er hinter seinem Rücken Schritte vernahm. Wer konnte es anders sein, als sein Sekretär, dem er eben den Entwurf zeigen wollte, da sonst niemand unangemeldet herein durfte; er sah sich daher gar nicht um, sondern schrieb weiter am Epitaph.

Da wird ihm plötzlich leise auf die Schulter geklopft, und eine ihm bekannte Stimme sagt: » Servus, Papa! Ich bin keineswegs im Meere ertrunken.«

Ferdinand Harter ließ die Bleifeder auf das Papier fallen. Entglitt sie seiner Hand vor Schreck oder vor Freude? Wer kann das wissen! Junker Elemer aber rückte sich einen Stuhl hin und setzte sich, als ob er eben jetzt von einer Fuchsjagd nach Hause gekommen wäre und davon erzählen wolle. Das waren die Freuden des Wiedersehens auf beiden Seiten. »Ja, irgend eine alberne Theerjacke hat mich herausgefischt und dem Vaterlande und meinen Lieben wiedergeschenkt.«

Ferdinand Harter war in der That ärgerlich. Nicht etwa darüber, daß sein Sohn nicht im Meere ertrunken war. Bei Leibe! Wer könnte bei einem Vater ein solches Rabenherz voraussetzen? Sondern darüber, daß er mir nichts dir nichts 5000 Gulden ausgegeben hatte, dem Windbeutel die letzten Ehren zu erweisen, und nun trat dieser ins Zimmer herein und sagte, er bedanke sich schön, sei aber nicht gestorben.

Man weiß wirklich nicht, was man auf den ersten Schreck sagen soll. Allmählich kehrt jedoch das alte Pathos zurück; man sammelt sich und reicht dem Ankömmling die Hand. »Ich heiße Dich willkommen, mein Sohn! Ich freue mich, Dich am Leben zu sehen. Wir hielten Dich für verloren.«

»Gewiß, das wäre ich auch gewesen, hätten sie mich nicht aufgefunden. Aber Du kennst ja das Sprüchwort vom schlechten Groschen. Der geht nicht verloren.«

»Ich hoffe jedoch, daß Du als guter Groschen zurückgekehrt bist.«

»Das ist eine Frage der Valuta, Papa, und diese ist, wie Du weißt, auf der Landkarte, auf der Ihr wohnt, großen Schwankungen unterworfen. Ich höre, daß auch Du Dich in eine neue Banknote hast umwechseln lassen – aus altem dreizehnlöthigen Silber.«

»Schwatze nicht so albernes Zeug.«

»Du hast da wahrlich sehr vernünftig gehandelt, Papa; man muß losschlagen, wenn das Agio hoch steht. Du besitzest hier eine viel schönere Wohnung, als im Komitatsgebäude. Ich ermahnte Dich schon damals, Du möchtest diese Kindereien aufgeben. Der Patriotismus trägt nur Fackelserenaden ein. Es thut meinem kindlichen Herzen wohl, daß Du meine guten Ratschläge befolgt hast.«

Herrn Ferdinand Harter prickelte es in allen Gliedern, bei diesem Lob ärgerlich zu niesen.

»Mir aber würde es wohl thun, wenn Du meinen väterlichen Rat annähmest!« rief er mit gehobener Stimme über und über rot.

»Ei nun, sieh, wie Du mich anfährst! Habe ich Deinen Rat nicht befolgt, direkt nach Hause zu kommen? Allerdings geschah es auf etwas krummem Wege, denn der verrückte Dampfer, der mich aus den Fluten auflas, brachte mich vorher nach Korfu und dann erst nach Hause; jetzt bin ich aber da, wie Du befohlen und, seit ich angekommen, hatte ich keine Zeit, mir Deine Zufriedenheit zu verdienen.«

»Nun, Du wirst Zeit genug dazu haben. Ich kann es Dir nicht verhehlen, daß ich mit Deiner bisherigen Aufführung höchst unzufrieden bin.«

»Das verzeihe ich Dir.«

»Nimm die Sache nicht spaßhaft. Ich habe Dich ins Ausland geschickt, damit Du ein Mann würdest, und Du hast nur Schlechtes dort gelernt.«

»Da hast Du wieder recht! Wieviel Gutes hätte ich unterdes daheim lernen können – an Deinem edlen Beispiel!«

»Da hast Du die Wahrheit gesagt, ohne es zu wollen. An meinem Beispiel hättest Du lernen können, daß ein guter Patriot jederzeit Pflichten hat, und daß, wenn auch das Terrain und die Zeitverhältnisse sich ändern, ihn das nicht von der Pflicht entbindet, seine Schuldigkeit gegen das Vaterland auch unter geänderten Zeitverhältnissen auf einem anderen Terrain zu erfüllen ...

»Gegen eine, der Größe unseres Patriotismus angemessene Jahresgage und Diätenklasse.«

»Höre mir zu und unterbrich mich nicht mit allerlei Allotrien. Das Vaterland duldet keinen müßigen Kapitalstock.«

»Auch keine müßigen Stockfische.«

»Deine Rede ...«

»Schon gut, Papa, fahre fort!«

»Das Vaterland duldet keine Müßiggänger und Geldverzehrer wie Du einer bist. Jeder unbeschäftigte Mensch ist für das Vaterland ein verlorenes Kapital.«

»Weißt Du was, Papa? Schüttele mich endlich ab.«

»Wüßte ich nur, wie?«

»Wirf mich zur Thür hinaus und wirf mir mein mütterliches Erbteil nach.« Bei diesen Worten spiegelte sich auf dem Gesichte Ferdinand Harters sein wahrer Charakter ab. Sein kalter, stolzer, gefühlloser Egoismus.

»Mein lieber Herr Sohn,« sagte er in hochfahrendem Tone – »in sechs Monaten werden Sie majorenn sein. Bis dahin stehen Sie noch unter meiner Kuratel. Dann können Sie einen Prozeß gegen mich anstrengen, und wenn der sein Ende erreicht hat, werden wir miteinander abrechnen, was einer dem andern schuldig ist. Bis dahin aber sehen Sie sich nach jemandem um, der Sie lieber bei sich sieht, als ich.«

»Dankend saldiert, den väterlichen Segen, Papa,« sagte Elemer, bitter lachend. »Und jetzt ersuche ich Dich, enterbe mich von Allem, was Dein ist; denn das Gesicht, das Du mir jetzt gezeigt hast, möchte ich nicht erben um den Ruhm aller großen Männer der Welt.«

Damit nahm er seinen Hut und ging. Als er eben die Treppe hinabsteigen wollte, kam Andjaldy zum zweiten Stocke herab. Sie begegneten sich auf dem Treppenflur.

»Guten Abend, Andjaldy.« – »Ah – guten Abend.« – »Wissen Sie etwas von den Pächtern der Nadascher Pußta?« fragte Elemer. – »Nur so viel, daß sie in großer Not sind.« – »Nun, gute Nacht.« Der junge Herr ging die Treppe hinab, Andjaldy schritt zu Herrn Ferdinand Harter hinein.

Der große Mann ging aufgeregt im Zimmer auf und ab. Herr Andjaldy hielt es nicht für nötig, von dieser Aufregung Notiz zu nehmen.

»Ich bitte, diese Nachnahmsrechnungen anzuweisen. Zweihundert Gulden.«

»Was ist das?« fragte Herr Harter übellaunig.

»Das Bild, das Sie in Wien zu bestellen geruhten, ist angekommen. Das Ölgemälde, Elemers Porträt.«

»Packen Sie sich damit auf den Grund der Hölle!« schrie Ferdinand Harter wütend und warf die Feder zur Erde, die er schon in die Hand genommen hatte, um den Postschein zu unterschreiben.

Andjaldy stellte sich verwundert, als begriffe er diesen Zornesausbruch nicht.

Harter besann sich. Er sah seinem Sekretär tief in die Augen. Er mochte hineinsehen, so viel er wollte. Diese haben inwendig Vorhänge herabgelassen. Dann nahm er die zweite Feder vom Pult und kritzelte seinen Namen unter die Posturkunde.

»Da, zahlen Sie es aus. Das Bild lassen Sie dann nur zur Frau Lemming tragen und sagen Sie ihr, daß ich ihr damit ein Geschenk mache.«

Andjaldy übernahm die Postanweisung und entfernte sich. Er fragte nicht einmal seinen Prinzipal, weshalb er geruhe, so überaus wütend und giftig zu sein. Auf der Post übernahm er das in einen großen Bretterverschlag genagelte Bild und schaffte es direkt in Lemmings Wohnung.

Herrn Lemming that die eine Gesichtshälfte nicht mehr weh, aber er mußte noch daheim bleiben. So waren Mann und Frau beisammen, als Andjaldy seinen ergebenen Besuch abstattete. »Was bringen Sie Gutes?« fragte Malwine und bot ihm einen Stuhl an. »Herr Harter wünscht Euer Gnaden mit dem Porträt seines Sohnes ein Vergnügen zu bereiten. Er macht Ihnen damit ein Geschenk.« – »Ah, das ist schön von ihm. Ist das Bild bereits hier?« – »Ich habe es hierher bringen lassen. Es wird eben ausgepackt.«

Malwine schellte dem Kammerdiener und trug ihm auf, das Bild hineintragen zu lassen. Sie bestimmte selbst den Tisch, auf dem es aufgestellt werden solle, damit es in gutem Licht stehe, und als dies geschehen war, nahm sie ihr Lorgnon, da ein Gemälde, wie bekannt, ohne ein solches nicht richtig zu beurteilen ist.

Auch Herr Lemming war ein Kunstkenner; er säumte nicht, sein Urteil über das Bild abzugeben: »Sehr schön, ein sehr feines Werk, nur daß die eine Hand etwas verzeichnet ist; der lichte Hintergrund läßt die Gesichtsfarbe sehr dunkel erscheinen, die sehr dunkel zu halten überhaupt zur Manier der Rahl'schen Schule gehört, es ist die Schuld der Photographie, daß die Nase breiter und die Augen kleiner sind, als in der Wirklichkeit, doch hindert dies nicht, die Ähnlichkeit zu erkennen. Nicht wahr, Herr Andjaldy?«

Herr Andjaldy hatte keinerlei Meinung über diesen Gegenstand.

»Ich verstehe mich nicht auf Gemälde.«

Um so besser versteht sich Herr Andjaldy auf lebende Gesichter. Seine Aufmerksamkeit dem Antlitze Malwinens zuwendend, nahm er an ihren bebenden Lippen wahr, daß das vor die Augen gehaltene Lorgnon nicht nur dazu gut ist, um besser sehen zu können, sondern auch dazu, die beiden Thränen zu verbergen, die ihr verstohlen in die Augen traten, als sie das Bild desjenigen vor sich erblickte, der trotz aller seiner Fehler doch ein guter Sohn gewesen und der in der Blüte der Jugend ein so beklagenswertes trauriges Ende erreicht hat.

Mitten während der Kritisierung und stummen Besichtigung des Bildes trat auf einmal der Kammerdiener herein, den sie von Wien hatten kommen lassen und der hier noch niemanden kannte. Ohne alle Ceremonie platzte er los:

»Jesus Maria! Dieser Herr ist hier.«

»Welcher Herr?« fragte Lemming.

»Der dort auf dem Bilde gemalt ist.«

»Wo ist dieser Herr?«

»Draußen im Vorzimmer. Ich ersuchte ihn um seine Karte. Er aber sagte, die sei im Meere ganz durchnäßt worden; dann fragte ich ihn um seinen Namen, darauf antwortete er, ich solle nur hineingehen und sagen, es wünsche jemand mit der ›Stiefmama‹ zu sprechen.«

Auf dies Wort schrie Malwine laut auf und hielt sich an einer Stuhllehne, um nicht umzusinken. Wenige Minuten darauf flog die Thüre auf, und herein trat der todtgeglaubte Sohn. Nun, hier empfing man ihn nicht wie im väterlichen Hause.

Malwine stürzte ihm mit einem Freudenschrei entgegen, umarmte ihn, preßte ihn krampfhaft an ihre Brust. Sie küßte ihm Kopf, Gesicht, Augen; sie weinte und lachte durcheinander und sank ihm auf die Schulter; das sind keine Worte, keine menschlichen Töne, die sie zu ihm spricht, das ist der Jubelgesang des Vogels, der sein Junges wiederfindet. Herr Lemming, der Gemahl, und Herr Andjaldy, der Sekretär, sahen einander mit sonderbaren Gesichtern an.

Beide scheinen die Scene damit zu entschuldigen, daß es ja erlaubt sei, ein verloren gegangenes Söhnlein so zu empfangen.

Elemer ließ sich umarmen, abküssen, herumzerren, und als das ein Ende hatte, lachte er hell auf. »Da bin ich wieder, Stiefmama!«

»Schlechter, abscheulicher Sohn!« rief Malwine mit dem Battist-Taschentuch ihre Thränen trocknend. »Uns so in Verzweiflung zu stürzen! Sehen Sie dies schwarze Kleid? Darin habe ich um Sie getrauert. Und wie weinte ich bei Ihrem Requiem!«

»Bei meinem Requiem?«

»Ja gewiß, bei dem Ihren. Es war pompös. Wir gaben dafür zehntausend Gulden aus.«

»Sapperlot! Kann man die dem Pfaffen nicht wieder abverlangen?«

»Sie sind noch immer derselbe Narr, der Sie waren. Sie sind ein Dummkopf.« Und dann klopfte sie dem kleinen Dummkopf auf die Wangen und zog ihn zu sich aufs Sofa. »Eben betrachteten wir Ihr Porträt, welches der gute Papa in Wien hat malen lassen. Nun, lachen Sie doch nicht immer. Ihr Papa hat es mir geschenkt. Soeben brachte es mir Herr Andjaldy.«

Elemer kam erst jetzt dazu, Andjaldy zu bemerken.

»Ah! Wir treffen uns schon zum zweitenmale, geehrter Freund.«

»Also Sie haben Herrn Elemer schon gesehen?« fragte Herr Lemming, Andjaldy scharf fixierend.

»Wir sind uns begegnet.«

»Und Sie sagten uns nichts davon?«

»Es hat mich niemand darnach gefragt.«

»Ah! Das ist originell! Dieser Andjaldy ist ein verflucht phlegmatischer Mensch. Hören Sie, meine Liebe!«

Malwine hörte nicht hin. Herr Andjaldy nahm seinen Hut und empfahl sich. »Ich muß gehen, gute Nacht.« Diesmal blieb auch der Handkuß weg.

Herr Lemming sah auf seine Uhr und fand, daß der Zeitpunkt gekommen war, wo nach der Verordnung des Arztes ein Rekonvaleszent sich zu Bette begeben muß.

Eigentlich aber dachte er bei sich, es habe bei weitem weniger Gefahr auf sich, wenn dieser junge Mann mit Madame, die seine quasi Mutter ist, allein bliebe, als wenn sie zu Dreien beisammen wären. Denn dieser junge Mann braucht jetzt unfehlbar Geld; sein Vater hat ihm den Laufpaß gegeben und bleibt Lemming da, so giebt es ein Attentat auf seinen Beutel. Also spreche er lieber mit Madame; wir aber sagen: »ich schlafe, ich schlafe.«

»Waren Sie schon beim Papa?« frug Malwine, als sie allein geblieben war, Elemer. »Freilich war ich dort; er hat mich auch bereits zur Thüre hinausgeworfen.« – »Gehen Sie, Sie sind ein großer Narr. Gewiß haben Sie wieder eine Ungeschicklichkeit begangen und den Vater erzürnt.« – »Nun freilich, ob ich sie begangen habe!« – »Wie so, was haben Sie denn gethan?« – »Ich beging die Impertinenz, nicht im Meere zu ersaufen.« – »Pfui, was das wieder für eine Rede ist!« – »Pure, reine Verleumdung. Das ist eine unheilbare Krankheit. Ich erkenne Dies an. Mein Vater ist die verkörperte Güte und Liebe. Das weißt auch Du so gut, Stiefmama. Und ich werde ebenso hartherzig, kalt und undankbar gegen ihn sein, wie Du es warst. Auch ich strenge einen Scheidungsprozeß gegen ihn an.« – »Bedenken Sie, was Sie thun!« – »Bat ich Dich damals nicht, als Du von uns fortgehen wolltest. Du mögest uns nicht verlassen? Und sage ich heute nicht, daß Du recht daran gethan? Hättest Du ihn gehaßt, wärest Du erzürnt gegen ihn gewesen, es hätte vielleicht zu einer Aussöhnung kommen können; aber Du hast ihn verachtet und das ist, was den Bruch unheilbar macht. Ich werde gegen meinen Vater wegen meines mütterlichen Erbteils einen Prozeß führen. Doch reden wir von angenehmeren Dingen.«

»Gut, mein Sohn, gut; die erste Frage aber ist die: Bis sich der Prozeß entscheidet – und er kann sich in die Länge ziehen, denn Ihr Vater ist ein mächtiger Herr – wovon werden Sie leben?«

»Hahaha! Nun, ich kaufe mir einen Topf und komme jeden Tag nach Tisch zu Euch her mir mein Guskulum der Überbleibsel zu holen.«

»Sprechen Sie nicht so, denn ich zause Ihnen sonst den Haarschopf. Sie großer Narr wissen recht gut, daß so lange ich eine ganze Brotschnitte habe, es Ihnen an einer halben nie fehlen wird. Nur wohnen können Sie nicht bei mir, denn Sie sind schon ein großer Bengel – und die Welt könnte ihre Glossen darüber machen; auch hat Lemming zu Harter derartige Beziehungen, daß es nicht geraten wäre, mit ihm offenen Finger zu ziehen. Wir werden Sie zwar keine Not leiden lassen; aber Sie sind bisher Kavalier gewesen und gewohnt monatlich mindestens hundert Gulden auszugeben. Sie können auch nicht schäbig umhergehen. Darum wird man etwas ausdenken müssen.«

»Nun, ich denke. Du wirst schon etwas ausfindig machen.«

»Ich? Ich, nicht wahr?« rief Malwine herzlich lachend. »Wie gut mich dieser kleine Taugenichts kennt! Ich soll ihm etwas ausdenken. Nun, sehen wir! Aus welchem Stein ließe sich ein Ölkrüglein für Sie meißeln?« Malwine legte eine der rosigen Fingerspitzen ihrer schönen Hand an die Lippen und plante. »Nun, eins hätte ich schon!« rief sie, als ihr suchender Blick auf dem Porträt haften blieb. »Das eine ist dies Bild«

»Soll ich es auf den Rücken nehmen und damit hausieren gehen?«

»Das Bild gehört mir, verstehen Sie doch! Ich habe es bestellt. Es kam auf dreihundert Gulden zu stehen. Diese dreihundert Gulden müssen Lemming sowohl als Harter bezahlen. Ich kassiere von beiden den Preis ein und das ist schon eins, was Ihnen gehört. Das Bild bleibt mir. Es ist nur billig, daß auch Lemming den Preis zahlt, da es seinen Salon schmückt. Zweihundert übergebe ich Ihnen sogleich. Mehr habe ich nicht in meinem Schrank. Hätte sich Lemming nicht schon schlafen gelegt, so müßte er noch das dritte Hundert zahlen. So müssen es die zwei bis morgen thun, d. h. auf zwei Monate.«

Elemer küßte Malwine die Hand. »Ich sagte es ja, daß Du die liebenswürdigste Stiefmama auf Gottes Erdboden bist.«

»Nun schmeicheln Sie mir jetzt nicht, sondern sehen wir, was weiter zu machen ist. Sie haben uns in entsetzlich tolle Ausgaben gestürzt mit Ihrem Tode. Wissen Sie, daß wir zu Ihrem Gedächtnisse sogar ein großes Granitdenkmal anfertigen ließen, das auf 2400 Gulden zu stehen kam?«

»Schrecklich! diese Toten treiben ja einen unsinnigen Luxus.«

»Treiben lieber Sie nicht gleich über alles Witze. Das drückt die Größe des Schmerzes der Überlebenden aus. Mir fiel aber etwas ein. Lemming hat viele Bekannte in der Finanzwelt: vielleicht ließen sich Gruft und Grabstein an jemand verkaufen, der sie früher braucht.«

»Hahaha!« platzte Elemer heraus. »Das ist schon das non plus ultra vom Raffinement eines verschwenderischen Sohnes. Ein Thunichtgut, der nur deshalb von den Toten aufersteht, um seine Gruft samt Grabtuch zu verkaufen, und noch ein wenig ins Vaterland zurückkommt, um weiter zu leben, so lange der Erlös des Grabdenkmals ausreicht. Das, meiner Treue, hat vor mir noch niemand produziert.«

Malwine selbst lachte herzlich über die leichtfertigen Possen des verschwenderischen Sohnes. »Nun, jetzt sind Sie schon für einige Zeit versorgt, jetzt wünschen Sie hübsch der Stiefmama gute Nacht und gehen Sie in Ihre Wohnung. Wo haben Sie Ihr Gepäck?« – »Mein Gepäck? In der Kajüte des ›Atlantic‹, sechs Faden tief unter dem Meeresspiegel.« – »So haben Sie denn gar nichts gerettet?« – »Nicht mal eine Kravatte.« In der That, Elemer hatte nicht einmal eine Halsbinde. Sein Hemdkragen war unzugeknöpft nach beiden Seiten zurückgeschlagen.

»So können Sie ja nicht einmal an einen anständigen Ort soupieren gehen. Bleiben Sie stehen.« Malwine hatte ein leichtes schwarzes Fichu mit feinen Spitzen um den Hals geschlungen, das nahm sie ab und band es Elemer um den Hals. »Nun sehen Sie, Landstreicher, Sie sind ein vom Ast herabgefallener Galgenstrick; jetzt sehen Sie doch wenigstens menschlich aus. Küssen Sie mir die Hand und dann packen Sie sich! Morgen zu Mittag erwarte ich Sie, dann sprechen wir noch weiter von Ihren Angelegenheiten.« – »Von dem großen Stein, der mir vom Herzen gefallen.« Elemer küßte zärtlich ihre Hand und ging. Aus der Thür rief sie ihm nach: »Kommen Sie zurück, Sie bekommen noch etwas.« Er kam zurück. Malwine küßte ihn auf die Wange. »Weil Sie so gut waren nicht zu sterben.« Damit eilte Malwine in ihr Schlafzimmer.

Junker Elemer aber galoppierte die Treppe hinab, und rannte direkt auf die Straße, wie nur ein junger Mann rennen kann, der schon seit lange keinen Groschen mehr hatte, und in dessen Tasche jetzt zweihundert Gulden nach Erlösung weinen.

Jetzt ging er auch nichts weniger als eine Wohnung suchen. Den ersten Mietskutscher, den er traf, hielt er an und befahl ihm zu jagen, was das Zeug hält; er sagte ihm auch wohin.

Den Fiaker spornte das Versprechen eines Trinkgeldes zu gehöriger Raschheit. Elemer traf gerade noch rechtzeitig im Bahnhofe ein. Er löste sich augenblicklich ein Billet und sprang beim dritten Läuten in den Waggon. Wohin? wohin? Er hatte jetzt nur einen Gedanken. Sind aus den Sämereien der Südpflanzen, die er auf gut Glück aus fernen Ländern jemand hierher geschickt, wohl Blumen geworden? Wie geht es den Pächtern der »Nadascher Pußta?« war die einzige Frage gewesen, die er an Andjaldy gerichtet hatte, der seine vom Auslande geschickten Briefe zu vermitteln pflegte. »Sie leben in großem Elend!« Dies Wort verdrängte jeden anderen Gedanken aus seiner Seele. Von seinem Reisegelde war ihm noch so viel geblieben, um die Eisenbahn und den Fuhrmann hin und zurück bezahlen zu können. Diese zwei Hunderter dürfen aber nicht gewechselt werden. Seinen Hunger stillt er mit einer Semmel. – Sie haben vielleicht nicht einmal diese! Im Waggon überwältigte ihn der Schlaf, aus dem er erst dann erwachte, als ihm der Kondukteur ziemlich spät am Morgen den Namen der Station in die Ohren schrie, an welcher er auszusteigen hatte. Diese lag am Ende eines Marktfleckens im ungarischen Tieflande. Elemer sah sich sogleich nach einem Fuhrmann um. Im Bahnhof befand sich ein einziger Wagen, mit dessen Inhaber er bald Handels einig wurde. Der Fuhrmann verlangte und versprach wenig. Er verdingte sich nur bis zum letzten Dorfe; von dort möge der gnädige Herr zusehen, wie er weiter käme. Im Wagen war als Sitz nur ein Brett querüber gelegt. »Ei, Gevatter, könnte man nicht mit Stroh einen besseren Sitz machen?« – »Aus Stroh?« fragte der Kutscher. »Das würden wir selber essen, wenn wir es hätten.« Elemer verstand diese Worte nicht. Er kam aus ferner Welt, wohin der Ruf vom Elend der Heimat nicht gelangt war.

Um ihm die Sache zu erklären, brachte der Fuhrmann, als er die Hafersäcke den Pferden vom Kopfe nahm, einen davon dem jungen Herrn und zeigte ihm, den Rand des Sackes aufrollend, was darin war. Klein zerhackte junge Triebe von Pappeln. »Das ist der Hafer.«

Dann griff der Kutscher in den eigenen Schnappsack und holte daraus ein keilförmig geknetetes, unbekanntes Ding von erdfahler Farbe hervor. »Das ist Brot.« – »Woraus ist das?« – »Aus gemahlenen Maisstengeln und etwas Kleie vermischt.« Elemer fing jetzt erst an um sich zu blicken. Jetzt erst nahm er wahr, welche Wüstenei sich um ihn ausbreitete.

Die Gegend, durch die er gestern reiste, war noch ein Bild des Paradieses, in der Gegend jenseits der Donau gab es noch Grünes, Äcker um die Häuser herum und Schober; auf den Tennen wurde gedroschen, hier aber war alles kahl, alles still.

Die unterwegs sich begegnenden Menschen grüßten einander nicht mehr; man bekam keinen »guten Tag« noch ein »gelobt sei Jesus Christus!« zu hören. Es pilgerte hier ein geschlagenes Heer, einander auf die Fersen tretend.

Hie und da lag ein umgestandenes Vieh am Wege. Man ließ es liegen, man holte es nicht. »Vielleicht könnte man doch das Fleisch benutzen,« bemerkte Elemer. »Was ist das Fleisch wert, wenn man kein Salz dazu hat.« »Ihr habt kein Salz?« fragte Elemer erstaunt. »Ja, Herr! Die armen Menschen pflegen bei uns nur vom Viehsalz zu leben, da dies wohlfeiler ist; das Herrensalz können wir nicht erschwingen. Viehsalz giebt man uns aber nicht mehr. Man ist dahinter gekommen, daß auch wir damit leben und so liefert man uns keins mehr aus.«

Der Weg dauerte sehr lange, die ermüdeten Schindmähren zottelten kaum noch. In der Ferne zeigte sich schon lange der Turm jenes Dorfes, das erreicht werden sollte; aber auch der wollte, als wenn er selbst auf der Reise wäre, nicht näher kommen. Es war schon in ziemlich später Nachmittagsstunde, als sie bei einem an der Straße gelegenen Tschardenwirtshaus anlangten, vor welchem der Fuhrmann Halt machte, um seine Pferde ausruhen zu lassen.

Die Ortschaft war nicht mehr weit entfernt. Elemer bezahlte den Kutscher und wartete nicht ab, bis dessen Pferde zu neuen Kräften kamen, sondern machte sich zu Fuß auf den Weg nach dem Dorfe. Als er schon ziemlich nahe gekommen war, bemerkte er links und rechts vom Wege fünfzig bis sechszig Menschen bei einer eigentümlichen Arbeit beschäftigt. Sie gruben an der Straße lange Gruben, als wollten sie Grabstätten für Riesen anlegen. Einige arbeiteten im Innern der Löcher und kamen nur von Zeit zu Zeit mit ihren Köpfen in die Höhe, wenn sie eine Schaufel Erde aus der tiefen Grube herauswarfen. Der Wind trug diese Erde wie Asche fort. Der Boden war klaftertief verbrannt. An andern Stellen dagegen scharrte man solche Löcher bereits wieder zu. Elemer nahm sich nicht die Zeit, sich mit den Arbeitern in ein Gespräch einzulassen. Er eilte ins Dorf. Dort fragte er nach dem Richter. Man führte ihn in dessen Wohnung. Er sagte ihm, er wolle nach der Nadascher Pußta. Er suche Gelegenheit, die ihn hinbringe. Er wolle für die Mühe zahlen. Der Richter war in sehr übler Laune. »Selbst wenn der Herr Dukaten zahlt, bekommt er hier keine Pferde.« – »Warum denn nicht?« – »Weil nicht eins da ist.« – »Wo sind sie denn hin?« – »Heute haben wir sie insgesamt erschlagen.« – »Warum denn?« – »Damit wir nicht länger ihre Qualen anzusehen brauchen. Heute sind's zweiunddreißig Wochen, daß wir vergebens warten, das Gras möge aus der Erde heraus kommen. Wenn der Herr die großen Gruben gesehen hat, die man am Ende des Dorfes gräbt, hätte er ja auch fragen können, zu was die sind? Man würde ihm dann gesagt haben: die armen Leute lagern dort ihr Zugvieh zum Überwintern ab. Von nun an werden wir zu Fuße gehen und wer künftiges Frühjahr erlebt, wird nicht pflügen, sondern umgraben«

Elemer stimmte seine Ansprüche immer tiefer herab.

»Wo ist hier eine Schenke, in der man ein Stück Brot und einen Schluck Wasser bekommen kann?«

»Ja, Herr, wenn wir Brot und Wasser hätten, so wären wir große Herren. Hier wohnt keine Herrschaft.«

»Man nennt also den, der hier Brot ißt, bereits ›Herrschaft?‹«

Ein kalter Schauer rieselte Elemer durch die Glieder, obgleich die Sonne doch heiß genug brannte.

»Habt Ihr nichts von den Pächtern der Nadascher Pußta gehört?«

»Jetzt weiß niemand etwas von seinen Nachbarn; jetzt geht niemand auf Besuch. Will der Herr vielleicht dahin?«

»Jawohl. Ist es noch weit zu Fuß?

»Drei gute Stunden Weges. Halten Sie sich nur rechts gegen Sonnenaufgang, Sie können den Weg nicht verfehlen und wenn Sie einen hohen Schornstein in der Ferne sehen, das ist der Schlot der Brennerei auf der Nadascher Pußta; auch die, so viel ich weiß, steht still, weil sie nichts zu brennen haben.«

»So bitte ich wenigstens um einen Stock mit auf den Weg.«

»Damit kann ich dienen; noch sind nicht alle Bettelstäbe fortgetragen.« Dann ließ sich ein herumlungernder hagerer Junge herbei, für eine schmale Kleingeld-Banknote, welche wegen ihrer Form vom Volke Hundszunge genannt wird und deren Wert in gutem Gelde zehn Kreuzer beträgt, Elemer durch die Grenzmark des Dorfes bis zu dem Richtwege zu geleiten, der zur Nadascher Pußta führte.

Es war tiefe Dämmerung geworden, als dieser das Pächterhaus erreichte; auch das Thor war bereits geschlossen.

Er schrie in den Hof hinein, man möge ihm öffnen; als aber niemand kam, öffnete er selbst, was bei diesen ländlichen Vorrichtungen sehr leicht geht und trat in den Hof hinein.

Kein Hundegebell empfing ihn, worüber er sich sattsam wunderte. Aber noch mehr war er erstaunt, als er, zur Küchenthüre gelangt, auch diese verschlossen fand. Er pochte, niemand antwortete ihm. Sie können sich doch unmöglich schon zu Bette gelegt haben? Als er sich dann beim Dämmerschein näher umsah, gewahrte er, daß in dem feinen Staube, mit dem der Wind den Hausflur bis zur Küchenthüre überweht hatte, keine Fußspuren sichtbar waren. Hier wohnte also niemand! Er sah durch die Fenster hinein; nirgend der Schein eines Kerzenlichtes. Er ging zu den Gesindehäusern. Auch diese waren alle verschlossen. Er schritt der Reihe nach die Rinder- und Pferdestallungen ab. Alles leer. Man kann sie öffnen, sie sind nur von außen zugeriegelt, aber innen ist niemand, ist nichts. Der ganze Hof, die ganze Tenne sind leer, nicht ein einziger Strohhalm liegt auf dem Hofe. Die Scheuer hatte ein Strohdach; auch dieses ist zur Hälfte herabgenommen: ein Häckselschneidbrett im Schuppen, mit seinen verfaulten Strohfragmenten, läßt erraten, wozu das Dach verwendet worden war. Aus dem Hofe ging er hinab in den Garten. Auf den Bäumen weder Frucht noch Laub; halbhundertjährige dicke Obstbäume sind in Folge der Dürre von der Krone bis zur Wurzel entzwei gespalten, und die Gartenerde ist tief aufgesprungen, wie ein ausgekühlter Lavastrom. Weiter fand er einen kleinen umhegten Platz mit Weidenruten umzäunt; auch dort trat er ein und er traf dort, was er suchte.

Dort standen jene Südblumen, deren Samen er aus überseeischen Ländern hierher gesandt. Er erkannte sie; das sind sie!

Ausgetrocknet, zum Staub verbrannt, verdorrt zum Totenkranz.

Aber sie sind da, sie sind aufgegangen, sie haben geblüht. Eine sorgliche Hand hat sie auferzogen, gepflegt. Wo ist sie, die sie gepflegt? Was ist aus der ganzen Familie geworden? Er kann es von niemandem erfragen! Nirgend eine Seele, ein lebendes Wesen, das von nah oder ferne seiner fragenden Stimme ein Echo gäbe.

Kein bellender Hund, kein zwitschernder Vogel, keine zirpende Grille!

Nur diese trockenen Blumen reden.

In Mitte des kleinen Gärtchens befindet sich ein länglicher Erdhügel; einst war es eine Rasenbank, jetzt ist er nur ein kleiner Hügel. Auf den setzt sich der Jüngling und beginnt mit den Blumen zu sprechen, mit den verdorrten Blumen.

So still, so öde ist alles rings um ihn. Ihm im Rücken das verlassene Haus, in dem niemand wohnt. Um ihn herum eine stumme Wüste mit entlaubten Bäumen, eine Winterlandschaft, versengt von der Hitze der glühenden Sonne, mit dürren Zweigen, leeren Feldern; nur daß in einer Winterlandschaft alles weiß ist, hier aber alles schwarz.

Und dieser Jüngling, welcher gelacht, als man ihn aus dem Vaterhause vertrieb, der gespottet über das eigene Begräbnis, jetzt da er sein Haupt auf das verdorrte Rasenbett legte, wo ihn niemand sehen, niemand hören konnte, begann er bitterlich zu weinen.

Auf diesem Ruhebett übernachtete er.

Dort verträumte er wach die lange schweigende Nacht, der einzig Lebende in diesem endlos großen Grabe, dessen Boden ein ganzes Reich war und dessen Wand sie selbst, die Wölbung des Himmels.

Der Morgen fand ihn noch schlaflos.

Da brach er eine jener vertrockneten Blumen ab, die er so gut kannte, die von der Ordnung unserer heimischen Flora so stark abweichen, steckte sie in seine Brusttasche und wanderte wieder auf demselben Wege zurück, auf dem er gekommen und auf dem er keine Fußtapfen entdeckte, außer den eigenen, die er in der endlosen Einöde zurückgelassen hatte.

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