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8. Der Bajazzo.

Auf der Straße erhob sich plötzlich großer Lärm; die vielen herumlungernden Kinder der Hofknechte, denen es völlig gleichgültig ist, was drinnen im Hause vorfällt, fangen an wie verrückt zu schreien:

»Heißa, ho! Der Bajazzo kommt! Hopsa Bajazzo!«

Und damit zieht eine Karawane in den Hof des Hauses. Sie besteht – fürs erste aus dem zweiräderigen Karren. Im Karren liegt ein Haufen Gerümpel; auf dem sitzt ein kleines, armes, ausgehungertes Kind; man sieht es ihm nicht an, ob es ein Knabe oder ein Mädchen ist. Neben dem Karren schreitet ein zweites, größeres Kind, in Händen ein Schellentamburin. Beide sind in schmutzige Trikots gekleidet und mit grellroten Fetzen und verschossenem fadenscheinigem Tüll-anglais herausgeputzt, die verworrenen Haare durch abgenutzte Bänder zusammengehalten. In der Deichselgabel des Karrens steckt der Bajazzo selbst. Er zieht den Wagen. Er ist ein Mann in den Dreißigen, ein fahrender Komödiant, der Lustigmacher der Pußtenwirtshäuser, der Spottnarr und Possenreißer des lumpigsten Kerls, der ihm »Hopsa Bajazzo!« nachschreit. Auf dem Kopfe hat er eine gezipfelte Schellenmütze; sein übriger Anzug besteht aus bunten Lappen, denen man ansieht, daß sie vom Gußregen gewaschen und vom Winde getrocknet zu werden pflegen. Der Bajazzo ist ebenso wie seine Kinder im Gesichte mit Kreide und mit einer groben roten Schminke dick angestrichen; seine Augenbrauen sind mit Ruß mondsichelförmig schwarz gemalt.

Hinten trottet, an die Stange des Wagens gebunden, ein kleines Tartarenpferd nach. Dieses zieht den Karren nicht, sondern das thut dessen Besitzer. Dieses Rößlein ist selbst ein Künstler, und es wäre mehr schade um das Pferd, als um den Menschen. Denn bricht sein Herr zusammen, so kann sich dies Roß auch ohne ihn fortbringen, bräche aber das Roß zusammen, so wäre das ein ungeheurer Verlust für seinen Herrn.

Diese Karawane zieht also jetzt in den Hof des exequierten Hauses, um hier zur Belustigung der Hausleute eine kleine heitere, tolle Produktion loszulassen.

Sie konnten wahrlich nicht zu ungelegenerer Zeit kommen.

»Geht weiter von hier, arme Leute. In Gottes heiligem Namen. Hier ist jetzt kein Ort, um Komödie zu spielen!« wies sie Böschke ab, bevor sie noch den Spektakel beginnen konnten.

Böschke dachte, der Herr Kommissär dürfte vielleicht heute in sehr freigiebiger Laune sein und eine Komödie sehen wollen; mögen denn die armen Schlucker ihm zu Ehren ihre Purzelbäume schlagen; wenigstens werden sie von »diesem« Herrn auch mal ein paar Kreuzer verdienen, und auch das wird ihnen wohlthun.

Freilich könnte einem der Gedanke kommen, daß es denn doch ein verzwickter Einfall sei, in einem bis auf den letzten Heller exequierten Hause Komödie spielen zu lassen. Herr Gierig ist der Mann dazu, auf solche Einfälle zu geraten.

Doch wir wollen nicht ungerecht sein. Der Achthänder ist nicht malitiös. Er erfaßt seine Beute und saugt ihr die Säfte aus; nicht aus ererbtem Hasse gegen das eine oder das andere Opfer, sondern einfach, weil das seine Mission ist. Er packt die badende Jungfrau ebenso wie die schwimmende Seespinne. Ihm ist's einerlei, ob Krebs oder Mensch. Er hat einen Schlauch, den er füllen muß; darin wird alles zu Tinte: warmes Blut und blutlose Infusorien.

Herr Gierig lehnte sich, seine Cigarre rauchend, über das Flurgeländer und sah von dort den Kunststücken des Hanswurstes zu.

Dieser erschöpfte sich in allen Wunderkünsten, mit denen fahrende Gaukler auf den Dörfern dem Landvolke Bewunderung und ein paar Kreuzer zu entlocken pflegen. Er breitete den schmutzigen Teppich aus, auf dem er und seine Bälge sich auf den Kopf stellten, und unter Verrenkung ihres Rückgrates auf den Händen gingen; er balancierte auf der Sohle seine beiden Kinder, die die Beine gegen den Himmel reckten und auf dem Kopfe standen; er aß Werg, spie Feuer, zog sich aus Nase und Mund endlose Bandstreifen und schnitt dazu alle möglichen Grimassen, deren sein bewegliches Gesicht fähig war. Daneben sprach er des Langen und Breiten in allen möglichen Sprachen und stieß ein erzwungenes Gelächter über seine eigenen Späße aus.

Schließlich führte der Hanswurst sein kleines Tartarenpferd hervor und machte die hochzuverehrende Gesellschaft mit dessen künstlerischen Eigenschaften bekannt. Das Rößlein konnte apportieren wie ein Jagdhund; es stampfte mit den Vorderhufen die Antwort auf die arithmetischen Fragen, die sein Herr ihm aufgab; es kniete nieder auf Kommando, tanzte Galopp und Walzer nach dem Takt der Trommel. Es erwies sich als ein sehr gelehrtes Individuum.

Als dann der Hanswurst seinen ganzen Vorrat an Künsten erschöpft hatte, und aus den lachenden Gesichtern der hohen Herrschaften zu lesen glaubte, daß es ihm vollkommen gelungen sei, das Interesse der maßgebenden Kreise zu wecken, nahm er endlich seine Schellenkappe herab und machte die Runde, um den Tribut für seine Kunstfertigkeit einzuziehen.

So macht sich die arme Seespinne auf den Weg, um Mollusken zu jagen, bis sie unversehens sich in die Umarmung der achthändigen Hydra verirrt.

»Bravo, Bajazzo! Bravo!« klatschte ihm Herr Gierig zu. »Du hantierest und füßelst in der That Deine Kunst meisterhaft. Du würdest unter den Mitgliedern des Cirkus Renz Deinen Platz würdig ausfüllen. Jetzt aber ist wohl vom Zuschauerpreis die Rede, nicht wahr? Was zahlt man bei Dir Entree?«

Der Hanswurst glaubte den Scherz erwidern zu müssen.

»Das taxiert sich nach den Leuten, Herr! – Bauern geben Kreuzer, Groschen; die Herren geben, je nachdem sie Herren sind, der eine einen Sechser, der andere einen Gulden.«

»Ei, Du bist ja nicht einmal anspruchsvoll. Gewöhnliche Leute zahlen soviel sie können, hohe Herrschaften nach Belieben. Nun, in dieser Weise bringt Dir Deine Kunst doch täglich einen Gulden ein, eins ins andere gerechnet?«

Der Hanswurst war so harmlos, daß er diesen Herrn mit dem lustigen freundlichen Gesicht für den Hausherrn ansah, der sich nur deshalb nach allem erkundigte, um sich zu orientieren, wie tief er in die eigene Tasche greifen müsse, um den ihm in den Wurf gekommenen Künstler zu belohnen. »O, mein Herr – wohl auch zwei – wenn ich auf so noble Herren stoße.« »Nun, lassen wir es bloß einen Gulden sein,« sagte Herr Gierig, »und nehmen wir an, es giebt 65 Tage im Jahre, an denen Du nichts verdienst: so bleibt immer noch eine freie Jahreseinnahme von 300 Gulden. So viel nimmst Du doch ein, Hanswurst, nicht wahr?« Der arme Teufel beeilte sich, dies zu bestätigen. »Und wieviel pflegst Du davon Einkommensteuer zu bezahlen, Bajazzo?« Der Hanswurst glaubte, daß er hier an einen ausnehmend humoristischen Menschen geraten sei. »Sehr viel, Herr!« erwiderte er scherzhaft. »Jedes Jahr zerreiße ich einen Kittel; die Fetzen davon sammeln die Lumpensammler ein, und daraus wird dann bloß eine Hundertgulden-Banknote gemacht.«

Herr Gierig lachte selber am meisten über diese Antwort.

»Gut erwidert, Bajazzo! Aber heuer bist Du doch noch im Rückstande. Von 300 Gulden freiwillig eingeschätztem Jahreseinkommen entfällt nach Tabelle III eine jährliche Steuer von einundzwanzig Gulden.«

Damit wandte er sich Herrn Konyecz zu. »Schreiben Sie diesem Herrn eine Quittung über einundzwanzig Gulden Einkommensteuer, nach Tabelle III.« Herr Konyecz nahm den Auftrag ernsthaft. Der Hanswurst aber schnitt mit seiner gemalten Fratze und seinen angerußten Augenbrauen eine jammervolle, klägliche Grimasse. »Nun, mit solchem Kleingeld hat man den Hans Katzenbuckel fürwahr noch nirgends bezahlt!« Herr Gierig diktierte Konyecz: »Der Name des Steuerpflichtigen ist Hans Katzenbuckel.«

Der Bajazzo fing jetzt erst an, seine Umgebung genauer zu mustern und sich mit seinem Mutterwitz zu kombinieren, daß er hier fürwahr an einen verflucht schlechten Ort geraten sei. Hier ist Exekution und diese Gäste heben Brandschatzung ein. Da ist es kein Spaß, mit dabei zu sein. Zu einem Mundwinkel hinaus raunte er seinen Kindern ein paar Worte zu: diese rafften plötzlich den Teppich auf und rannten mit dem Karren und dem kleinen Pferd nach dem Thore. Herr Gierig jedoch ließ sie von den Gensdarmen zurücktreiben.

»Schau, schau, Hans Katzenbuckel, Du möchtest mir also gerne mitten in der Verhandlung entwischen. Das ist ein schlechter Spaß. Möchtest fürwahr Deine Quittung gern bei mir im Stich lassen, und ich suche Dich doch schon so lange. Hier ist sie. Nimm sie und zahle die einundzwanzig Gulden aus.«

Der Hanswurst glaubte in der That, daß man jetzt wirklich mit ihm spaße. Sogar auf einem Reichsjahrmarkt war es ihm noch nicht passiert, daß er einundzwanzig Gulden auf einem Haufen zusammengesehen hätte. Ebensoviel Groschen waren an manchen Tagen sein höchster Schatz. »Zahlen Sie zweiundzwanzig für die Loge, aus der Sie die Vorstellung angesehen haben und dann quittieren wir,« sagte der Hanswurst, den Spaß fortsetzend. »Mein Herr Künstler!« (jetzt nannte ihn Herr Gierig schon Künstler) – »ich habe keine Zeit, Kurzweil zu treiben. Das ist Ernst und nicht Scherz. Ihr diesjähriger Steuerrückstand beträgt einundzwanzig Gulden und Sie sind verpflichtet zu zahlen.«

»Aber ich habe keinen roten Heller.«

»Dann sind Sie gehalten ein bewegliches Pfand zu geben, oder exekutionsfähige Gegenstände zu bezeichnen.«

Der Hanswurst ließ ein wieherndes Gelächter hören.

»Ohoho! Ahaha! Einen exekutionsfähigen Gegenstand? Belieben Sie unter den beiden Kindern zu wählen, welches wollen Euer Gnaden konfiszieren?«

»Von den Kindern ist keine Rede. Du hast noch etwas anderes. Dort, das Pferd!«

Die bemalte Wange des Hanswurstes verlängerte sich plötzlich. Daran hatte er garnicht gedacht, daß auch das Pferd in Frage kommen könne.

»Ja, mein Herr, dies Pferd ist aber kein Pferd wie ein anderes Pferd. Das ist für mich ein Handwerksgeräte, wie für den Zimmermann die Axt, für den Schuster der Kneip, für den Schneider die Scheere. Das darf mir an Schuldenstatt unter keiner Bedingung weggenommen werden. Das Pferd ist, als wär' es mir Hand und Fuß.«

»Larifari!« herrschte ihm der Achthänder von oben herab zu. »Du, mit Deinen zwei Bälgen, kannst auch ohne Pferd Komödie spielen, kannst Purzelbäume schlagen, Hufnägel zerbeißen, einen Strohhalm auf Deiner Nase tanzen lassen. Entweder zahlst Du auf der Stelle, was Du dem Staate schuldig bist, oder ich nehme Dir Dein Pferd weg.«

Hans Katzenbuckel brach jetzt verzweifelnd in Thränen aus; er warf die Schellenkappe von sich, eilte hinauf nach dem Flur zu Herrn Gierig, fiel vor ihm aufs Knie und begann zu jammern und zu flehen.

»Herr! Gnädiger Herr! Seien Sie barmherzig! Ich habe kein Geld, ich habe keinen Erwerb; nicht mal soviel, um meinen Bälgen Brot geben zu können. Schon seit Wochen essen wir nichts Gekochtes. Begnadigen Sie uns! Kommt Kinder, umklammert auch Ihr die Hände, die Füße Sr. Wohlgeboren, Sr. Gnaden, Sr. Excellenz!«

Diese unverschämten Komödianten, welche die Zudringlichkeit soweit zu treiben sich erfrechen!

»Schamlose Komödiantenbagage!« – schnob ihn Herr Gierig, total aufgeregt an. »Ich werde Euch schon Steuernachlaß geben! Dies Vagabunden-Gesindel nimmt bald hier, bald dort eine Masse Geld ein; wandernde Schauspieler, Zigeuner, konzertgebende Virtuosen; die Steuer aber zahlen sie nirgend. Ein anderer armer Mensch gräbt die Erde um, um dem Staate seine Schuldigkeit abtragen zu können; diese faullenzen bloß herum, fressen und saufen, und bemerken sie, daß der steuermahnende Zettel herankommt, allons! Dann brechen sie ihr Zelt ab und verduften. Es sind mir schon ein paar solcher Reichsbetrüger in die Hände gefallen, wie Du. Auch die gedenken meiner, das weiß ich. Zwölf lange Jahre hindurch hatten sie nirgend Steuer bezahlt. Also glaubt Ihr, daß es im Lande auch Leute geben darf, die während zwölf Jahren keine Steuer zahlen? Aber auf solch saubere Vögel zu jagen, habe ich eine wahre Leidenschaft, denn die machen sich noch einen Spaß daraus, den Staat zu betrügen. – Sieh zu, daß Du zahlst; schaffe herbei, was Du schuldig bist, oder Du bleibst unberitten.«

Für Herrn Gierig war es nun schon eine Frage des point d'honneur, seine Autorität aufrecht zu erhalten. Sein Wagen fuhr vor; er gab den Gendarmen Befehl, das Pferd des Bajazzo als Beipferd anzuhängen.

Es war wirklich ein komisches Schauspiel für vornehme Herren, wie auf dies Wort der Bajazzo seinem Rößlein um den Hals fiel, dessen Schnauze abküßte und es wehmütig liebkoste.

»Mein liebes Pferd! Mein lieber guter Freund! Mein einziger Brotkamerad; mit dem ich jeden Bissen teilte, den Du mir verdienen halfst! Meine arme Frau hat Dich auferzogen; Du führst auch ihren Namen. Jetzt gehst Du ihr gleichfalls nach. Du stirbst mir weg, wie sie mir weggestorben ist. O mein teures, geliebtes Pferdchen, wer wird jetzt meinen Kindern Brot verdienen?«

Einen Augenblick stieg dem Hanswurst der Gedanke auf, den sein Pferd haltenden Gendarmen mit dessen eigenem Gewehr niederzuschlagen, sich auf sein Pferd zu schwingen und mit ihm davon zu sprengen in die weite Welt; dann ließ er den Gedanken wieder fallen. »Wohin solltest Du armer Mensch vor so vielen berittenen Soldaten auf Deinem Katzenpferdchen entfliehen!«

Und so hingen sie es wirklich an die Vorspannspferde des Herrn Gierig. Herr Gierig hatte an diesem Orte seine Arbeit beendet und eilte, noch am selben Tage weiter zu kommen. Herr Konyecz schwang sich auf den Bock, die beiden Gendarmen auf den Bauernwagen. Herr Gierig grüßte den Rittmeister verbindlichst: »Auf Wiedersehen, Herr Rittmeister!« worauf Föhnwald so etwas zwischen den Zähnen murmeln mochte, wie: »Wünsche Dir das nicht!« Damit rollten die beiden Wagen aus dem Hofe.

Der Hanswurst lief ihnen nach bis ans Thor, und sah noch lange der abrollenden Kutsche nach. Er hatte noch die blasse Hoffnung, daß vielleicht das ganze doch nur ein Scherz sei. Die gestrengen Herren wollen ihm nur ein wenig Angst einjagen; für sie mochte es eine ganze gute Unterhaltung sein, sich an der Verzweiflung eines armen Komödianten zu weiden. Und wenn sie ein gutes Stück gefahren sind, binden sie das Pferdchen los und lassen es laufen. Das findet sich schnurstracks zu seinem Herrn zurück. Als er dann sah, daß sie wirklich für immer auf und davon gefahren seien, und daß das Pferdchen nicht wieder kam, da wankte er zurück in den Hof. Die Soldaten saßen bereits alle zu Pferde, auch der Rittmeister wiegte sich schon im Sattel. »Mein Herr!« – frug der Hanswurst, »haben sie wirklich mein Pferd fortgeführt?« – »Ja wirklich!« – »Was werden sie mit ihm machen?« – »Sie verkaufen es auf dem Markte.«

Da begannen die Augen des Bajazzo mit Blut zu unterlaufen.

»Wozu sollen ich und meine Kinder denn noch weiter leben? Ich bringe sie zuerst um, und dann mich selber.«

Damit riß er aus seiner tiefen Tasche ein Einschnappmesser hervor, öffnete die Klinge und stürzte in rasender Wut auf seine Kinder los.

Die beiden Komödiantenbälge rannten mit Zetergeschrei vor ihrem Vater davon und retteten sich unter die Beine der Pferde, ihr Vater ihnen nach mit dem Messer; die Soldaten bemühten sich, ihn zurück zu halten, der eine und der andere sprang auch vom Pferde, um ihn zu packen, der Hanswurst aber wand sich aus ihren Händen los und setzte den Kindern nach; diese liefen zuletzt in die offene Küche hinein, und der ihnen nachstürzende Bajazzo befand sich Fräulein Ilonka gegenüber. »Halt!« rief sie ihm in befehlendem Tone zu. »Was wollt Ihr?«

»Umbringen und sterben; mich und meine Kinder umbringen. Niemand wird mich daran hindern.«

»Kommt zu Euch!« sagte das junge Mädchen und nahm ihm das Messer aus der Hand, so leicht, als hätte sie es einem naschhaften Kind weggenommen. »Was wollt Ihr mit dem Messer?«

Der Bajazzo fing jetzt an zu schluchzen und war keines Wortes mehr mächtig. »Kommt mit mir!« sagte Ilonka, »ich werde Euch statt des gepfändeten Pferdes ein anderes geben. Ihr braucht deshalb noch nicht in Verzweiflung zu geraten.«

Damit faßte sie den Bajazzo an der Hand und zog ihn mit sich nach dem Stall. »Tschillah! he!« rief das Mädchen in die Stallthür hinein.

Auf diesen Ruf kam ihr Lieblingsponny heraus; er war ein allerliebster kleiner Isabellenschimmel mit schneeweißer Mähne und eben solchem Schweif. An der Thür machte er ein Kompliment vor seiner kleinen Herrin und rieb seinen Hals an der Schulter des Mädchens. »Seht, das ist ein ebenso kluges und schönes Reitpferd, wie das Eure war. Es ist ebenfalls mein Liebling, er pariert aufs Wort und lernt alles. Nehmt es in Tausch für das verlorene; dann aber thut Euren Kindern nichts und fallt nicht in Verzweiflung. Geht in Gottes Namen!«

Ilonka gab dem Bajazzo die Zügel des Pferdes in die Hand.

Der Bajazzo sank vor ihr in die Knie.

»Fräulein! – ich weiß nicht, was ich sagen soll. – Hört wohl im Himmel auch jemand auf mich? – Hilft auch der Segen eines armen Teufels? – Sie retteten mich aus der Hölle. Ich wollte schnurstracks hinein rennen. Ich war in Verzweiflung geraten, ich war gestorben, Sie haben mich wieder zum Leben erweckt, Sie haben mich wieder zum Menschen gemacht. Ich bin ein armer Teufel, Katzenbuckel ist mein Name; auch den habe ich nicht von meinem Vater geerbt; man gab ihn mir als Spitznamen. Ich bin ein Hanswurst. Ich bin ein Possenreißer. Ich bin ein mit Füßen getretener Wurm. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das je in meinem Leben vergelte. Wenn aber ein Gott im Himmel ist, so wird dieser elende Bajazzo es doch noch einmal vergelten! Fräulein, lassen Sie mich Ihre schönen Hände küssen.«

Ilonka wehrte dem Bajazzo nicht, ihre Hand zu küssen, mit seinen Thränen zu benetzen, und während der Bajazzo sich beeilt, die ihm entgegenlaufenden Kinder in seine Arme zu schließen, umarmte auch Ilonka den Hals ihres treuen Pferdchens und drückte ihm verstohlen einen Kuß auf die Stirn. Vielleicht sah es auch niemand.

»Marsch, marsch!« ertönte das Kommandowort des Rittmeisters, und die sechzehn Kürassiere trabten aus dem Hof.

Ilonka eilte zurück in ihr Zimmer. Die Gauklerkarawane zog weiter. Im Hofe der Pußtenwohnung wurde es still. Die Sonne sank bereits am Horizonte.

Spät abends traf Vilagoschi ein. Den Mißerfolg seiner Reise konnte Frau und Tochter, die ihm entgegeneilten, auf seinem Gesicht lesen. Kaum hatten sie ihm den Reisemantel abgenommen, als er auch mit der schlechten Nachricht herausrückte.

»Ich habe vergebliche Schritte gethan. In der Stadt ist kein Geld mehr zu bekommen, selbst zu den höchsten Zinsen nicht. Die berüchtigtsten Wucherer lassen sich mit Privatleuten, wie unsereins, garnicht mehr in eine Unterredung ein; sie haben Gelegenheit, ihr Geld zu hundertfältigen Prozenten an die reichsten Gutsbesitzer auszuleihen. Auch diese werden bereits der Steuer wegen gewürgt.«

Dann blickte er im Zimmer umher und frug erstaunt: »Wo sind denn unsere Gäste hingekommen?« Die beiden Frauen sahen einander unschlüssig an, welche von ihnen die niederschlagende Mitteilung machen solle.

Ilonka nahm auch das auf sich, damit der Zorn des Vaters nicht die Mutter treffe.

»Die sind fort. Heute Nachmittag wollten sie nicht länger warten, sondern mit Gewalt das Zimmer der Mutter erbrechen. Der Rittmeister schützte uns, und sie kehrten die Waffen auch gegen ihn. Ich wollte nicht, daß unsertwegen zugleich einem andern ein Unglück zustoße; ich gab das Geld heraus, das für unsern Pachtzins zurückgelegt war, und zahlte alles.«

Als Vilagoschi dies hörte, brauste er nicht auf, machte keinem einen Vorwurf, sondern sank neben dem Tische auf einen Stuhl, ließ beide Hände in den Schoß, den Kopf auf die Brust sinken, und verfiel in dumpfes Schweigen. So schrecklich, so gespenstig war dies Schweigen! Die beiden Frauen wagten nicht, sich von der Stelle zu rühren oder ein Wort zu sprechen.

Freilich Vilagoschi's Augen sahen noch und seine Lippen bewegten sich noch; – nur daß die Bewegung seiner Hände nichts anderes war, als ein ohnmächtiges Zittern, und die sich bewegenden Lippen keine zusammenhängenden Worte, sondern nur unverständliche Silben stammelten.

»Ta-ta-ta, te-te-te.«

Das war alles, was seine Zunge noch vermochte.

Und dieser starre Blick!

Hat ihn der Schlag gerührt? Oder ist er wahnsinnig geworden.

Wer da wüßte, was im Innern vorgeht!

*

 


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