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7. Das schreckliche Jahr.

Seit dem Jahre, da die Familie Vilagoschi das Leben in der Stadt mit dem auf dem Lande vertauschte, ist bereits der zweite Frühling angebrochen. Also Lenz 1863.

Wer hat nicht die Geschichte von Robinson Crusoe gelesen? Auch hier auf der Pußta muß alles von vorn angefangen werden, wie auf Robinsons unbekannter Insel. Es ist ein gottgesegneter Boden, weiter aber auch nichts.

Fällt ein gutes Jahr, so trägt die Aussaat zwanzig Korn; ist ein schlechtes Jahr, so sterben wir Hungers.

Der Robinson unserer gepachteten Insel ist ein junges kaum den Kinderschuhen entwachsenes Mädchen. Im ersten Pachtjahre zählte sie erst fünfzehn Jahre. Andere Mädchen in ihrem Alter spielen noch mit der Puppe oder gehen höchstens in die Tanzschule; aber Ilonka sorgt bereits für die ganze väterliche Wirtschaft. Außer gutem Willen und Sparsamkeit fehlt es dem Vater an allen Erfordernissen zu einem Landwirt; die Mutter versteht von der Feldwirtschaft platterdings nichts, alle Sorgen ruhen auf der blutjungen Tochter.

Und sie zeigt sich diesen Sorgen gewachsen.

Von hundert zankenden, scheltenden Männern wäre nicht ein einziger imstande gewesen, seine Umgebung so anzuspornen, wie dieses Mädchen durch den Zauber seines lebendigen munteren Wesens.

All die Faulpelze in ihrer Umgebung wurden zu Männern durch sie; sogar die Tiere hingen an ihr.

Sie besaß einen Ponny, auf dem sie in der ausgedehnten Wirtschaft herum zu reiten pflegte. Dieser hatte sich ihr geradezu als Spielkamerad angeschlossen. Wollte seine Herrin aufsteigen, so hielt er inzwischen die Reitgerte mit den Zähnen: am Thore blieb er stehen, um zu hören, wohin es gehen werde? Und dann trabte er nach der angegebenen Richtung. Im Frühling ging er mit seiner Herrin Veilchen pflücken; wo er auf Blumen stieß blieb er mit ihr stehen. Er graste dann, während sie die Blumen auflas, und wußte das Gras so geschickt abzuweiden, daß auch nicht ein Knöspchen dabei zu Schaden kam. Wenn das Fräulein an glühend heißen Sommernachmittagen ausritt, um die Ährenfelder in Augenschein zu nehmen, schlenderte er verdrossen und beständig seitwärts schielend fürbaß; hieb sie ihn mit der Reitgerte, so nahm er es für einen Scherz, bäumte sich und schritt dann noch langsamer vorwärts, wie sehr sie ihm auch zureden mochte, höchstens daß er wartete, bis sie an einem Heuhaufen vorüber kamen, um sich niederzuwerfen und seine Reiterin dort abzusetzen, als wolle er ihr zu verstehen geben, sie möchte sich doch lieber ein wenig ausruhen und nicht in der brennenden Sonne umhergehen, wo sie noch den Sonnenstich bekommen könne und sich den weißen Hals bräune. Und wenn seine kleine Herrin Vernunft annahm und sich gleichfalls im Grase niederließ, dann streckte er ihr seinen Hals hin, damit sie sich darauflege, wie auf ein Kissen; und hatte Ilonka ihr Köpfchen auf den Nacken des treuen Tieres gelegt, dann blieb es wach und rührte sich nicht, so lange das Mädchen schlief und schlug nur mit dem langen weißen Schweife herum, die Fliegen von der Schlafenden abzuwehren.

Der Tschilla ging sogar in die Küche, und es war ihm gestattet, alle Schüsseln der Reihe nach zu untersuchen, ob nicht auf einer derselben seine kleine Herrin etwas für ihn übrig gelassen – und im ganzen Hof imponierte er allen Tieren. Sogar den Kutscher kontrollierte er und hatte dieser vergessen, ihm Hafer zu geben, so packte er ihn am Ärmel und ließ ihn nicht eher los, bis er vor Ilonka eingestand, der Tschilla habe heute wirklich noch keinen Hafer bekommen.

Kehrte Ilonka vom Felde zurück, so nahm sie daheim ein kleiner Hausgarten auf. Auch der war voll Blumen, welche sie selbst begoß; sie überließ das nie anderen.

Und diese Blumen hatten gleichfalls ihre Geschichte.

Seitdem die Vilagoschis auf die Pußta hinausgezogen waren, traf jeden Monat ein Brief ein, an Ilonka adressiert, bald aus Nord- bald aus Süd-Italien, später aus Griechenland, dann aus Egypten und zuletzt aus Spanien.

In diesen Briefen stand nichts geschrieben, nicht einmal der Name des Absenders, sie enthielten nur einige Päckchen Blumensämereien.

Samen ausländischer Blumen, die man hier nicht einmal dem Namen nach kennt. Diese setzte Ilonka in den Garten, in Blumentöpfe, begoß sie sorgfältig, pflegte sie und zog sie auf. Es wuchsen seltsam geformte farbenprächtige Blumen hervor, deren Namen niemand wußte; auch fragte niemand, von wem sie gekommen und woher, aber die sie so treu pflegte, hätte von jeder zu sagen gewußt: Diese hier ist in Florenz geboren, diese in Neapel, diese in Palermo: und sie hätte auch von jeder Blume erzählen können, was dieselbe gedacht, während der rötliche Keim aus der Erde hervortrieb, bis zwischen den grünen Kelchblättern die geheimnisvolle Knospe geboren wurde, sich aus der Knospe die Blüte entwickelte und zuletzt die Blütenkrone sich entfaltete.

Sie vermochte die Gedanken der Blumen zu enträtseln.

Er selbst, der die Blumensamen aus dem Auslande sendet, giebt ihr ja nur Rätsel zu lösen auf.

Das erste Jahr war abgelaufen.

Einen großen Erfolg hatte es nicht aufzuweisen. Man war mit Sorgen und Mühen knapp ausgekommen.

Es gab sauertöpfische Leute, welche behaupteten, es sei ein so schlechtes Jahr gewesen, daß man sich ein schlechteres gar nicht zu denken vermöge. Das Schicksal nahm sich vor, ihnen das Gegenteil zu beweisen.

O, welch ein elendes Geschöpf bist Du doch, Erdenbewohner, bei all Deiner eingebildeten Herrlichkeit! Dich zu beschämen, bedarf es für den Himmel nichts weiter, als bloß durch sechs Monate Dir den Regen zu verweigern. Wir Ungarn haben sie gesehen, die schrecklichen sechs Monate, die uns sogar die gefallenen Engel anrufen ließen.

Im März kamen die Leute zwar noch zusammen, um zu politisieren oder sich zu unterhalten; aber jegliche politische Konferenz, jede Tanzunterhaltung schloß mit der Klage: noch immer kein Regen!

Nun, vielleicht regnet's in der nächsten Woche.

Im April beeinflußte die Besorgnis schon jede Konversation, doch noch immer trösteten wir uns mit der kommenden Woche; zuletzt verstummten indeß Politik und Liebe ganz; niemand sprach von etwas anderem, als von dem schrecklich klaren azurblauen Himmel und seinen unbarmherzigen Strahlen; und so ging es fort und fort bis die Verzweiflung alle übermannte.

Ilonka's tropische Blumen prangten noch immer in dem kleinen Garten. Jedermann wußte, wie sehr sie ihre Blumen liebte. Den mutwilligen Kindern fiel es nicht ein, ihr eine davon zu stehlen. Sie alle hatten ja das Fräulein so lieb und hingen an ihren Lippen. Ilonka begoß selbst zweimal täglich ihre Blumen. Als sie eines Morgens mit ihrer Gießkanne zum Brunnen ging, sagte ihr der Altknecht: »Fräulein! Mehr Wasser zum Blumengießen gebe ich Ihnen nicht.«

Ilonka sah verwundert auf. »Was sagt Ihr da, Andrasch?«

»Nun, daß der Wassereimer auf den Grund des Brunnens streift; kaum eine Spanne hoch steht darin das Wasser; das brauchen die Pferde. Die Ochsen treiben wir ohnehin schon in den Berettyofluß, um sie zu tränken; wenn das Fräulein das Wasser zum Gießen verbraucht, so bekommen die Pferde nichts zu trinken.«

Ilonka sah ein, daß der Altknecht recht hatte und ging traurig mit ihrer Gießkanne zurück. Beim Mittagessen ließ sie ihr Glas Wasser unberührt: sie stellte es bei Seite für ihre Blumen. Auch abends bestahl sie sich ihrer Blumen willen und trank keinen Tropfen. Die Dienstmagd bemerkte es und fortan fand Ilonka ihre Blumen schon jeden Morgen begossen. Die Magd holte das Wasser in einem Trageimer aus dem Berettyo, eine halbe Stunde weit.

Plötzlich erstatteten die Knechte die Meldung, der Brunnen sei gänzlich versiegt. Von jetzt ab mußte jeder Eimer Wasser aus dem Berettyo geholt werden. Zuletzt war auch der Berettyo ausgetrocknet. Er hörte auf zu fließen. Hier und da blieb in den Vertiefungen eine Lache zurück; darin teilten sich dann Menschen und Vieh. Schließlich verschwanden auch die Lachen. Das ganze Flußbett glich einer gekiesten Straße, und man war genötigt, in demselben Brunnen zu graben.

Und die ganze Zeit brennende Luft bei Tag, taulose Luft bei Nacht, niemals weder Regen noch Tau. O, es war eine schreckliche Zeit!

Vilagoschi ging jetzt täglich selber seine Pachtung ab. Er ließ Ilonka nicht aus dem Haus. Das paßt sich nicht für ein schwaches Mädchen.

Täglich sah man die Verheerungen um einen Grad steigen – ein schreckliches Landschaftsbild der Verödung und Hoffnungslosigkeit.

Es gab nah und fern nichts Grünes mehr.

Und noch immer fiel kein Regen.

Vilagoschi kehrte jeden Tag niedergeschlagener vom Felde heim. Abends beim Mahle sprach er gar nicht mehr mit seiner Familie, sondern sah nur starr vor sich hin; Speise und Trank ließ er unberührt und stundenlang irrte er nachts im Hofe umher und blickte hinauf zu den schweren, bleiernen Wolken, die jeden Abend am Horizont heraufzogen und dem Landmann auf den langersehnten Gußregen Hoffnung machten, dann aber über seinem Haupte teilnahmlos bis zur entgegengesetzten Himmelsgleiche weiter glitten. Am Morgen war der Himmel wieder spiegelklar. Nur in der Ferne zeigte die Fata Morgana etwas Wasser.

Wenn sich Vilagoschi in der Nacht draußen auf dem Hofe allein glaubte, kniete er stumm auf den Boden und streckte die Hände gen Himmel. Er glaubte, niemand sehe ihn. Aber Weib und Tochter beobachteten ihn mit klopfendem Herzen vom Fenster ihres Schlafzimmers aus.

Darum jedoch fiel noch immer kein Regen.

Soweit das Auge reichte, sah es nur das Bild einer Wüste; ein zu Staub verbranntes Eden, dessen schwarze Asche der Wirbelwind tanzend vor sich hertrieb, mit Staubkolonnen sturmlaufend gegen den unerbittlichen Himmel, durch den hier kein Vogel mehr flog, als nur der Geier, der Gast der Leichen.

Der Himmel blieb unerbittlich.

Er hatte auch schon aufgehört, noch irgend jemand mit Hoffnungen zu vertrösten. Das Urteil war ausgesprochen: Dies Jahr ist ein totes. Jedermann streiche es aus der Reihe seiner Jahre, denn es gehört nicht seinem Leben an.

Wie aber, wer mit dem verlorenen Jahre das Leben selbst verlor?

Vilagoschi's gefühlvolles, nervös reizbares Gemüt vergifteten diese Tage. Dieser erfolglose Kampf mit dem Schicksal, die getäuschten Hoffnungen, die verdorrten Halme, die von Hunger gequälten Tiere, das jammernde Gesinde, die das Thor belagernden Schwärme wandernder Bettler – das alles hielt sein Gemüt in beständiger Aufregung; und was noch mehr als all' das war: die Ehre! Womit wird er seinen Pachtschilling bezahlen?

Seine Gattin las diesen Gedanken aus seinen Mienen.

O, dem Weibe ist das Gesicht des Mannes ein offenes Buch.

»Gräme Dich nicht, mein Lieber!« – sagte sie zu ihm. »Die Verluste eines schlechten Jahres ersetzt ein gutes. Das Dringendste, den Pachtzins, hab ich erspart. Früher pflegtest Du mir an meinem Geburtstage, an meinem Namenstage, Dukaten zu schenken; als Du mich freitest, gabst Du mir auch solche zum Brautgeschenk. Diese Dukaten sind noch alle vorhanden. Ich habe sie zurückgelegt für schlechte Zeiten wie die jetzigen. Es wird genug sein, um die Jahrespacht zu zahlen. Deine Ehre läuft keine Gefahr. Das Übrige werden wir uns ja mit Gottes Hülfe verschaffen.«

Das Übrige? O! Ist es nicht schon schrecklich, diesen Gedanken auch nur bis zu Ende zu denken? Durchzudenken, wie es in nächstem Winter in einem Lande aussehen wird, wo von zehn Menschen neun zu betteln genötigt sind, und der zehnte nichts zu geben hat?

Die Seele unseres Pächters drückte der Gedanke an die Zukunft völlig zu Boden. Jeden Abend kehrte in seinem Auge jener starre gläserne Blick, auf seinem Gesichte jenes unbewußte Hinbrüten zurück, welches so traurig anzusehen ist; täglich vergaß er aufs neue, womit er seine Pacht zahlen werde. Und doch hatte seine Frau ihm die zurückgelegten Dukaten gezeigt, sie hatte sie ihm vorgezählt, sie reichten gerade aus; sie gab sie ihm in die Hand, damit er sich überzeuge.

Dann beruhigte er sich auf eine kurze Zeit; aber am andern Tag kehrte seine Unruhe wieder, wieder vergaß er, womit er seine Pacht zahlen werde; und wenn seine Frau ihm von den Dukaten sprach, nahm er es auf, als hörte er eine Neuigkeit.

Frau Vilagoschi sagte eines Tages in einem Ausbruch quälender Besorgnis zu ihrer Tochter: »Meine Ilonka, ich zittere vor dem Gedanken, daß Dein Vater in Irrsinn verfällt.«

»Mutter! verzweifeln wir nicht. ›Wo die Not am höchsten, ist die Hülfe am nächsten‹ – heißt es nach dem frommen Sprüchwort.«

Aber der irdischen Vorsehung beliebt es, daß es noch etwas Näheres giebt. »Wo die Not am größten, da ist die – Steuer-Exekution am nächsten.«

*

Vilagoschi hatte eben seine letzten hundert Gulden für Stroh ausgegeben. Seine eigenen Futtervorräte waren erschöpft, doch vom Nachbar ließ sich noch ein wenig für schweres Geld bekommen.

Zu diesem Gelde war er aber dadurch gelangt, daß ein menschenfreundlicher Lederhändler ihm jene Produkte abkaufte, die in diesem Jahre den einzigen Handelsartikel vieler ungarischer Landwirte bildeten. Als nämlich die gutmütigen Haustiere zu der Überzeugung kamen, daß für sie nichts mehr zu fressen da war, überließen sie sich einem edlen Wetteifer in der Selbstaufopferung, indem die eine Hälfte von ihnen das Letzte hingab, was noch Wertvolles an ihnen war – die Haut; vom Erlös derselben mochte der Landwirt dann Futter für die noch übrigbleibende Hälfte kaufen. So halfen sie einander gegenseitig aus. Der Nachbar, der sein Stroh in besagter Weise verkauft hatte, mußte jetzt sein Vieh mit dem Dach seines Hauses füttern; allein er war gezwungen, jenes Stroh zu verkaufen, da ihm seit einer Woche sechszehn Mann Kavallerie einheizten, die er als Steuereinquartierung erhielt, und für die nächste Woche waren ihm zweiunddreißig versprochen. Die zehren das Stroh auch auf und Geld kommt inzwischen auch nicht ein. Besser also, sich vom Stroh zu trennen.

Natürlich verlegte auch die Exekution, sobald das Stroh vom Nachbar weggewandert war, ihr Hauptquartier dahin, wohin das Stroh wanderte. An demselben Tage, an welchem Vilagoschi den teuren Schober aufgerichtet hatte, stellten sich daher in seinem Hofe sechszehn Kürassiere unter Anführung eines Rittmeisters ein. Dieser letztere besaß noch mehr Mannschaft, die aber sämtlich in ähnlichen Kriegsoperationen zerstreut war. In dem Kürassier-Rittmeister erkennen wir jenen Offizier wieder, der sich zum Akte der Kongregations-Auflösung so apropos verspätet hatte, und dann vor den Hymnussängern abschwenken ließ.

Es war ein hoher kräftiger Mann; das sonnengebräunte Gesicht schmückte eine Narbe; Haare und Schnurrbart waren sehr blond, ebenso Augenbrauen und Wimpern; doch milderte das den mürrischen Ausdruck seiner Gesichtszüge nur wenig. »Sind Sie der Hausherr?« redete er, vom Pferde steigend, den entgegeneilenden Vilagoschi an. Vilagoschi frug erstaunt: »Was beliebt?«

»Mein Herr, ich bin Rittmeister Föhnwald. Ich bin hier mit sechzehn Mann einquartiert. Es wird noch ein anderer nach kommen, der Ihnen schon sagen wird, weshalb und auf wie lange.«

»Ich vermute, des Steuerrückstandes wegen.«

»Das ist nicht meine Sache. Das machen Sie mit dem andern aus!«

»Mein Herr,« sagte Vilagoschi entschieden, »Sie sehen, daß heuer nichts gewachsen ist, wovon man Steuern bezahlen könnte.«

»Ich sehe gar nichts, als den Tagesbefehl.«

»Dann haben Sie die Güte meine Wohngemächer zu okkupieren, ich werde mich mit Frau und Kindern in dem Gesindehause unterbringen. Das Vieh lasse ich aus den Stallungen führen: belieben Sie Ihre Pferde dort einzustellen. Ich werde Ihnen den Schlüssel zur Speisekammer übergeben, befriedigen Sie daraus ihren Bedarf, ich verweigere durchaus gar nichts.«

»Mein Herr!« sagte der Offizier in rauhem, verdrießlichem Tone, »meine Soldaten werde ich nicht in Ihre Zimmer legen, ich selbst werde Ihre Frau und Kinder nicht verdrängen. Haben Sie für mich irgend wo einen Winkel, wo man ausschlafen kann, so zeigen Sie ihn mir; wenn nicht, so werde ich auf dem Flur nächtigen. Ihr Vieh brauchen Sie nicht aus dem Stalle zu treiben, wir werden uns für unsere Pferde einen aus Blättern und Zweigen improvisieren; die Soldaten schlafen bei den Pferden. Zur Mittagszeit hat der Mann ein halbes Pfund Brot und ein viertel Pfund Fleisch zu beanspruchen; ich speise mit der Mannschaft, sie muß sich mit der Ration begnügen. Jetzt lassen Sie mich in Ruhe, denn außer dem, was ich soeben mit Ihnen gesprochen, werde ich kein Wort weiter mit Ihnen reden; und wenn ich ein Jahr lang hier im Quartier läge.«

Vilagoschi war von dieser Rede überrascht. Sie erwies sich als ein seltsames Gemisch von militärischem Unmute, der seine Lage verwünscht, von edler menschlicher Herzensgüte, von asketischer Einfachheit und vornehmer Geringschätzung. Der Offizier befahl seinen Leuten, was sie besorgen sollten. Unterdeß erteilte Vilagoschi dem weiblichen Gesinde Aufträge für Bereitung des Mittagsessens, als beide in ihrer Aufgabe fertig waren, lud der Hausherr den Rittmeister geziemend ein. »Ist's nicht gefällig, einzutreten?« »Nein!«

Der Rittmeister setzte sich auf einen Schemel von Lindenholz im Flur und nahm eine Cigarre hervor. Vilagoschi ging hinein und kam nach einer Weile wieder heraus.

»Meine Frau wird Sie sehr gern zu Tische sehen.«

»Ich danke! Sagen Sie der gnädigen Frau, ich wolle nicht ihr Gast sein; sobald das Essen für die Soldaten fertig ist, werde ich mich zu ihnen setzen.« – Und damit streckte er sich der Länge nach auf dem hölzernen Ruhebett aus; seinen Säbel stellte er in eine Ecke; er verlor das Gleichgewicht und fiel in den Staub. Vilagoschi wollte ihn aufheben,

»Inkommodieren Sie sich nicht, er liegt dort ganz gut.«

Und in der That rührte sich der Rittmeister nicht, bis das Essen für die Soldaten fertig war. Und es war doch unvermeidlich, daß bald die Hausfrau, bald das Fräulein über den Flur ging. Der Offizier achtete nicht auf sie, er grüßte sie nicht einmal und wendete den Kopf zur Seite, sobald er ihre Schritte vernahm.

Als dann das dampfende »Gulyaschfleisch« fertig war, das die Hausleute für die Soldaten gekocht hatten, stellte sich auch der Rittmeister an den Tisch mit der Mühlsteinplatte, auf welche die große Schüssel aufgetragen wurde, und ließ sich's schmecken, bis er seinen Hunger gestillt hatte. Zuletzt verlangte er von seinem Burschen die Feldflasche, nahm einen großen Schluck und damit hatte er abgespeist. Dann setzte er sich wieder auf das hölzerne Ruhebett im Flur, brannte eine Cigarre an, stützte den Kopf in die Handfläche und gaffte in die stille Welt hinein.

Die Soldaten löffelten eben den Boden der Schüssel aus, als sich draußen Kutschengerassel vernehmen ließ und eine fünfspännige Neutitschanka in den Hof hineingerollt kam; in dieser saß – der gewisse »andere.« Der festländische Achtfüßler! O, kein scheußliches Naturwunder, wie der im Meere lebende! Dieser Tintenwurm hier ist ein feiner, eleganter Herr, gekleidet nach französischer Mode, mit Diamanten in den Hemdknöpfen und glänzenden Lackstiefeln an den Füßen. Am Rauch seiner Cigarre erkennt man das feinste Havannablatt, Cuba-Flor. Er ist auch keine Karikatur; Lavater, um ein Urteil befragt, würde von seinem Kopfe sagen: das ist ein auf seine Verdienste stolzer Bürger, in dessen offenen Zügen sich menschenfreundliches Wohlwollen spiegelt, und der auf seiner Stirne das Selbstbewußtsein trägt, daß er gesegnet wird von allen, die ihn kennen. Das treuherzige Blau seiner Augen bringt Bekannten und Unbekannten zuvorkommende Freundlichkeit entgegen.

Auf dem Bocke neben dem Kutscher sitzt sein Begleiter, der Geldeintreiber: auf ungarisch! der Finanzwächter. Nun, den hat die Natur wenigstens gleich mit den äußeren Apparaten seines Berufs gesegnet. Er schielt auf beiden Augen, damit er zwei Menschen auf einmal zu überwachen und beide Hände zweier Menschen zu kontrollieren imstande ist, man aber nie wissen könne, wohin er eigentlich schaut? Seine Nase besitzt dieselbe Eigenschaft, wie die des Tapirs, biegsam zu sein; es ist eine unschätzbare bildungsfähige Nase, ausgestattet mit allen Vollkommenheiten, von der Wissenschaft des Tabakschnüffelns hinab bis zur Doktrin der Menschenkenntnis; sein rachenartiges Maul mit zwei Reihen von Zähnen, groß wie Hauer, sagt, bevor er noch etwas gesprochen hat, dem Unglücklichen der mit ihm zu thun bekommt, daß er ihn gleich auf der Stelle auffressen werde, und er deshalb ruhig von dieser Welt Abschied nehmen möge.

Da diese beiden Herren sich schwerlich formell vorstellen werden, indem es nicht ihre Aufgabe ist, mit dem Hausherrn charmant zu thun, so wollen wir uns – um sie nicht bei ihren naturhistorischen Namen »Hydra« und »Haifisch« nennen zu müssen – ihre bürgerlichen Namen aus den Matrikeln hervorsuchen. Der Name des Achthänders ist »Gierig« und der des Haifisches »Konyecz«, was deutsch Schlotterich heißt.

Die vom Wagen gestiegenen Herren eilten geraden Weges in das Haus. Herr Gierig erblickte den im Flur rauchenden Rittmeister und begrüßte ihn freundlich mit lauter Stimme: »Ach, guten Tag Herr Rittmeister, guten Tag!«

Der Rittmeister schlug bloß die Sporen zusammen und that, als wäre er von Taubheit befallen. Herr Gierig wollte nun aber erst recht zeigen, daß er ihn zum Sprechen zu bringen vermochte. »Sie sind schon angelangt? Immer kommen Sie uns zuvor, und wir haben uns doch so beeilt!« Rittmeister Föhnwald warf ihm einen Seitenblick zu, und die weißen Augenbrauen sagten Herrn Gierig: »Du würdest Dich gerade getrauen, früher irgendwo einzutreten, bevor Du uns vorausgeschickt!« – »Nun, wie sieht es hier im Hause aus?« Statt der Antwort blies der Rittmeister eine Rauchwolke vor sich hin. »Sind glänzende Möbel in den Gemächern, überflüssiger Luxus? Oder ist schon alles versteckt?« – »Weiß nicht, bin nicht drinn gewesen.« – »Wie? Also noch garnicht zu Mittag gespeist?« – »Sogar sehr gut. Mit meinen Soldaten zusammen.« – »Ah!«

Der Herr Kommissär blickte mit höhnischem Lächeln auf den Herrn Rittmeister hinab. Fängt der schon wieder so an! »Giebt es Frauen im Hause? junge Fräuleins? feines Weibervolk? nervöse Dämchen?« – »Ich glaube, eine Hausfrau und ein Fräulein.« – »Das ist gut; gehen wir also hinein!« Um sein erstes Entree noch anständiger zu machen, nahm er seine Cigarre hervor, biß das Ende ab und wandte sich familiär an den Kapitän. »Bitte um etwas Feuer!« – »Meine Cigarre brennt nicht!« – »Aber sie brannte doch eben.« – »Sie ist erloschen!« erwiderte Föhnwald und warf die ganze Cigarre weg.

Konyecz war aber rasch mit dem Streichholz zur Hand; er freute sich, seinem Vorgesetzten dienen zu können. Er rieb ein Hölzchen an und hielt kunstverständig die hohle Hand vor, damit der Wind die Flamme nicht ausblase; so half er die Cigarre anbrennen.

Ja, er machte sogar eine Handbewegung nach der eigenen Brust zu, um aus deren Tasche eine jener verfluchten Tabakstengel-Cigarren hervorzuziehen, welche das hohe Ärar direkt zu dem heiligen Zwecke fertigen läßt, daß, wo sich steuerrückständige widerspenstige Kurutzenköpfe vorfinden, Herr Konyecz solche Cigarren im Schlafzimmer der Hausfrau, der Länge nach auf das Seidenkanapee hingestreckt, con amore duften lasse.

Herr Gierig winkte beschwichtigend. Erst später!

Konyecz verstand den Wink und steckte die Cigarre wieder ein.

Dann gingen sie in die Küche und von da ins Zimmer.

Vilagoschi empfing sie. Er war nicht heftig; wir wissen, daß er ein Mensch von sehr sanfter Gemütsart ist. Er fragte die gnädigen Herren, welchem Umstande er das Glück ihres Besuches verdanke?

»Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie mit drei Steuerquartalen noch im Rückstande sind.«

»Ich habe das nicht vergessen, mein Herr! Ich habe bisher stets pünktlich bezahlt. Ich weiß, was ich dem Staate schulde und mit was ich im Rückstande bin; sobald ich kann, werde ich mich beeilen, es zu ergänzen. Aber jetzt habe ich nichts, wovon ich zahlen könnte. Sie haben es ja auf dem Wege hierher überall sehen müssen, daß es in dieser Gegend heuer keine Ernte geben wird.«

»Das machen Sie mit Ihrem Herrgott ab! Die Staatsmaschine kann des schlechten Jahres wegen nicht stehen bleiben. Hätten Sie das Überflüssige des vorigen Jahres erspart.«

»Ich bitte, ich bin ein neuer Pächter. Ich begann im vorigen Jahr, und auch das war ein schlechtes Jahr.«

»Ich bedauere, aber Ausnahmen kennen wir nicht. Unter allen Verpflichtungen ist die erste jene, welche wir dem Staate schulden. Wenn die Herren weniger traktierten, nicht so viel Schnüre an ihre Dolmanys setzten und ihr Geld nicht auf Bücher, Zeitungen, Pferde und Windspiele hinauswürfen, so würden sie in keine Geldklemme geraten. Der Staat fordert, was ihm gebührt, und wir sind hier, um dieser Forderung Nachdruck zu geben. Ihre Steuerschuld beträgt 500 Gulden in runder Summe.«

»Mein Herr! hier sind die Schlüssel zu meinen Schränken. Durchsuchen Sie jeden Winkel meines Hauses, und wenn Sie irgendwo Geld oder Geldeswert finden, so nehmen Sie sich's.«

»Oho, mein Lieber! das Lied kennen wir schon; das sind die Schlüssel, suche sich der Herr das Geld. Danke schön für die Gnade. Wir werden mit Ihrem Gelde nicht ›Feuer‹ oder ›Wasser‹ spielen. Das müssen Sie selbst hervorsuchen!«

»Ich sage Ihnen aber allen Ernstes, meine Herren, daß ich nicht einen Heller habe.«

»Schau, schau, was ist das?« rief Herr Konyecz jetzt dazwischen, indem er drei Tabaksblätter unter dem Überzug eines Sofas hervorzog. »Hier ist ja Tabak versteckt.« Vilagoschi stotterte verwirrt: »Den hat sicherlich meine Frau hineingelegt, um die Motten zu vertreiben.« Die beiden Herren brachen in lautes Gelächter aus. »Nehmen Sie darüber einen Befund auf,« bedeutete Herr Gierig im gnädigen Tone den Finanzwächter. Dieser setzte sich sogleich hin und trug den Thatbestand in ein Schema ein. »Aber, meine Herren!« sagte Vilagoschi verwirrt, »Sie können mir glauben, daß ich nicht das Geringste von dem Tabak weiß. Ich habe in meinem Leben nicht geraucht.« Herr Gierig lachte noch lauter. »Herr Konyecz notieren Sie: Hundertdreiundsechzig. Mein Herr, Sie sind meines Wissens der Hundertdreiundsechzigste, der, im Besitz von Tabak betreten, behauptete, daß er nicht rauche. Hahaha!«

Herr Konyecz half seinem Vorgesetzten lachen.

»Und jetzt wollen wir mal sehen, was unsere Leute machen.«

Die beiden Herren spazierten in den Hof hinaus.

Dort waren eben alle sechzehn Mann um den Brunnen versammelt und ließen sich von dem Altknecht mit aufgesperrten Mäulern auseinandersetzen, wie dieser Brunnen schon seit zwei Wochen keinen Tropfen Wasser giebt, sondern dasselbe eine halbe Stunde weit aus dem Berettyo geholt werden muß, in dessen Flußbett man nur drei Brunnen gegraben hat, von denen einer allenfalls noch Wasser giebt, aber nur frühmorgens.

»Nun, wie geht es Euch, Jungens?« sagte Herr Gierig, unter sie tretend. »Habt Ihr schon Euer Mittagessen und Wein bekommen? Heu und Hafer für die Pferde? Federbetten für Euch? Das kommt Euch zu! Dazu sind die herrschaftlichen Zimmer da. Zum Frühstück Kaffee mit Zucker und Kuchen; mittags viererlei Gerichte; abends drei; täglich vier Schoppen Wein, und Schnaps so viel Ihr wollt. Das ist der Hausherr Euch zu geben schuldig. Giebt er es nicht, so müßt Ihr es verlangen. Ihr dürft mit nichts zufrieden sein, so viel man Euch auch giebt. Jetzt seid Ihr die Herren. Ihr habt zu befehlen. Abends macht Euch die Betten in den gemalten Zimmern. Legt Euch auf die Sofas. Die Futtertaschen und das Pferdegeschirr, auch die Sättel, hängt an den Bilderrahmen auf; ist der Nagel zu schwach und hält nicht, so schlagt Eure eigenen starken Nägel in die Wand; ist das Bild im Wege, so schlagt sie durchs Bild durch. Geniert Euch durchaus nicht. Benehmt Euch, wie bei Euch zu Hause, als wäret Ihr in Feindesland. Ei, Ihr großen Schelme! Ihr seid jetzt an einen guten Ort gekommen. Hier im Hause ist ein schönes Mädchen und eine hübsche Frau. Kann mir's denken, wie Ihr den ganzen Tag über scherwenzeln werdet, Ihr verdammten Schelme! Was für einen Respekt das Weibervolk vor Euch hat! Wie es vor Euch zittert! Nun, laßt's Euch gut gehen. Jetzt blüht Euer Weizen. – Und laßt's Euch einmal gesagt sein: Was man Euch auch giebt, seid mit nichts zufrieden.«

Rittmeister Föhnwald hatte während dieser Rede seinen Säbel umgeschnallt, und als der Kommissär seine Rede beendigt hatte, fügte er vom Flur her in kurzem Lapidarstyl hinzu:

»Ich aber sage Euch, wer sich anders benimmt, als ich befohlen habe, wer sich nur ein Mohnkörnchen Flegelhaftigkeit gegen die Hausleute herausnimmt, dem lasse ich fünfzig solcher Stockprügel aufzählen, daß er damit zufrieden sein kann

Nach dieser verheißungsvollen Zusicherung verließ Rittmeister Föhnwald den Flur und ging ins Zimmer hinein. Er wußte, daß jetzt ein Auftritt folgen müsse, bei dem es sich empfahl, die Mannschaft und das Gesinde nicht zum Gratispublikum zu haben.

Im ersten Zimmer traf er Vilagoschi, der das im Hof Gesprochene durchs Fenster gehört hatte. Der Hausherr kam mit Thränen im Auge auf ihn zu, um ihm zu danken.

»Ei, lassen Sie mich ungeschoren,« rief der Offizier, die Hand zornig dem Händedrucke entziehend; »auch Sie sind mir verhaßt. Warum zahlen Sie nicht? Warum bringen Sie uns in die verfluchte Lage? Warum schaffen Sie das lumpige Geld nicht herbei?«

»Hören Sie mich an, Herr Rittmeister. Ich werde aufrichtig mit Ihnen reden. Das Geld, womit ich die Steuern bezahlen könnte, ist im Hause; ich darf es aber nicht hergeben, denn es ist zweifach nicht mein. Es ist erstens nicht mein, weil es aus dem Brautgeschenk meiner Frau und den zusammengesparten Dukaten besteht, welche sie an ihren Geburtstagen zum Andenken erhalten. Fürs zweite ist es nicht mein, weil es den abgelaufenen Pachtzins, den ich dem Grundbesitzer schulde, repräsentiert. Für mich ist es fremdes Geld, an das ich nicht rühren darf. Sie kennen das deutsche Sprüchwort von den drei Pfennigen: Zehrpfennig – Notpfennig – Ehrenpfennig. – Der erste, der Zehrpfennig, ist längst aufgezehrt. Ihm nach ging der zweite, der Notpfennig. Jetzt habe ich nur noch den dritten, den Ehrenpfennig. Und jeden Pfennig meiner Ehre hütet meine Frau; man wird ihn ihr nur mit Gewalt entreißen. Das, mein Herr, wollte ich Ihnen sagen.«

Damit ging er in die Stube seiner Gattin. In der Thür blieb er stehen und sagte: »Das ist das Zimmer meiner Frau.« Damit ging er hinein.

Rittmeister Föhnwald hatte keine Zeit, irgend welche Bemerkung zu machen, denn hinter ihm her kamen in hochfahrender Haltung der Kommissär und dessen Schildknappe.

»Aber Herr Rittmeister, was haben Sie gethan?« herrschte der Kommissär im rügenden Tone der Überlegenheit den Offizier an. »Ihre Ordre lautet dahin, daß Sie sowohl sich wie Ihre Mannschaft mir zur Verfügung zu stellen haben. Das ist die Ordre, die Sie von Ihrem Vorgesetzten erhalten haben.«

»Und die erfülle ich auch. Ich gehe, wohin Sie mich führen, daran bin ich gewöhnt. Bei Custozza führte man mich ins Kartätschfeuer; ich ging mitten hinein. So habe ich auf die Fahne geschworen. Jetzt schickt man mich in eine Kloake, in der ich täglich bis ans Kinn im Schlamm waten muß; dazu habe ich mich in meinem Fahneneid nicht verpflichtet. Ich bin als Soldat eingetreten, nicht als Häscher. Ich kommandiere Soldaten und keine Marodeure.«

»Aber Herr Rittmeister,« sagte mit sanftem Tonfall der Kommissär, »Sie verderben mir mit Ihrer schlecht angebrachten Ritterlichkeit mein ganzes System. Dieses System ist der direkte Ausfluß der Regierungspolitik. Hier handelt es sich um etwas anderes, als um so und so viel Groschen. Hier handelt es sich um die Wiederherstellung der gesetzlichen Ordnung.«

»Und um Ihre Prozente!«

Diese unbarmherzige Anspielung trieb denn doch dem Achthänder das Blut in die Wangen.

Er lächelte zwar auch jetzt noch, aber mit der Purpurröte des Zornes im Gesicht, und was er nun sagte, sagte er bereits auf den Fußspitzen emporgerichtet. Auch Herr Konyecz trat näher an seine Seite und begleitete im stolzen Gefühle seiner Unverletzlichkeit die Worte seines Chefs mit grimmigem Mienenspiel.

»Herr Rittmeister? Man hat mir Ihre angenehme Gesellschaft nicht deshalb gegeben, damit Sie meine Anordnungen kritisieren, Ihre Meinung darüber äußern und Ausstellungen daran machen, sondern damit Sie denselben nachkommen. In der Mission, die ich habe, bin ich die Hand und Sie nur das Werkzeug. Wenn ich meine Mission bis zum letzten Punkte nicht mit unerbittlicher Strenge durchführe, so erhalte ich dafür eine Nase von der hohen Regierung. Wissen Sie das.«

Auch Herr Konyecz steckte bei diesen Worten seine Fratze näher zu Föhnwald hin, gleichsam als Beweis, daß es kein Spaß sei, mit einer solchen, von Regierungswegen erhaltenen Nase in der Welt umherzulaufen. Föhnwald entgegnete darauf mit größter Ruhe, indem er ihnen halb den Rücken zukehrte: »Glauben Sie mir, Herr Kommissär, wenn Sie von der Regierung eine Nase bekommen, so können Sie dieselbe meinetwegen tragen, wo Sie wollen; wenn ich Ihnen aber zufällig ein Ohr abhauen sollte, so weiß ich nicht, wo Sie dafür von der hohen Regierung ein anderes herbekommen.«

Diese Antwort stellte die beiden Herren so zufrieden, daß sie plötzlich vereint zurückprallten.

Herr Gierig nahm auch den Kampf nicht früher wieder auf, als bis er die andere Seite des großen eichenen Speisetisches erreicht hatte, und erst als sich dieser massive Gegenstand zwischen beiden befand, replizierte er dem Rittmeister:

»O, spielen Sie nur den Chevaleresken, den Gentleman. Das steht Ihnen gut. Befehlen Sie Ihren Soldaten, daß sie dem Fräulein die Hand küssen, ich bedarf Ihrer nicht. Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, ich werde schon dem Betreffenden mit Hülfe des Herrn Konyecz allein so viel angenehme Unterhaltung zu bereiten wissen, als gerade genügen wird, dem System zum Sieg zu verhelfen.«

Als Herr Konyecz die Berufung auf seinen Namen hörte, hielt er es für unabweisliche Pflicht, die allgemein gehaltenen Grundprinzipien auch seinerseits mit einem detaillierten Programme zu illustrieren.

Obwohl Herr Konyecz als Finanzwächter nur den Rang eines Feldwebels hatte, besaß er doch das volle Bewußtsein davon, daß er infolge des gegenwärtigen Systems die vorgesetzte Behörde dieses Rittmeisters sei und dieser ihm ex officio keine Zurechtweisung geben könne.

»Hoho, Herr Konyecz versteht das schon! mit Stiefeln in den Zimmern der Frauen umherzusteigen, stinkenden Tabaksqualm ihnen unter die Nase zu dampfen, das Fräulein und die Hausfrau mit ausgelassenen Reden zu unterhalten, den Trunkenen zu spielen und die weibliche Dienerschaft zu schrecken, des Nachts an der verschlossenen Thür zu poltern und dazu zu fluchen! O, Herr Konyecz ist ein erfahrener Bursche in solchen Dingen! Herr Konyecz weiß, wovon die Fliegen verrecken! Und zuletzt, wenn alles das nichts hilft, weiß Herr Konyecz auch, wo er bei den Damen das Geld zu finden hat, von dem es heißt, daß es nirgends vorhanden sei. O, Herr Konyecz ist ein erfahrener Bursche!«

Das alles erzählte Herr Konyecz mit vor Stolz strahlendem Gesichte von sich selbst in der dritten Person.

Während dieser Rede fuchtelte Rittmeister Föhnwald nur mit der Reitpeitsche in der Luft herum. Als das Geflunker sein Ende erreicht hatte, nahm er seine Reitpeitsche und legte sie quer über die Thürschwelle, welche in das Frauengemach führte. »Und ich sage, wer über diese meine Reitpeitsche wegzuschreiten wagt, dem zerschlage ich sie am Kopfe.« Und damit schwieg er und setzte sich auf den Tisch hin, auf welchem eben die ins Zimmer getretene Dienstmagd für Herrn Gierig und Herrn Konyecz zu decken begann. Sie konnte dies nur auf der einen Hälfte desselben thun, da Föhnwald nicht die Absicht zeigte, die andere Hälfte frei zu geben.

Das Erscheinen der Magd unterbrach den Kampf und es trat ein kurzer Waffenstillstand ein.

Doch Herr Gierig wartete kaum, bis der letzte Bissen herunter war.

»Jetzt nehmen Sie Ihre Schreibmaterialien hervor.«

Herr Konyecz packte aus seinem Lederkoffer das Nötige heraus.

»Schreiben Sie, was ich diktiere: ›Herr Oberst! – Rittmeister Föhnwald, den Sie mir zur Verfügung gestellt‹ ...«

»Halt!« rief Föhnwald dazwischen. »Sie werden schreiben, was ich diktiere: ›Rittmeister Föhnwald will meine Anordnungen nicht erfüllen. Ich bitte, ihn zur Verantwortung zu ziehen.‹ Punktum. Keinen Buchstaben weiter!«

Herr Konyecz stockte jetzt wirklich; von zwei Seiten wird ihm in die Feder diktiert, das geht nicht. Julius Cäsar diktierte sechs Menschen auf einmal, doch daß zwei Menschen einem diktieren, das hat sogar Julius Cäsar nicht probiert. Er nahm also die Feder quer in den Mund und schaute sich bald den einen, bald den andern Herrn an. »Werden Sie sofort schreiben, was ich gesagt habe?« schrie ihn Rittmeister Föhnwald an und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß das Tintenfaß vom Tische herunter, Herr Konyecz aber vor Schreck aus seinem Lehnstuhl emporflog.

Darauf verließ der Rittmeister das Zimmer und befahl seinem Diener, er möge ihm irgendwo eine Weidengerte abschneiden, seine Reitpeitsche sei anderweitig beschäftigt. Und damit ritt er allein auf die Pußta hinaus. Erst der späte Abend brachte ihn zurück.

Als er vom Pferde stieg, traf er für eine Minute mit Vilagoschi zusammen. Er sagte ihm nur das eine Wort: »Schrecklich!«

Vilagoschi war zur Reise gerüstet. »Herr Kapitän,« sagte er zu Föhnwald, »Ihr edles Benehmen brachte mich zu einem Entschlusse, zu dem mich sonst nichts vermocht hätte. Ich gehe eiligst nach der Stadt. Ich kenne dort dem Namen nach einige Wucherer, welche Geld gegen hundert Prozent herzuleihen pflegen; denen verpfände ich Leib und Seele, und meine künftige Jahresfechsung: ich nehme Geld für jeden Preis, und wenn ich mich für einige Zeit zu Grunde richte; aber ich werde zahlen. Bis ich zurückkehre, vertraue ich Ihrem Schutz mein Weib, mein Kind.«

»Gut, ich gebe mein Wort darauf. Es wird ihnen niemand etwas zuleide thun.«

Vilagoschi machte sich in später Nacht auf den Weg. Föhnwald hielt Wort. Zwei Tage lang gab's Ruhe und Frieden im Haus. Von den Soldaten merkte man kaum, daß sie da waren; sie vertrugen sich friedlich mit dem Gesinde und halfen diesem Wasser aus dem entfernten Brunnen holen; sie gingen auch sparsam um mit den Lebensmitteln und mit dem Pferdefutter. Föhnwald kam nicht ein einziges Mal mit den Frauen zusammen. Er wich ihnen aus. Auch Herr Gierig verhielt sich ruhig und chikanierte niemand. Am dritten Tage erwartete jedermann ängstlich die Rückkehr Vilagoschis. Heute muß er unfehlbar aus der Stadt eintreffen. Föhnwald selbst ritt vormittags zweimal auf die Grenzmark hinaus, um zu spähen, ob denn der Hausherr noch immer nicht komme.

Endlich nach Tische ertönte Wagengerassel im Hofe. Die Frauen liefen ans Fenster, Föhnwald eilte auf den Flur hinaus. Welche bittere Enttäuschung! Nicht Vilagoschi war angekommen, sondern der Finanzwächter. Auf seinem Wagen saßen noch zwei Gensdarmen mit aufgepflanztem Bajonette. Herr Konyecz hatte in der Brust mit großer Ostentation einen Brief stecken, und als er vom Wagen herabkletterte, erteilte er den Gensdarmen im befehlenden Tone eines Vorgesetzten den Rat, gleichfalls abzusteigen und vorläufig in abwartender Stellung auf dem Flur zu bleiben. Damit ging er mit gravitätischer Haltung, bei jedem Schritt mit dem Fuße schleifend, in das Eßzimmer. Auch Herr Gierig eilte aus seinem Schmollwinkel hervor. Die Gesichter der beiden verwandten Seelen strahlten einander verständnisinnig entgegen. Herr Konyecz zog den großen Brief aus seiner Brust und überreichte ihn Herrn Gierig gleich einer Siegestrophäe. Föhnwald lehnte sich mit gekreuzten Armen an eine Tischecke und harrte der guten Kunde. Herr Gierig erbrach den Brief, durchflog seinen Inhalt und trat dann stolz vor Föhnwald hin. »Herr Rittmeister, ich bin ermächtigt, Ihnen diesen Brief vorzulesen.« – »Ich höre.« – »Der Herr Oberst schreibt mir: ›Hochwohlgeborener Herr Oberkommissär! Ich ermächtige Sie, Herrn Rittmeister Föhnwald zu bedeuten, daß er sich in jedem Punkte an Ihre Weisungen zu halten habe; sollte er nicht gewillt sein, dies zu thun, so möge er sich beeilen, seine Privatangelegenheit unverzüglich nach seiner individuellen Ansicht zu ordnen u. s. w.‹« – »Ich habe verstanden,« sagte Föhnwald. »Wie lautet also die Weisung, welche Sie mir zu geben haben?« – »Daß Sie, Herr Rittmeister, der Steuer-Exekution in diesem Hause weiter keine Hindernisse in den Weg legen.« – »Das ist schon geschehen. Auf ein Wort von mir hat der Hausherr gethan, wozu die Gewalt ihn nicht vermocht hatte. Er ist in die Stadt gefahren, um dort Geld aufzunehmen. Er wird bald hier sein und zahlen.«

»Damit täuschte er Sie ja nur! er hat sich entfernt, damit wir keinen Mann im Hause finden, an den wir uns halten können. Er glaubte, die Frauen würden wir verschonen. Da irrt er sich sehr: Wir wissen auch mit den Damen fertig zu werden. Zwei Tage liegen wir hier schon müßig, am dritten Tage haben wir das Recht, an die Exekution zu gehen. Wir werden mit der Durchführung bei den Damen beginnen.«

»Ich habe dem Hausherrn versprochen, daß man die Frauen verschonen wird, bis er zurückkehrt.« – »Das will sagen: Sie erfüllen meine Weisung nicht.« – »So ist es.« – »In diesem Falle frage ich Sie, ob Sie den zweiten Teil der Ordre Ihres Vorgesetzten verstanden haben?« – »Ich habe ihn verstanden,« sagte Föhnwald, schnallte den Säbel ab und warf ihn auf den Tisch. »Man kann mich zwingen, nie mehr das Schwert zu ziehen, nicht aber mein gegebenes Wort zu brechen.« – »Gut denn, Herr Föhnwald; doch von dem Moment an, wo Sie Ihren Säbel ablegen, existieren Sie für mich nicht mehr.«

Damit wandte er sich rückwärts zu Herrn Konyecz und zeigte auf die Thür der Frauenstube. »Diese Thür muß geöffnet werden.« Dieselbe Thür, vor welcher Föhnwalds Reitpeitsche quer über der Schwelle lag. Herr Konyecz eilte auf die Thür zu, doch Föhnwald kam ihm zuvor, hob seine Reitpeitsche auf und sprach:

»Der Rittmeister, das mag sein, existiert für Sie nicht mehr; der ›Herr Föhnwald‹ aber existiert noch immer, und hat dieser Säbel auch aufgehört, der meine zu sein, so ist dies hier immer noch meine Reitpeitsche, und was vor drei Tagen der Rittmeister Föhnwald versprochen, das wird Herr Föhnwald auch heute noch halten, und diese Reitpeitsche am Kopfe desjenigen zerbrechen, der diese Schwelle überschreiten will.«

»Ah! das ist ja offene Auflehnung! Gensdarmen! hierher zu mir!« brüllte Herr Gierig außer sich, und die beiden Gensdarmen stürzten auf seinen Ruf mit gefälltem Bajonett herein, während Herr Konyecz sein Käsemesser aus der Scheide zog und sich beeilte, vor den Tisch zu springen, auf dem Föhnwalds Säbel lag, für den Fall, daß dieser sich zu bewaffnetem Widerstand anschicken sollte.

Föhnwald aber stand mit kalter Ruhe in der Thür, die Arme verschränkt und die Reitpeitsche mit der Faust unter der Achsel festhaltend.

»Herr Föhnwald!« schrie jetzt Gierig ihn an, »gehen Sie dort von der Thür weg!« – »Man versuche, mich von hier weg zu bringen!« – »Herr Föhnwald! Ich lasse Sie niederschießen!« – »Thun Sie es!«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür zum Frauengemach und heraus stürzte Ilonka. Das junge Mädchen eilte geradeswegs auf den Kommissär zu. »Mein Herr, es bedarf keiner Gewalt, wir werden zahlen.« Durch die offen gelassene Thür erblickte man Frau Vilagoschi, die den Kopf über den Tisch gebeugt hatte und weinte. Sie besaß nicht die Kraft zu dem, was ihre Tochter zu thun den Mut hatte.

»Nun, das ist schon eine andere Rede,« erwiderte Herr Gierig. »Wollen Sie sprechen, mein Fräulein!«

»Wollen Sie vorher die Bewaffneten entfernen?«

Herr Gierig blickte unschlüssig bald auf sein Hülfskorps, bald auf Herrn Föhnwald, bald auf den auf dem Tische liegenden Säbel. – Es ist das zu überlegen. Wie, wenn Föhnwald plötzlich das Schwert ergriff und alles Civilfleisch zu Ragout zerhackte? Ilonka erriet die Ursache dieser Unschlüssigkeit; sie nahm selbst den Säbel vom Tische, bevor noch jemand das Attentat verhindern konnte, und reichte ihn Föhnwald. »Mein Herr, ich bitte, gürten Sie Ihren Säbel wieder um. Unser Unglück soll nicht damit gekrönt werden, daß es auch für Sie verhängnisvoll wird. Wir werden den Kommissär schon befriedigen und Sie haben unsertwegen keine Unannehmlichkeiten. Ich bitte recht schön.« Und nun konnte Herr Föhnwald doch nicht umhin, Ilonka anzusehen, und als das junge Mädchen mit glühenden Wangen und klarem, ruhigem Blick zu ihm aufschaute, fühlte er in seinem Innern, daß er doch wohl daran gethan hatte, eine Unbekannte, Ungesehene in seinen Schutz zu nehmen. »Ich danke Ihnen für Ihren guten Rat, mein Fräulein; wenn ich aber auch heute den Säbel umgürte, so komme ich doch morgen in einem anderen Hause wieder in die Lage, ihn abschnallen zu müssen, denn diesen Dienst habe ich endlich satt!« – »Thun Sie nur, Herr Rittmeister,« sprach Gierig dazwischen, »um was das Fräulein Sie so schön bittet. Der Brief des Obersten hat noch eine Nachschrift, worin er mir mitteilt, daß, wenn wir mit der gegenwärtigen Exekution zu Ende sind, Sie mit Ihrer Eskadron in eine andere exekutionsfreie Gegend verlegt werden, ich aber ausgeruhte Truppen zur Verfügung erhalte.« Föhnwald atmete bei diesen Worten erleichtert auf. »Dann greife ich wieder zu meinem Säbel. Ich danke Ihnen, mein Fräulein.« – » Wir sind Ihnen Dank schuldig.« Ilonka verneigte sich bescheiden vor dem Offizier und wandte sich zu dem Kommissär zurück.

Herr Gierig winkte den Gensdarmen, hinauszugehen; dann ließ er von Herrn Konyecz die Akten bringen, und breitete sie auf dem Tische aus. »Haben Fräulein das nötige Geld zur Hand?«

»Ich habe es bei mir,« sagte Ilonka, eine gestickte Börse aus der Tasche ziehend, durch deren Seidenmaschen die ersparten Dukaten ihrer Mutter hindurch blinkten – die Andenken so vieler glücklicher Tage.

»Vielleicht könnten wir doch mit der Abrechnung warten, bis Papa nach Hause kommt?«

»Nicht eine Minute, mein Herr!«

»Fräulein haben recht. Auch Sie möchten uns gern los sein. Das ist natürlich. Aber zu dieser Abrechnung gehört doch einige Sachkenntnis.«

»Macht nichts. Ich werde aufpassen!«

»Nun, mir ist es recht.«

Damit fing er an, Ilonka jene Wissenschaft zu erklären, die man Einkommen-, Grund- und Personalsteuer nennt: wie viel darauf in Friedenszeiten Kriegszuschlag entfällt, wie hoch die Ablösung der öffentlichen Landesarbeit kommt, wie der Hauswirt auch für sein Gesinde zu zahlen schuldig ist, und daß er es ihm vom Lohne abzuziehen hat, von wann an man abgelaufene Zinsen zu bezahlen hat, wie viel Exekutionskosten zu alledem kommen, und endlich, wie viel alles zusammen ausmacht. Ilonka fand sich vortrefflich darin zurecht und ihre eigene Berechnung stimmte mit der des Herrn Gierig.

Dann leerte sie den Inhalt der Börse auf den Tisch und zählte die Dukaten vor. Weiter berechnete sie die Differenz zwischen Metall- und Papiervaluta. Auch über das Agio hatte sie eine kleine Debatte mit Herrn Gierig, bis dieselbe nach den amtlichen Börsenkursen in den Zeitungsblättern vom letzten Datum richtig gestellt wurde; schließlich wurden beide darüber einig, daß der Metallvorrat die Steuerschuld gerade vollständig decke. Herr Gierig stellte auch die ordnungsmäßige Quittung über geleistete Zahlung aus.

Rittmeister Föhnwald, ans Fenster gelehnt, war erstaunt, mit welcher Anmut und mit wieviel Geistesgegenwart dieses Kind ein so schreckliches Geschäft zu Ende führte.

Als dies erledigt war, d. h. als die Quittung sich in Ilonkas Hand befand, und die Dukaten in Herrn Gierigs Kasse, trat Herr Konyecz vor, der, über die Stuhllehne seines Chefs gebeugt, die Rechnung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt hatte, um aufzupassen, ob nicht irgend ein Fehler unterlaufe. Jetzt trat auch er näher heran, und zog etwas hervor, was er bisher hinter seinem Rücken verborgen gehalten hatte. Er spitzte sein breites Maul, und zog die Augenbrauen in die Höhe, wie einer, der von der Vollkommenheit seines Spaßes überzeugt ist, sich aber nicht gestatten will, selbst zuerst darüber zu lachen.

»Und hier noch das kleine Strafgeld, Fräulein!« sprach er, Ilonka eine Zahlungsauflage vorhaltend.

»Was ist das?«

»Sie belieben ja zu sehen!«

Sie sah es denn auch: jene Tabaksblätter, welche ihre Mutter unter die Überzüge der Möbel gesteckt, um die Motten von den Stoffen fern zu halten, hatten den Zorn der staatlichen Vorsehung auf sich gezogen. Man strafte dafür mit fünf Gulden und einigen authentischen Kreuzern.

Das mußte noch bezahlt werden. Ilonka wußte sehr wohl, daß es nichts helfen würde, wenn sie sagte, es sei kein Geld mehr im Hause. Man hätte ihr höchstens geantwortet: »Nun, so warten wir, bis welches da ist.« Herr Konyecz stand mit schadenfrohem Gesichte vor ihr und weidete sich an ihrer Verwirrung.

Da griff Ilonka unversehens in die Tasche, zog ihr Messer hervor und öffnete es. Na, na, dachte Herr Konyecz bei sich, das bedeutet nichts Gutes. Ilonka aber machte sich mit dem Messer über ein Bracelet her, das sie am Arm trug, und das zwölf ungarische Silbersechser und einen Dukaten mit ungarischer Umschrift gefaßt enthielt, wie solche in jener Zeit sehr häufig getragen wurden. Jenen Dukaten nun löste sie mit Hülfe des Messers aus seiner Fassung und warf ihn Konyecz hin. Der ist nun auch bezahlt.

»Weiter sind wir nichts mehr schuldig?«

»Für jetzt nichts, mein Fräulein!« – antwortete Herr Gierig und verneigte sich mit tiefer Höflichkeit. Jetzt wollte er schon den Liebenswürdigen spielen. »Sehen Sie, mein schönes gnädiges Fräulein, warum konnte man nicht gleich damit anfangen? Ich wußte ja, daß es so enden würde. Wäre es nicht besser gewesen, das gleich, mit Vermeidung aller Gehässigkeiten, bei Beginn zu thun? Weshalb die Staatsgewalt zwingen, den Unterthanen gegenüber zu unangenehmen Mitteln greifen zu müssen?«

»Herr Kommissär!« – unterbrach ihn der Rittmeister – »enden Sie Ihre huldvollen Belehrungen kurz, denn ich lasse aufsitzen.«

Dieser mußte in der That aufhören, denn Ilonka ließ ihn stehen und eilte nach der Küche hinaus, um Böschke die Anordnung zu geben, sofort alle weiteren Anordnungen zur Beköstigung der Gäste einzustellen.

»Nun, sehen Sie, Herr Rittmeister, daß ich immer recht habe,« sagte Gierig. »Der Mensch darf nicht sentimental sein. Wir alle sind nur Maschinen, denen es nicht gestattet ist, zu fühlen und zu denken. Wir haben nur die Aufgaben zu erfüllen, zu welchen uns die Lenker der Staatsmaschine zu verwenden für gut finden.«

Jedoch Föhnwald hatte schon die Hälfte dieser Rede nicht mehr gehört; er eilte hinaus zu seinem Pferde, und gab den Soldaten Befehl, abzureiten. Herr Konyecz, der Kommissär und die Gensdarmen beeilten sich gleichfalls, ihren Vorspann in Bewegung zu bringen. Es wäre keine richtige Taktik, noch länger zu verweilen, nachdem das Militär abgezogen. Aber während Herr Konyecz anspannen ließ, stand Herr Gierig mit lustig heiterem Gesichte auf dem Flur, wie ein geliebter Hausfreund, den die Bewohner des Hauses ungern von sich lassen, der sich aber dennoch zur Reise anschickt, und ewig unvergeßliche Erinnerungen an die schönen Tage mit sich nimmt.

*

 


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