Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Der zweite Narr,
der in eine Königin verliebt ist.

(Auch eine Selbstbiographie.)

 

Im Schaufenster irgend einer Pester Kunsthandlung frappierte mich einmal eine Photographie. Es war das Bild einer schwarzgekleideten Dame, ein wahres Madonnengesicht. Den Kopf umhüllte ein schwarzer Schleier, den schwarzen Schleier aber hielt vorn eine weiße Hand zusammen. Doch wenn auch den Zügen nach das Gesicht das einer Madonna war, seinem Ausdrucke nach glich es eher einem Mädchen von Saragossa, einer Jungfrau von Orleans. In den Augen lag eine Leidenschaft, deren Gegenstand nichts Irdisches ist, und um die Lippen ein Zug, der nicht dem Glücke eigen.

Ich ging zum Kunsthändler hinein, um die Photographie zu kaufen. Er hatte noch zehn Stück davon. Ich kaufte alle zehn. Ich bat ihn, er möchte keins mehr davon in das Schaufenster stellen.

»Wessen Porträt ist das?«

Der Kunsthändler lächelte und fragte, warum ich das wissen wolle.

»Weil ich diese Dame sehen muß, wenn sie irgendwo auf Erden zu sehen ist.«

Der Kunsthändler lächelte jetzt noch ironischer und erwiderte: »Das wird schwer gehen, mein Herr; fürs erste deshalb, weil diese Dame eine Königin ist, – zweitens deshalb, weil diese Dame eine Königin ist, die nicht nur selber einen jungen Gemahl hat, sondern sogar einen Gemahl, der gerade in diesem Augenblick einer anderen Königin hofiert, und zwar mit glühenden Bomben und Granaten, die er ihr zu Füßen wirft, während sie die königlichen Geschenke ihm zurückschleudert.«

Nun kam an den Kunsthändler die Reihe des Erstaunens, als ich, statt bei dieser Entdeckung den Kopf tief in den Rockkragen zurückzuziehen und, den Hut tief in die Stirn gedrückt, sacht abzuziehen, wie er erwartet haben mochte, bei jedem neuen Worte röter und erregter wurde und meine Augen von innerer Glut zu funkeln begannen. Und als ich endlich erfuhr, wer jene Dame sei, drückte ich ihr Bild begeistert an meine Brust und rief: »Jawohl, ja! ich hatte es mir immer gedacht, daß sie eine Königin, eine Heldin sein müsse, und jetzt schwöre ich darauf, daß ich sie sehen werde, gehe ich nicht auf dem Wege zu ihr zu Grunde!«

Und von jetzt ab fing ich zu laufen an.

Ich lief nicht nur auf den Straßen und mit Benutzung aller möglichen Reisegelegenheiten, sondern auch in der Luft, im Monde, in den Regionen der Einbildungskraft. Ich lief meinen früheren Überzeugungen davon, meinen gesetzten Verwandten, einem Teile meines Vermögens, meiner gesunden Vernunft, ja sogar einem meiner Beine aus meiner kurzen Jugend.

Denn vor vier Jahren war ich weder schon grau noch lahm, noch reaktionär.

Zuerst also entlief ich meinen Sympathien für den Italiener; – wenn sie Garibaldi anbeten, so bete ich Crocco an. Ich dringe hinein in die belagerte Festung und müßte ich durch ein Meer von Blut schwimmen, und ich werde dort kämpfen für diese Dame – und fallen. Doch sie muß es erfahren, daß ich für sie gefallen bin.

Die Geschichte, die ich zu erzählen habe, ist, um die Wahrheit zu sagen, so unglaublich, daß ich sie einem andern nicht glauben würde. Sie ist mir aber so wahrhaftig passiert, daß, wollte ich es auch, ich nichts von ihr ableugnen könnte, denn mein halber Kopf und mein halbes Bein würden als Zeugen gegen mich auftreten.

Daheim sagte ich niemand, wohin ich ging. Aber ich nahm überall Geld auf, wo man es mir kreditierte. Ich sagte, ich habe einen großartigen Güterankauf vor. Dann fuhr ich in aller Stille nach Triest, bestieg dort den ersten italienischen Dampfer, der nach Ancona ging und erreichte auf ihm die italienische Küste so glücklich, daß uns der Sturm an einen Felsen schleuderte und ich nichts von meinen Sachen rettete, als die Wechsel, welche ich im Gürtel stecken hatte.

Nun, den Einen Nutzen brachte mir jedenfalls der Schiffbruch, daß ich mir meinen Paß nicht visieren zu lassen brauchte und daß ich nicht ausgeraubt wurde, bis ich nach Rom kam.

Als ich dort eintraf, waren die legitimistischen Freischaren schon in voller Organisation begriffen, um zum Entsatze des belagerten Gaëta in den Abruzzen einzufallen. Ich traf dort einige meiner Pariser Bekannten aus der jeunesse dorée, die gleichfalls die erhabene Idee hingeführt hatte, einer bedrängten Frau zu Hülfe zu eilen. Wir alle ritzten uns die Anfangsbuchstaben ihres Namens mit der königlichen Krone in die rechte Hand. Die Italiener verstehen sich vortrefflich darauf. Man reibt die aus feinen Nadelstichen gebildeten Buchstaben mit einer roten Farbe ein und diese Tätowierung bleibt bis in den Tod.

Ich vertraute den mir befreundeten Bekannten meinen Plan an, eine Freischar zu errichten und selbst zu kommandieren. Derselbe fand lebhaften Beifall. Sie machten sogleich ein Lokal für meine Werberkanzlei ausfindig, verschafften mir einen Impresario, und die notwendigen Beziehungen zu Waffenlieferanten und Seelenverkäufern, und ich konnte jeden Abend an der Minderung meiner Barschaft mit Entzücken wahrnehmen, wie stark sich meine Schar vermehrt hatte.

Es waren schmucke, sonnengebräunte Bursche in romantischen Kostümen; jeder einzelne von ihnen hatte eine andere Kopfbedeckung; Stiefel gehörten bei uns zur Seltenheit. Ihre Glieder deckten Kleider nur sehr spärlich, und auch diese standen mit einander nur in sehr losem Zusammenhangs. Bei uns würde man in der Bauernsprache gesagt haben, es seien höchst zerlumpte Kerle. Wer sieht aber so etwas bei Kämpfern um die gute Sache!

Vorsichtshalber ließ ich indes dennoch einem jeden die Haare scheeren.

Meine Pariser bourbonistischen Freunde aus dem Quartier St. Germain rieten mir, meine Schar auf wenigstens zweihundert anwachsen zu lassen, und nachdem ich sie durch einige Wochen in den Waffen geübt haben würde, mich dem Banner des ausgezeichneten Führers Rossolino Pilo anzuschließen. Das konnte ich indes nicht acceptieren, denn ich machte die Erfahrung, daß, wenn ich an einem Tage dreißig angeworben hatte, andern Tags zwanzig davon fehlten, was ich geneigt bin, ihrer Zerstreutheit zuzuschreiben, an der wahrscheinlich das italienische Klima Schuld ist. Deshalb beschloß ich, sobald vierundsechszig Mann beisammen sein würden, mit diesen sofort nach der Grenze aufzubrechen.

Diese Zahl vierundsechszig war für mich eine strategische Zahl. Jeder Teil der Truppe läßt sich beständig in vier Teile teilen. Darauf basierte ich einen eignen Operationsplan. Die Armee verdoppelt sich nach jedem Treffen, bis sie zuletzt den Feind überflügelt.

Ich kaufte für jeden Mann einen prächtigen Karabiner, zwei Pistolen und ein Haubajonet; das Übrige mußte von selbst kommen. Ich persönlich wußte ja von der Kriegswissenschaft gleichfalls nicht mehr, als was man sich auf dem Schachbrette oder in der Napoleonpatience aneignen kann. Und das genügte auch wirklich!

Was meine Person betrifft, verstehe ich mich von Hause her gut auf Schießen und Fechten. Geht's in die Schlacht hinein, so setzt man voraus, daß der Feind von all diesen Dingen nichts versteht. Das gebiert dann das Selbstvertrauen.

Meine Truppe besaß auch einen Trompeter, der ein sehr guter Junge war, nur daß er stets eine Extra-Portion Rum haben mußte, weil ihm die Kehle gleich austrocknete.

Von Rom aus erreichten wir spät abends das nächste Grenzdorf, wo Rossolino Pilo sein Hauptquartier hielt. Ich beeilte mich, sowohl mich, wie meine Truppe dem Generalissimus vorzustellen.

Der Oberfeldherr war von kleiner, gedrungener Statur und – was mir an ihm als Italiener sehr auffiel, stark blond. Nun, gleichviel! Wer sieht auf die Farbe, wenn nur das Herz am rechten Flecke ist. Ich trug ihm meinen Entschluß vor, mich mit meiner kleinen Schar für die gerechte Sache bis auf den letzten Blutstropfen zu schlagen; darum flehe ich ihn aufs inständigste an, mich und meine Leute zuerst in den beginnenden Kampf zu schicken.

Der Generalissimus lachte laut auf, als ich diesen Wunsch aussprach.

»Dieser Monsieur ist sehr naiv! Das wäre ganz hübsch, zuerst einzufallen und uns die Beute wegzuschnappen.«

Ich war ganz verblüfft über diese Worte. Dann erwiderte ich dem Generalissimus mit ganzer Entrüstung: »Mein Herr, ich kam nicht hierher, um zu rauben, sondern für die gerechte Sache zu kämpfen.«

Der Kommandant zuckte die Achseln und blökte mir zwei Reihen schöner weißer Zähne entgegen – ich möchte wetten, daß er lächelte.

»Schon gut,« sagte er dann, »bleiben Sie also beim Depot und bewachen Sie die Bagage und die Verwundeten.«

Nun ja, ich war expreß hierher gekommen, um die Bagage zu bewachen! Der Kommandant sagte mir aber gerade heraus, anders könne er mein Unternehmen nicht autorisieren, als wenn ich mich verpflichte, den vierten Teil der Beute, die ich machen würde, und siebenzig Prozent von dem Lösegeld der Gefangenen – da das schwer einzutreiben – ihm abzuliefern.

Ich wußte nicht, wie ich das verstehen sollte.

»Mein Herr,« sagte ich ihm, »wir werden doch von den Kriegsgefangenen kein Lösegeld nehmen? Wer würde es uns denn auszahlen?«

»Es ist auch nicht gerade von Kriegsgefangenen die Rede,« erklärte der Anführer, »allein es könnte sich treffen, daß ein und der andere reiche Pächter, irgend ein Herr oder eine Dame von Distinktion uns durch unsere Kriegsoperationen in die Hände fielen; die haben dann Verwandte, die sich mit Freuden nötigen lassen, gewisse Summen zu entbehren – welche die Helden für die gerechte Sache zu besseren Zwecken zu verwenden wissen – nur um die geliebten Personen mit heiler Haut wieder zurück zu erhalten.«

Diese Art der Kriegführung gewann nicht im geringsten meinen Beifall. Ich antwortete einfach: »Addio Signor,« und schickte mich an, mit meinem Quartiermeister Trivulzio für meine Leute Wohnung zu suchen.

Denn Italiens Himmel ist ohne Widerspruch ein sehr poetischer so lange es nicht regnet; nur daß gerade jetzt der Regen in Strömen fiel. In jedem Dorfe waren schon alle Häuser mit frühe Angekommenen vollgestopft und meine ganze Quartiermeisterkunst konnte sich auf nichts weiter erstrecken, als das Segeltuch, das ich mir als Zelt mitgenommen hatte, außen auf dem Rasen ausspannen zu lassen.

»Kapitano!« sagte, mir mit dem Ellbogen in die Seite stoßend Trivulzio, als wir draußen an der Markscheide des Dorfes waren, »ich sage Ihnen bloß, schlagen wir hier kein Lager auf, sondern zünden wir Wachtfeuer an, und während dann alle Welt glauben wird, daß wir uns hier die Glieder wärmen, führe ich Sie im Dunkel der Nacht, im Regen über unbekannte Bergschluchten in das Land der Verheißung und wir beginnen das Unternehmen auf eigene Faust.«

»Aber wie sollten wir einen so kühnen Anschlag ausführen ohne Wissen und Willen des Oberanführers? Was würde Rossolino Pilo dazu sagen?«

Trivulzio lachte laut auf. »Ei, jener ist ja nicht Rossolino Pilo, sondern Crocco der Ohrenabschneider. Er wurde gerade jetzt aus dem Bagno entlassen. Hier führt jeder den Namen eines berühmten Mannes. Glauben Sie denn, daß man mich daheim Trivulzio ruft? Auch Sie würden besser daran thun, sich irgend einen berühmten Namen beizulegen. Sie haben vollständig das Aussehen eines Engländers, Kapitano: nennen Sie sich Wiseman, der Name hat hier zu Lande einen guten Klang.«

Ich mußte den Schwätzer unterbrechen. Und fragte ihn: »Also glaubst Du nicht, daß wir an die Befehle dieses Truppenführers gebunden sind?«

»Ebensowenig, als an die eines anderen, Signor Kapitano! Machen Sie sich darauf gefaßt, daß Sie Leuten mit noch größeren Namen begegnen werden. Verwundern Sie sich auch nicht, treffen Sie einmal mit König Franz selber zusammen, denn es giebt Unverschämte, die auch seinen Namen annehmen. Aber ich kenne meine Leute. Ja, es könnte sich sogar ereignen, daß irgend eine Abenteurerin Sie unter dem Namen der heldenmütigen Königin selbst hintergehen will. Kapitano, hüten Sie sich vor schönen Weibern.«

Beinahe wäre meinen Lippen der Ausruf entschlüpft: »O, die werde ich schon erkennen! ist doch meine ganze Seele erfüllt von ihrem Bilde.«

Ich fand also volle Beruhigung in dem glücklichen Zufall, daß mir mein guter Stern einen rechtschaffenen, begeisterten Kriegsmann zugeführt hatte, der statt meiner Schlauheit genug besaß, die Ränke von allerlei schlechten Leuten zu durchkreuzen; und so vertraute ich ihm denn an, er möge meine Truppen den Weg führen, auf dem er hoffte, daß wir das Ziel am sichersten erreichen. Wir brachen noch in derselben Nacht nach den Gebirgen auf.

Drei Tage und Nächte lang geleitete uns Trivulzio auf fabelhaft unwegsamen Bergschluchten durch romantische Wildnisse über unüberbrückte Wildbäche, während welcher Zeit wir uns nur von grünen Erbsen und rotem Kohl nährten. Und am Ende von drei Tagen war meine ganze Truppe samt mir so abgerissen, als sie gewesen, bevor ich jeden Mann neu uniformiert hatte.

Auf den Feind, das ist wahr, stießen wir in der ganzen Zeit nicht, freilich war es auch nicht im mindesten wahrscheinlich, daß dem Feinde der absonderlich tolle Einfall kommen könnte, auf denselben Wegen, die wir eingeschlagen hatten, uns entgegen zu spazieren.

Am Abend des dritten Tages erreichten wir auf unserem Marsche das erste Dorf. Dort quartierten wir uns ein. Die Dorfbewohner hatten sich samt ihrem Geistlichen in die Wälder geflüchtet: so groß war die Sympathie für uns. Immerhin aber blieben so viel Ziegen zurück, als zu einem Abendessen für meine Truppe hinreichten.

Während man dies zubereitete, breitete ich meine Landkarte auf dem Tische aus, um mich zu orientieren, welchen Weg wir bisher zurückgelegt hatten, und wo wir uns jetzt befanden.

Vor Wut sprang ich beinahe an die Decke.

» Corpo di diavolo! Du Trivu1tio! Du can maledetto! Du hast uns ja drei Tage und drei Nächte bloß deshalb in der Irre umhergeführt, damit wir heute Abend vier Miglien weiter von Gaëta entfernt sind, als wir es bei unserem Aufbruch waren!«

Er lachte mich noch aus.

»Ei, Kapitano! Das nennt man eine Diversion, welche den Feind gleichfalls zu einer entsprechenden Diversion nötigen wird.«

»Ich bin aber nicht hierher gekommen, um mit dem Feinde Menuette zu tanzen. Ich will direkt auf ihn losbrechen. Ich bin hergekommen, um zu kämpfen, nicht aber beim Bergklettern mir Löcher in die Hosenkniee zu wetzen und grüne Erbsen roh zu essen. Sieh zu, daß Du uns ans Ziel bringst, oder ich jage Dich in die Hölle, und Du kannst noch Gott danken, wenn ich Dich nicht niederschieße, wie einen Hund; dann werde ich meine Schar selbst der Nase nach führen, wo ich auf meiner Karte eine Landstraße sehe.«

Das war deutlich und verständlich genug zu Signor Trivulzio gesprochen, der denn auch keine Einwendung mehr erhob, sondern sich gehorsam fügte und gelobte, mich lieber gleich morgen mitten in die Feinde hinein zu führen. Er hielt Wort. Am andern Morgen rückten wir bei Hellem Sonnenschein auf betretener Landstraße aus, und. diesmal, wie ich es nach meinem Kompaß sehen konnte, in der Richtung nach der Seeküste zu.

Der Erfolg unseres ersten Campagnetages war ein überraschender.

So viele Dörfer und Weiler wir passierten, überall an den Häusern flatterte bereits die italienische Trikolore Die Bevölkerung war in vollem Aufruhr gegen die legitime Dynastie. Unser bloßes Erscheinen dämpfte überall diese schändliche Empörung. Ich ließ also gleich die Trikoloren mit bourbonischen Farben austauschen und nahm den Richtern und Ältesten das Gelübde der Treue für die Dynastie ab; aus der waffenfähigen Jugend suchte ich mir die Tüchtigsten heraus, welche mit uns in den Kampf zu ziehen versprachen. An allen Punkten »kam, sah und siegte« ich. Nichts konnte meinen Siegeszug aufhalten. Als ich am andern Tage in der Mittagsstunde mit meiner, auf beiläufig hundert Mann angewachsenen Legion im Thale eines Gebirgsbaches aufwärts zog, versperrte plötzlich eine Mühle uns den Weg.

Die Mühle war quer über den Bergeinschnitt gebaut, so daß sie sowohl den Bach, als auch die Straße überbrückte. Der Bach lief unter den Rädern, der Weg durch ihre Thore hindurch.

Die Thore aber waren geschlossen.

Und aus den Fenstern der Mühle wehte sehr herausfordernd eine lange, bis zur Erde herabreichende, dreifarbige Fahne.

»Kapitano!« sagte mein Trivulzio, »wir sind hier in eine garstige Sackgasse geraten, das ist die Rampognoso-Mühle. Ich hatte auf sie als sicheres Quartier gerechnet, in dem wir ausruhen könnten. Der alte Müller war einer unserer Getreuesten und jetzt empfängt auch er uns mit der revolutionären Fahne. Wahrscheinlich ist die junge Frau daran schuld, welche sein Sohn aus der Romagna ins Haus gebracht hat. Diese Weibsbilder sind alle Exaltados und Italianissimi. Wir müssen entweder umkehren, oder die Mühle mit Sturm nehmen.«

»Eselei!« erwiderte ich Trivulzio, »eine Mühle! mit der werden wir fertig! Der Müller hat die Trikolore nur herausgesteckt, weil er in irgend einer Zeitung gelesen, daß das jetzt Mode sei; wir lassen ihm einfach sagen, er möge sie herabnehmen und die Thore öffnen, so wird er gleich zur Raison kommen. Geh hin und fordere ihn dazu auf.«

Trivulzio hatte zu viel Verstand, um diesem Befehle zu gehorchen; statt dessen suchte er sich einen jungen Burschen aus der Truppe heraus und schickte ihn mit der Botschaft in die Mühle, Fra Trivulzio lasse den Meister Rampognoso schön grüßen und ob er nicht gestatten wolle, daß er einen Sack Mais nach der Mühle trage, um ihn zu vermahlen? Wir blieben indes in der Felsschlucht stehen und erwarteten den Erfolg der Botschaft.

Das massive Mühlgebäude lag ungefähr fünfhundert Schritt vor uns. Wegen des Lärms der Mühle konnten wir den Diskurs zwischen den Bewohnern vom Rampognioso und unserem Boten nicht verstehen; doch sah ich deutlich, wie aus einem Fenster der Mühlenbastei plötzlich eine weiße Hand und ein weißer Arm sich hervorstreckten und unserm Parlamentär einen Topf mit siedendem Wasser über den Kopf gossen.

Dieser kam brüllend zurückgelaufen und zeigte uns als Antwort die Brandblasen an dem entblößten Arm und den nackten Schultern.

» Eh bien!« sagte ich mit der Ruhe eines Feldherrn, »öffnet der Müller das Thor nicht, so werden wir es uns selbst öffnen.«

Und damit zog ich, um meine Feldherrntalente zu beweisen, den Säbel, gab dem Trompeter Befehl zum Marschblasen und stellte mich kühn an die Spitze meiner Truppe, auf die feindliche Mühle losgehend.

Als wir uns derselben auf ungefähr fünfzig Schritte genähert hatten, fielen aus dem Fenster zwei Schüsse, von denen einer traf. Und zwar erhielt ihn derselbe junge Bursche, welchen sie vorher schon abgebrüht hatten. Die Kugel ging ihm in den Schenkel und er stürzte zusammen.

Nach diesen zwei Schüssen riß meine Truppe so schleunig aus, daß ich allein mit dem Verwundeten zurückblieb. Ich mußte ihn auf den Rücken laden und den Übrigen nachschleppen. Und diese blieben nicht eher stehen, als bei jenem vorspringenden Fels, hinter welchem sie vor weiteren Schüssen aus der Mühle gedeckt waren. Es wurde indes nicht mehr aus derselben geschossen.

»Nun, Ihr seid mir schöne Helden!« belobte ich sie, »jetzt thut es mir wirklich leid, nicht gleich zu Anfang Trivulzios Rat befolgt zu haben und von der Mühle auf den breiteren Weg zurückgekehrt zu sein.«

»Jetzt werden wir nicht mehr umkehren!« sagte Trivulzio finster.

»Nein, gewiß nicht, Kapitano!« versicherte ein banditenmäßig aussehender, bis ans Auge hinauf bärtiger Bursche, indem er den Kolben der Flinte auf den Boden stieß.

»Jetzt ist bereits Blut geflossen, und Blut will Blut.«

»Aber was soll dann geschehen, wenn wir hier bleiben?«

»Warten wir die Nacht ab, und dann werden Sie schon sehen, was geschieht.«

Damit traten die Männer einer nach dem andern zu dem in seinem Blute sich wälzenden Verwundeten, tauchten den Zeigefinger in das ausströmende Blut und betupften sich damit an vier Stellen: an der Stirn, den beiden Armen und der Brust, wie man das Kreuz zu machen pflegt. Acht Männer aber trennten sich von den Übrigen und verschwanden wortlos im Walde. Die Übrigen blieben bei mir und verbrachten bis tief in die Nacht in stummem Brüten die Zeit. Eine Stunde vor Mitternacht sahen wir auf der Höhe des Gebirgsweges drei Feuer auflodern. »Das sind sie!« flüsterte mir Trivulzio ins Ohr. Und nach wenigen Minuten schien es, als ob langschwänzige brennende Meteore aus der Höhe herabflögen. Das waren Harzbrände, welche unsere Leute von der Bergwand herab auf die Mühle schleuderten.

Trivulzio erklärte mir, wie.

Sie biegen einen elastischen jungen Baum bis zum Boden nieder und binden ihn an einen Pfahl; dann binden sie an seinen Gipfel ein Bündel Cypressenzweige und in die Mitte des Bündels wird, um ihm Gewicht zu geben, ein Stein befestigt, hierauf aber zünden sie es an. Sowie die Flamme den Strick des Pfahles durchbrannt hat, wird der niedergebundene Baum frei und schleudert mit seinem zurückschnellenden Wipfel das brennende Cypressenbündel weit fort. Es war nicht schwer, diesen feurigen Geschossen die Richtung auf die belagerte Mühle zu geben.

Es war ein prächtiges und aufregendes Schauspiel: eine eigentümliche neue Belagerungsmethode. Neu vielleicht deshalb, weil sie schon so alt ist. Sie stammt noch aus der hetrurischen Kriegsführung her.

Die brennenden Raketen fielen dicht auf die Mühle nieder und streuten ringsum zahllose Funken. Hier und da hatte sich das Gestrüpp bereits an ihnen entzündet, und warf einen scharfen Schein auf die Seitenmauern der Mühle. Da traf plötzlich ein gutgezielter Schuß das Dach derselben. In einer Minute stand es in Flammen. Und nun stürzten wir auf gegebenes Kommando aus unsern Verstecken hervor und begannen auf die Fenster der Mühle zu feuern. Die Schüsse wurden indes nicht erwidert. Die Erstürmung war eine leichte Sache. Die Inwohner der Mühle beschäftigten sich mit Löschen und wir drangen diesmal mit heiler Haut bis ans Thor vor. Ein schon früher gefällter Baumstamm, von zehn Männern getragen, diente uns als Widder, mit dem wir die hölzernen Thorflügel einstießen. Unter wildem Gebrüll stürzten meine Leute in den Hof hinein.

Der Taumel des Gefechts berauschte auch mich. Es war der erste Kampf, an dem ich Teil nahm. Bei Mitternacht und Feuerschein, umtobt von wüstem Lärm fremder Stimmen, fremder Leidenschaften. Ich war unter den Ersten, welche durch das eingestoßene Thor in den Hof der Mühle hineinstürzten. Vom Flur der Mühle her empfingen uns Schüsse. Die bedrängten Inwohner wehrten sich verzweifelt. Aber die Verteidigung dauerte nicht lange. Ein paar entschlossene Burschen kletterten auf das Flurdach und begannen von dort auf die Verteidiger zu schießen. Da mit einemmal stürzte das brennende Hausdach ein und begrub die darunter zurückgedrängten Verteidiger. Wer dieselben, und wieviel ihrer gewesen, habe ich nie erfahren. Ihr Todesgeschrei erstickte bald im Feuer und Rauch. Das Innere der Mühle wurde nun mit einemmal furchtbar erhellt und die Flammen schlugen zu allen Fenstern heraus. Bei der geisterhaften Beleuchtung stieg an den hohen Stufen der Feuermauer eine weiße Frauengestalt aus dem Innern der Mühle empor. Sie konnte nur mit der einen Hand sich festhalten, denn mit der andern drückte sie einen Säugling an die Brust. Es war eine herrliche junge Frau; ihr aufgelöstes schwarzes Haar flatterte wild um die weißen Schultern. Als sie den Giebel der Feuermauer erreicht hatte, beugte sie sich darüber hinweg und schaute mit verstörten Blicken herab auf uns und auf das unter ihr wogende Feuermeer.

»Dieser Frau muß Hülfe werden!« rief ich Trivulzio zu. »Um jeden Preis!« »Gut, ich werde ihr helfen,« sagte er, kroch ihr auf der Feuermauer nach, und als er sie erreicht hatte, faßte er sie am Arme und stürzte sie hinab in die prasselnde Glut. Aber die Frau fiel nicht ins Feuer, sondern blieb mit ihrem Gewand an einem vorstehenden Eisenhaken hängen.

Und ich sah sie dort in der Luft schweben, ihr Kind immer noch umklammert haltend, bis die Flammen sie erreichten und sie hinabstürzten in die Lohe; und ich mußte ihr bluterstarrendes Jammergeschrei anhören, in das sich das Wimmern des Säuglings mischte.

Was die Sterbende in diesem Augenblick empfand, empfinde ich seitdem beständig in furchtbarem Schauder und werde es nachfühlen bis an meinen Tod.

Als ich mir am andern Morgen in der Steinmulde einer Quelle den Ruß vom Gesicht wusch, war ich vor mir selber erschrocken. Die eine Seite des Kopfes und des Bartes zeigte sich voll grauer Haare. Ich war plötzlich grau geworden von dem Schrecken der gestrigen Nacht. Beständig schwebte mir das Antlitz der gemarterten Frauengestalt vor. Ich zog jenes Bildnis aus meiner Brust, das mich hierher geführt; es sollte meiner Seele Trost geben. War doch auch dies Schreckliche zu ihrer Rettung geschehen. Umsonst! – jenes zuckende Todesantlitz drängte sich zwischen meine Augen und das Bildnis, und wachend wie träumend sah ich nur jenes. O Madonna, nimm diese Erinnerung von mir!

Wenn ich nur auch so leicht vergessen könnte, wie meine Spießgesellen, die vor dem ersten besten Madonnenbilde mit gefalteten blutigen Händen ihre Sünden abbeten; und dann ist alles bei ihnen gut – im Herzen.

Ich machte Trivulzio Vorwürfe über seine unsinnige Grausamkeit.

»O Kapitano! reden Sie da nicht hinein. Bei uns ist das Weibervolk ein schlauerer Feind als die Männer. Wenn Sie hinter unserem Rücken an den Weibern Gnade üben, so werden Sie es bald inne werden, daß Sie zwischen doppeltes Feuer gerieten. Uns muß ein Schreckensruf vorausgehen. Breitet sich vor uns das Gerücht aus, wir seien gutmütige, barmherzige Burschen, dann wird man von allen Seiten über uns herfallen. Aber wenn sie erfahren, daß wir niemanden verschonen, so merken sie bald, daß mit uns nicht zu spaßen ist.«

So brannten wir denn während vierzehn Tagen noch an zwanzig Meierhöfe und ländliche Herrschaftsvillen nieder; der mit leichter Mühe gebrandschatzten Dörfer nicht zu gedenken, welche zahlten, nur damit wir weiter zögen.

Im letzten Dorfe, in dem wir am vierzehnten Tage unverhofft erschienen, fand ich an der Kirchenthür zwei Plakate neben einander angeschlagen. Auf beiden erblickte ich im Text meinen Namen mit fetten Lettern gedruckt.

Die eine Proklamation war von dem piemontesischen Brigadier, welcher mich mit dem Titel eines Brigantenanführers beehrte und mich aufzuhängen befahl, wo man meiner habhaft werde; die andere dagegen war von Crocco, in welcher er mich meines Ungehorsams wegen proskribierte und mir versprach, wo immer er mich erwische, mich als einen seine Feldherrnpläne störenden Rebellen erschießen zu lassen. Beide Proklamationen habe ich unter meinen Souvenirs aufbewahrt.

Mochte ich also vorwärts gehen oder zurück; der Lohn war derselbe. Ich entschloß mich vorwärts zu gehen.

Wir waren unterdes Gaëta schon so nahe gekommen, daß wir die Lagerfeuer der piemontesischen Cernierungslinie sehen konnten und in blauer Ferne glänzten uns die Zinnen der halb vom Meere umschlossenen Feste entgegen.

Meine tollkühne Schar hatte sich inzwischen auf einige hundert vermehrt. Wie viel unserer waren, konnte ich sogleich nie genau berechnen, weil sich ein Teil meiner Leute stets auf Streifzügen befand.

Am letzten Tage rief ich sie zusammen und haranguierte sie eindringlich. Wer den Mut habe, mir zu folgen, der folge. Jetzt ständen wir am Ziele. Wir wollten in der Nacht versuchen, die Cernierungslinie des Feindes zu durchbrechen, und der Festung die Nachricht des zum Ersatz heranrückenden Heeres bringen. Um unseren Zweck zu erreichen, sei es nötig, das Festungskommando zu verständigen, damit es uns durch einen gleichzeitig unternommenen Ausfall die Hand reiche. Wer wollte es unternehmen, sich durch den Feind in die Festung zu schleichen?

Trivulzio sagte, er werde das thun. Er verkleidete sich als Bauer aus den Abruzzen, und belud einen Maulesel mit Lebensmitteln und trieb ihn hinab in das piemontesische Lager. Das verabredete Zeichen war das Aufsteigen einer weißen Rakete Mitternachts von den uns gegenüberliegenden Wällen Gaëtas.

Also nun war ich bereits in ihrer Nähe! Es lag nur noch ein kurzer Kampf auf Leben und Tod dazwischen, um vor ihr niederknieen und zu ihr sagen zu können: »Herrin, ich habe Deinetwillen Heimat, Glauben, Glück verlassen, um für Dich in den Tod zu ziehen.«

Ich konnte kaum die Mitternacht und das Signal erwarten.

Die Rakete stieg in der That von dem Festungswalle auf. Trivulzio war also glücklich hineingelangt.

Ich dirigierte hierauf meine den ganzen Tag über versteckt gehaltene Truppe in raschem Marsche gegen die feindliche Cernierungslinie. Es war dies eine wahnsinnige Kühnheit, die aber beinahe gelang. Der überraschte Feind konnte in der Dunkelheit unsere Zahl nicht unterscheiden und öffnete uns förmlich einen Weg: wir drangen tiraillierend beständig vorwärts, und es fehlten nur noch fünf Minuten, um uns mit dem neapolitanischen Truppendetachement, das uns entgegenzog, die Hand zu reichen; – da durchbohrte eine unglückselige Kugel mir den Schenkel. Ich stürzte zusammen, und sowie meine Krieger mich fallen sahen, nahmen sie Reißaus. Sie ließen mich am Boden liegen und liefen den Piemontesen in den Rachen. Ich natürlich konnte auch dorthin nicht mitlaufen.

Fünf Minuten darauf hing ich an einem Baume. Die Prozedur beschreibe ich nicht. Man sagt, es sei das ein angenehmes Gefühl.

Ich habe das nicht gefunden. Als ich die Augen öffnete, fand ich mich in einem gewölbten Zimmer im Bette liegend. Ein kleines, stark vergittertes Fenster warf durch die zwei Klaftern dicke Mauer Licht in die Stube. Neben mir, auf einer langen Reihe von Betten lagen noch viele andere, die ich nicht kannte. Aber in der am Kopfe meines Bettes kauernden Gestalt erkannte ich Trivulzio.

»Wo bin ich?« frug ich matt. »In Gaëta, Signor.« Bei diesem Namen durchzuckte plötzlich ein magnetischer Strom alle meine Glieder. »Ja gewiß, wir haben uns besser geschlagen, als Ihre nichtsnutzigen Lumpen, und wir trafen noch rechtzeitig ein, um Sie vom Baume herunter zu holen. Sie waren in einer verdammt schlechten Situation. Aber werfen Sie sich nicht so im Bett herum, Signor, sonst zerreißen Ihre Verbände.«

Da erst gewahrte ich, daß mir ein Bein fehlte. »Wo ist mein linker Fuß?« »Trösten Sie sich, Signor, ich habe dem Wundarzt gesagt, daß Sie ein reicher Nobile aus Asien oder aus der Wallachei, oder was weiß ich, wo sonst her seien, der sich seinen Fuß als Andenken mitnehmen wird; der Doktor hat ihn daher in Spiritus bei Seite gesetzt.«

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Aber immerhin war ich doch am Ziel. Ich befand mich hier in ihrer Nähe. Möglich, daß sie jetzt gerade über meinem Haupte dahinwandelt; wie beseligend ist dies Bewußtsein! Ich richtete an Trivulzio eine schüchterne Frage: »Was weißt Du von der Königin?«

»O, Signor, das ist eine Heldin. Sie war schon zweimal hier, um sich nach Ihnen zu erkundigen.«

»Und ich schlief?«

»Und zwar fest. Es ist erst eine Stunde her, daß das Bombardement aufhörte, und Sie müssen einen guten Schlaf gehabt haben, daß Sie darüber nicht erwacht sind. Seitdem hat man wieder neue Verwundete gebracht, und so wird die Königin gewiß bald wiederkommen. Ihre Majestät pflegen sich täglich nach den schwerer Verwundeten zu erkundigen. Ich kann sagen, daß Ihr Fall Ihre Majestät besonders interessiert; sie hat auch mit mir freundlich gesprochen, als sie erfuhr, daß ich Sie pflege.«

Ich griff in meine Brust. Das Bildnis war auch dort. Sie hatten es mir nicht genommen, als sie mich aufhingen. Es war eine Vorahnung, die mir zuflüsterte, es in ein einfaches Medaillon von Horn fassen zu lassen, welches die Habgier nicht reizt.

So war ich denn endlich am Zielpunkt meiner Wünsche.

Zwar nur mit einem Fuße und einem halbergrauten Kopfe, das ist wahr, aber ich war doch am Ziele. Mein Ideal war eine Königin, und dieser Königin zarte weiße Hand hatte bereits zweimal meine glühende Stirn berührt. Bald sollte ich sie von Auge zu Auge sehen – war das nicht ein reicher Ersatz für alles, was ich ausgestanden?

Nachmittags machten sich die Feldscheerer viel zu schaffen mit uns. Bei jedem Kranken wurde die reinere Seite seines Kopfkissens nach oben gewendet, und die gar zu sehr lamentierten, bekamen doppelte Portionen Opium, um mit ihrem Schicksal zufrieden gestellt zu sein. Es hieß, die Königin werde die Verwundeten besuchen.

Mich verlangte nach keinerlei Mohnsaft. Trotz meines Wundfiebers wußte ich mich bei vollem Bewußtsein zu erhalten und trug, falls ich einschlummern sollte, Trivulzio auf, wenn die Königin käme, mich sofort zu wecken.

Solch ein Einschlafen stand aber bei mir sehr leicht zu befürchten. Die vielen Aderlässe und die Nachwirkung des Chloroforms stimmten meine Nerven beständig zur Schläfrigkeit herab, die dann beim Erwachen um so gereizter waren. Ich befand mich in einem unaufhörlichen Traumleben, mochte ich nun schlafen oder wachen, und unausgesetzt schwebte mir das glänzende Traumbild vor, dessen Kopie ich auf der Brust trug.

Ich vermag jetzt zwischen meinen Visionen von damals im wachenden und träumenden Zustande keinen Unterschied zu machen, doch glaube ich, daß es Wirklichkeit war, als die schwere Thür der Kasematte sich öffnete und aus ihr wie eine vom Glorienschein umgossene himmlische Gestalt, eine königliche Erscheinung die Stufen herunterstieg. Eine Frau mit dem Antlitze der Engel und dem Wüchse der Cherub. Diese von einer Glorie umstrahlte Gestalt schwebte an mein Bett, und ich fühlte die schmerzstillende Hand auf meiner Stirn; und dann ergriff ich diese Hand mit meinen glühenden Händen, zog sie an meine brennenden Lippen und fühlte mich dabei in eine überirdische Extase versetzt.

Die apokalyptische Glanzgestalt erblickte auf meiner Brust das geöffnete Hornmedaillon und schrieb mit einem kleinen zierlichen Bleistift ihren eigenen Namen unter das Bild. Dann verschwand sie wieder aus meinen Augen, und ich sank zurück in die Betäubung überirdischen Entzückens und physischer Schmerzen der irdischen Schattenwelt.

Ob ich das geträumt oder wach gesehen? – ich weiß es nicht. Aber so viel ist gewiß, daß unter dem Bilde, das ich am Herzen trage, die eigenhändige Unterschrift der Königin steht.

Nach einer Woche kapitulierte Gaëta.

Ich fiel in die Hände der Italiener.

Ich bedurfte nicht viel Zeit, um zu genesen. Dann ließen sie mich laufen. Es stand mir frei, zu gehen, wohin ich wollte, nur nicht nach Rom, wo die Königin wohnte. Ich ging also zurück in meine Heimat. Mein Gewinn war – ein Kuß auf die Hand meines angebeteten Idols. Dafür erhielt ich ein hölzernes Bein. Und so oft ich mich im Spiegel sehe und die weißen Haarbüschel in meinem Bart und auf meinem Kopf erblicke, fallen mir die in der Mühle verbrannte Frau und ihr Säugling ein, und die versengten Gehöfte, deren Besitzer mir nie etwas zu Leide gethan.

Und so oft ich mir das Halstuch umbinde, erinnert mich ein schmaler roter Streifen am Halse, daß ich bereits mit einem Fuße im Jenseits gestanden.

Und das alles, um einer Königin, die mein Ideal ist, einen Kuß auf die Hand drücken zu können.

*

»Nun, das war in der That noch ein größerer Narr, als der Erste,« sagte einer der Dramenbeurteiler. »Er verdient mindestens ein Belobungsdiplom,« meinte der Zweite. »Gehen wir der Reihe nach,« sagte der dritte Richter. »Jetzt folgt mein Narr, der größer ist, als die beiden früheren.«

»Hören wir seine Verdienste.«

»Mein Narr ist in eine Frau verliebt, die nicht ihm gehört und für die er sein ganzes Vermögen verschwendet.«

»Das ist eine alltägliche Geschichte.«

»Aber diese Frau war noch vor nicht langer Zeit seine eigene Gattin; damals haßte er sie, konnte sie nicht ausstehen und setzte Himmel und Erde in Bewegung, um sich von ihr scheiden zu lassen; und als sie endlich geschieden waren, als die Frau wieder einen anderen geheiratet hatte, vernarrte er sich in sie bis zum Verrücktwerden und ist ihrethalben völlig außer dem Häuschen.«

Der Präsident des Klubs machte die Bemerkung, daß, objektiv genommen, dies allerdings eine ganz närrische Konstellation sei, daß aber dennoch alles davon abhänge, wie die betreffende Persönlichkeit diese Konstellation subjektiv ausbeute.

»Gut,« sagte jener Klubadvokat des Teufels, »gebt mir fünf Jahre Zeit, und mein Narr, der jetzt reich, geachtet, berühmt, ein großer Patriot ist, wird binnen dieser Zeit sein bedeutendes Vermögen, seine Ehre, seinen guten Namen, seine patriotischen Tugenden in die Schanze schlagen – um einer Frau willen, die ihm gehörte als er sie haßte, die er liebt, da sie einem andern gehört, – und die seine Liebe nie erwidern wird.«

»Die fünf Jahre werden bewilligt.«

*

Das Bisherige war bloß der Rahmen des Bildes – wir haben die Arabesken gesehen. Jetzt folgt das Bild; hier beginnt der Roman; der Roman der Narren der Liebe. Es ist eine einfache alltägliche Geschichte, wie ihrer das Schicksal genug in unsere Lebenspfade verweht. Ein oder der andere Zuschauer spielt auch eine Rolle darin, ohne es selbst zu wissen.

———————


 << zurück weiter >>