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Die Fahrt in die Pflicht

Einige Jahre später sitzt mir der junge Lehrer Holtz eines Nachmittags in meiner Wohnung in Hamburg gegenüber. Er hat mir gerade von jener denkwürdigen Fahrt erzählt, die so viel in seinem Leben bedeutet hatte. »Das war was, damals! Wir waren alle noch so jung und dazu hemmungslose Romantiker. Und wie intensiv wir erlebten! Obwohl ich mir über das Erlebte erst später Rechenschaft gab. In jener Woche habe ich tiefe und bleibende Eindrücke erhalten, die mein ganzes späteres Leben befruchteten. Erlebnisse schlossen uns drei Burschen zu einer Gemeinschaft zusammen; und doch mußte diese Gemeinschaft zerfallen, als sich durch die Ereignisse erwies, wie stark die Weltanschauungen voneinander abwichen. Weltanschauliche Einmütigkeit ist stärker gemeinschaftsbildend als die Gemeinsamkeit der Erlebnisse. Ich erlebte in vier Tagen, was sonst oft Jahre dauert: Wie durch gemeinsame Erlebnisse Menschen zueinander kommen, wie sie dann aber durch ihre Gesinnung wieder auseinanderwachsen.«

Ich unterbreche ihn: »Was ich Sie schon vorhin fragen wollte: Haben Sie jenen Heinrich Mehrmann einmal wiedergesehen?«

»Nein, an dem Morgen, als ich in Brunsbüttel Abschied von ihm nahm, sah ich ihn zum letztenmal. Peter Marquart und Heinrich Mehrmann lagen, nachdem ich sie so plötzlich verlassen hatte, noch einige Tage des Segels wegen in Brunsbüttel. Dann wollten sie über Kuxhaven nach Helgoland segeln; doch sie hatten offenbar ihre Kräfte überschätzt. Das Wetter war in jenen Wochen ziemlich veränderlich, und als sie in der Elbmündung bei den Feuerschiffen waren, mußten sie des Sturms wegen umkehren; kamen aber nicht zurück, sondern wurden vom Westwind quer über den großen Vogelsand nach der Insel Trischen verschlagen. Sie wissen wohl, die Vogelschutzinsel, die vor der Dithmarscher Küste liegt. Von da fuhr Mehrmann mit dem Schiff der Domänenverwaltung hinüber nach dem Festland. Und ich glaube wohl, der Grund war, daß er und Peter sich nicht mehr verstanden. Peter brachte den Kahn nach einigen Tagen glücklich nach Kuxhaven. Die Lust am Segeln war ihm gründlich vergangen; der Bootsmann seines Vaters schifferte das Boot wieder in den Jachthafen. Peter hat mit mir später kaum über die Fahrt gesprochen, und wenn Elke ihn jetzt manchmal noch mit seinen damaligen Segelkunststücken neckt, so antwortet er wohl: ›Was wir damals für einen Blödsinn gemacht haben!‹«

»Und wann haben Sie später die Elke wiedergesehen?«

»Ja, das muß ich Ihnen noch erzählen, das ist eine Geschichte für sich. Es dauerte natürlich kaum ein paar Wochen, da war ich wieder in Blankenese, um Elke –«

Die Wohnungsklingel schellt in diesem Augenblick. Hans Holtz steht auf. »Lassen Sie mich bitte die Tür öffnen« – es war die Braut des jungen Lehrers, die kam, um ihn abzuholen. Lachend kamen die beiden zur Tür herein. »Ich erzähle eben von meiner Fahrt ins Glück.«

»Und da habt ihr natürlich auch von mir gesprochen?«

»Natürlich, du spielst die Hauptrolle. Du bist der gute Geist gewesen, der mich begleitete. Nein, im Ernst, ich muß Ihnen sagen, daß ich durch Elke und ihren Vater die größte Förderung erfahren habe. Ich ging mit seiner Unterstützung auf ein Kolonialseminar, und nun hat mir Kapitän Marquart die Stellung vermittelt als Lehrer auf einer Missionsfarm in Ostafrika. Ich sprach schon davon. Das Töchterchen aber grollt ihrem Vater, daß er ihr den Liebsten nimmt.«

Elke lacht nicht mehr. Sie wendet sich an mich: »Aber Sie werden doch dabei sein, wenn wir Hans ans Schiff bringen?«

»Ich werde mich freimachen. Kommt Ihr Bruder Peter auch?«

»Peter ist zur Ausreise leider nicht da. Er ist jetzt zweiter Offizier geworden auf der ›Bianka‹. Übrigens das dritte Schiff dieses Namens der Karsten-Linie. Die zweite ›Bianka‹ wurde abgewrackt, als mein Vater von Bord ging und sich zur Ruhe setzte.«

*

Zwei Tage später brachten wir Hans Holtz zum Afrikadampfer. Am Hafentor trafen wir zusammen. Holtz hatte vorher mit seiner Braut einen Gang durch Hamburgs Gängeviertel gemacht und ihr da manches gezeigt, was für ihn bittere Erinnerungen bedeutete.

Auch die Mutter von Lehrer Holtz war gekommen. Sie sah so aus, wie ich sie mir nach dem Erzählen ihres Sohnes vorgestellt hatte. »Du mußt ja gehen, mein Junge, geh mit Gott«, sagte sie ein über das andre Mal. »Du hast jetzt deine Aufgabe. Ich weiß, du wirst deine Mutter nicht vergessen«, setzte sie mit einem Seitenblick auf Elke hinzu, die dafür sorgte, daß Hans die letzten Stunden in seiner Heimat seiner Mutter gehörte.

Am Petersenkai standen wir dann, an dem die grauen Dampfer der Afrika-Linie liegen, und sahen zum Heck der »Wangoni«, wo Hans Holtz herabschaute. Wir hatten eine Stunde auf dem Schiff geweilt; doch dann hatte der Bootsmann alle Besucher gebeten, sich ans Land zu begeben. Fräulein Elke hatte beim letzten Abschied vergessen, einen Blumenstrauß in die Kajüte zu stellen. Sie versuchte ihn hinüberzuwerfen; aber er fiel ins Wasser. Dann trat sie zu der Mutter des Ausreisenden, der sich die Augen mit Tränen füllten, als der tiefe Ton der Dampfsirene einsetzte und die Musik Abschiedslieder zu spielen begann. Sie hielt die alte Frau, der zumute war, als würde ihr der Sohn zum zweitenmal vom Herzen gerissen, in den Armen.

»Ich bleibe bei dir«, suchte sie zu trösten, »und ich weiß, es wird die Zeit kommen, in der wir alle wieder beisammen sind.« Nun wurden die Taue losgeworfen, und die Schlepper zogen an. Wir drei standen am Kai und winkten. Mutter Holtz versuchte tapfer mitzuhalten, und ihr Sohn erwiderte die Grüße, während das Schiff im Dunst des Hafens seine Konturen verlor und überall die Lichter gesetzt wurden.

Langsam gingen wir zum Fährschiff. Winken hatte nun keinen Zweck mehr. Weit hinten bog die »Wangoni« aus dem Hafenbecken in den Strom. Rechts und links lagen die Schiffe aus aller Herren Ländern, und den Zurückgebliebenen war es, als ob sie ihre Ladearme ausstreckten, dem Ausreisenden, der den Weg zu seiner Pflicht gefunden hatte, zum letzten Gruß, als ob die »Wangoni« wie durch ein Ehrenspalier fuhr, dem Meere zu. Da zuckte Elke zusammen. Der Ruf des ausfahrenden Afrikaschiffes tönte zu ihr herüber, und sie deutete ihn für sich: »Komme du bald nach!«

*


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