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Zwischen Leben und Tod

Da liegt das Segelboot. Die Flut hat es gehoben. Man kann es am Ankertau bis an die Grasnarbe heranziehen. »Wir wollen erst Kriegsrat halten«, sagt Peter, als sie ins Boot gesprungen sind. »Setzt euch mal hin. So, nun hört: Es hat vorläufig keinen Zweck, gegen die Flut anzusegeln, obwohl wir zweifellos vorwärtskommen würden. Aber wir machen uns unnütz müde und nehmen auch viel Wasser über; denn ihr werdet staunen, wie sehr es mulmt, wenn wir erst hinauskommen werden in den offenen Strom. Deshalb will ich euch jetzt erst eine Stunde Unterricht geben. Jeder nimmt die Segel mal, und wir kreuzen hier so'n bißchen hin und her. Mittlerweile läuft die Flut ganz auf, und bei Stauwasser gehen wir auf und davon.«

Die andern pflichten bei. »Hans, du bist der längste, du bedienst von jetzt ab die Falltaue für die Segel. Komm mal her: Dies ist das Fockfall für das dreieckige Vordersegel, und mit diesem Tau, dem Klaufall, ziehen wir das Großsegel auf. Du, Heinrich, bedienst Anker und Schwert. Aber nur auf mein Kommando!«

Peter sieht ernst und wichtig aus. Er bendselt das Großsegel los, stellt sich hinten aufrecht hin, das Steuerruder zwischen die Beine geklemmt. Dann kommandiert er: »Klar bei Seils und Anker.« Und als alle Mann an ihren Positionen stehen, kommt das Kommando: »Anker ein, Segel hoch! – And zwar zuerst die Fock!« fügt er hinzu. Dann kommt das Großsegel dazu. Es geht nach Kommando besser, als sie dachten. Die Segel schöpfen sich im Nu voll, und Peter legt das Boot vor den Wind. Sie segeln im Südwest gegen die Flut längs des Ufers auf Bishorst zu.

»Zuerst müßt ihr mal Windgefühl in die Finger kriegen, ehe ihr lernt, aus den Segeln das Mögliche herauszuholen.« Jeder von den beiden bekommt jetzt einmal die Großschot in die Hand, und sie müssen nach eigenem Gefühl fieren, das heißt auslassen und einholen, je nach Stärke der Böen. Hans ist etwas weicher und Heinrich etwas härter im Herausholen des Möglichen. Peter hatte gedacht, es wäre gerade umgekehrt. Der lange Hans gibt leichter nach, wenn das Boot sich neigt. »Hans, ein bißchen forscher!« muß Peter ermunternd rufen oder für ihn das Seil heranholen.

»Achtung, Wende!« Peter dreht das Boot auf der Stelle um. Der Großbaum geht über die Köpfe. »So, und jetzt bekommt ihr Steuer und Segelschot zugleich, um das richtige Fingerspitzengefühl zu kriegen. Immer am Wind hier am Ufer entlang, mit der Flut, ein Kinderspiel.«

Beim Segeln kommt es wie bei vielen Sachen mehr auf die praktische Übung als auf theoretische Beherrschung an. Sie lernen die Dünung und die Böen einzuschätzen und dabei den Stand von Steuer und Segel zu berücksichtigen. Der Großbaum wird vom Wind ziemlich heftig nach einer Seite gedrückt, und man muß lernen, den Druck durch das Steuer wieder auszugleichen. Zuerst natürlich strengt das Manövrieren ziemlich an, weil alles so krampfhaft gemacht wird. Schon nach einigen Minuten sind die beiden müde, und sie atmen auf, als sie Peter das Steuer und die Großschot wieder übergeben können. Schlapp an allen Gliedern sind sie.

»Wie herrlich, sich so ganz hineinzulegen in den Wind! Ein Kräftemessen! Segeln ist ein fabelhafter Sport! Man kämpft mit den Elementen, mit dem Sturm und dem Wasser und bleibt Sieger. Das kommt aber nicht von ungefähr, sondern man muß lernen, mit seinen Waffen umzugehen und den Gegner zu parieren. Dann kann man die Kräfte des Gegners ausnutzen!«

Peter ist Feuer und Flamme, er will nun seinen beiden Schülern gleich das Kreuzen und Wenden und Halfen beibringen; aber es ist doch wohl zuviel fürs erste Mal, das muß er einsehen. Na, dann macht er ihnen einige Kunststücke vor: Er kreuzt hoch gegen den Wind. Das Boot liegt so schief, daß das Wasser über den Decksrand spritzt; doch man hat ein eigentümlich sicheres Gefühl, ganz anders, als wenn man an Land steht und diesen Manövern zuschaut. Hart an der abgebrochenen Wiesenkante wendet er scharf auf der Stelle und ruft mit lauter Stimme die Wendebefehle. Die beiden ducken sich und springen ganz instinktiv auf die andre Seite. Bei den Sünden macht er das nochmals, er halst, d. h. er dreht eine Schleife, wobei allerdings das Boot in einer plötzlichen Bö fast gekentert wäre. Nur der genügende Ballast durch die drei Personen verhinderte ein Unglück. Da hat auch Peter einstweilen genug.

»Bis zur Ebbe ruhen wir uns noch ein bißchen aus«, meint er. Er blinzelt zum Himmel, ob die Sonne nicht kommt. Die Wolken jagen sich. Es gibt prächtige Bilder. Da sieht eine Sandbank aus dem Wasser wie der bucklige Rücken eines riesigen grauen Seehundes. »Schwert hoch!« brüllt Peter. Schon knirschen sie auf. Das Wasser wippt hier nur leise, weil der Wind nicht herankann. Das Segel knallt, dann fällt es in die ausgebreiteten Arme von Peter. Heinrich wirft den Anker weit vor auf den trocknen Sand. Sie springen heraus. Das Wasser umspielt noch die Füße. Ganz feiner Sand rieselt zwischen den Zehen hindurch, als sie die Sandbank betreten. Sie werfen sich hin und liegen nebeneinander auf dem Rücken. Die Sonne scheint einen Augenblick, dann huscht ein Wolkenschatten über das Wasser, streift das Boot und fährt über sie hin. Im gleichen Augenblick fühlen sie den Wind kühler.

Die Flut kommt mit Macht heran. Das Boot, das eben noch festsaß, schwimmt jetzt schon und legt sich mit dem Bug gegen Flut und Wind. Wellen rieseln an die drei heran. Sie stehen auf und beobachten, wie die kleine Flutwelle kommt, sich zurückzieht, wie die nächste schon etwas höher hinaufleckt an den Strand und so die Flut die Sandbank allmählich zudeckt.

Sie ziehen ihr Boot heran, das nun schon in tiefem Wasser schwimmt, und machen es für die Sturmfahrt fertig, die vor ihnen liegt. Das Großsegel wird gerefft, d. h. ein Stück Segel wird am Großbaum aufgedreht – nicht weil Peter Angst hätte, wie er wichtig betont, sondern um im Wind ein besseres Manövrieren zu haben. Dann steigen sie ein und stoßen mit ihrem Boot aus der gedeckten Lage hinter den Sänden hervor ins Stromwasser.

Der Tanz beginnt. Lange Roller wogen heran und heben das Boot hoch, so daß der Bug schräg aus dem Wasser ragt und klatschend in die nächste Woge hineinstößt wie ein angreifender Wolf. Der Gischt spritzt und funkelt in der Sonne wie flüssiges Silber. Und dabei haben sie eine rasende Fahrt. Sie wenden elbabwärts. Nun kommen die langen Wogen mit den Schaumköpfen schräg von der Seite. Das Boot schlingert und stampft, so daß die beiden Neulinge unwillkürlich an den Magen denken. Doch der Körper gewöhnt sich an die Bewegungen, und die Fahrt macht Spaß. Peter kann in dem Wind, der schon bald Sturm ist, allein natürlich nicht gleichzeitig Segel und Steuer bedienen; abwechselnd springen ihm die andern zu Hilfe, während einer dauernd mit der Konservendose das überkommende Wasser lenzt. Die Nervenspannung läßt die Neulinge erzittern.

Pagensand, die lange Insel mitten in der Elbe, kommt mit ihrem hohen dünnen Leuchtturm und dem kleineren Unterfeuer überraschend schnell näher. Sie könnten hinten herum im Windschatten durch stilleres Wasser fahren; aber vorn macht es eben viel mehr Spaß.

Im Boot vermögen sie kaum zu reden, so sehr sind sie hingerissen von dem Schauspiel des Sturmes und beschäftigt mit der Bändigung ihres Fahrzeuges. Wie ein wildgewordenes edles Pferd, das mit fliegenden Flanken kaum in den Zügeln zu halten ist, gebärdet es sich. Doch es gehorcht dem leisesten Wink.

Da hebt Hans die Land: »Da, da!« Ein Paddelboot mit zwei Menschen kämpft sich durch die Wellen. Nun verschwindet es hinter einem Wogenberg, jetzt taucht es wieder auf! Die Spitze des Bootes hängt im Leeren. Sie biegt sich durch, es muß ein Faltboot sein. Die Paddel schlagen wirkungslos durch die Luft. Nun taucht es tief ein. Eine Woge rollt über die beiden Fahrer hin. »Ein Segelboot liegt durch seine Segel stüttiger im Wasser, aber die Armen!« Sie fahren zu dicht unter Land. Ist das ihr Wille, oder hat der Wind sie ans Land gedrückt? Das Boot bietet zwar dem Wind nur wenig Angriffsfläche, doch heute genügt sie, um eine starke Abdrift zu erzielen.

»Sie treiben mitten hinein in den hungrigen Wolf!« Peter hat es geahnt. Das Windloch vor Pagensand mit seinem unergründlichen Mahlsand hat seinen Namen nicht umsonst. Es ist die Biskaya der Elbe. In den letzten Monaten haben hier Dutzende von Menschen gearbeitet, das gefährliche Sandriff aufzuhöhen und mit einem Steinwall zu versehen, um es hineinzubeziehen in die große Insel Pagensand. Steinhaufen ragen aus dem Wasser heraus, an denen die Wogen sich verspritzend brechen. Für ein Faltboot ist das gefährlich.

»Warum fahren sie nicht hinten um Pagensand?« Die drei behalten das Faltboot im Auge. Zwei Mädchen scheinen die Insassen zu sein. Plötzlich ist das kleine Boot mitten drin in dem Chaos von Steinblöcken, Gischt, Schilf, Mahlsand, in dem kochenden Meer. Es reißt seinen Bug gen Himmel, dann klappt es zusammen wie ein Taschenmesser. Ein Paddel richtet sich hoch auf, als wollte es um Hilfe rufen.

Den drei Jungen entfährt ein Schrei. Sie sind mitten im Strom und schon fast am Hungrigen Wolf vorbei. Im selben Augenblick, wo sie das sehen, wendet Peter das Boot. »Ausfieren!« ruft er Heinrich zu, der gerade das Segel hält.

Der Wind schießt von hinten ein, sie fühlen ihn plötzlich nicht mehr und rasen schräg auf den Hungrigen Wolf zu, mitten auf die Klippen und den Mahlsand. »Schwert hoch!« Hans hat schon zugefaßt. Jetzt sind sie mitten drin. Können sie sich hindurchmanövrieren? Polternd stößt der Bug auf einen Stein. Peter kneift die Augen ein und beißt die Zähne aufeinander. Er muß darauf gefaßt sein, daß sein Schwertkasten losbricht oder daß das Boot ein Leck bekommt.

Hier muß die Unfallstelle sein. Hans klettert nach vorn vor den Mast. Vor lauter Gischt und Getöse sehen sie nichts und rufen: »Ahoi! Hier! Hier!« Da taucht ein brauner Fetzen auf. Hans erwischt ihn. Es ist ein mit Luft gefülltes Gummikissen. Da treibt auch das Faltboot oder was davon übriggeblieben ist. Doch darum können sie sich jetzt nicht kümmern. Wo sind die beiden Insassen? Sie rufen wieder: »Ahoi! Hier! Hier!« und steuern mit größter Vorsicht zwischen den Steinen umher. Bald muß Peter den Hans von vorn zurückrufen; denn er muß das Wasser ausschöpfen, das über Bord schlägt. Aber das fällt jetzt nicht weiter auf.

Wieder wenden sie, so schnell es eben hier möglich ist, aber doch viel zu langsam, als daß sie nicht von der Seite mit einer Woge überschüttet würden. Zu dicht dürfen sie nicht an den Sand heran; denn wenn sie aufsitzen, ist das Boot gefährdet. Peter will schon wieder aus dieser Hölle hinaus, da endlich wird ihre Mühe belohnt. Ein Mädchenkopf wird in dem Gischt und Schaum sichtbar, nun noch ein zweiter, wirr das Haar, blutüberlaufen. Die eine steht anscheinend auf einem versenkten Stein und hält die andere fest umklammert. Vorsichtig, soweit der Sturm es gestattet, fahren sie heran, daß sie die beiden in ihr Boot übernehmen können. Hans muß ihnen behilflich sein; denn Peter und Heinrich haben genug zu tun, das bockende und stampfende Boot zu halten. Es macht jetzt keine Fahrt mehr; denn Heinrich hat das Segel fahren lassen, das leer im Wind knallt.

Zuerst schiebt das Mädchen ihre verletzte Kameradin heran, die sie fest im Nacken gepackt hält. Hans kann sie nicht allein tragen. Peter nimmt die Segeltaue, und Heinrich hilft, das Mädchen in die Kajüte zu legen. Die andre kann noch allein an Bord klettern. Ihre ersten Worte sind: »Wo ist unser Boot?« Sie wischt sich die Augen und schaut in den Gischt. Dann löst sich die ungeheure Spannung, und sie weint. Hilflos stehen die Jungen um sie herum; dann stolpert sie die Stufen hinunter in die Kajüte. Heinrich meint, sie nicht allein lassen zu können. Er geht hinunter, um ihnen behilflich zu sein.

Nun hinaus ins freie Wasser! Um das Faltboot können sie sich nicht kümmern. Heinrich holt das Segel heran. Peter schießt es durch den Kopf: »Wie gut, daß wir heute gerefft haben; mit Vollzeug wären wir hier nicht wieder herausgekommen.« Hans steht vorn am Mast und warnt vor den Steinblöcken. Peter kreuzt gegen den Wind an, sogar ziemlich scharf. Das hat den Vorteil, daß er in jedem Augenblick die Fahrt abstoppen und auch mit Leichtigkeit jedem Hindernis ausweichen kann.

Bald zeigen die langen Wellen an, daß sie wieder in freiem Wasser sind. Es ist nun ein ehrlicheres Kämpfen. Man kennt den Gegner und kann ihn nach fairen Regeln angreifen. Sie beschließen, zu wenden und hinter Pagensand in ruhigem Wasser zu fahren. Das Stück stromaufwärts gibt noch einmal tüchtig Spritzer, und Hans, der Mädchen für alles geworden ist, muß unaufhörlich mit der Konservenbüchse arbeiten. Der Rücken schmerzt ihn.

Sie sehen noch einmal zurück. Da hinten liegt der Hungrige Wolf. Von weitem sieht er verhältnismäßig harmlos aus. Nur das viele Weiß ist verdächtig, das flüssige Silber, der Gischt, der darauf steht.

Sie fahren hart hinter der langgestreckten Insel dahin. Das Wasser ist ruhig im Vergleich mit dem Toben auf dem Strom. »Ihr habt eure Feuertaufe bestanden!« ruft Peter in den Wind hinein. In den beiden andern jubelt es. Sie sind ja auf dem Boot auch schon zu Kameraden geworden.

Nun müssen sie sich aber um die »Schiffbrüchigen« kümmern. Leinrich soll in die Kajüte hineingehen und sie versorgen. Er weiß, wo der Proviant liegt, und in der Kleiderkiste wird noch allerlei zum Anziehen sein, auch Mädchenkleider von Peters Schwester.

Heinrich klopft an die Kajütentür. Keine Antwort. Er schiebt vorsichtig die Tür auf und kriecht hinein. Die Ohnmächtige ist erwacht; sie sitzt in Peters Bademantel auf einer Decke und beschäftigt sich mit ihrem Haar. Heinrich reicht ihr einen Kamm. Die Kopfwunde sah gefährlicher aus, als sie ist. Eine ziemlich breite Hautschramme, weiter nichts. Die andere Paddlerin liegt in Decken gehüllt auf dem Kajütenboden und schläft. Die Erschöpfung war zu groß.

»Wir haben Sie heute morgen schon gesehen«, sagt die kleinere. »Vom Leuchtturm auf Juelssand aus. Sie hängten gerade Wäsche auf. Das fiel mir eben ein, als ich hier den Anzug liegen sah. Er sah heute morgen ulkig aus. Muß mal aufgebügelt werden.« Mehrmann stellt die Kleiderkiste zur Verfügung, die unter dem Bug eingebaut ist, und geht wieder zu seinen Kameraden hinaus. Sie beschließen, in den nächsten Hafen, also nach Kollmar zu segeln und die beiden Mädchen dort abzusetzen.

Sie fahren in den Priel ein. Der Südwest hat den kleinen Hafen voll Wasser getrieben. Sie können ohne weiteres am Bollwerk neben einer Ziegelschute festmachen. Alle drei Jungen treten sofort an Land und recken sich. Jetzt, wo sie wieder festen Boden unter den Füßen haben, löst sich die Spannung der letzten Stunde. Peter untersucht das Boot von vorn. Ein paar Schrammen hat's gegeben, mehr aber auch nicht, glücklicherweise. Nun schlendern die drei ins Dorf.

Als sie wieder ans Boot kommen, sitzen die beiden Mädchen draußen auf dem Kajütdach. Sie sehen jetzt nett aus und lachen den dreien entgegen. Keine Spur von Verlegenheit. Über die Kleidung der beiden müssen die Jungen lächeln. Die lange hat ein brauchbares Waschkleid von Peters Schwester gefunden. Es ist zwar etwas kurz und auch zerknittert, doch das macht nichts. Ihre eignen Bootsschuhe sind an den Füßen fast trocken geworden. Die kleinere der beiden ist sogar ziemlich erfinderisch: Einen Frauenrock hat sie an und darüber einen Seglersweater, in dem die Motten allerdings schon den Hals angefressen haben. Ein wehendes Kopftuch muß die schadhaften Stellen verdecken. Sie sieht ordentlich fein aus, meinen die Jungen. Ihre eigenen Sportanzüge sind auch schon trocken. Sie haben sie unter den Kleidern wieder an.

Wie staunen die drei aber, als sie auf den Bänken des Segelbootes eine vollständig zubereitete Mahlzeit vorfinden! Kaffee, ganz heiß, wäre nach der vielen Aufregung gut, meinen sie alle, und Peter muß hinabsteigen, den kleinen Kocher hervorsuchen und in Gang setzen. Hans hat nahebei eine Pumpe gesehen und holt Wasser. Sie beschließen, sich am Bollwerk auf den Rasen zu setzen, der sanft gegen den Deich ansteigt.

Während der Mahlzeit werden sie alle gesprächig, sogar vergnügt, auch die beiden Mädchen. Sie scheinen sich mit dem Verlust ihres Bootes abgefunden zu haben. Ob sie nun je wieder Faltboot fahren wollten, fragt Peter. »Ich bin kuriert, nie wieder!« sagt die kleinere, die am Morgen noch glühend wünschte, einen Sturm zu erleben.

»Wir kaufen uns doch wieder ein Boot«, meint da die andre und wendet sich an ihre Leidensgefährtin. »Du denkst auch anders, wenn wir wieder zu Hause sind. Aber nur Elbfahrten! Ich habe gar nicht gedacht, daß man auf der Elbe so viel erleben kann.« Sie lachen alle.

Aber die kleinere schüttelt den Kopf. »So weit fahr ich nicht wieder. Das mach ich nicht zum zweitenmal mit. Die Minuten, wo ich im Wasser lag, vergeß ich nie wieder. Sie werden es komisch finden: Ich habe gebetet, als ich da im Wasser lag mit dem furchtbaren Schmerz an meinem Kopf, seit meiner Kindheit zum erstenmal wieder. Es ist ganz merkwürdig, was man alles so in den Minuten, wo es auf Leben und Tod geht, vor seinem Innern sieht!«

»Ich habe nur daran gedacht, wie ich dich retten könnte!«

Die Kleine fährt unbeirrt fort: »Es war mir, als sähe ich einen Film, als sähe ich mein eigenes Leben an mir vorbeirauschen. Und manches, was ich schon lange vergessen hatte. Wie viel man doch in den paar Sekunden erleben kann! Es schien mir wie Stunden. Und da war so vieles, was ich zu bereuen hatte.«

Alle sehen bei diesen Worten schweigend aneinander vorbei. Der Wind zaust in dem Haar der Mädchen. Peter denkt nach, wie er dem Gespräch eine andre Wendung geben kann. »Nun sitzen wir hier am Deich. Was gedenken Sie zu tun?« Sie haben sich noch nicht mal einander vorgestellt.

Da fällt den Mädchen ihre mißliche Lage wieder ein. Am liebsten wollen sie gar nicht wieder nach Hause, sie werden doch nur ausgelacht. Im Segelboot mitnehmen? Nein, dazu sind sie nicht genügend ausgerüstet. Und für fünf ist auch kein Platz. Sie wollen dann zu Fuß nach Hamburg zurück. Wie weit das wäre. »Ja, das geht von hier nur auf Umwegen. Zwei Tage wird's wohl dauern.« Die Mädchen lachen. »Nein, lieber nicht. In diesem Aufzug.«

Es wird beschlossen, daß sie mit dem Autobus bis zur nächsten Eisenbahnstation fahren sollen. Sie erhalten von Peter und Heinrich das Geld vorgeschossen. Dann stehen sie alle auf und gehen ins Dorf. Vom Deich werfen die Mädchen einen letzten Blick auf das Boot zurück. Der Autobus rumpelt um die Deichecke. Sie laufen. Die Mädchen werden nun sehr verlegen. Sie wissen nicht, bei wem sie sich für alles bedanken sollen. Schamrot wenden sie sich an Hans Holtz, der am stattlichsten aussieht. Er muß sie lächelnd an Peter verweisen. Großmütig nimmt der den Dank entgegen und gibt ihnen seine Anschrift. Da hält auch schon der Autobus. Sie steigen ein und winken, solange sie die Jungen noch stehen sehen.


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