Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

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Zweiter Gang

Worbles Gang oder Nachtabenteuer

Es ist schon erzählt worden, daß Worble am Morgen, wo er im Nebel viele Schöne seiner Arme wert gehalten, auch eine Schönste umhalset hatte, welche ihm nachher, als der Nebel nieder war, gerade unter dem Tore des römischen Hofes begegnete; es war Pabsts Tochter. Beide erkannten sich sogleich in der reinen Luft auf der Stelle wieder; Jeannette lächelte ohne den geringsten Zorn, und er war der freundlichste, herablassendste Reisemarschall, den es in einem Gasthofe nur geben konnte. Er spann das Seil der Liebe, wie andere Seiler ihres, gewöhnlich ehrerbietig zurückgehend, bis ers lang genug zurückgedreht; dann kam er, es in Händen, damit wieder und ging so lang um die Person herum, bis sie verstrickt war. Bei andern, bei leichten Wesen wie Jeannette, zog er bloß die Rede- und Spinnenfäden der Scherze hervor und drehte eine schöne Mücke so lange in seinem weißen unschuldigen Gewebe herum, bis sie fest umwickelt war mit allen Füßen und Flügeln, dann zog er an einem Faden die Mücke leicht weiter .....

Aber Himmel, stelle ich so nicht den armen Marschall, bloß um eine elende Allegorie kunstgerecht auszuspinnen, den Lesern zehnmal ärger dar, als er aussah? Das Ganze bestand offenbar nur darin, daß er seiner Gattin nicht ganz treu war, sondern nur halb, ein Viertel, ein Achtel, und so in die »Brüche«, juristisch zu sprechen, hinunter. Er verglich mehrmal seine Ehe und die beiden Eheringe – sowie mehr als tausend andere Ehen – mit den beiden Ringen des Saturns, und die Ehe mit dem Saturnus selber, der anfangs ein goldnes Zeitalter verlieh, dann aber das Zeichen des Bleies wurde, und auf welchem ein Jahr sich dreißig Jahre lang ausdehnt.

Schon am ersten Tage, wo er in Geschäften immer vor Jeannetten vorbeiging, schlug er ihr vor, daß er am zweiten ihr abends einen Besuch geben wolle, wenn sie und er keine mehr habe, um mit ihr so manche, die den Fürsten angingen, zu bereden, da sie, wie er höre, alles in allem bei Herrn Pabst sei, die wahre Papissa Johanna. Sie sagte, sie willige ungern in die Sache, da sie erst ganz spät, um ein Uhr, allein und in ihrem Zimmerchen geschäftlos sei, woll' aber doch seinetwegen bei Licht aufsitzen und auf ihn passen. Ihr Stübchen, setzte sie hinzu, könn' er übrigens leicht finden, es sei, wenn er die Treppe hinaufgehe, gerade das dreizehnte oder vorletzte im Korridor, und er brauche bloß die Türen am Tage zu zählen; »aber«, schloß sie mit schöner Jungfräulichkeit, »kurz fassen müssen Sie sich mit allen und jeden Reden; denn ich stecke nur ein kurzes Lichtstümpfchen auf, und ist dieses abgebrannt, so müssen Sie ohne Gnade fort.« Er versprach ihr den kürzesten Vortrag von der Welt.

Um sein Wort ehrlich zu halten, stieg er am Tag die Treppe hinauf und zählte alle Zimmertüren, worunter eine vermauerte oder blinde war, zweimal durch, bis er an die vorletzte oder dreizehnte kam, die er ein bißchen aufmachte und hier sehr leicht das Zimmerchen der Tochter des Hauses erkannte.

Punkt 1 Uhr nachts war er mit dem Graves-Wein fertig – denn er eilte – und zählte sich nun tappend, aber leise von Türgriff zu Türgriff fort, bis er den dreizehnten erfaßte. Ein Unglück wars, daß er nicht, wie Jeannette, die gemalte Türe und deren gemalten Türgriff mitzählte, und daß er also anstatt der dreizehnten die vierzehnte aufmachte. Aber stockfinster war es darin, besonders für seine von dem Wein eben nicht sehr hell gewaschnen Augenfenster, und alle Vorhänge waren herabgezogen. Er glaubte jedoch Jeannettens schöner Seele mit rechter Freude, und sie habe, dacht' er, so redlich Wort wie er gehalten, nur sei das Licht zu kurz gewesen.

Da man nun in finstern Zimmern die Menschen nirgends leichter findet als im Bette: so tappte er nach einem umher, und endlich glitt seine Hand auf eine kalte tote Wange, welche sogar abglitt und ihm in den Händen blieb. Hier fuhr ein lebendiges Wesen mit einem weiblichen Schrei aus dem Bette und darauf zur Türe hinaus. Der Marschall stand vor dem Kopfkissen, mit dem kalten Etwas in der Hand, und konnte in alles in der Welt sich finden, nur nicht in das Fleisch. Indem er damit an den Fenstervorhang ging, um hinter ihm dasselbe vor dem Fenster besser zu besehen, trat er auf ein zweites Stückchen, das er auch mitnahm. Er befand es bald als gutes, noch frisches Kalbfleisch, dessen Dienste er bei seiner Bekanntschaft mit den weiblichen Sublimier- und Filtrierkünsten der Reize bald erriet: es waren ein Paar Nachtwangen, um sogar das Bette zu einer Wachsbleiche der zarten Haut zu machen; oder Schmutztitel für das schöngestochene Titelblatt des Gesichts. Indes konnt' er aus dern Kalbe, mit dem er jetzo pflügte, leicht hinter das Rätsel kommen, daß solche Schminklappen nicht der reiz- und kraftvollen Jeannette angehören könnten, sondern irgendeiner an der Zeit sich abfärbenden Schönheit – kurz, er war, sah er, ins unrechte Zimmer gekommen.

Während dieses so vernünftigen Mutmaßens wurde vollends außen die Tür abgeschnappt und jenes völlig bestätigt. Es war eine Witwe, welche unter dem Fließpapier ihres zarten feinen Kupferstichs im Bette gelegen; diese war in das nächste helle Zimmer gerannt und hatte da Jeannetten den Einbruch in ihr Gemach und Bette mit mehr Fassung und Lachen erzählt, als zu erwarten war. Aber die zärtere Wirts-Tochter war wie außer sich: so etwas, sagte sie, sei im römischen Hofe ganz unerhört. »Hätte der Ehrenräuber sich nicht in den Stuben vergreifen und ebensogut zu mir kommen können? Ach lieber Gott, ich wäre auf der Stelle umgefallen.« – »Wenns bloß ein Ehrenräuber war«, versetzte die Witwe, »und kein schlimmerer Dieb; woher kann man aber das wissen?« – Am besten sei es in jedem Falle, antwortete Jeannette, sie bleibe bis am Morgen hier in ihrem Zimmerchen, und man drehe den Schlüssel des andern Zimmers um und lasse solchen im Schlosse stecken, um auf diese Art – sie tu' es auch, eigner Sicherheit wegen –, bis es Tag wird, den gefährlichen Menschen einzusperren und ihn sich dann bei Licht zu besehen, zumal da der Spitzbube, wenn man ihn jetzo im Finstern heraus ließe, das Beste der Madame, ja alles eingesteckt haben könne. Und so wurde denn über den Marschall das Nachtgarn gezogen, und er saß darunter und schlug mit den Flügeln. –

– Schwerlich wird der Leser hier mit mir weitergehen wollen, ohne sich zu einer von den verschiedenen Parteien zu schlagen, in welche sich die Kunstrichter spalten, um Jeannettens unerwartete Sperrordnung oder Fruchtsperre auf eine oder die andere Art, aber immer mit Scharfsinn zu erklären. Die eine kann alles aus der Jungfrau Verdruß über das Mißlingen und über Worbles Dummheit ableiten; – die zweite aus ihrem Mißtrauen gegen ihn, ob er nicht gar mit Absicht fehlgegriffen; – die dritte, welche daher an die zweite grenzt, aus ihrem Neid und ihrer Vorsicht gegen die Witwe, bei der Mutmaßung, diese nähme ihn am Ende doch wohl auf; – die vierte kann den zarten jungfräulichen Ehrenpunkt benutzen und aus Jeannettens Pflicht, auch den kleinsten Verdacht einer Verletzung desselben abzuwenden, die Einsperrung erklären; – die fünfte, welche hierin eine starke, aber einer Wirts-Tochter gar nicht nachteilige Sprödigkeit findet, ist von der vorigen im Grunde wenig verschieden; –, und die sechste, die ich selber bin, denkt eklektisch und verknüpft alle fünf Sekten mit ihrer eignen und läßt in dem wogenden Weiberherzen alle diese fünf Gefühle miteinander und widereinander segeln und reagieren.

– Die Geschichte tritt wieder auf:

Nach Abgang der beiden Zionswächterinnen und Schließerinnen lief der Gefangene in der Engelsburg des weiblichen Schlafzimmers überall umher; da er aber merkte, er könne nicht hinaus, so ging er ohne besonderen Lärm hinein, nämlich in das Bette, mit den Wangenklappen in der Rocktasche und dem Graves-Wein im Kopfe, und entschlief ohne weiteres.

So waren denn am Morgen beide Damen genötigt, dem Marschalle einen der frühesten Besuche abzustatten. Sie klopften stark vor dem Aufsperren, damit der Schelm in die Kleider komme; aber schon in den Kleidern fuhr er aus den Vorhängen und wie ein geblendeter Finke im Zimmer wild umher, rufend: wer ihn so früh störe? Denn er war nämlich mit dem Augenliderübel – wogegen auch in des göttingischen Richters Wundarzeneikunst Mittel stehen – und zwar besonders auf Reisen behaftet, daß er am Morgen – wie auch wohl Minister, aber bloß in politischer Morgenzeit – die vom Schlafe zugeklebten Augen eine Zeitlang nicht aufzubringen vermochte mit allem Ziehen und Streben. Es fügte diesmal sich noch der neue Jammer zu, daß sich aus seinem Kopfe vollends alles verflogen hatte, Rausch, Schlafort, Abenteuer, Wangenflügeldecke, sogar sein Schelmenvorsatz, und er also anfangs zu seinem Nachteile mit einem Bewußtsein gänzlicher Unschuld dastand. Mit solchem Gefühle und bei solcher Augensperre mußte der schuldlose Reisemarschall es hören, wie er eine vornehme Dame im Schlafe gestört und erschreckt, und wie er sie aus ihrem Zimmer verjagt. – Unaufhörlich bat er, hin- und herrennend, um Verzeihung, daß er sie nicht sehe; er wolle den Augenblick antworten, sobald er wisse, wen er vor sich habe. Als er jetzt der Augen wegen in die Tasche griff nach dem Schnupftuch und mit diesem zugleich das kosmetische Kalbfleisch herauszog: so frischte plötzlich das Fleisch die ganze Nachmitternacht auf, und die Augenlider sprangen auseinander – und die klägerische Witwe stand, fast mehr gewelkt als blühend, vor ihm. Denn manches Gesicht ist ein wahres schönes Tempe; wie das griechische in der Ferne der Geschichte und der Augen unendlich reizend ist, nur aber für den reisenden Walpole und Bartholdy in der Nähe ein wilder zierloser Engpaß wird: so werden die schönsten Gesichter, deren Reize durch die künstliche Entfernung vermittelst des Abendlichtes am besten erscheinen, vom Taglicht wahrhaft derselben beraubt, weil es zu stark nähert.

Aber Worble wußte sich in keinen Fällen leichter zu helfen als in solchen. »Hier«, fing er an, »halt' ich meine Entschuldigung in der Hand Ihnen vor, den Beweis meiner erbärmlichen Augen, auf die ich jede Nacht das Stückchen Fleisch zu legen pflege, um sie zu stärken; aber werden sie leider viel davon besser? – Tapp' ich denn nicht – Sie sehen es ja –, sobald kein helles Licht in der Stube brennt, in jede hinein und störe die schönsten Damen auf? – Deswegen schon allein sollte jede Schöne ein dünnes Nachtlicht brennen, und je jünger sie, desto länger das Licht. – Auch der Wein in diesem Hotel ist wirklich zu stark für meinen schwächlichen Kopf, verehrte Mamsell Jeannette.«

Hier hob er auch die zweite Überziehwange von der Erde auf und steckte sie ein. Die Witwe wurde ganz verdutzt und doch entzückt von solcher närrischen Delikatesse und Spitzbüberei zugleich und versprach sich etwas von dem Mann. Jeannette aber, die in ihr leichtes Vergeben und in sein lügenhaftes Entschuldigen sich gar nicht finden konnte, hoffte auf Licht und Rache in irgendeiner nächsten Zusammenkunft und schied als reine Johanna Pabst von ihm.

Inzwischen wurde doch ein Viertel der Begebenheit am ganzen Nikolausischen Hofe, so wie im römischen, ruchtbar; viel von den übrigen Vierteln wurde erraten; bloß der Kandidat Richter erriet und glaubte nichts weiter, als was ihm der Reisemarschall, wenn nicht aufrichtig, doch freundlich auseinandersetzte.


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