Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

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Glücklicherweise konnte nun der Apotheker diesmal selber den Privatdozenten machen und das Schulgeld oder Kartengeld eigenhändig verdienen; denn er hatte die besten adeligen Spiele längst auf seinen Reisen gelernt, wie Whist, Piquet, Boston, Tarock und L'Hombre zu vier Personen mit dem Mort; wie er aber natürlicherweise gar erst die bürgerlichen mag verstanden haben, den Saufaus, den Kuhschwanz, das Grobhäusern, den dummen Hans und das Sticheln, darüber ist eine Stimme. Gleichwohl schrieb er als Kartenmentor nicht einen Heller Lehrgeld an, den er wohl so gut für sich wie für andere Prinzeninstruktoren seines Nikolaus hätte fodern können; das Höchste, was er sich erlaubte, war, daß er die einzelnen schwachen Spielschulden in Rechnung brachte und ansummierte, welche Nikolaus täglich bei ihm machte, weil der kleine Prinz vielleicht das Spiel anfangs nicht genug verstand.

So trug nun Henoch jahrelang in ein Buch, das er Kronschuldbüchelchen überschrieb, mit musterhafter Vollständigkeit und Treue und mit Belegen alle Ausgaben für den angenommenen Prinzen ein – jeden Strumpf und jeden Bissen – alle Medizingroschen und Schmerzengelder – alle seine Lieferungen in adoptivfürstliche Küche und Keller und Schule – am meisten aber die Schul- oder die Lehrgelder als die wichtigsten; daher er für die verschiednen Wissenschaften, die ein trefflicher Kandidat aus dem Zedlerschen Universallexikon vortrug und abtat, ebensoviel verschiedner Lehrer in Rechnung brachte; was ohnehin schon früher seine Richtigkeit gehabt, da die Wörterbuchs-Artikel ja von ebenso vielen Verfassern mußten ausgearbeitet werden.

Der Apotheker, der sich in der Welt nichts lieber machte als Hoffnungen, hatte schon in frühern Jahren noch vor Ankunft des Exjesuiten die größten aus dem kleinen Nikolaus zu schöpfen gewußt, indem er ihn mit den schönsten kindischen und einfältigsten Wendungen der Erzieher ausholte: »Nikelchen! denk an mich, du bist etwas außerordentlich Vornehmes. Schon mit mir bist du verwandt; und das ist viel; denn ich stamme geradezu von der Seitenlinie des so berühmten Chemikers Andreas Sigismund Marggraf in Berlin ab – Der Mann wurde aber anno 1709 geboren und ist daher 1782 gestorben. Dort in seinen Büchern stehts, wie viel er konnte; und alle Provisoren sind etwan Esel gegen ihn.« – Nikolaus versetzte: »Ich heiße ja auch wie er und kann wohl noch mehr werden, da er schon tot ist und ich noch lebe.« – »Außerdem«, fuhr Henoch fort, »bist du wohl gar mit einem Fürsten verwandt, der gewiß dein leiblicher Vater ist und einmal schon kommen wird; denke aber!« Hier wurde Nikolaus blutrot vor Freude: »Ach wie herrlich,« rief er, »wenn ich zwei Herren Papas hätte, und Sie sind schon so gut! Der andere wäre also der große Herr Markgraf in seiner Residenzstadt, der gegen alle Leute so gnädig ist?« – Henoch versetzte: »Ei, Gott bewahre! Aber dein Vater wird schon kommen und dann sich nennen, wenn er dich an Kindes Statt und zum Landes-Vater annimmt. Dann kommt das Schwere, und du mußt so gut regieren können wie er. Bedenke aber, was du dann für gelehrte und vornehme Leute um dich bekommst, die du alle regieren mußt; und noch die unzähligen Dörfer und Städte voll Menschen dabei; – Nikelchen! wie willst du es da machen?« – »Sehr schön,« (versetzte er) »so wie unser Herr Markgraf; ich will unter die Armen recht viel Geld auswerfen; und Ihnen werd' ich, sobald ich nur das Gold und Silber kriege, die neue Hofapotheke kaufen und den Schwestern einen prächtigen Staat – und alle die Bettler in meiner Markgrafschaft lass' ich neu kleiden und bestelle auf dem Markte ein herrliches Essen für sie. Ich will schon noch mehr tun und vor allen Kindern recht freundlich den Hut abziehen, wie unser Herr Markgraf.«

Welche lachende Aussichten schon frühzeitig für den Kebsvater Marggraf! – Aber ohne Fürstvater häufte er Hoffnungen und Rechnungen von Jahr zu Jahr in seinem Kronschuldbüchelchen auf; er sah immer mehr, daß er am Ende selber mit der lebendigen Reichspfandschaft, mit Nikolaus, nach dem Schuldner und dessen Physiognomie umherreisen müßte, und wartete nur auf Zeit. Er brachte freilich ein kleines Münzkabinett von Gold- und Silberstücken mit hohen deutschen Gesichtern zusammen; aber war jemals auf einem Taler eine fürstliche pockengrubige Nase aufzutreiben, die sich ihm zum Zeigefinger oder Fühlhorn der dunkeln Vaterschaft ausstrecken konnte? Und was war vollends statt des Heiligenscheins auf Münzköpfen anders zu finden als ein Lorbeerkranz? – Ja wär' es nicht viel besser und närrischer gewesen, wenn er in den damaligen Reichsanzeiger die Anzeige hätte setzen lassen: »Ein junger Prinz, mit zwölf Blatternarben auf der Nase und mit Heiligenscheinen auf dem Kopfe bezeichnet, mit den besten Zeugnissen und mit allen Vorkenntnissen zum Regieren versehen, sucht seinen Herrn Vater; und ist das Nähere in der Expedition des Reichsanzeigers gegen frankierte Einsendungen zu erfahren« – wäre dies nicht viel besser und toller gewesen? fragt' ich.

Ich sollt' es hoffen; auch schickte der Apotheker wirklich später eine fast ähnliche Anzeige ein, die aber aus Mangel an Einrückgebühren für eine Satire gehalten und aus diesem doppelten Grund nicht aufgenommen wurde.

Reißen alle Stricke, dachte er zuletzt, so begleit' ich als sein Prinzengouverneur den Narren auf ein Jahr nach Leipzig auf die Universität und ziehe später nicht nur die nachträglichen Einkünfte eines Gouverneurs, sondern komme auch unter so vielen Meßfremden am Ende hinter den Vater.

Er war nicht abzubringen; gleich einem Pharaospieler setzte er immer höher auf die zögernde Karte.

In diesen Zeitraum fiel die für mehre Vorkapitel dieser Geschichte wichtige Begebenheit, daß ein alter Bekannter – von Margarethahausen her – auf seiner vierten Reise um die Welt – nämlich um die musikalische – einen Sprung in die Apotheke tat, um da ein gutes Glas Doppelcourage zu trinken, nämlich der berühmte Bratschist Mr. de Fautle, ein rundes dickes gallisches Männchen mit wetterleuchtenden Augen und umfahrenden Windmühlarmen. Der erfreuete Apotheker erinnerte sich – und ihn – sogleich, daß er ihn im Bade habe zu den Liedern seiner sel. Margaretha geigen hören; – mit Vergnügen ersann und entsann sich de Fautle, daß er Madame an mehr als einem Hofe mit seiner Armgeige begleiten helfen. Eigentlich wußt' er nichts mehr davon; denn Ansässigen bleibt wohl der Reisende im Kopfe sitzen, aber diesem nicht jeder Ansässige, vor welchem er vorüberrollt. Ein solcher welt- und hofkundiger Armgeiger, für welchen es eher zu wenige als zu viele Höfe gab, fiel dem Apotheker als ein guter Kometensucher eines Fürstvaters in die Hand. Der Bratschist versicherte, er habe vor allen großen und kleinen Höfen wenigstens zweimal den Bogen gezogen, kenne alle Fürsten persönlich, wisse aufs Haar, welcher regierender Herr eine Glatze unter dem Fürstenhute trage, und welcher nicht, und er drückte auf seine Fürstenkenntnis noch durch die Nachricht das Siegel, daß einige Wagen voll Prinzessinnen, deren Namen ihm sogleich beifallen müßten, weil er vorgestern vor ihnen gespielt, unfehlbar durch Rom gehen würden. Nur führte er starke Klagen darüber, daß ein reisender Dakapo-Künstler immer so lange warten müsse, bis man ihn so weit vergessen habe, daß er wiedererscheinen könne mit einer neuen Auflage von dal segno; ja daß manche schon bei bis sagten: tant pis. Und allerdings möchte man wohl wünschen, – da die Wiederholung nicht bloß die Mutter der Studien ist, sondern hier auch die Säugamme des Studienmachers – daß einige kultivierte Weltteile -mehr entdeckt würden, damit ein Tonkünstler erst größere Zwischenräume bekäme, um sein eigner Zwilling, Drilling, Vierling zu werden; ja was die fahrenden Deklamatoren anlangt, so wäre sogar zu wünschen, sie durchreiseten keine andern als die unentdeckten Weltteile.

Der Apotheker, der sogleich an ihm den Mann zu finden glaubte, aus welchem etwas herauszuholen sei, zog ihn nach den ersten Gläsern Doppelcourage in sein Laboratorium, um ihn als alten Freund mit den übrigen zu bewirten. Anfangs warf er zum Ausfragen nur von weiten die Fragen wie Leuchtkugeln hin, ob er nicht vor manchem gekrönten Haupte gespielt, das sich unter seinem Thronhimmel oder Betthimmel härme darüber, daß es Tausende von Landes-Kindern beglücke, und doch so viele ihm näher angehende natürliche Kinder in Bädern, Forsten, Hauptstädten elend sitzen lassen müsse, da es sie gar nicht kenne. Aber wie er nun auf der einen Seite sich in den Gram so herrlicher Fürsten recht tief hineinfühle, – fuhr Henoch fort, obwohl nicht in dem langen Periodenbau, den ich ihm hier, der Zierde wegen, leihen muß –, so stell' er sich auch auf der andern ebenso lebhaft den Wonnetanz vor, in welchen ein solcher Herr – der vielleicht in seiner eignen Ehe keine Mißgeburt, geschweige eine Geburt erschwungen – hineingeraten müßte, wenn plötzlich eine geheime Gesellschaft Pflegeeltern aufträte und ihm alle seine verstreuten Kinder oder enfants perdus lebendig vorführte; – ja sogar dann möchte der Fürst ziemlich jubeln (wenn nicht gar am meisten), falls ein gewissenhafter Mann auch nur einen einzigen, aber völlig auserzognen frischen Fürst-Sohn ihm wie ein Männchen aus der Uhr beim Glockenschlage vor die Augen springen ließe; und wenn er selber sich nun gar als den Überbringer des Sohns vorstelle, als einen stillen bisherigen Wundertäter am kleinen Kronwesen, seines möglichen Lohns gewärtig und gewiß – – – »O, Monsieur de Fautle!« rief Henoch, »wahrlich ich sehe den Pflegevater, den man so ungemein belohnt, ordentlich vor Lust in die Höhe springen vor Seiner Hoheit, dem Vater!« –

Der Armgeiger horchte mit gespitzten Ohren; zwar viel Dummes hatte er bisher als musikalischer Specht und klopfender Baumläufer an Thronen und Stammbäumen vernommen und manche närrische Sätze gehört – wozu er jedoch seine Tonsätze für sein Instrument nie zählen wollte –; aber solche Sätze waren ihm niemals in Paris und auf der ganzen Reise zu Ohren gekommen. Er begann daher: zwanzig, funfzig, hundert, hundertundfunfzig – gerade so viel natürliche Kinder zähle Leopold, der Großherzog von ToskanaDiese Angabe steht nebst der andern von 200 gemißbrauchten Mädchen im 1ten Hefte der Fragmente über Italien., sonst ein so gütiger Herr, der aber wisse, daß keine Fürstenbank lang genug sei, um sie daraufzusetzen. – Er wollte sich, fuhr de Fautle fort, nicht einmal auf sich selber berufen, welche Menge weiblicher Bekanntschaften (man erstaune darüber) er schon auf seinen Kunstreisen gemacht, und wie wenig ihm bei seiner Instrumentalmusik, die ihm notdürftig forthelfe, mit einer Zahl untergelegter lebendiger Vokalstimmen als Texten gedient sein würde – und zwar mehr Schreier denn Sänger – pardieu! er würde, wenn sie alle ihn ansängen, verzweifeln, und hätt' er noch einmal so viel Doppelcourage getrunken als heute bei einem so werten Kunstfreunde. Stell' er sich aber gar einen armen Fürsten vor nach seiner großen Tour durch das Länder-Drei und nach den kleinen Tanz-Touren in seinem eignen – und mit seinen Apanagengeldern und mit seinen Finanzkammern – und mit den zarten Rücksichten auf seinen hohen Stand, dessen Ehre gerade durch das würde verwundet werden, was im bürgerlichen als eine Pflicht gegen natürliche Kinder gelten soll – stell' er sich einen solchen Fürsten vor: wahrlich! er möchte keiner sein. – Und dann beschloß er ruhiger. »Und überhaupt welchem deutschen Fürsten wären die Familienstreitigkeiten nicht bekannt, die unser großer Louis XIV., der nicht einmal die große Tour gemacht, zwischen seinen legitimierten Prinzen und den Prinzen von Geblüt zu erleben hatte!«

– Etwas Verdrießlicheres konnte der Apotheker nicht zu hören bekommen; aber in der Hoffnung, vom Armgeiger nicht durchschauet zu sein, stellte er, indem er langsamer einschenkte, sich an, als springe er auf etwas anderes und könne sich nicht sogleich auf den Namen eines gewissen Fürsten besinnen, der damals im Bade Margarethahausen gewesen und der, wie er sich dunkel erinnere, eine närrische Nase mit 12 Blatternarben gehabt. »Wie hieß er aber doch?« sagte Henoch. De Fautle konnte auf nichts kommen. – Da es nun zur Darstellung einer Physiognomie und deren Nase wohl keinen bessern Handgriff gibt als die Vorzeigung einer ähnlichen: so stellte der Apotheker dem Armgeiger auf einige Minuten seinen Nikolaus mit den Worten vor: »sein leiblicher Sohn sei dem Fürsten durch ein Versehen der Mutter wie aus den Augen geschnitten.« Aber der ebenso listige als lustige Franzose, schon längst über alles stutzig, schauete nun durch das Bratschen-Efloch oder eirunde Herzloch in den ganzen innern Apotheker hinein und erboste sich ingeheim unglaublich darüber, daß ein dünner Apotheker, während er selber nur der musikalische Hollandgänger und Grönlandfahrer bei Fürsten war, so prahlende Ansprüche auf Verhältnisse mit ihnen verriet. Er drückte sich daher – seine Eitelkeit war zehnmal größer als seine Höflichkeit und Dankbarkeit und sein gegenwärtiger Durst – über höhere Nasen und Blattern mit einer Roheit aus, daß ich gerne, um den Ausdruck etwas gemildert wiederzugeben, zu dem Gleichnis greife: die Höhenmessungen mancher Hohen geschehen, gleich denen der Berge, durch – Quecksilber.

Als der Geiger mit seiner Doppelcourage abgegangen, blieb dem Apotheker nicht viel von einer einfachen zurück. Auch wuchs sie nicht sonderlich, als die vom Bratschisten angekündigten Wagen mit Prinzessinnen richtig eintrafen, sondern der Mann wurde etwas krank.

Was aber Nikolaus wurde, als die Prinzessinnen ankamen, werden wir nirgends besser erfahren als im vierten Vorkapitel, wo sie wieder abgehen.

Ernste Ausschweife des dritten Vorkapitels sind: Annahme sittlicher Unarten – Jacobi, der Dichter und Philosoph zugleich – Die leidenden Kinder – Anschauung der Größen und der Kleinigkeiten – Staatsleute – Politisches Gleichnis und Gegengleichnis – Kanonieren bei Geburt und Begräbnis.


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