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16.
Amsterdam

Die Häuser, spitzgegiebelt, scheinen sich zu neigen,
Als wollten sie fallen. Masten vieler Schiffe, die dem Grau des Himmels sich vermischen,
Lehnen vornüber wie Gestrüpp von dürren Zweigen
Inmitten von grünem Laub, von Rot und rostigem Braun,
Von Kohlen, Widderfellen und gesalznen Fischen.

Robinson Crusoe hat einst durch Amsterdam den Weg genommen
(So glaub ich wenigstens), da er von seiner grünen
Schattigen Insel, wo die frischen Kokosnüsse blühten, heimgekommen.
Wie schlug das Herz ihm, da er plötzlich vor sich nah
Die mächtigen Türen mit den schweren Bronzeklöppeln sah! …

Schaute er voll Neugier in die Halbgeschosse, wo in Reihen
Die Schreiber sitzen, in ihr Rechnungsbuch versenkt?
Kam ihn die Sehnsucht an, zu weinen, da er an den Papageien
Dachte, den er so liebte, und den schweren Sonnenschirm,
Der auf der traurigen und gnadenreichen Insel oft ihm Schutz geschenkt?

Ach, deine Wege, Herr, so rief er aus, sind wunderbar!
Da all die Kisten mit den Tulpenmustern auf den Gassen
Sich vor ihm stauten. Doch sein Herz vom Glück der Wiederkehr beschwert,
Dachte der Ziege, die im Weinberg seiner Insel er allein zurückgelassen,
Und die vielleicht nun schon gestorben war.

Dies alles fiel mir ein vor den ungeheuren Frachten im Hafen,
Und ich sah im Geist die alten Juden, die an schwere Eisenwagen
Mit knochigen Fingern rühren, über denen grüne Ringe glänzen.
O sieh! Amsterdam will unter weißen Wimpern von Schnee entschlafen
In den Geruch von Nebel und von bitterer Kohle eingeschlagen.

Die gewölbten weißen Buden, wo zur Nacht die Lampe glimmt,
Und aus denen man den Ruf und das Pfeifen der schweren Frauen vernimmt,
Hingen gestern im Abend wie Früchte, wie große Kürbisschalen.
Man sah Plakate blau und rot und grün im Licht aufstrahlen.
Von gezuckertem Bier ein scharf prickelnder Duft
Lag mir auf der Zunge und war mir ins Gesicht gestiegen.
Und in den Judenvierteln, die rings voller Abfälle liegen,
Stand der Geruch von kalten rohen Fischen.
Auf dem klitschigen Pflaster lagen Orangenschalen umhergezerrt.
Ein aufgedunsener Kopf hielt weite Augen aufgesperrt,
Ein Arm, der Reden hielt, schwang Zwiebeln in der Luft.

Rebekka, du verkauftest an den schmalen Tischen
Schwitzendes Zuckerzeug, armselig hergerichtet …

Der Himmel strömte wie ein unsichtbares Meer
Wolken von Wellen in die starrenden Kanäle.
Stille lag auf der Handelsstadt und stieg, ein unsichtbarer Rauch,
Feierlich von den starken hohen Dächern her
Und Indien trat beim Anblick dieser Häuserreihn vor meine Seele.

Oh, und ich träumte, daß ich so ein Handelsherr einst war,
Von denen, die aus Amsterdam in jenen Tagen
Gen China segelten und vor ihrem Gehen
Die Hut des Hauses einem treuen Diener aufgetragen.
Ganz so wie Robinson hätt' ich vor dem Notar
Die Vollmachtschrift umständlich mit der Unterschrift versehn.

Meine strenge Rechtlichkeit hätt' meinen Reichtum aufgebaut.
Mein Handel hätte geblüht so wie im Mondenschein
Ein Lichtstrahl, der am Schnabel meines runden Schiffes säße.
Die großen Herren von Bombay gingen bei mir aus und ein
Und hätten mit heißem Blick auf mein kräftig schönes Weib geschaut.
Ein Mohr mit goldnen Ringen, vom Mogul entsandt,
Käme zu handeln, lächelnd unter seinem Sonnenschirm!
Bei seinen wilden Geschichten hätte meiner schlanken Ältesten Herz gebebt,
Und zum Abschied hätte er ihr ein Gewand
Geschenkt, rubinenfarben, von Sklavenhänden gewebt.

Die Bilder meiner Lieben hätt' ich dann nachher
Bei einem armen geschickten Maler bestellt:
Mein Weib, mit hellen rosigen Wangen, schön und schwer,
Die Söhne, deren starke Jugend alle Welt
Entzückte und der Töchter Anmut, mannigfalt und rein.

Und also wär' ich heute, statt ich selbst zu sein,
Ein andrer, und auf meinen Reisen im Vorübergehn
Hätt' ich mir wohl das altehrwürdige Haus besehn,
Und meine Seele hätte träumend gebebt
Vor den schlichten Worten: Hier hat Francis Jammes gelebt.


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