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6.
Gebet, einen Stern zu erlangen

Mein Gott, laß mich ausgehn, einen Stern zu finden.
Vielleicht, daß so dem kranken Herzen Ruhe werde …
Aber du willst nicht, daß ich einen Stern erlange,
Du willst es nicht, nein, und du willst auch nicht,
Daß mir das Glück ein Stückbreit in dies Leben komme.
Siehe: ich klage nicht, ich bin ganz still
In mir, ganz ohne Bitterkeit und Spott,
So wie ein blutbeströmter Vogel zwischen Steine hingeduckt.
O sprich: Ist dieser Stern der Tod vielleicht? …
Dann reich ihn mir so wie man einen goldnen Pfennig reicht
Dem Bettler, der am Rand des Grabens hungernd hockt.
Mein Gott, ich bin dem Esel gleich, der mit zerbrochnen Tritten seines Weges zieht …
Was du uns gabst, wenn deine Hand es wieder uns entzieht,
Ist furchtbar, Gott, und unser Herz durchweht
Es furchtbar wie ein Sturm, davon es ganz in Ängsten steht.
Was braucht's, daß ich genese? Kannst du, Gott mir's sagen?
Denke daran, mein Gott, daß ich Stechpalmen einst dir zugetragen,
Als ich, ein Knabe, mich zu deiner Krippe bückte,
Wo meine Mutter sanft die Kerzenleuchter schmückte.
O gib ein wenig mir von dem zurück, was ich dir tat,
Und wenn du glaubst, daß so mein krankes Herz genese,
Sei gnädig, o mein Gott, und laß den Stern mich finden,
Da ich ihn ja doch brauche, heute nacht ihn mir ans Herz zu legen,
Das kalt und ausgeleert und mächtig zittert unter seinen Schlägen.


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