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Laß mich nicht sterben

Laß mich nicht sterben, wenn die Schöpfung badet
Sich froh und glücklich in der Sonne Glanz,
Wenn tausend Vögel froh im Haine jubeln,
Und Wellen schaukeln sich in munterm Tanz,
Wenn milde Winde streun der Blumen Duft,
Und Wolken nicht verdunkeln die helle Luft!

Das, was von allem ich am meisten liebte,
Natur mit ihres reichen Lebens Pracht,
Ich folgte dem geheimsten Atemzuge,
Dem Jüngling gleich, der bei der Liebsten wacht –
Ich will ihr leeres Lächeln dann nicht sehn,
Wenn wir für immer auseinandergehn.

Laß mich nicht sterben, wenn der Dämmrungsseufzer
Sich löst von ihrer angstumspannten Brust,
Wenn sich die Wehmutszüge in die Stirn ihr graben
Beim Denken an der lichten Stunden Lust!
Die Mitleidstränen zeigen dann sich klar.
Und bitter stets die Mitleidsträne war.

In dunkler, wilder Herbstnacht laß mich sterben,
Wenn Stürme sausen über Meer und Land
Und wirbeln Blätter in verworrnen Kreisen
Und schleudern Wogen schäumend an den Strand,
Wenn Wolken ziehn in seltsam irrer Flucht
Und nicht ein Stern zu uns hinunterlugt!

Dann kann ich glauben, daß sie mich bejammert
Und trauernd ihre Stirn verhüllen will,
Und was an mir die ganze Welt verlöre,
Ich säh es in der Wolken Schattenspiel:
Sie formen Wesen, die ich sollt gebären,
Nun wird ein früher Tod es mir verwehren.

Sept. 1868.


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