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Vierzehntes Kapitel.

Inhalt der Brieftasche.

I.
Graf Heinrich an Hermann, den Vater.

Hamburg, den 10. April 1795.

Hermann, noch klingt und zittert unser Abschied in allen Fiebern meiner Seele nach! Als ich die Räder Deines Wagens rollen hörte, barg ich mein feuchtes Antlitz im Tuche, warf mich über den Tisch, und fraß meinen Schmerz hinunter. – Nun bist Du fort, ich suche Dich überall, und umarme nur ein ödes Luftbild. Du fehlst mir überall; das würde ich ihm sagen, diese Empfindung in seinen Busen ausschütten! spreche ich hundertmal des Tages vor mich hin, ach, Du weißt es nicht, Du Kalter, welches Gefühl für Dich in diesen Adern siedet! Nur die Freundschaft konnte mein Herz ganz ausfüllen, ich zweifle, ob es die Liebe je wird vermögend sein. Ach, daß Du mir fehlst!

Hamburg und Bremen, und Bremen und Hamburg! wirst Du sagen. Fünfzehn Meilen, ist das eine Entfernung? Wie bald können wir wieder zu einander kommen! Und dennoch, wie fern liegt die Aussicht dazu! Dieses Wiedersehen nach unsern glücklichen academischen Jahren war das letzte Auflodern der Jugend, Dich werden Deine Verhältnisse, in denen Du schon so ziemlich eingesponnen bist, nach und nach immermehr wie mit eisernen Zangen fassen, und ich muß ja nun auch wohl zu Hause hocken, wenn ich meinen Vater nicht ganz aufbringen, und ihn dazu treiben will, daß er mich auf den Pflichttheil setzt.

Hier bleibe ich noch ein Paar Wochen, um dem Meere nahe zu sein, welches mit wunderbarer Gewalt in mir Windstille und Sturmwogen schafft, und dieses eigensinnige, kranke Herz zum Genusse seiner selbst mächtig aufwühlt. Freilich, unter den Krämern wird mir nicht wohl. Gestern wollte mich Einer auf ein Schiff mitnehmen, um mir eine Vorlesung über Befrachtung, Segel und Steuermannskunde zu halten. 288 Ach, versetzte ich, lassen Sie das; mir wäre nöthiger zu wissen, wie wir unsern Lebensnachen an Klippen und Untiefen vorbeibringen, welche Winde ihn weiter führen, vor welchen Strömungen wir ihn zu hüten haben!

Hermann, unser Schwur, unser heiliger Schwur! Daß sich Keiner dem Andern in der höchsten Noth seiner Seele versagen soll, und gälte es das Opfer des eigenen Lebens und Glücks. Wir haben es uns gelobt, als wir das Blut unserer Adern zusammen in die silberne Schaale rinnen ließen, und die Fluth dann mischten zu dem Weine, den wir genossen, als Kelch eines weltlichen Abendmahls. So schließen die Wilden ihre Todesbrüderschaften, und wir habens ihnen nachgemacht, und wollen immerhin gar gern außerhalb der sogenannten Cultur mit unsern Gefühlen stehen. Wie dürfte ich, meinen Eid durch eine That für Dich auszulösen!

Ich habe Klopstock besucht, der sich ganz verjüngte, als ich ihm von unserer Freundschaft erzählte. So meinte er, habe er nur seinen Schmidt, seinen Ebert, seinen Giesecke geliebt, und sei diese Liebe, wie er geglaubt, aus der Welt verschwunden gewesen. Er sprach viel von seiner Jugend, von Halberstadt und Gleim, von Fanny und Meta, und sagte, er könne sich in die jetzige Welt nicht mehr recht finden. Die jungen Meister wähnten, die Kunst treiben zu können, während sie, die Alten, von der Kunst getrieben worden wären. Ich bat um seinen Segen, den er mir auch als Hoherpriester in Thuiskons Heiligthume feierlich-gerührt ertheilte. Dieser schönen Stunde Antheil fliege Dir, mein Geliebter, auf den Schwingen Idunens zu! Sei mein, wie ich bin

Dein ewiger
H.
       

II.
Derselbe an Denselben.

Hamburg, den 15. April 1795.

Hermann, ich reise. Der Frühling will vor den Seestürmen, die von Cuxhaven herüber wehen, nicht zum Durchbruch kommen, ich gehe also, ihn an seiner Wiege, im Süden aufzusuchen. In Schwaben oder 289 in der Pfalz will ich mich unter Mandelbäume und Kastanien lagern, alte Burgen erklimmen und mich in schönere Zeiten träumen. Und wenn ich erwache und sehe, daß das Geschlecht der Edleren von der Erde verschwunden ist, so soll mir die jüngste Blüthe die ganze Weltgeschichte ersetzen. Zudem sei Dir vertraut, daß ich von hier fort muß. Kein Mensch muß müssen, sagt Lessing, aber ich muß doch fort. Die schöne Frau, mit der Du mich oft zusammen sahst, bezeigte sich gefälliger gegen mich, als ich anfangs selbst erwarten durfte, das hat nun Folgen gehabt, und so weiter. Die Thränen des armen Weibes fallen wie glühende Tropfen auf meine Seele, aber kann ich ihr helfen? Was geschehen konnte, ist geschehen, und so muß denn dieses Capitel meiner Lebensgeschichte vor der Hand abgeschlossen sein.

Ich sehe Dich saure Mienen machen, und höre Dich über Freigeisterei schelten, alter, treuer Moralist. Höre mein Credo in Betreff der Weiber. Sie sind so einseitig und eng, daß es eine Umkehrung aller Gesetze der Natur wäre, den Mann zum Sclaven einer einzigen Neigung machen zu wollen. Vielmehr hat sie, die ewigwahre, hier schon das richtige Verhältniß angedeutet, indem sie dem Weibe die Frucht gab, die ihr verbleibt, während der Mann von allen glücklichen Stunden nur ein bald erblassendes Andenken sich erhält. Bequemen wir uns, die wir Erde und Himmel mit unserm Geiste umfassen, eine Zeitlang zu den Füßen einer Frau zu girren, so dächte ich, daß ihr das genügen könnte, und mehr begehren heißt das Unmögliche verlangen.

Daß ich verheirathet bin, daß ein Junge von mir bereits das ABC lernt, was ist's nun weiter? Mein Vater wollte es gern, daß ich, fast noch Student, unterducken sollte, weil er davon, was weiß ich? welche Mirakel der Besserung erwartete, und mir war es angenehm, daß ich, der ich in so Vielem ihm hatte entgegen sein müssen, in diesem Punkte ihm einen Gefallen thun konnte. Hierauf traten wir vor den Altar, das kalte Fräulein Celeste sagte Ja, der warme Graf Heinrich sagte Ja, ein bezahlter Pfaffe sagte Amen, und ich war ein Ehemann worden. Wir haben einen Sohn gezeugt, pflichtmäßig, wie die Herrenhuter, und es müßte ganz verkehrt zugehen, wenn der Bube nicht ein Ausbund von Tugend und Ordnungsliebe wird, da bei seiner Erschaffung Alles im regelrechtesten Gange verblieben ist.

Und damit sollte das Leben eines Menschen beschlossen sein? – 290 Verdammt sollte er sein, den Feuerstrom seines Innern in rostigen Formen erstarren zu lassen? Du wirst mich davon nicht überreden, Du nicht, keiner wird es. Du denkst es auch nicht.

Um Eines bitte ich Dich. Halte mich in dieser Materie für keinen Don Juan, der thierisch umherwüthet. Immer ist mein Herz bei der Sache, nie wende ich Verführerkünste an, die ich hasse, wie den Abgrund der Hölle. Wir sind schwach, das ist das ganze Geheimniß. Das Himmelsfünkchen: Seele ist in einen Ballen Fleisch und Blut verpackt, haben wir das zu verantworten? Der Gott, welcher uns so hinfällig schuf, wird mit unserer Hinfälligkeit Mitleid haben, wird von thönernen Gefäßen nicht die Härte des Marmors erwarten.

Auch die Lolo habe ich wahrhaft geliebt, und der unglückliche Ausgang wird eine Narbe in mir zurücklassen, die gewiß sobald noch nicht verharrscht.

Bleibe Du mir nur, der Du mir bist, dann steht Alles gut.


III.
Derselbe an Denselben.

Heidelberg, den 1. Mai 1795.

O Hermann, wie grünt und blüht es hier! Diese Pracht ist nicht zu beschreiben, man muß in ihr mit allen Sinnen wühlen. Ich wohne dicht unter dem Schlosse. Nur wenige Schritte, und ich bin mitten unter dem Schnee der Mandelbäume, Kastanien und Apfelstämme. Siehst Du, wie viel besser die Erde auch hierin ist, als der Himmel! Er sendet ihr kalte Flocken zu, und sie wirft ihm von ihrer Brust die warmen duftenden entgegen. Obgleich kein Liebhaber von Werther, da ich aller Sentimentalität abhold bin, und glaube, daß das Vaterland Männer nöthig habe, nicht solche schwärmende Siechlinge, so kann ich doch hier nur seine Worte nachsprechen: Man möchte zum Maikäfer werden, um in dem Meere von Wohlgerüchen herumschweben, und alle seine Nahrung darin finden zu können.

Deinem Briefe läßt sich leider anmerken, daß Du in der freien 291 Reichsstadt Bremen stark eingepfercht bist. Was soll nur das Geschwätz von Graf und Bürger, und daß die Verhältnisse doch einmal zerstörend zwischen uns treten würden? Wenn das geschieht, wenn in mir je eine Empfindung von den sogenannten Schranken des Standes Dir gegenüber entsteht, so möge mich der Donner des Allmächtigen im nämlichen Augenblicke vertilgen! Herzbruder wir haben Einer des Andern Blut getrunken, unsere Seelen sind nicht mehr zwei, es sind Saiten derselben Harfe, auf welcher die Accorde des hohen Liedes von ewiger Freundschaft dröhnen.

Säßest Du nur hier bei mir unter den Mandeln, und der Baum bewürfe uns beide mit Blüthen, da würden Dir schon die Grillen vergehen. Von Klopstock habe ich ein Paar Zeilen, die mich ganz glücklich machen. Da sie Dich mit angehen, so sende ich sie Dir, und Du magst sie behalten, so schwer es mir fällt, mich von diesen theuren Schriftzügen zu trennen. Aber was theilte ich nicht gern mit Dir.


Zwei Worte Dir ins Ohr, aber sprich davon nicht weiter: Ich liebe! – Du lachst und rufst: Nichts Neues! Sachte, Kind, Kind, das ist etwas ganz Anderes. Lange behilft sich der Laie mit den äußern Bildern des Altarschreins und meint, die Schönheit an ihnen zu besitzen, und nun werden die Flügel aufgethan, und da sieht er erst, welche Herrlichkeit sich auf Erden begeben kann.

Worte sind Worte, und Phrasen geben kein Gefühl von den Dingen. Also nichts dergleichen. Nur so viel sei Dir gesagt, daß hier ein Markstein meines Lebens gesetzt ist, und daß Dein Freund viel anders werden wird. Sah doch Petrus auch ein Tuch voll reiner und unreiner Thiere, und war eines so gut als das andere. In dem Tuche sind wir nun auch aufbehalten, von einem Engel berührt und geheiligt.

O pfui, das ist Gewäsche, nichtssagendes Gewäsche! Kurz und trocken also referire ich Dir, daß ich hier in einem Weinhügelwinkel am Neckar, hart an der Grenze von Schwaben sitze, und einem Mägdlein helfe Blumen pflanzen und junge Schoten lesen. Gott gebe der Seligkeit Bestand, lasse mich die übrige Welt vergessen und von ihr vergessen sein.

Sie ist die Tochter eines Landpredigers, der mich unter seinen Obstbäumen empfing, wie ein Patriarch des alten Bundes. Ich entdeckte das Kleinod auf einer meiner Streifereien den Fluß hinaufwärts. Auf ihren Wangen blüht die Unschuld, und süße Unschuld blüht ihr im Herzen, und 292 um sie weht guter Friede und aller holdseligen Dinge die Fülle. Nun habe ich doch einmal einen Busen, der ganz erfüllt ist von mir, und nichts fassen und halten will außer mir.


Den ersten Mai habe ich diesen Brief begonnen, nun erhalte ich Deinen vom zehnten Juli, der mich über mein Schweigen ausschilt, und da sehe ich mit Erschrecken nach, und finde meine Paar Sätze, die ich diese Monate her auf das Papier gestrudelt, noch unabgesendet vor. So mögen sie Dir denn zukommen, als ein Beweis, daß es Deinem Freundewohl geht, denn, wenn man nicht schreibt, und nichts zu schreiben hat, so ist man glücklich.

Denke Dir eine Knospe, frisch und herb aus dem Grün der umhüllenden Blätter brechend, und die ganze Pracht der Blüthe im jungen Roth andeutend und Du hast das Bild von Babetten, weißt, wodurch sie mich so unwiderstehlich fesselt. Fern von städtischer Weichlichkeit ist sie aufgewachsen, kräftig unter den Nußbäumen und Weinranken. Ach, wie wohl thut es, nach so manchen Mischgebräu, was wir haben verschlucken müssen, unsern Gaumen einmal an dem kühlen, klaren Trunke der Quelle laben zu dürfen!

Ich lebe hier unter dem Namen eines Herrn von Müller, der Alte sieht unserm Umgange nach, ich bin mit ihr vom Morgen bis zum Abend, und der Tag ist um, ehe wir uns dessen versehen haben.

Deinen Namen muß sie mir hundert Mal des Tages nennen, ich empfange ihn von ihren Lippen wie ein heiliges Geschenk des Himmels. Unser ganzes Verhältniß habe ich ihr erzählt, sie liebt Dich, ohne Dich gesehen zu haben, und wenn sie mich küßt, so spricht sie: Dieser da ist für Dich, und der für Deinen Freund, da Ihr ein Herz und eine Seele seid, so darfst Du nicht eifersüchtig werden. – Neulich sagte sie mir mit ihrer himmlischen Naivetät: Du bist ein Edelmann und wirst mich armes Schwabenmädel nur verführen; wenn das ist, so möchte ich Deinen Freund am liebsten heirathen, bitte, rede mir bei Zeiten das Wort bei ihm! 293


IV.
Derselbe an Denselben.

*** den 4. September 1795.

Was daraus werden soll? fragst Du, und hast den Arsenal der Pflichtenlehre geplündert, mich hier in meinem Versteck mit allerhand Tugendermahnungen zu beschießen. Freund, wenn ich in ihren Armen ruhe, möchte ich die ganze Welt beglücken, ich bin so froh, wie Jupiter, wenn er von Liebe geschmeichelt, Regen und Sonnenschein den harrenden Geschlechtern der Menschen sendet. Ich könnte dann Alles thun, opfern, hingeben, ein weinendes Auge zu trocknen, einer guten Seele eine freudige Minute zu schaffen. Ist das nun Laster?

Sind wir nicht schon unglücklich genug durch unsere Verhältnisse, ist dem wundgedrückten Sclaven auch das versagt, auf eine kurze Stunde die Kette zu lockern, die sein Fleisch schmerzlich preßt?

Hat mich mein Geschick gefragt, ob ich dieses reizende Mädchen lieben wolle? Sind wir dafür verantwortlich, was ein geheimnißvoller Zug in uns ohne unser Zuthun schafft? Da ich ihre Augen sah, mußte ich in sie mit den Pfeilen meiner Blicke eindringen, da ihre Lippen mir winkten, wie konnten die meinigen widerstehen? Da an ihrem Busen die süßeste Ruhestätte mir bereitet ward, hätte ich ein Thier sein müssen, mich nicht dort zu betten.

Ich wälze abenteuerliche Plane um. Meine Frau macht sich nichts aus mir, mein Vater hat mich nie geliebt, was bin ich ihnen also? Mein Dasein ist ihnen völlig unnütz, und ich bedarf wieder der Flittern des Standes nicht. Wenn ich mich mit der, die meine Seele liebt, verbärge, weit, weit hinter großen Strömen und undurchdringlichen Wildnissen, und löschte aus im Angedenken der Menschen, außer in Deinem, in dem unterzugehen, für mich der moralische Tod wäre, härter als der physische.


V.
Derselbe an Denselben.

*** den 8. September 1795.

294 Daß mich meine Narrheit zwingt, Alles Dir zu vertrauen, obgleich ich weiß, daß Du schmählst, aber ich besitze und genieße etwas nur, wenn ich es mit Dir theile. Ich merke es Deinen Briefen an, besonders dem letzten, daß Du mit mir zürnest, Du sprichst keine Vorwürfe mehr aus, aber alle Zeilen sind ein Vorwurf. Da wäre es nun an der Zeit sich auch zurückzuziehen, bis der böse Freund dem Andern seine Wonne mit gutem Herzen gönnte. Aber ich kann das nicht, zu meinem Glück oder Unglück ist mir die überströmende Seele gegeben, die nur in schrankenlosem Vertrauen, in unendlicher Hingebung sich befriedigt fühlt.

Ich lebe jetzt mit Babetten auf diesem alten Bergschlosse, tief im wildesten Gebirg. Der Vater, nachdem er unsere Liebe lange tolerirt, wollte auf einmal den Strengen spielen, untersagte mir das Haus, sperrte mein Mädchen ein. Gegen Zwang hat sich seit Adams Zeit noch immer die freie Liebe empört; in einer Nacht, welcher Venus den funkelndsten Schein spendete, folgte mir die Getreue, die Holdselige.

Nun führen wir, von Waldkronen umrauscht, zwischen Trümmern und Klippen hausend, ein Leben wie die Ritter und ihre Trauten in den alten Mährchen. Es ist, außer einem alten Pachter mit seiner tauben Magd und einem halbblödsinnigen Knechte keine Menschenseele in diesem Steinklumpen, auch wohnen auf eine Stunde Weges hin keine Leute. Diese Einsamkeit hat etwas Großes, wundersam Süßes. Wenn die Sonne den Wald in einen grüngoldnen Zauberpallast verwandelt oder der Sturm, wie der Athem des Geistes, durch die Zweige der Buchen geht und ich mein Mädchen in den Arm fasse, da dünkt's uns oft, wir seien dieser Zeit entrückt, und lebten in den Tagen der Fabel.

Die Liebe lebt ihre eigene Geschichte, und braucht der Außendinge nicht. Babette besorgt die Küche, ich spalte ihr das Holz, oder suche mit der Jagdflinte ihr einen Braten zu erlegen, und wenn ein Gericht wohlgerathen ist, oder mein Waidwerk gute Beute gab, so sind das große Ereignisse, an welchen wir lange nachzuzehren haben.

295 Sie hat mir Eines nicht versagen dürfen, was ich dir zitternd, leise und scheu, wie ein Kind, das vor der Mutter fürchtet, vertraue. Wenn Dunkel sich über Berge und Thäler goß, und auch die Abendlampe erlosch, dann ruhe ich selig und froh an ihrer Seite. Wehe Dir, wenn Du etwas Uebels davon denkst! Rein, heilig und unsträflich theilen wir das liebliche Lager, und tiefe Ehrfurcht vor der Unschuld liegt zwischen uns, wie ein geschliffenes Schwerdt. Es war nur so eine Laune und Grille von mir; zu proben, ob man nicht lieben kann, wie die Engel sich lieben. Und siehe da, die Probe ist gelungen. Ach, wie süß sie zitterte, da ich zum erstenmale von meiner erstürmten Befugniß Gebrauch machte, und wie ruhig sie nun mir am Busen entschläft!


VI.
Derselbe an Denselben.

*** den 20. October 1795.

Lieber, man ist oft nicht in der Stimmung, Andern zu antworten. Nimm es mir also nicht übel, wenn ich auf Deine Fragen nichts erwiedere, als die Bitte, mir mit guter Art meinen Taufschein zu verschaffen, dessen ich zur Ausführung eines nothwendigen Vorhabens bedarf.

Ich habe Babetten meinen Stand und Namen entdecken müssen, Du kannst mir also das Verlangte nur unter meiner wahren Adresse hierher senden.

Der alte Caplan ist mir ergeben, er wird reinen Mund halten, wenn Du den Schein unter dem Siegel der Verschwiegenheit von ihm forderst. Ich mag nicht an ihn schreiben, denn aus allerhand Anzeigen schließe ich, daß mein Vater und meine Frau mir auf der Spur sind, und ein Brief von mir könnte leicht durch eine schadenfrohe Zufälligkeit ihnen bekannt werden. 296


VII.
Babette an Hermann.

*** den 24. October 1795.

Ein unglückliches Mädchen, elender als Worte es zu nennen vermögen, beschwört Sie bei der Pflicht der Wahrheit, und Sie erinnernd an die letzte Stunde, welche Alles uns vorhält, Gutes und Schlimmes, ihr zu sagen, ob ein Edelmann, Namens von Müller, der auch Graf *** heißen soll, bereits vermählt, und Vater eines Sohns sei?


VIII.
Graf Heinrich an Hermann.

*** den 6. November 1795.

Es bedarf keiner Antwort auf die Zeilen Babettens, welche Du mir überschicktest. Sie weiß Alles, und wir mögen uns nur die Haare ausraufen, mit den Nägeln unser Antlitz zerfleischen, und dem Kitzel unsres Vaters, der warmen Stunde unsrer Mutter fluchen, welche ein Thier mehr: Mensch genannt, in die Marterkammer, Leben trieben.

November sollte das ganze Jahr hindurch sein, so schwarz, stürmisch und regnerisch, wie dieser! Der Mai ist eine Lüge, und jeder Sonnenblick ist eine! Da sitzen wir nun; Babette in ihrer Stube, die sie vor mir verschlossen hält, und ich in meiner, und der Vater geht unter dem Burgwalle auf und nieder, und zerstampft das Gras mit seinem Stocke. Unsinn der Welt, Chaos, weites, wüstes Narrenhaus! Die Natur erbaut auf Gefühlen den ganzen großen Tempel des Seins, und wenn wir ihnen folgen, lohnt sie uns mit Verzweiflung ab.

Ich will versuchen, Dir zu erzählen, wenn meine von Weinen geschwollenen Augen, meine zitternden Finger mir erlauben, den Brief zu Ende zu bringen,

Der Zustand Babettens war unzweideutig geworden, ich entschloß mich, in ferne Länder mit ihr zu fliehen, dort mich mit ihr zu verbinden, und für meine deutschen Verhältnisse fortan todt zu sein. Was an diesem 297 Vorsatze unerlaubt war, erschien mir leicht und verzeihlich gegen die Sünde, das Mädchen meines Herzens dem Jammer Preis zu geben.

Ich sprach mit ihr davon, arglos willigte sie in Alles, schöpfte auch keinen Verdacht, als ich ihr meinen Grafenstand entdeckte, ließ meine Vorwände gelten. Den Taufschein erbat ich mir von Dir, damit kein Priester der Trauung Hindernisse in den Weg legen könnte.

Da muß mein böser Stern unsern Freund Müller in die Nähe des Neckars führen. Du weißt, wie er mich mit seiner Freundschaft verfolgte, wie mir seine übertriebene Empfindsamkeit zuwider war. Er hört durch Zufall von mir, und beim wildesten Wetter steht er auf einmal in meiner Burgzelle vor mir. Ich empfange ihn kalt, verlegen, er macht mir Vorwürfe, aber bleibt, ich rede von einer Reise, die ich sogleich in einem Geschäfte anstellen müsse, er erbietet sich, mich einige Meilen zu begleiten.

Ehe ich noch einen Entschluß fassen, ein unglückliches Zusammentreffen verhindern kann, hat er Babetten gesehen, gesprochen, und mich in ihrer Gegenwart nach meiner Frau, meinem Kinde befragt.

Wenn auch alle Güter, alle Zauber des Lebens sich vereinigten, mich so hoch zu heben, als ich jetzt tief gestürzt bin, den Blick, das Antlitz Babettens werde ich nicht vergessen, womit sie diese Entdeckung anhörte. Die Stunde wird wie ein schwarzer Schatten über meinem Dasein lasten bleiben, und stiegen die Engel mit Schalen voll himmlischer Fluthen herunter, meine Seele rein zu waschen. Es war nicht Zorn, nicht Schreck, nicht Bestürzung, was in ihrem Gesichte sich malte, es war, ach, wer kann wer mag das Furchtbare schildern, wenn treue heiße Liebe auf einen Ruck sich in ihr Gegentheil umsetzt?

Die Donner des Schicksals waren durch den Unberufenen nur beschleunigt, abzuwenden wären sie dennoch nicht gewesen. Nach einem grauenvollen Tage, den ich vergeblich flehend vor Babettens verschlossener Thüre zernichtet zubrachte, drang durch Sturm und Regen ihr Vater hierher, der uns durch seine Späher endlich doch ausgekundschaftet hatte. Briefe von den sogenannten Meinigen hatten sich in seine Pfarrwohnung verirrt, und waren von dem argwöhnischen Alten erbrochen worden. Er kannte also alle meine Verhältnisse. Anfangs wollte Babette auch ihn nicht einlassen, die Gewalt der väterlichen Autorität siegte aber endlich, und es gab eine erschütternde Scene.

Ich erklärte mich zu Allem bereit, was nur im Umfange menschlicher 298 Kräfte stehe; man nahm meine Versprechungen nicht an, und der Alte bediente sich harter Ausdrücke gegen mich, die ich seinem Kummer zu vergeben hatte.

So ist denn diese Ruine zur Hölle geworden, die im engen Raume drei unselig Leidende vereinigt. Ich bin keiner Entschließungen fähig, mein ganzes Wesen ist eine blutende Wunde, in welcher die scharfen Messer der grimmigsten Reue wühlen. Hast Du ein Wort, ein Zeichen für mich, was mir Rath oder Linderung geben kann, so laß es mir werden!


IX.
Derselbe an Denselben.

*** den 8. November 1795.

Lies den anliegenden Brief Babettens, und schaffe Hülfe! Die Verzweiflung überspringt alle Schranken, wer das Mittel bei sich trüge, uns aus der gräulichen Noth zu retten, dem könnte ich den Degen auf die Brust setzen, und ihn um das Mittel ermorden.

Hermann, unser Schwur, geleistet über den vereinigtrinnenden Blutwellen der Freunde! Nun ist die Gelegenheit da, nun beweise, daß Du ihr Dasein fühlst: Ich sage nicht mehr; Du mußt mich verstehen, oder der Bund zweier Männer war eine Posse, eine gemeine Lüge.


Beilage.

Babette an den Grafen Heinrich.

Sie stürmen und dringen an der Thüre meines Zimmers, um mit mir zu reden; ich wiederhole, was ich Ihnen schon durch meinen Vater sagen ließ, daß ich nimmer mit Ihnen mehr spreche. Was Sie von mir zu erfahren haben, sei diesen Zeilen anvertraut.

Ich habe gestern die Absicht gehegt, mir das Leben zu nehmen, welches mir völlig gleichgültig ist, seit ich weiß, daß Sie ein unehrlicher Mann sind. 299 Ich stieg auf die Spitze des Felsens hinter der Burg, und wollte mich von seiner jähen Höhe hinunterstürzen in die schwarze Tiefe, daß da drunten mein zerbrochenes, blutiges Gebein von den Wogen des Waldstroms fortgeschwemmt werden möchte. Mein alter unglücklicher Vater war mir nachgegangen, und hat mich zurückgehalten.

Was er mir über die Sünde dieses Schrittes, so weit es nur mich allein betrifft, gesagt, habe ich nicht verstanden, denn mein Leben ist so ganz unnütz geworden, daß ich nur glauben kann, ein so verwelktes und zerknicktes Blüthenblatt werde am besten dahin gethan, wo der Kehricht ist. Allein das zweite Leben, welches mein verfluchter Schooß empfangen, darüber darf ich allerdings nicht verfügen, ohne zur Mörderin zu werden. Hiervon haben mich die Reden meines Vaters überzeugt.

Ich soll also nicht sterben und kann nicht leben. Ihren Antrag, sich scheiden zu lassen, und mich zu heirathen, verabscheue ich. Dadurch würde ich mir einen neuen Frevel aufladen, und mich an Ihrem Ehebruche betheiligen.

Meine Ehre will ich gleichwohl von Ihnen wieder haben, und diese mir zu schaffen, gebiete ich Ihnen. Wie es geschieht, gilt mir gleich, ich bin völlig willenlos, alle Dinge sind mir recht, die geschehen, den einzigen Wunsch, den ich noch habe, zu erfüllen. Was man mir vorschlagen wird, es sei noch so fremd und widerwärtig, ich genehmige es schon jetzt, ohne es zu kennen.

Wenn Sie in dieser Beziehung etwas ausfindig machen, so haben Sie mir es zu melden, ohne Beisatz und Redensart, die mich von Ihnen anwidern, da ich Ihnen nichts mehr glaube, nicht einmal Reue und Scham.


X.
Hermann an den Grafen Heinrich.

Abschrift.

Bremen, den 16. November 1795.

Es giebt Dinge, die nichts weiter zulassen, als die Handlung, alles Reden darüber ist unnütz. Was hülfe es mir, Dir meine Betrachtungen 300 über die trostlose Geschichte mitzutheilen? Es ist nun dahin gekommen, – was ich immer vorausgesehen, und Dir vorhergesagt habe, – daß Dein Sinn Dich vor einen Punkt führen würde, wo Dir Blick und Aussicht, ja Bewußtsein verschwinden müßte.

Aber wie gesagt, hier gilt es die That, die Worte sind leere Spreu. Aus den Briefen des Mädchens sehe ich, daß sie keine Metze, keine Närrin ist, die mit Phrasen umgeht; der Lapidarstyl, in dem sie an Dich schreibt, zeugt von einer starken Seele. Und ein solches Wesen hat mein Freund entwürdigt, und sein Kind soll ein Bankert heißen?

Dem soll nicht so sein. Du nennst mich kalt, der Kalte wird Dir seine Kälte beweisen. Wenn Du diese Zeilen empfängst, bin ich schon unterwegs. Ich werde vor Babetten hintreten und sie fragen, ob sie meine Hand annehmen will, und ob ich ihre Schande mit meinem ehrlichen Namen zudecken soll? Dich wünsche ich nicht zu treffen; diese Sache ist nur zwischen dem Mädchen und mir; Dein Anblick würde mir nur unnütze Schmerzen machen.

Antworte mir nicht, danke mir nicht, laßt uns überhaupt eine Zeitlang, bis die Gemüther sich einigermaßen beruhigt haben werden, für einander nicht vorhanden sein. Ich weiß, was ich thue, opfere mich für Dich, gebe ein Leben und seine Freuden dahin, Dir zu helfen. Ein solches Gefühl will geschont sein, und wird durch jedes Anrühren, auch durch das wohlgemeinte, nur noch quälender aufgeregt. In seinen Tiefen werde ich mit der Zeit, wo nicht Trost, doch Beschwichtigung schöpfen.

Was mir schon jetzt Halt und Stärke giebt, ist die Empfindung, daß ich ja gewußt habe, wie Alles sich fügen würde. Graf und Bürger sollen die Hand einander nie zu so engem Bunde reichen, sollen bleiben, wohin der Stand einen Jeden gestellt hat. Den Einen treibt sein Geschick in das Weite und Freie, den Andern weiset es in ziemlich enge Schranken. Ueberspringen sie die gezogenen Grenzen, so hat sich der, welcher den Fehltritt erkannte, da er ihn beging, über die schlimmen Folgen nicht zu beklagen, die früh oder spät eintreffen müssen. 301


Nachschrift des Senators Hermann.

1816.

Du empfängst in diesen Briefen, mein Pflegesohn, ein verhängnißvolles Geschenk. Ich darf es Dir nicht vorenthalten, denn wenn Du nicht wüßtest, wer Du bist, und von wem Du abstammst, so könnten sich ja entsetzliche Dinge ereignen, unbewußt könntest Du Frevel begehen, vor denen die Natur zurückschaudert. Daß eine Schwester von Dir lebt, weiß ich mit Bestimmtheit, sie heißt Johanna, und wird auf dem Schlosse ihres Vaters erzogen.

Gern hätte ich Dir sonst diese Entdeckungen erspart, welche Dein Herz zerreißen, und Dich vielleicht auf lange Zeit unglücklich machen werden.

Nach meinem Willen sollst Du die Briefe, welche wir damals wechselten, erst lesen, wenn Du Dein männliches Alter erreicht haben wirst. Du wirst dann die Stärke haben, der Eltern Schuld zu wissen, und doch, an diesem Wissen nicht unterzugehen. Vor allem suche das Bild Deiner Mutter in Dir rein zu erhalten. Wir haben ein unglückliches Leben zusammen geführt, aber ich muß ihr das Zeugniß geben, daß sie die edelste und bravste Seele war, welche ich je gekannt.

Was mich betrifft, so wird Dir hoffentlich Deine Erinnerung sagen, daß ich Dir ein treuer Pfleger gewesen bin. Ich habe mein Gelübde gehalten, und dieser Gedanke giebt mir eine gewisse Heiterkeit. Meine Tage sind gezählt, ich fühle das; Melancholie hat meine Lebenskräfte verzehrt, und mich vor der Zeit zum Greise gemacht.

Suche auch nach dieser Entdeckung ein freundliches Verhältniß mit meinem Bruder zu erhalten, der das Legat Deines Vaters Dir ausantworten wird. Er ist eigen und schroff, aber zuverlässig und wacker.

Ich glaube, Du Armer, daß Dir verschlungene Lebensschicksale bevorstehen. Sobald Deine Eigenschaften sich zu entwickeln begannen, sah ich an Dir ein Gemisch von Deines Vaters Leichtsinn und Deiner Mutter Schmerzen. Mögen denn gute Geister sich Deiner annehmen, wenn die Sorge in das Grab sank, welche Deine Kinderjahre behütete! Mit diesem Segenswunsche sei in das Leben entlassen. 302



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