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Sechstes Buch.

Medon und Johanna.

  Nuptiae sund conjunctio maris et foeminae,
consortium omnis vitae, divini et humani juris
communicatio.
Modestinus.          

Erstes Kapitel.

Die Reise ging ohne weitere Vorfälle Tag und Nacht fort. Eines Morgens rollte der Wagen durch breite, schnurgerade Straßen zwischen prächtigen Pallästen hin und die Hauptstadt war erreicht. Der Postillion hielt vor einem geräumigen Gebäude, welches man für eine stattliche Privatwohnung hätte ansehen können, wenn nicht durch die eisernen Gitter vor den Fenstern seine Bestimmung klar geworden wäre. Hermann stieg aus und wurde eine breite Treppe hinaufgeführt. Auf der Mitte derselben kam ihm ein wohlgekleideter Mann entgegen, begrüßte ihn äußerst höflich und sagte: Haben Sie die Güte, mir zu folgen, ich hoffe, Sie auf der Stelle entlassen zu können.

Oben im Verhörsaale öffnete sich eine Seitenthüre und hereintrat, von einem Schließer begleitet, der Mecklenburgische Präses. Kennen Sie den Herrn? fragte der Beamte den Mecklenburger. Dieser wälzte seine rollenden Augen nach Hermann und sagte: Er ist der Bösewicht, der, Deutschlands Sache abtrünnig, auch uns mit vorgehaltener Pistole zum Abfall verleiten wollte. – Gut, versetzte der Beamte sehr sanft, bringen Sie, Schließer, den Mann wegen ungebührlicher Ausdrücke vor Gericht auf acht Tage in den einsamen Kerker bei Wasser und Brod; und Sie, mein Herr, sind frei.

Nach der Entfernung des Präses erzählte der Beamte unserm Freunde, daß ein Theil der Demagogen, welche dem Polizeicommissarius entgangen waren, sich in unbegreiflicher Verblendung nach der Hauptstadt gewendet habe, wo sie denn ihre unbedachte Einfalt gegenwärtig hinter Schloß und Riegel büßten. Unter diesen befindet sich, sagte er, auch jener freche Mensch, welcher seines Verbrechens kein Hehl hat, vielmehr sich dessen rühmt. Er bekannte auf der Stelle die ganze Geschichte des sogenannten vierten 34 Bundestags, und wie Sie, mein Freund, mehr wohl als kluggesinnt, es unternommen hätten, die Versammlung zum Rücktritte von ihren Verirrungen zu bewegen.

Nun waren in den obern Regionen allerhand Bedenken, ob man Sie nicht doch noch vorläufig festhalten müsse, fügte der Beamte hinzu. Diese hat ein Mann, der vielen Einfluß besitzt, zu überwinden gewußt; ihm haben Sie daher für Ihre Freiheit zu danken.

So bestände denn also das ganze Unglück darin, daß ich die Reise, die ich auf meine Kosten hätte machen müssen, auf die des Staats zurückgelegt habe! rief Hermann heiter. Aber wo ist mein unbekannter großmüthiger Wohlthäter!

Eine zweite Seitenthür öffnete sich, und ein großer, würdig, ja majestätisch aussehender Mann trat ein. Glücklich los? fragte er Hermann mit freundlichem Tone.

Mein Herr, erwiederte dieser, niemals noch hatte ich das Glück, Sie zu sehen. Wer sind Sie? Womit habe ich Ihre Güte verdient.

Ich finde es so natürlich, Andern Ungelegenheiten zu ersparen, wenn man es kann, daß ich einen solchen Dienst nicht der Rede werth halte, versetzte Jener. Zufällig wußte ich von Ihrer Reise, zufällig erfuhr ich, welche Hemmung Sie unterwegs angetroffen hätten, und zufällig ließ man mein Wort zu ihren Gunsten gelten. Sie sind mir keinen Dank schuldig, denn in einem ähnlichen Falle erwarte ich dasselbe von Ihnen. Uebrigens heiße ich Medon.

Wer beschreibt das Erstaunen Hermanns? Er ging mit ihm die Treppe hinunter, keines Wortes mächtig. Warum sind Sie doch so betroffen? fragte ihn Medon. Freuen Sie sich lieber, daß Sie Jemand, der Ihnen vermuthlich wie ein Ungeheuer beschrieben worden ist, in ganz menschlicher Art und Gestaltung finden. Und nun entledigen Sie sich vor allen Dingen Ihrer Commission und vertrauen Sie mir getrost den Brief an meine Frau, welchen ich nicht unterschlagen werde.

Hermann suchte den Brief aus dem Portefeuille, welches ihm wiedergegeben worden war, hervor, und sagte zu Medon: Wie erfuhren Sie das, was meines Wissens Niemand außer der Herzogin und mir bekannt war?

Die Herzogin, versetzte Medon lächelnd, welche nach Art der Frauen ihrer Natur entweder etwas halb thut, oder zu viel des Guten giebt, hatte den ersten Grundsatz der Diplomatie vergessen, durch Ueberraschung zu 35 wirken, wenn man nicht mit ganz zureichenden Mitteln versehen ist. Sie vertraute ihren Plan einer hiesigen Bekannten, und ersuchte sie, Johannen auf Ihren Empfang stimmend vorzubereiten. Die Gute, welche durch diesen Auftrag in einige Verlegenheit gerieth, weil wir leider hier in ganz erträglichem Ruf und Ansehn stehen, suchte an dem verschwiegenen Busen einer Freundin Rath, welche ihrerseits, und so weiter; Sie kennen diesen Hergang der Dinge. So kam es, daß wir Ihre Ankunft durch ein Stadtgespräch voraus wußten; etwas verdrießlich für uns; indessen läßt sich zu dergleichen nichts thun, man muß die abweichenden Ansichten der Menschen, besonders wo sich Stand und Befangenheit mit einmischen, schon in Geduld ertragen.

Er empfing den Brief der Herzogin, lobte die Handschrift der Adresse, und steckte ihn gleichgültig ein. Ich würde Sie bitten, bei uns zu wohnen, sagte er zu Hermann, wenn wir nicht so beschränkt uns halten müßten, wie es überhaupt hier Ortssitte ist. Doch habe ich Ihnen ein Quartier nicht gar zu weit von uns gemiethet, wo Sie aus Ihrem Fenster alle die neuaufsteigenden Bauten überschauen.

Er führte ihn nach einem großen Hause unter der Lindenallee der Stadt, in ein geräumiges heiteres Zimmer. Wirklich überblickte Hermann von dort die großen, theils fertigen, theils der Vollendung entgegensteigenden Architecturmassen, zu welchen der Friede nun wieder die Kräfte und den Muth gegeben hatte. Medon verließ ihn, nachdem er ihn zu baldigstem Besuche eingeladen hatte.

In ein neues wundersames Verhältniß zu freundlichen Feinden geklemmt, konnte Hermann den Schlummer nicht finden, durch den er sich auf die erzwungenen Nachtfahrten zu erholen gedachte. Er sprang von seinem Lager auf, und suchte in der Zerstreuung sich zu beschwichtigen. Er durchstrich die wohlbekannten Straßen und Plätze, erneuerte einige Bekanntschaften, und wünschte, daß der Tag vorbei sein möchte. An enghäusliche Zustände seit einiger Zeit gewöhnt, fühlte er sich ungeachtet der günstigen Wendung seines Schicksals in der weiten, breiten Stadt, unter den rasch und gleichgültig an einander vorbeirennenden Menschenhaufen ziemlich unlustig.

Daß er nunmehr am Sitze der Intelligenz sich befinde, ward ihm bald fühlbar. Denn er war noch nicht zwei Stunden in der Hauptstadt, als er bereits von mehreren Leuten aus der niedrigsten Volksklasse, mit denen er 36 sich in nachfragende Gespräche eingelassen, ein unzweideutiges Verhöhnen seiner provinciellen Einfalt hatte erfahren müssen.



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