Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII. Kapitel.

Der Kommissar befand sich bald in einer leise geführten, sehr interessierten Unterhaltung mit Frau Dorée.

»Sie haben mir diesen Brief geschrieben?«

Er zeigte verstohlen den grauen, duftenden Bogen.

Sie schüttelte ihren Kopf, der ehemals von einer kühnen Schönheit gewesen sein mußte.

»Ich denke nicht daran!«

»Wirklich nicht?«

»Aber, lieber Doktor. Sie sollten mich doch kennen. Ihnen persönlich tue ich gern mal einen Gefallen, weil Sie trotz Ihres entwürdigenden Berufes ein guter Mensch sind und nebenbei klüger als die anderen ... Ihre Behörde – na, Sie wissen ja, wie ich darüber denke!«

Er schüttelte lächelnd den Kopf.

»Vorläufig möchte ich meinen Mac Duffre haben ... er soll hier gewesen sein ... Da drüben bei der roten Therese soll er gesessen haben ...«

»Ein Amerikaner? Ein Mensch, der aussieht wie ein Gentleman und der's auch wahrscheinlich ebensogut ist wie die meisten, die sich dafür ausgeben ... hm ... ja ... ich glaube, den hab' ich gesehen ... vor 'ner halben Stunde ...«

Sie sah den Kommissar an, der hörte nicht auf sie. Er blickte mit seinen scharfen Augen zu zwei Männern hin, die an der anderen Kellerseite in einer Nische saßen und eifrig miteinander sprachen. Der eine von den beiden hatte trotz der Hitze hier im Keller seinen Ulster anbehalten und den kleinen Filzhut auf dem Kopf. Dieser Filzhut war nur von hinten sichtbar, aber des Kommissars Augen hingen wie gebannt an ihm.

Und wie die Augen der Frau Dorée den seinen folgten, da nickte sie leise; sie hatte auch bemerkt, daß der Mensch da drüben eine schwarze Perücke trug, die sich ein wenig verschoben hatte, unter der ein kleiner Streifen blonden, kurzen Haares hervorsah.

Jetzt wandte sich der Mann mit in die Runde spähendem Blick um, und gleichzeitig hörte man die Kellertür gehen. Jemand trat ein, ging durch den Lärm und Qualm rasch den Mittelgang hinauf.

Der Kommissar stand ruhig auf und trat aus der Nische. Der drüben am Tisch mit der Perücke erhob sich ebenfalls ...

Als der in den Keller getretene Gast an dem Tisch, an dem die Bierfahrer saßen, vorbei wollte, standen plötzlich zwei Kutscher vor ihm und zwei hinter ihm. Mac Duffre konnte noch den Revolver herausreißen, zum Schießen kam er nicht mehr. Braun hatte seinen rechten Arm erfaßt und in die Höhe gerissen! ... Da war er erledigt; die anderen hatten ihn um den Leib, bei der linken Hand, am Kopf; er war gefesselt, ehe er recht wußte, wie ihm geschah.

Alles im Keller war von den Sitzen, ein gefährlicher Lärm, Pfeifen und Johlen erfüllte den Raum, und in dem wilden Durcheinander wollte der Mann mit der Perücke sich fortschleichen wie der Fuchs aus dem Treiben.

Da stand plötzlich ein kleiner magerer Herr vor ihm, den Browning in der Faust, dessen Mündung sich auf die Brust des Geheimnisvollen richtete.

»Bewegen Sie sich nicht, Herr Feinglas,« sagte Dr. Splittericht, »ich muß sonst ein Loch in Ihren schönen Anzug machen! ... Braun!« ... rief er dann. Und der Riese brach sich rücksichtslos Bahn durch Weiber und Männer, die, fast alle zu den Gesetzlosen zählend, vor Wut knirschten, als die Polizei in ihre Hürde brach.

»Fesseln Sie den!« Der Kommissar hielt seine Waffe wie eingespannt geradeaus.

»Uas uollen Sie von mir? Kann ich nicht trinken mein Bier in diese Restaurant? ... Oh, ich uerde Sie nicht lassen das durchgehen ...!

Er hatte schon den kleinen Lederriemen ums Handgelenk und widersetzte sich auch nicht, ging ruhig mit, während der Amerikaner vor ihm wutschäumend sich befreien wollte.

Der ganze Keller drängte nach, als Dieb und Hehler die Treppe hinauf mußten. Aber der Kommissar, der den Zug deckte, wandte sich schon auf den Stufen um und sagte deutlich:

»Geht auf eure Plätze, Leute! ... Wenn ihr nicht ruhig seid, muß ich euch alle verhaften! ...«

So ließ er erst seine Beamten zur Türe hinaus, gab Braun noch leise Weisungen und schritt dann selbst, als sei nichts vorgefallen, wieder die Treppe hinab, ging zwischen den zurückweichenden Gästen hindurch, bis ans Kellerende und setzte sich wieder in seine Nische zu Frau Dorée.

Schneller, als man hätte denken sollen, beruhigten sich die Leutchen. Und Graf Zeinfeld plauderte längst mit einigen Mädchen, die teils ängstlich, teils böse zu dem Kommissar hinschielten, als die rote Therese herüberkam und sich an den Tisch setzte.

Sie sah Dr. Splittericht an und lächelte, während ihre spitze Zunge, wie die einer Schlange, zwischen den aufgeworfenen Lippen spielte. Ihre grünlichen Augen Schienen zu fragen: »Na, hab' ich das gut gemacht?« Und auf einmal wehte ein Duft wie von Mandelblüten zu dem Kommissar herüber. Da wußte er, wer ihm diesen Brief auf grauem, wohlriechendem Papier geschrieben hatte.

Er winkte die Rote zu sich und fragte: »Warum?«

Sie hob die vollen Schultern, die runden Arme, die aus dem schwarzen Seidenkleide so weiß hervorschimmerten, ein wenig, und in ihren Raubtieraugen stand eine unergründliche Luft am Bösesein, an der Schlechtigkeit um der Schlechtigkeit willen. Sich wieder erhebend, nahm sie das Sektglas des Grafen, leerte die Schale und warf sie klirrend zu Boden. Dann ging sie tänzelnd hinüber zu einer anderen, die ihr gleichen mochte.

»Können Sie daran nun eine Freude haben?« fragte Frau Dorée den Kommissar.

»Ich bin Kriminalbeamter,« sagte er einfach »aber ich will Ihnen was zeigen ... hier«, er holte die Photographie, die er bei Ilona Sebraczety gefunden hatte, aus der Tasche. »Sie haben mir doch mal erzählt, daß Sie früher in solchen Zirkeln gewesen sind ... Erinnern Sie sich, diese Person mal irgendwo als Medium gesehen zu haben?«

»Sie wollen wohl wieder jemand unglücklich machen?« fragte Frau Dorée und zögerte mit der Antwort. »Nein, dazu geb' ich meine Hand nicht!« setzte sie dann entschlossen hinzu.

»Im Gegenteil, es handelt sich hier darum, unglücklichen Menschen zu helfen ...«

Der Kommissar erzählte rasch von der Entführung der Schauspielerin und dem tiefen Kummer des Grafen, der sich vergebens bemühte, seine Liebste wieder zu finden.

Voll Teilnahme betrachtete die alte Frau den Aristokraten.

»Das ist was anderes ... wenn ich helfen kann! ... Und so ein Scheusal! ... ja, da bin ich dabei!«

»Wissen Sie denn wirklich etwas?«

Die alte Frau, die noch jugendlich trotz ihrer weißen Haare aussah und sprach, schwieg eine ganze Weile.

»Können Sie sich vorstellen, lieber Doktor, daß ein ganz vernünftiger und nüchterner Mensch, wenn er in meiner Lage ist, zu allem greift? ... Sehen Sie, ich habe früher, als mein Mann noch lebte, aus rein wissenschaftlichem Interesse derartige Veranstaltungen mitgemacht. Niemals, auch nicht im Traum wäre es mir eingefallen, an solche Sachen zu glauben ... aber jetzt ... ich bin furchtbar allein ... und eine Sehnsucht hab' ich nach meiner verstorbenen Tochter ... Sie können sich das nicht vorstellen, nicht wahr? ... Ja, da hört eben alles Verstehen auf ... Wenn da plötzlich Menschen sind, die sagen: du brauchst sie ja bloß zu rufen, dann ist sie wieder da, ist bei dir! ... du kannst mit ihr reden, kannst sie fragen ... sie kommt wieder ... sooft du willst! ... Ja, sehen Sie, lieber Freund, da glaubt man nicht ... aber man will glauben! ... Es ist schön, so selig, das zu glauben ...«

Die Frau schwieg. Der Kommissar, der wohl verstand, wann man reden und wann man stillsein müsse, blickte auch stumm vor sich nieder.

Im Keller war wieder Lärm und Lachen. Das Orchestrion hatte aufgehört zu rasseln und zu brüllen, dafür war eine von Lokal zu Lokal ziehende Gruppe von Italienern da. Die spielten Mandoline und Gitarre, und eine mit langen, schwarzen Zöpfen, die auf das grüne mit Silber geflickte Samtmieder fielen, die sang dazu:

»Seele, du fliehest mir
Wenn ich dich fassen will ...
Sehnsucht! oh Sehnsucht!
Herz, halte still!«

Das war wie echte Wehmut. Ein paar Augenblicke wehte sie durch den stillen Raum, dann rauschten wieder Lärm und Trunkenheit auf. Ein Mensch griff nach der Tänzerin, wurde fortgestoßen, und die Kellner mußten dazwischengehen und den Streit schlichten.

Aber der Kommissar, dessen unerbittliche Zähigkeit sich eisern an seine Dinge klammerte, der führte das Gespräch von vorhin weiter.

»Und so sind Sie jetzt wieder in diese spiritistischen Kreise hineingekommen?«

»Ja«, sagte die Matrone, wie aus einem Traum erwachend. »Wenn Sie wollen, werde ich Sie noch heute nacht dorthinführen.«

»So spät? ... Es ist halb zwei ... die werden hier gleich schließen ...«

»Die Sitzung beginnt um halb drei ... wenn wir ein Auto nehmen ... ich wäre sowieso noch hingefahren ... ja, das ist wie Morphium ... können Sie sich das vorstellen?«

»Kann ich den Grafen auch einladen?«

»Doch, ich führe Sie eben alle beide ein.«

»Und Sie meinen, diese Dame, diese Sebraczety wird dort sein ... als Medium?«

»Kommen Sie mit und sehen Sie selber!«

Der Kommissar schrieb etwas auf eine Karte und gab sie dem Grafen.

Der stand sofort auf und beglich die Zeche.


 << zurück weiter >>