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III. Kapitel.

Es dauerte recht lange, ehe die Zofe mit verschlafenen Augen öffnete.

Graf Zeinfeld, sonst zu dem einfachsten Menschen von einer feinen Höflichkeit, war so erregt, daß er das Mädchen anfuhr:

»Wo bleiben Sie denn, Hedi? Ich warte ja schon eine Viertelstunde! Ist das gnädige Fräulein zu Hause?«

»Nein, Herr Graf ... das gnädige Fräulein sagte, es würde spät werden ... da habe ich mich solange hingelegt.«

Dem Aristokraten war seine Heftigkeit leid.

»Sie haben ganz recht, Hedi ... aber ... Fräulein Sebraczety ist nicht da? ... ich weiß gar nicht ...«

Die Mutlosigkeit übermannte ihn derart, daß er dem Mädchen alles erzählte. Alles, was er wußte, und was doch nicht den geringsten Aufschluß gab über Ilonas Fortbleiben.

»Mein Gott,« seufzte das Mädchen, »wenn er ihr bloß nichts getan hat!«

Der Graf war eingetreten in den hellen Korridor. Er sah in den Garderobenspiegel und erschrak über den alten, verfallenen Ausdruck seiner Züge ... Er fühlte in dieser Minute, daß Ilonas Leben das seine bedeutete, daß er nie wieder froh werden könnte, wenn Sie von ihm genommen würde ...

Aber er mußte einen Entschluß fassen ... nur welchen? ... Was er jetzt tun sollte, das war ihm ganz unklar.

»Ich glaube, man müßte zur Polizei gehen«, sagte das Mädchen schüchtern.

Zur Polizei ... nein ... damit morgen eine ganze Skandalgeschichte in den Zeitungen stand und sein Name in allen möglichen Kombinationen genannt wurde ...

Er schüttelte den Kopf, erwiderte aber nichts.

Das hübsche Mädchen fing an zu weinen.

»Das arme gnädige Fräulein ... wenn ihr bloß nichts passiert ist!«

Graf Zeinfeld atmete tief. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, er durfte diesen Gedanken gar nicht ausdenken ... seine Ilona, sein alles, in der Gewalt eines fremden Mannes, eines Verbrechers obendrein!

Er biß die Zähne zusammen, unterdrückte das übermächtig aufquellende Gefühl des haltlosen Schmerzes, der Tränen, die seine Augen schon feuchteten, und sagte:

»Kommen Sie, Hedi, wir wollen in den Zimmern des Fräuleins nachsehen, ob vielleicht irgend etwas da ist ... ob wir vielleicht einen Anhaltspunkt finden ... kommen Sie!«

Das elektrische Licht flammte auf in dem hübschen Biedermeiersalon, in der kleinen Tee- und Plauderstube und im Boudoir der Schauspielerin. Der Graf sah, was seinem vornehmen Wesen sehr entgegen war, auf allen Schalen und in jeder Mappe nach, die seinem Suchen offen standen. Irgendein Behältnis, am Ende gar den Schreibtisch zu öffnen, das ließ sein Takt nicht zu ... Er fand nichts ... war auch im Innersten überzeugt, daß er nichts finden würde.

Und doch ließ etwas nicht von ihm ab, ein Gefühl, so vage, so ohne jede greifbare Form, daß er ihm nicht Gehör schenken wollte. Das ihn ankroch und immer wieder nach ihm züngelte. Bis er, ohne es eigentlich zu wollen, ihm Worte verlieh.

»Sagen Sie, Hedi ... hat ... hat das gnädige Fräulein ... hat sie in letzter Zeit Besuche empfangen?«

Das Mädchen verstand ihn sofort.

»Herrenbesuche meinen Herr Graf?«

»Ja.« Er stöberte, sich abwendend, noch einmal die chinesische Porzellanvase durch, die auf der Rosenholzplatte des Ziertischchens neben dem Ruhebett stand.

»Nein, Herr Graf«, des Mädchens Stimme war fest und sicher. »Fräulein Sebraczety hat, solange wie ich bei ihr bin, nie Herrenbesuche empfangen ... außer wenn Herr Graf selber kamen.«

»Auch nicht von den Herren vom Theater?«

»Nein, nie; gekommen sind ja öfter mal welche, aber gnädiges Fräulein hat nie einen empfangen ... bloß den kleinen Sodrowsky ... na und der ...« die Blonde lachte leise, »der ist ja erst zwölf Jahre alt!«

Der Graf lächelte ebenfalls und er seufzte ein wenig, wie wenn man eine Herzenslast, ein banges Empfinden endgültig von sich tut. Aber er mußte doch eine Erklärung für seine Frage geben.

»Manchmal drängen sich solche ... verbrecherischen Elemente gerade an vornehme und edle Menschen heran. Und Fräulein Sebraczety ist doch so eine ... so gutwillige und arglose Natur ...«

»Ja, ja, Herr Graf, so ist sie ... viel zu gut! Da kann kommen wer will, sie gibt jedem, ich habe sooft schon gesagt: ›Gnädiges Fräulein,‹ habe ich gesagt, ›gnädiges Fräulein sind zu gut! Das danken Ihnen die Leute doch nicht!‹ ... Wenn so arme Schauspieler kommen oder auch Briefe ... aber sie gibt doch immer wieder ... ›Solange ich noch habe,‹ sagte Fräulein, ›soll keiner fortgehen, der mich vielleicht beneidet, da schmeckt mir kein Happen, kein Bissen Brot,‹ sagte sie.«

Dem Grafen klang des Mädchens Stimme wie aus der Ferne ans Ohr. Er hörte, er verstand, er freute sich über das Gute, was die Dienende von ihrer Herrin sprach, aber sein Geist suchte Ilona, war längst fort von hier, aus der Wohnung und wollte hurtig auf den verborgenen Spuren der Geliebten weiter ...

So empfahl er dem Mädchen, ehe er nicht wieder hier gewesen sei und ihr mehr Weisungen erteilt habe, ganz zu schweigen. Wenn das Fräulein morgen früh noch nicht da wäre, so sollte sie, wo es nötig wäre, sagen, Fräulein Sebraczety wäre verreist. Er selbst käme morgen wieder her. Irgendwie auftauchende und verdächtige Besucher solle sie gescheit nach Namen und Zweck ihres Kommens fragen und sich deren Äußeres genau ansehen und merken.

Die Zofe versprach alles und bat zum Schluß noch, während ihre hellen Augen aus einem Tränennebel leuchteten, der Herr Graf möchte doch, sobald er irgendwie etwas von ihrem Fräulein erführe, sie antelephonieren. Das versprach Graf Zeinfeld, der die Sorge des Mädchens wohl erkannte, und ging ...

Unten auf der Straße, wo sein Auto wartete, wußte er dem Fahrer keine Adresse anzugeben. Etwa zu ihm zu Hause? – Nein, um keinen Preis! Er würde ja keine Ruhe haben, würde doch sofort wieder hinabeilen auf die dunkle Straße, um weiter planlos umherzuwandern und sich umsonst seinen Kopf zu zerwühlen nach dieses Rätsels Lösung.

Und ohne eigentlich die Absicht zu haben, die Worte auszusprechen, rein aus dem Reflex der Frage des blonden Mädchens da oben in der Wohnung seiner Liebsten sagte der Graf:

»Fahren Sie mich zum nächsten Polizeirevier, Chauffeur!«

Das war nur eine kurze Strecke. Dann stieg der Graf eine enge Seitentreppe in einem großen Miethause zum Revierbüro hinauf.

Der Schutzmann, der hinter der Barriere saß, fragte unwirsch:

»Was is denn?«

Als ihm Graf Zeinfeld mit der Bitte, den Reviervorstand sprechen zu dürfen, seine Karte gab, wurde er höflich. Das ärgerte den Aristokraten, dessen starkes Gerechtigkeitsgefühl unter dieser Bevorzugung litt, die doch nur seinem Adel und dem guten Rock galt, den er trug.

»Der Herr Leutnant lassen bitten!«

Zeinfeld trat in das kahle Amtszimmer, da stand ihm ein Mann gegenüber, so groß und breitschultrig, daß er gar nicht in den engen Raum paßte in der grünen Uniform der Polizeioffiziere, mit dem Einglas – wer war das? – den kannte er doch – und er entsann sich:

»Plessow?« –

»Ja! Zeinfeld! Mensch – was wollen Sie denn hier?!«

Der blonde Hüne war ganz offenbar ein bißchen verlegen. Er wollte durch seinen burschikosen Gruß über die tiefe Kluft hinweg, die jetzt sich zwischen den ehemaligen Regimentskameraden aufgetan hatte.

Der Graf hatte dazu nicht einmal ein lautes Wort nötig. Er freute sich einfach, den anderen wiederzufinden, und er sagte:

»Was Lieberes hätte mir nicht geschehen können, und wie gut es das Schicksal mit mir meint, sehen Sie daraus, daß ich Sie in dem Augenblick finde, lieber Plessow, wo ich den Rat eines verschwiegenen Freundes so dringend brauche.«

»Mit Ihnen meint's das Schicksal überhaupt gut,« lachte Herr von Plessow, »aber was Sie jetzt hierher führt ... aufs Polizeirevier ... Sie haben doch nicht etwa den Einbrecher aus Passion gespielt, Verehrtester?«

Der Graf lächelte kaum, ihm war so gar nicht scherzhaft zu Mute. Während er die Zigarette nahm, die jener ihm anbot, mit den Worten: »Sie ist zu rauchen! ... Das ist das einzige, was ich mir aus meiner goldigen Zeit herübergerettet habe«, überlegte der Graf noch einmal, ob er, der da vor ihm saß, auch der geeignete Mann sei, ihn so tief hinabsehen zu lassen in sein eigenstes, geheimstes Fühlen ... und doch, jener war Beamter und Offizier. Ein bißchen laut im Wesen und vielleicht nicht so sicher in seinem Taktgefühl, wie Graf Zeinfeld es sich gerade jetzt gewünscht hätte, aber doch ein Gentleman und bei mancher Charakterschwäche, die ihn wohl gezwungen hatte, den weißen Rock mit den gelben Klappen auszuziehen, ein braver Mensch.

Der andere mochte etwas von den schon überwundenen Bedenken des einstigen Kameraden ahnen, er sagte, auch da heiteren Tones:

»Mir scheint, es is Ihnen wieder leid geworden, Verehrtester, daß Sie hier bei mir auspacken wollten, genieren Sie sich ja nicht! ... Wir plaudern 'n bißchen und dann geh'n Sie wieder, 'n armer Sipoleutnant freut sich immer, mal wieder über die Hürde in den alten Stall zu gucken! Sind Sie denn noch bei der Waffe?«

Der Graf verneinte. Er wollte sich der Bewirtschaftung seiner väterlichen Güter widmen.

»Wieso? Ist der alte Herr nicht mehr auf dem Posten?«

»Mein Vater ist August vorigen Jahres plötzlich gestorben.«

»Kondoliere. Pardon, daß ich da so reingegriffen habe in 'ne frische Wunde ... Aber weg müssen wir ja alle mal ... ja ... und schließlich, so wertvoll is die Jeschichte auch ja nicht! ...«

»Sie waren nicht immer der Ansicht, lieber Plessow, und – seien Sie mir nicht böse, Sie meinen das heute auch gar nicht so ... übrigens, was hat Sie denn zur Polizeikarriere hingezogen?«

Der andere zuckte lachend die Achseln.

»Gezogen? ... gezogen is jut ... was sollt' ich denn machen als abjejangener Jardiste? Mußte ja froh sein, daß ich anständig unterkommen konnte ...«

»Sie sind, soviel ich mich besinne, guter Pferdekenner, haben sich mit Zucht beschäftigt, ich habe doch in den Sportblättern öfters Ihren Namen über guten Arbeiten gelesen. Haben Sie nicht Lust, da etwas zu unternehmen?«

Herr von Plessow lachte wieder, diesmal recht von innen heraus.

»Lust? Ach, Lust hätt' ich schon dazu, bloß das Gut fehlt, die Gelegenheit.«

»Die würde sich eventuell bei mir finden. Ich suche einen Fachmann für meine beiden Gestüte. Mein Direktor wird alt und wartet bloß, daß ich Ersatz schaffe.«

Jetzt lachte der andere nicht mehr. Er sah den Grafen mit seinen großen, hellblauen Augen verwundert, ja befremdet an.

»Das würden Sie für mich tun? Ja, sagen Sie mal, Mensch, Zeinfeld, gibt's denn so etwas überhaupt noch? Es sind also nicht alle Menschen Schweinehunde, die 'n alten Kameraden nich mehr angucken, bloß weil er wegen diesem dreckigen Mammon um die Ecke jejangen is, die auf die andere Seite von der Straße gehen, wenn man anrückt in dieser Uniform? Ich war schon nahe daran, Anarchist zu werden und 'n paar Bomben zwischen die ganze hochnäsige Gesellschaft zu schmeißen!« Er lachte laut. »Nee, Spaß beiseite, lieber Zeinfeld, is das wirklich mehr, wie so 'ne schöne Redensart?«

»In solchen Dingen, die das Leben und die Zukunft eines Mitmenschen betreffen, da mach' ich keine Redensarten. Sie können den Posten jederzeit bei mir antreten. Über die Bedingungen verständigen wir uns sicherlich!«

Graf Zeinfeld war auch kein Schwächling. Aber der Händedruck, den er empfing, verriet in seiner Stärke zuviel von dem dankbaren Herzen des Reitersmannes.

»Nun sagen Sie mal, Verehrtester, Sie sind doch nicht bloß hergekommen, um mir 'n Wirkungskreis bei meinen geliebten Gäulen zu verschaffen?«

Nein, Zeinfeld erzählte, was ihm und seiner Liebsten geschehen war.

Der andere trommelte leise mit der Linken auf die wachstuchbespannte Tischplatte.

Das vom grünen Glas gedämpfte Gaslicht ließ seine starken, gesunden Züge plötzlich in einer neuen spannungsvollen Beleuchtung sehen. Er nagte an der Oberlippe, er zog Nase und Stirn kraus und stieß, wie ein ungeduldiges Roß, die Luft durch die Nasenflügel, bis er schließlich sagte:

»Das ist eine vertrackte Geschichte! Sie kommen hierher, schenken mir 'n Rittergut oder so was Ähnliches, und zum Dank dafür kann ich Ihnen überhaupt nicht helfen! Ich könnte ja, aber das wär' das allerfaulste für Sie! Ich kann sämtliche Wachen antelephonieren, kann depeschieren lassen, in Berlin, nach den Vororten, überallhin, aber was haben Sie davon? Die Jeschichte kommt sofort in die Blätter, und der Skandal is fertig! Sagen Sie mal, lieber alter Kamerad –«

Der Blonde nahm des Schwarzhaarigen Hände in die seinen und sah ihm treu in die Augen.

»Wir waren doch mal gute Freunde, und daß Sie mich nicht für weniger ansehen als früher, das hab' ich eben erfahren, ja, also, darf ich mal so tun, als ob wir noch aktiv wären?«

»Aber ja, ich bitte sehr darum, lieber Plessow.«

»Na«, der Riese räusperte sich und setzte, wie wenn er über eine hohe Hürde wollte, zum Reden an, ehe er aber loskam: »Sind Sie ganz sicher, lieber Graf, daß die Dame, für die Sie offenbar alles mögliche übrig haben ... sind Sie ganz sicher ...?«

Zeinfeld legte dem Sipoleutnant seine schlanke Rechte, die er ihm eben entzogen hatte, auf den Arm.

»Ja, Plessow, ich bin sicher! Ich weiß alles, was Sie sagen wollen! Aber die, die ich liebe, ist nicht allein das schönste Weib, nein, sie ist auch der beste edelste Mensch, den ich noch gefunden habe. Der Begriff der Untreue ist für Ilona Sebraczety nicht vorhanden, sie würde selbst daran zugrunde gehen ...«

»Na«, meinte der Blonde, »wenn die Sache so steht, dann ... dann kann ich Ihnen erst recht nicht helfen. Oder, halten Sie mal, mir fällt da eben was ein. Ich kenne einen von den Kommissaren auf dem Alexanderplatz. Dr. Splittericht heißt er. Ein ganz merkwürdiger Kerl und viel zu schade zum Polizisten, an den werd' ich Sie empfehlen!«

»Kann ich den Herrn heute noch aufsuchen?«

»Ich werd' mal gleich anfragen lassen.«

Der Leutnant verließ das Büro. Aber schon durch die offene Tür hörte Graf Zeinfeld aus dem Gespräch des wachhabenden Telephonisten, daß der Kriminalkommissar nicht im Präsidium, sondern dienstlich abwesend sei.

»Was tue ich nun?«

Graf Zeinfeld schien ganz verzweifelt.

»Bleiben Sie hier, Liebster! In einer Stunde ist mein Dienst zu Ende, und dann leist' ich Ihnen irgendwo beim Glase Wein Gesellschaft.«

So kam's. Der helle Morgen sah, wie sich die einstigen Kameraden und guten Freunde trennten.


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