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Elfter Teil.

Ich nehme keinen Anstand zuzugestehen, sagte Cleanthes, daß mich die häufige Wiederholung des Wortes »unendlich«, dem wir bei allen theologischen Schriftstellern begegnen, bedenklich gemacht hat, ob es nicht mehr den Stil einer Lobrede als der Philosophie verrate, und ob nicht den Absichten des Vernunftgebrauchs und selbst der Religion besser gedient werde, wenn wir uns mit genaueren und maßvolleren Ausdrücken begnügten. Die Worte bewunderungswürdig, vortrefflich, im höchsten Maße groß, weise und heilig erfüllen hinlänglich das menschliche Vorstellungsvermögen; was darüber hinausgeht, hat keinen Einfluß auf die Empfindungen oder Gefühle und führt außerdem zu Widersprüchen. Wenn wir daher in dieser Angelegenheit alle menschliche Analogie wegwerfen, wie Eure Absicht scheint, Demea, so fürchte ich, werfen wir alle Religion weg und behalten keine Vorstellung von dem großen Gegenstande unserer Anbetung. Bleiben wir dagegen bei menschlicher Analogie, so müssen wir es freilich stets unmöglich finden, irgendwelche Beimischung von Übel im Universum mit unendlichen Attributen in Einklang zu bringen, und noch viel weniger können wir letztere aus ersterer beweisen. Wenn wir aber die Vollkommenheit des Urhebers der Natur als endliche, obwohl weit über menschliche hinausgehend, ansehen, dann kann für natürliches und moralisches Übel ausreichende Rechenschaft gegeben und jede widrige Erscheinung erklärt und in Ordnung gebracht werden. Ein kleineres Übel mag gewählt sein, um ein größeres zu vermeiden; Unzuträglichkeiten mögen in Kauf genommen sein, um einen erstrebten Zweck zu erreichen; mit einem Wort: Wohlwollen, durch Weisheit bestimmt und durch Notwendigkeit eingeschränkt, mag genau eine solche Welt, als die vorliegende ist, hervorbringen. Nun, Philo, der Ihr so bei der Hand seid, Gesichtspunkte, Erwägungen, Analogien aufzutreiben, ich möchte gern Eure ausführlich und ohne Unterbrechung vorgetragene Meinung über diese neue Theorie hören; wenn sie unsere Aufmerksamkeit verdient, können wir sie nachher mit mehr Muße in geeignete Form bringen.

Ich schätze meine Ansichten, erwiderte Philo, nicht so groß, daß ich ein Geheimnis daraus machen sollte; ich will also ohne Umstände darlegen, was mir mit Bezug auf vorliegendes Thema beifällt, es muß, denke ich, zugestanden werden, daß, wenn einem ganz beschränkten Verstande, der nach der Voraussetzung mit der Welt durchaus unbekannt sein müßte, versichert würde, sie sei das Erzeugnis eines sehr guten, weisen und mächtigen, wenn auch endlichen Wesens, daß dieser Verstand im voraus aus Vermutungen sich von ihr eine andere Vorstellung machen würde, als uns die Erfahrung an die Hand gibt; er würde bloß aus diesen Eigenschaften der Ursache, die man ihm genannt hat, urteilend nie darauf fallen, daß die Wirkung so voll Laster und Elend und Unordnung sein könne, als sie in diesem Leben erscheint. Nehmen wir nun an, diese Person werde in die Welt gebracht, noch überzeugt, daß sie das Werk eines so erhabenen und wohlwollenden Wesens ist, so möchte sie wohl durch eine Enttäuschung überrascht werden, würde jedoch die vorige Überzeugung, wenn sie anders auf irgendeinen triftigen Beweis gegründet war, nicht aufgeben. Denn ein so beschränkter Verstand müßte sich seiner Blindheit und Unwissenheit bewußt sein und zugestehen, daß es manche Auflösungen dieser Schwierigkeit geben möge, die für immer seinem Begreifen sich entzögen. Nehmen wir dagegen an, und das ist in Bezug auf uns Menschen wirklich der Fall, daß dies Geschöpf nicht von vornherein die Überzeugung von dem Dasein einer solchen höchsten, wohlwollenden und mächtigen Intelligenz mitbringt, vielmehr solchen Glauben aus den Erscheinungen der Dinge zu gewinnen angewiesen ist, so liegt die Sache vollständig anders und er wird für solchen Schluß keinen Grund finden. Er mag vollkommen überzeugt sein von den engen Grenzen seines Verstandes, aber das kann ihm nicht zu einer Folgerung bezüglich der Güte höherer Wesen verhelfen; da er doch diese Folgerung aus dem, was er weiß, nicht aus dem, was er nicht weiß, machen muß. Je mehr Ihr seine Schwäche und Unwissenheit steigert, um so mißtrauischer macht Ihr ihn und verstärkt seinen Zweifel, ob nicht diese Dinge über den Bereich seiner Fähigkeiten hinausgehen. Ihr seid daher genötigt, lediglich aus den bekannten Erscheinungen mit ihm zu argumentieren und jede willkürliche Annahme oder Vermutung beiseite zu lassen.

Wenn ich Euch ein Haus oder einen Palast zeige, wo es nicht ein zweckmäßiges oder angenehmes Zimmer gäbe, wo die Fenster, Türen, Öfen, Flure, Treppen und die ganze Einrichtung des Gebäudes die Ursache von Lärm, Unordnung, Ermüdung, Dunkelheit und Übermaß von Hitze oder Kälte wären, so würdet Ihr sicher den Plan ohne weitere Prüfung tadeln. Der Baumeister würde vergeblich seinen Scharfsinn in Beweisen erschöpfen, daß das Übel noch größer würde, wenn diese Tür oder dies Fenster geändert würde. Was er sagt, mag völlig wahr sein; die Abänderung einer Einzelheit, während die andern Teile des Gebäudes bleiben, mag lediglich die Unzuträglichkeiten vermehren. Ihr würdet trotzdem bei der allgemeinen Behauptung bleiben, daß der Baumeister, wenn er Geschicklichkeit und guten Willen gehabt hätte, einen solchen Plan des Ganzen hätte entwerfen und so die Teile anordnen können, daß alle oder die meisten Unzuträglichkeiten wären vermieden worden. Seine Unkenntnis und auch Eure eigene Unkenntnis eines solchen Planes werden Euch nie von seiner Unmöglichkeit überzeugen. Wenn Ihr an dem Gebäude viele Unzuträglichkeiten und unschöne Verhältnisse findet, werdet Ihr stets, ohne weiter in eine detaillierte Untersuchung einzutreten, den Baumeister verurteilen.

Ich wiederhole kurz die Frage: ist die Welt, im allgemeinen betrachtet und wie sie uns in diesem Leben erscheint, verschieden von der, welche ein Mensch oder ein so beschränktes Wesen im voraus von einer sehr mächtigen, weisen und wohlwollenden Gottheit erwarten würde? Es müßte ein wunderliches Vorurteil sein, das Gegenteil zu behaupten. Hieraus schließe ich, daß die Welt, wie sehr sie immer, gewiße Annahmen und Vermutungen vorausgesetzt, mit der Idee einer solchen Gottheit verträglich sein möchte, uns niemals eine Folgerung auf sein Dasein an die Hand geben kann. Die Verträglichkeit leugne ich nicht, aber die Folgerung. Vermutungen mögen, besonders wenn man Unendlichkeit von den göttlichen Attributen ausschließt, vielleicht ausreichen, die Verträglichkeit zu beweisen, können aber nie Grundlage einer Folgerung bilden.

Es scheinen vier Umstände zu sein, worauf alle oder der größte Teil der Übel beruhen, welche die empfindenden Geschöpfe plagen, und es ist nicht unmöglich, daß alle diese Umstände nicht notwendig und unvermeidlich seien. Wir wissen so wenig über das gewöhnliche Leben hinaus und selbst von dem gewöhnlichen Leben so wenig, daß mit Bezug auf den Haushalt des Universums keine noch so ausschweifende Vermutung, die nicht richtig, und keine noch so einleuchtende, die nicht falsch sein könnte, aufgestellt werden kann. Dem menschlichen Verstande geziemt es in dieser tiefen Unwissenheit und Dunkelheit lediglich skeptisch oder wenigstens vorsichtig zu sein, und überhaupt nicht irgendeine Hypothese zuzulassen, am wenigsten eine solche, die sich nicht auf einen Anschein von Wahrscheinlichkeit stützt. Dies nun, behaupte ich, ist der Fall mit Bezug auf alle Ursachen des Übels und die Umstände, wovon es abhängt. Keine von ihnen erscheint der menschlichen Vernunft im mindesten notwendig oder unvermeidlich und ohne die äußerste Freiheit der Einbildung können wir nicht voraussetzen, daß sie es seien.

Der erste Umstand, der Übel einführt, ist die Einrichtung oder Haushaltung der tierischen Schöpfung, wonach Schmerz sowohl als Lust dazu dient, die Geschöpfe zum Handeln anzutreiben und sie in dem großen Geschäft der Selbsterhaltung wachsam zu machen. Nun scheint dem menschlichen Verstande Lust mit ihren verschiedenen Graden zu diesem Zwecke ausreichend zu sein. Alle Tiere könnten beständig in einem Zustande der Lust sein, und, gedrängt durch irgendeine der Notwendigkeiten der Natur, z. B. Durst, Hunger, Ermüdung, könnten sie statt Schmerz eine Verminderung der Lust fühlen, wodurch sie bewogen würden, den Gegenstand zu suchen, der für ihre Erhaltung notwendig ist. Der Mensch verfolgt Lust ebenso eifrig, als er Schmerz vermeidet, wenigstens könnte er so beschaffen sein. Es scheint daher völlig möglich, das Geschäft des Lebens ohne Schmerz in Gang zu halten.

Weshalb also ist ein Tier für eine solche Empfindung empfänglich gemacht? Kann ein Tier eine Stunde davon frei sein, so könnte es auch einer beständigen Freiheit davon sich erfreuen; und es war so gut eine besondere Einrichtung ihrer Organe erforderlich, dies Gefühl zu erzeugen, als sie mit Gesicht, Gehör oder irgendeinem andern Sinn auszustatten. Sollen wir ohne einen Schein von Grund annehmen, daß eine solche Einrichtung notwendig war und sollen wir auf diese Annahme als auf die sicherste Wahrheit bauen?

Aber eine Empfänglichkeit für Schmerz allein würde noch nicht Schmerz erzeugen, käme nicht ein zweiter Umstand hinzu, nämlich, daß der Lauf der Welt durch allgemeine Gesetze bestimmt ist, und das scheint keineswegs notwendig für ein sehr vollkommenes Wesen. Es ist wahr, wenn jedes Ding durch besondere Willensakte bestimmt würde, so wäre der Lauf der Natur beständig gebrochen und niemand könnte in der Lebensführung von seiner Vernunft Gebrauch machen. Aber könnten nicht andere besondere Willensakte diesen Schaden gut machen? Kurz, könnte Gott nicht alles Übel ausrotten, wo immer er sich fände und alles Gute hervorbringen, ohne alle Anstalten oder lange Vermittelung von Ursachen und Wirkungen?

Ferner ist zu bedenken, daß, wie die Welt gegenwärtig eingerichtet ist, der Lauf der Natur, obwohl nach der Voraussetzung durchaus regelmäßig, uns doch nicht so erscheint; daß viele Ereignisse ungewiß sind und viele unsere Erwartungen täuschen. Gesundheit und Krankheit, heiteres Wetter und Ungewitter und eine unendliche Menge anderer Umstände, deren Ursachen unbekannt und wandelbar sind, haben großen Einfluß sowohl auf das Geschick einzelner Personen als auf das Gedeihen der Gesellschaft und in der Tat hängt in gewisser Weise das ganze menschliche Leben von solchen Umständen ab. Es müßte daher ein Wesen, das die geheimen Ursprünge des Weltalls kennt, durch einzelne Willensakte leicht alle diese Umstände zum Besten der Menschen wenden und die ganze Welt glücklich machen können, ohne sich selbst in irgendeiner Betätigung zu verraten. Eine Flotte, deren Vorhaben der Gesellschaft heilsam ist, könnte stets günstigen Wind haben, gute Fürsten vortrefflicher Gesundheit und langen Lebens sich erfreuen, zu Macht und Ansehen geborene Personen mit guten Anlagen und tugendhaftem Gemüt ausgestattet sein. Einige wenige Vorgänge dieser Art, regelmäßig und weise in den Weltlauf eingeflochten, würden das Aussehen der Welt umgestalten und dennoch den Lauf der Natur nicht mehr zu stören oder die menschliche Lebensführung zu beirren scheinen, als die gegenwärtige Einrichtung der Dinge, wo die Ursachen verborgen und veränderlich und zusammengesetzt sind. Ein paar kleine Striche am Gehirn des Caligula in seiner Jugend hätten aus ihm vielleicht einen Trajan gemacht; eine Welle, ein wenig höher als die andere, hätte Cäsarn und sein Glück auf dem Grunde des Meeres begrabend einem erheblichen Teile der Menschheit die Freiheit zurückgeben können. Es mag, was unsere Kenntnis anlangt, gute Gründe geben, weshalb die Vorsehung nicht in dieser Weise sich ins Mittel legt; aber sie sind uns unbekannt; und obwohl die bloße Annahme, daß solche Gründe vorhanden sind, ausreichen mag, den Schluß bezüglich der göttlichen Attribute zu retten, so ist sie sicherlich nicht ausreichend, ihn zuerst zu begründen.

Wenn alle Dinge im Weltall unter der Herrschaft allgemeiner Gesetze stehen, und wenn die Tiere für Schmerz empfänglich gemacht sind, so scheint es kaum möglich, daß nicht einiges Übel durch die mannigfaltigen Zusammenstöße der Materie und das mannigfaltige Zusammenwirken und Gegenwirken allgemeiner Gesetze entstehe. Aber dies Übel würde sehr selten sein, käme nicht ein dritter Umstand, den ich erwähnen wollte, hinzu, nämlich die große Sparsamkeit, mit der alle Kräfte und Fähigkeiten an die einzelnen Wesen ausgeteilt sind. Die Organe und Fähigkeiten aller Tiere sind so genau zusammengepaßt und für ihre Erhaltung eingerichtet, daß, soweit Geschichte und Überlieferung reicht, keine einzige Art bisher in der Welt ausgestorben zu sein scheint. Jedes Tier hat die erforderliche Ausstattung; aber diese Ausstattung ist mit so ängstlicher Wirtschaftlichkeit bemessen, daß jede erhebliche Minderung das Geschöpf gänzlich zerstört. Wo immer eine Fähigkeit gesteigert wird, ist eine entsprechende Abnahme in den andern. Tiere, die sich durch Schnelligkeit auszeichnen, ermangeln gewöhnlich der Stärke. Diejenigen, welche beide besitzen, sind entweder in einem der Sinnesorgane unvollkommen oder werden durch die dringendsten Bedürfnisse niedergehalten. Die menschliche Art, deren Hauptvorzug Vernunft und Findigkeit ist, ist von allen am meisten mit Bedürfnissen belastet und mit Körpervorzügen am ärmlichsten ausgestattet, ohne Kleider, Waffen, Nahrung, Unterkommen, ohne irgendeine Lebensbequemlichkeit, außer die sie ihrem eigenen Geschick und Fleiß verdankt. Kurz, die Natur scheint eine genaue Berechnung der Notdurft für ihre Geschöpfe angestellt und gleich einem harten Herrn ihnen nur wenig mehr Kräfte oder Fähigkeiten gewährt zu haben, als eben zur Befriedigung jener Notdurft. Ein gütiger Vater würde eine reiche Ausstattung gegeben haben, um gegen Zufälle zu sichern und das Glück und die Wohlfahrt des Geschöpfs auch unter dem unglücklichsten Zusammentreffen von Umständen zu bewahren. Es würde nicht der ganze Lauf des Lebens so von schroffen Abhängen umgeben sein, daß die mindeste Abweichung vom richtigen Pfad, durch Irrtum oder Not, uns in Elend und Verderben stürzt. Es würde für einen Rückhalt, für einen Fond gesorgt sein, das Glück sicherzustellen; Kraft und Notdurft wären nicht mit so knapper Wirtschaftlichkeit gegeneinander abgemessen. Der Urheber der Natur ist über alle Begriffe mächtig; seine Stärke ist nach der Voraussetzung groß, wenn nicht ganz unerschöpflich, und es ist, so weit wir urteilen können kein Grund, der ihn veranlassen sollte, diese genaue Sparsamkeit in seinem Tun mit seinen Geschöpfen zu beobachten. War seine Kraft sehr beschränkt, so wäre es besser gewesen, weniger Tiere geschaffen und diese mit mehr Fähigkeiten für Glück und Erhaltung ausgestattet zu haben. Ein Baumeister wird nicht für verständig angesehen, der einen Plan unternimmt, welchen zu vollenden seine Mittel nicht ausreichen.

Um die meisten Übel des menschlichen Lebens zu heilen, fordere ich nicht, daß der Mensch die Flügel des Adlers, die Schnelligkeit des Hirsches, die Stärke des Stiers, die Waffen des Löwen, die Haut des Krokodils oder Rhinozeros' habe, viel weniger verlange ich den Scharfsinn eines Engels oder Cherubims. Ich bin zufrieden einen Zuwachs an einer einzigen Kraft oder Fähigkeit seines Geistes zu erhalten. Er sei begabt mit einer größeren Neigung zu Fleiß und Arbeit, einer stärkeren Schnellkraft und Regsamkeit des Geistes, einem anhaltenderen Hang zu Geschäftigkeit und Tätigkeit. Die ganze Art besitze von Natur gleichen Fleiß, wie viele einzelne ihn durch Gewöhnung und Überlegung zu erreichen imstande sind: und die wohltätigsten Folgen sind der unmittelbare und notwendige Erfolg dieser Begabung, ohne irgendeine Beimischung von Übel. Beinahe alle moralischen und natürlichen Übel des menschlichen Lebens entspringen aus der Trägheit, wäre unsere Art durch die ursprüngliche Anlage ihrer Natur von diesem Fehler oder dieser Schwäche frei, so wäre der vollkommene Anbau des Bodens, die Verbesserung der Kunst und Industrie, die strenge Erfüllung jeder Obliegenheit und Pflicht die unmittelbare Folge, die Menschen würden mit einemmal den Zustand der Gesellschaft völlig erreichen, der durch die wohlgeordnetste Regierung so unvollkommen hergestellt wird. Aber da Fleiß eine Kraft ist, und zwar die allerwertvollste, so scheint die Natur in Gemäßheit ihrer allgemeinen Verfahrungsweise entschlossen gewesen zu sein, sie mit sehr karger Hand dem Menschen zuzumessen, und lieber ihn für jeden Nachlaß darin hart zu strafen, als für Auszeichnung zu belohnen. Sie hat seine Natur so angelegt, daß nur die äußerste Not ihn zu arbeiten zwingt, und sie braucht alle seine übrigen Mängel um den Mangel an Liebe zur Tätigkeit wenigstens zum Teil aufzuwiegen und ihn mit einem Teil einer Fähigkeit auszustatten, deren sie von der Natur ihn zu berauben für gut befunden hat. Man wird zugestehen müssen, daß unsere Forderungen sehr niedrig und also um so billiger sind. Verlangten wir Ausstattung mit höherem Scharfsinn und Urteil, mit feinerem Geschmack für Schönheit, mit zarterer Empfindung für Wohlwollen und Freundschaft, so möchte man sagen, wir beanspruchten unfromm die Ordnung der Natur zu durchbrechen, wir begehrten uns auf eine höhere Stufe in der Reihe der Wesen zu erheben, die Geschenke, die wir verlangten, seien unserer Lage und Stellung nicht angemessen und würden uns bloß zum Verderben gereichen. Aber es ist hart, ich wage es zu wiederholen, es ist hart, daß wir in eine Welt so voll von Mangel und Not gestellt, wo fast jedes Wesen und Element entweder unser Feind ist oder doch seinen Beistand weigert, auch noch mit unserem eigenen Temperament Krieg führen müssen und der Fähigkeit beraubt sind, die allein uns gegen diese gehäuften Übel schützen kann.

Der vierte Umstand, woher das Elend und Übel des Universums entspringt, ist die ungenaue Arbeit aller Ursprünge und Prinzipien der großen Maschine Natur. Es muß anerkannt werden, daß es wenige Teile des Weltalls gibt, welche nicht einem Zweck zu dienen scheinen und deren Entfernung nicht sichtbare Fehler und Unordnungen in dem Ganzen hervorbringen würde. Alle Teile hangen zusammen und keiner kann in größerem oder geringerem Maße ohne Beteiligung der übrigen angetastet werden. Aber zugleich drängt sich die Wahrnehmung auf, daß keiner dieser Teile oder Ursprünge, wie nützlich immer, so genau abgepaßt ist, daß er sich genau innerhalb der Grenzen hält, worin seine Nützlichkeit besteht; alle sind so beschaffen, daß sie bei jeder Gelegenheit in das eine oder andere Extrem verfallen. Man könnte sich einbilden, diese große Schöpfung habe nicht die letzte Hand ihres Meisters erfahren, so wenig ist jeder Teil vollendet und so roh sind die Umrisse, worin sie ausgeführt ist. So sind die Winde notwendig, die Dünste über die Oberfläche der Erdkugel zu führen und dem Menschen in der Schiffahrt Dienste zu leisten; aber wie oft werden sie, zu Stürmen und Orkanen anwachsend, verderblich? Regen ist notwendig, die Pflanzen und Tiere der Erde zu ernähren, aber wie oft bleibt er unter dem Maß, wie oft überschreitet er es? Wärme ist zu allem Leben und Wachstum erforderlich, aber nicht stets in dem geeigneten Maße da. Auf der Mischung und Ausscheidung der Säfte und Flüssigkeiten des Körpers berührt Gesundheit und Gedeihen des Tieres, aber die Teile vollziehen ihre zugeteilte Aufgabe nicht in vollständiger Ordnung. Was ist nützlicher als die Leidenschaft der Seele, Ehrgeiz, Eitelkeit, Liebe, Zorn? Aber wie oft durchbrechen sie die Grenzen und verursachen die heftigsten Erschütterungen in der Gesellschaft? Es ist nichts so vorteilhaft in der Natur, das nicht oft durch Übermacht oder Mangel verderblich wird; die Natur hat sich nicht mit der erforderlichen Genauigkeit gegen Unordnung und Verwirrung gewehrt. Die Unregelmäßigkeit ist vielleicht nirgends so groß, daß sie eine Art zerstört; aber oft ist sie hinreichend, die Individuen ins Elend und Verderben zu ziehen.

Auf dem Zusammentreffen dieser vier Umstände beruht alles oder der größte Teil des natürlichen Übels. Wären alle lebenden Wesen dem Schmerz unzugänglich oder wäre die Welt durch einzelne Willensakte geleitet, so könnte das Übel nie Einlaß in der Welt gefunden haben. Wären die Tiere mit einem reichlichen Kapital von Kräften und Fähigkeiten ausgestattet, über das hinaus, was von der knappsten Notdurft gefordert wird, oder wären die verschiedenen Ursprünge und Prinzipien des Universums so genau geformt, daß sie immer die rechte Mischung und Mitte innehielten, dann müßte es wenig Übel in der Welt geben in Vergleich zu dem, das wir gegenwärtig fühlen. Was sollen wir nun hierzu sagen? Sollen wir sagen, daß diese Umstände nicht notwendig sind und daß sie in dem Weltplan leicht hätten abgeändert werden können? Diese Entscheidung scheint für so blinde und unwissende Geschöpfe zu anmaßend. Wir wollen bescheidener in unseren Schlüssen sein. Wir wollen zugestehen, daß, wenn die Güte der Gottheit (ich meine eine Güte gleich der menschlichen) auf irgendwelche zulässige Beweise a priori fest begründet werden könnte, diese freilich unbequemen Erscheinungen nicht ausreichten, jenes Prinzip zu beseitigen, vielmehr leicht in einer unbekannten Weise verträglich mit ihm sein möchten. Aber wir wollen auch festhalten, daß, da diese Güte nicht im voraus fest begründet ist, sondern aus den Erscheinungen erschlossen werden muß, es für solchen Schluß keine Unterlage gibt, so lange es so viele Übel in der Welt gibt und so lange diesen Übeln so leicht hätte abgeholfen werden können, so weit denn menschlicher Verstand über diese Dinge urteilen darf. Ich bin Skeptiker genug, zuzugestehen, daß die schlimmen Erscheinungen, trotz aller meiner Schlüsse, mit solchen Eigenschaften als Ihr annehmt, verträglich sein mögen, aber sicherlich können sie das Dasein dieser Eigenschaften nicht beweisen. Ein solcher Schluß kann nicht aus dem Zweifel gezogen werden, sondern muß aus den Erscheinungen und aus unserer Zuversicht in die Folgerungen, welche wir aus den Erscheinungen ableiten, hervorgehen.

Überblickt dieses Weltall! Welch unermeßliche Fülle von Wesen, beseelt und organisiert, empfindend und tätig. Ihr bewundert diese erstaunliche Mannigfaltigkeit und Fruchtbarkeit. Aber betrachtet diese lebendigen Wesen, die allein der Beachtung wert sind, ein wenig mehr aus der Nähe. Wie feindlich und vernichtend sind sie für einander! Wie ungenügend für ihr eigenes Glück! Wie verächtlich oder hassenswert für den Betrachter! Das Ganze bietet nichts als die Vorstellung einer blinden Natur, die durch ein großes belebendes Prinzip geschwängert ihre verkrüppelten und unreifen Kinder ohne Unterschied und mütterliche Fürsorge aus ihrem Schoß schüttet.

Hier bietet sich das Manichäiche System als eine geeignete Hypothese zur Lösung der Schwierigkeit; und kein Zweifel, daß es in mancher Hinsicht sehr bestechend ist und mehr Wahrscheinlichkeit als die gewöhnliche Hypothese hat, indem es eine annehmbare Rechenschaft für die befremdliche Mischung von Gut und Übel gibt, wie sie im Leben erscheint. Wenn wir jedoch andererseits die vollkommene Gleichmäßigkeit und Zusammenstimmung der Teile des Weltalls in Betracht ziehen, so entdecken wir in ihr kein Anzeichen eines Kampfes eines übelwollenden und eines wohlwollenden Wesens. In der Tat gibt es einen Gegensatz von Schmerz und Lust in den Gefühlen empfindender Wesen; aber werden nicht alle Wirkungen der Natur durch einen Gegensatz von Prinzipien ausgeführt, warm und kalt, feucht und trocken, leicht und schwer? Der wahre Schluß ist, daß die ursprüngliche Quelle aller Dinge gegen all diese Prinzipien vollkommen gleichgültig ist und das Gute nicht mehr dem Übel vorzieht, als Wärme der Kälte, Trockenheit der Feuchtigkeit oder Leichtigkeit der Schwere.

Es lassen sich vier Hypothesen mit Bezug auf die ersten Ursachen des Weltalls bilden: daß sie mit vollkommener Güte ausgestattet sind, daß sie vollkommenes Übelwollen haben, daß sie in sich gegensätzlich sind und sowohl Güte als Übelwollen enthalten, daß sie weder Güte noch Übelwollen besitzen. Gemischte Erscheinungen können niemals für die beiden ersten, ungemischten Prinzipien beweisen; dem dritten scheint die Gleichförmigkeit und Stetigkeit allgemeiner Gesetze entgegen zu sein; das vierte scheint daher weitaus am meisten wahrscheinlich.

Was ich mit Bezug auf das natürliche Übel gesagt habe, gilt auch mit kleiner oder keiner Änderung von dem moralischen, und wir haben nicht mehr Grund zu der Folgerung, daß die Moralität des höchsten Wesens menschlicher Moralität gleicht, als daß sein Wohlwollen menschlichem gleicht. Ja, man möchte denken, daß wir noch mehr Ursache haben moralische Empfindungen, wie wir sie empfinden, von ihm auszuschließen, da das moralische Übel, nach der Ansicht vieler, das moralische Gute noch um viel mehr überwiegt, als das natürliche Übel das natürliche Gute.

Aber wenn dies auch nicht zugestanden, vielmehr anerkannt werden sollte, daß die Tugend das Laster im Menschengeschlecht überwiegt, so wird es doch immer, so lange überhaupt Laster in der Welt ist, für Euch Anthropomorphisten eine Verlegenheit sein, Rechenschaft dafür zu geben. Ihr müßt eine Ursache dafür bezeichnen, ohne Euch auf die erste Ursache beziehen zu dürfen. Da aber jede Wirkung eine Ursache haben muß, und diese eine andere, so müßt Ihr entweder den Fortgang in infinitum antreten, oder bei dem ursprünglichen Prinzip stehen bleiben, welches die letzte Ursache aller Dinge ist ...

Haltet ein! Haltet ein! rief Demea; wohin reißt Euch Eure Einbildung fort? Ich schloß das Bündnis mit Euch, die unbegreifliche Natur des göttlichen Wesens zu beweisen und die Prinzipien des Cleanthes, der alle Dinge mit menschlichem Maßstab messen will, zu widerlegen. Und nun sehe ich Euch in alle Gemeinplätze der größten Freigeister und Ungläubigen fallen und die heilige Sache, der Ihr anscheinend Euch gewidmet hattet, verraten. Seid Ihr im geheimen ein gefährlicherer Feind als Cleanthes selbst?

Merkt Ihr das so spät? erwiderte Cleanthes. Glaubt mir, Demea, Euer Freund Philo hat sich von Anfang an auf unser beider Kosten Unterhaltung verschafft, und man muß gestehen, daß das unkluge Räsonnement unserer gewöhnlichen Theologie ihm eine nur zu gute Handhabe für seinen Hohn gegeben hat. Das gänzliche Unvermögen der menschlichen Vernunft, die absolute Unbegreiflichkeit der göttlichen Natur, das große und allgemeine Elend und die noch größere Verderbtheit der Menschen, dies sind sicherlich Kapitel, von denen es befremdlich ist, daß sie von rechtgläubigen Geistlichen und Doktoren so hoch in Ehren gehalten werden. In Zeiten von Dummheit und Unwissenheit mag man in der Tat mit gutem Erfolg an solchen Prinzipien sich halten und vielleicht ist keine Ansicht der Dinge so geeignet den Aberglauben zu fördern, wie die, welche das blinde Anstaunen, das Mißtrauen und die Schwarzseherei der Menschen begünstigt. Aber gegenwärtig ...

Tadelt nicht so heftig, unterbrach Philo, die Unwissenheit dieser ehrwürdigen Herren. Sie wissen, wie man mit den Zeiten seine Redeweise ändern muß. Früher war es ein höchst beliebter theologischer Gemeinplatz, zu behaupten, daß des Menschen Leben Eitelkeit und Elend sei und die Übel und Schmerzen, welche den Menschen befallen, zu übertreiben. Seit wenigen Jahren jedoch finden wir, daß die Geistlichen diese Position verlassen und, freilich noch mit einigem Zögern, behaupten, daß es auch in diesem Leben mehr Güter als Übel, mehr Lust als Schmerz gibt. So lange Religion gänzlich auf Gemütsstimmung und Erziehung beruhte, wurde es für geeignet gehalten, die Schwarzseherei zu begünstigen, denn in der Tat nehmen die Menschen in keiner Gemütslage so leicht ihre Zuflucht zu höheren Mächten als in dieser. Da aber heutzutage die Menschen gelernt haben, Grundsätze zu bilden und Folgerungen zu ziehen, so ist es notwendig, die Position zu ändern und von solchen Argumenten Gebrauch zu machen, die wenigstens einige Untersuchung und Prüfung aushalten. Diese Anordnung ist dieselbe (und kommt von denselben Ursachen) als diejenige, welche ich früher mit Bezug auf den Skeptizismus anzeigte.

So blieb Philo bis zu Ende bei seinem Geist des Widerspruchs und seiner Verwerfung der geltenden Ansichten. Übrigens konnte ich bemerken, daß Demea den letzten Teil der Erörterung überall nicht erquicklich fand. Er nahm denn auch bald darauf Anlaß auf einen oder den andern Vorwand hin die Gesellschaft zu verlassen.

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