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Neunter Teil.

Wenn so viele Schwierigkeiten dem Beweis a posteriori anhangen, sagte Demea, täten wir dann nicht besser uns an den einfachen und scharfsinnigen Beweis a priori zu halten, welcher eine untrügliche Demonstration bietet und alle Zweifel und Schwierigkeiten abschneidet? Durch diesen Beweis können wir dazu die Unendlichkeit der göttlichen Attribute dartun, welche, fürchte ich, niemals durch einen andern Beweis völlig sicher begründet werden kann. Denn wie kann eine Wirkung, welche endlich ist oder doch, was unsere Erkenntnis anlangt, sein kann, wie kann eine solche Wirkung eine unendliche Ursache beweisen? Ferner ist es sehr schwer, wenn nicht ganz unmöglich, die Einheit der göttlichen Natur lediglich aus der Betrachtung der Werke der Natur abzuleiten; die Einheitlichkeit des Planes allein, wenn man sie auch zugesteht, gibt uns keine Gewißheit dieser Eigenschaft. Wohingegen der Beweis a priori – –

Ihr scheint zu folgern, Demea, unterbrach ihn Cleanthes, als ob diese Vorteile und Annehmlichkeiten des abstrakten Beweises seine Sicherheit völlig dartun. Aber nach meiner Meinung ist es angemessen, zuerst zu bestimmen, auf welchen Beweis dieser Art Ihr Euch stützen wollt; hernach werden wir besser aus ihm selbst als aus seinen nützlichen Folgen zu bestimmen versuchen, welchen Wert wir ihm beizumessen haben.

Der Beweis, erwiderte Demea, worauf ich mich stützen will, ist der gewöhnliche. Alles, was ist, muß eine Ursache oder einen Grund seines Daseins haben, da es unmöglich ist, daß etwas sich selbst hervorbringt, oder selbst die Ursache seines Daseins sei. Wir müssen also im Aufsteigen von Wirkungen zu Ursachen entweder eine unendliche Reihenfolge, ohne letzte Ursache überhaupt, immer weiter verfolgen oder müssen zuletzt zu einer letzten Ursache unsere Zuflucht nehmen, welche notwendig existiert. Daß nun die erste Annahme absurd ist, kann so bewiesen werden. In der unendlichen Kette oder Folge von Ursachen und Wirkungen ist die Existenz jeder einzelnen Wirkung durch die Kraft und Wirksamkeit der Ursache bestimmt, welche unmittelbar vorhergeht; dagegen ist die ganze ewige Kette oder Reihenfolge zusammengenommen durch nichts bestimmt oder verursacht; und doch ist offenbar, daß sie eine Ursache oder einen Grund erfordert, so sehr als ein einzelnes Wirkliches, welches in der Zeit anhebt zu sein. Die Frage: warum existiert diese bestimmte Reihenfolge von Ursachen von Ewigkeit her und nicht eine andere oder überhaupt gar keine? hat einen vernünftigen Sinn. Gibt es kein notwendig-existierendes Wesen, so ist jede beliebige Annahme gleich möglich, und es ist nicht mehr widersprechend, daß nichts von Ewigkeit existiert habe, als daß gerade diese Reihenfolge von Ursachen, welche das Universum ausmacht, existiert. Was war es denn, das entschied, daß etwas existiere, nicht nichts und das dieser einzelnen Möglichkeit mit Ausschluß aller übrigen Wirklichkeit verlieh? Äußere Ursachen gibt es nicht, nach der Voraussetzung. Zufall ist ein Wort ohne Sinn. War es das Nichts? Aber das kann nichts hervorbringen. Deshalb müssen wir auf ein notwendig-existierendes Wesen zurückgehen, welches den Grund seines Daseins in sich selbst trägt, und dessen Nichtdasein nicht ohne ausdrücklichen Widerspruch angenommen werden kann. Folglich gibt es ein solches Wesen, d. h. es gibt einen Gott.

Ich will es nicht Philo überlassen, sagte Cleanthes (obgleich ich weiß, daß Einwendungen machen sein größtes Vergnügen ist), die Schwäche dieses metaphysischen Schlusses aufzuweisen. Seine Unbegründetheit scheint mir so auf der Hand liegend, und seine Bedeutungslosigkeit für die Sache wahrer Frömmigkeit und Religion so vollständig, daß ich selber versuchen will, ihn als Fehlschluß nachzuweisen.

Ich beginne mit der Bemerkung, daß in dem Unterfangen, Tatsachen zu demonstrieren oder durch Beweise a priori zu begründen, eine offenbare Absurdität liegt. Demonstrierbar ist nichts, ohne daß sein Gegenteil einen Widerspruch enthält. Nichts, was klar vorgestellt werden kann, enthält einen Widerspruch. Alles was wir als seiend vorstellen, können wir auch als nichtseiend vorstellen. Also gibt es kein Ding, dessen Nichtsein einen Widerspruch einschließt. Folglich gibt es kein Ding, dessen Dasein demonstriert werden kann. Ich stelle diesen Beweis als völlig entscheidend hin und bin willens, in dieser ganzen Streitfrage dabei stehen zu bleiben.

Es wird gesagt, die Gottheit sei ein notwendig-existierendes Wesen, und diese Notwendigkeit ihrer Existenz sucht man durch die Behauptung zu begründen, daß, wenn wir ihre ganze Wesenheit oder Natur kannten, wir die Unmöglichkeit ihrer Nichtexistenz ebenso einsehen würden, wie die des Satzes, daß zweimal zwei nicht vier sei. Aber es ist einleuchtend, daß dies nie der Fall sein kann, so lange unser Vermögen dasselbe bleibt wie jetzt. Es wird uns jederzeit möglich sein, die Nichtexistenz von etwas vorzustellen, das wir früher als existierend vorstellten; der Geist kann niemals in die Notwendigkeit kommen, anzunehmen, daß ein Ding stets im Dasein verharre, wie er in der Notwendigkeit ist, stets vorzustellen, zweimal zwei sei vier. Die Worte »notwendige Existenz« haben daher keinen Sinn, oder, was dasselbe ist, keinen in sich widerspruchslosen.

Ferner aber, warum sollte nicht nach dieser vorgeblichen Bedeutung von Notwendigkeit das materielle Universum das notwendig-existierende Wesen sein? Wir können nicht behaupten, alle Eigenschaften der Materie zu kennen und so viel unsere Einsicht anlangt, mag sie Eigenschaften enthalten, welche, wenn erkannt, ihre Nichtexistenz als einen ebenso großen Widerspruch erscheinen lassen würden, als daß zweimal zwei fünf sind. Ich finde nur ein Argument benutzt zu beweisen, daß die materielle Welt nicht das notwendig-existierende Wesen ist, und dies Argument ist aus der Zufälligkeit der Welt, sowohl ihrer Materie als Form, abgeleitet. »Von jedem Teilchen der Materie,« wird gesagt Dr. Clarke., »kann vorgestellt werden, daß es vernichtet und von jeder Form, daß sie verändert werde. Solche Vernichtung oder Veränderung ist daher nicht unmöglich.« Es scheint aber eine große Voreingenommenheit nicht zu merken, daß dasselbe Argument gleicherweise auf die Gottheit sich erstreckt, soweit wir von ihr eine Vorstellung haben, und daß der Geist wenigstens sich einbilden kann, sie sei nichtseiend oder ihre Eigenschaften seien verändert. Es müßten unbekannte, unvorstellbare Eigenschaften sein, welche ihr Nichtsein als unmöglich oder ihre Eigenschaften als unveränderlich erscheinen lassen; und es kann kein Grund angegeben werden, warum diese Eigenschaften nicht der Materie zukommen sollten. Da sie völlig unbekannt und unvorstellbar sind, kann ihre Unverträglichkeit mit derselben nicht bewiesen werden.

Nehmt dazu, daß es absurd erscheint, in Verfolgung einer ewigen Reihenfolge von Wirklichkeiten nach einer allgemeinen Ursache oder einem ersten Urheber zu fragen. Wie kann etwas, das von Ewigkeit existiert, eine Ursache haben, wenn doch dieses Verhältnis Priorität in der Zeit und einen Anfang des Daseins einschließt?

In einer solchen Kette oder Aufeinanderfolge von Gegenständen wird ferner jedes Glied verursacht durch das Vorangehende und verursacht das Folgende. Wo ist denn die Schwierigkeit? Aber das Ganze, sagt Ihr, bedarf einer Ursache. Ich antworte, daß die Vereinigung dieser Teile in ein Ganzes, gleichwie die Vereinigung mehrerer verschiedener Grafschaften in ein Königtum oder verschiedener Glieder in eine Körperschaft lediglich durch eine willkürliche Handlung des Geistes zustande gebracht wird und keinen Einfluß auf die Natur der Dinge hat. Wenn ich Euch die einzelnen Ursachen eines jeden einzelnen in einer Verbindung von zwanzig materiellen Teilen zeigte, so würde ich es sehr unvernünftig finden, wolltet Ihr mich hernach fragen, was die Ursache der Gesamtheit sei? Sie ist hinlänglich angezeigt in der Anzeige der Ursache aller Teile.

Obgleich die von Euch vorgetragenen Gründe, Cleanthes, mich wohl dessen überheben möchten, sagte Philo, weitere Schwierigkeiten anzuzeigen, so kann ich doch nicht umhin, noch einen andern Gesichtspunkt zur Geltung zu bringen. Arithmetiker haben bemerkt, daß die Produkte von 9 allemal wieder 9 oder ein kleineres Produkt von 9 ergeben, wenn man alle Ziffern, aus denen das erste Produkt zusammengesetzt ist, addiert. So wird aus 18, 27, 36, welche Produkte von 9 sind, durch Addition von 1 und 8, 2 und 7, 3 und 6, 9. Ebenso ist 369 ein Produkt von 9, und wenn man 3, 6 und 9 addiert, hat man 18, ein kleineres Produkt von 9. République des Lettres, Août 1685. Ein oberflächlicher Beobachter könnte eine so wunderbare Regelmäßigkeit als die Wirkung des Zufalls oder der Absicht anstaunen, ein geschickter Algebraist schließt unmittelbar, daß sie das Werk der Notwendigkeit sei und beweist, daß sie aus der Natur dieser Zahlen entspringen muß. Ist es nicht annehmbar, frage ich, daß die ganze Einrichtung dieses Universums durch eine gleiche Notwendigkeit beherrscht wird, obgleich keine menschliche Algebra den Schlüssel geben kann, welcher die Schwierigkeit löst? Und möchte es nicht geschehen, daß wir, könnten wir in das innere Wesen der Körper eindringen, statt die Ordnung der natürlichen Dinge anzustaunen, deutlich sähen, warum es absolut unmöglich war, daß sie eine andere Ordnung annähmen? So gefährlich ist es, die Vorstellung von Notwendigkeit in die vorliegende Frage einzuführen, und so natürlich gibt sie eine der religiösen Hypothese direkt entgegengesetzte Folgerung an die Hand!

Doch lassen wir alle diese Abstraktionen, fuhr Philo fort, und schränken wir uns auf näherliegende Gesichtspunkte ein. Ich wage die Bemerkung hinzuzufügen, daß der Beweis a priori selten sehr überzeugend gefunden worden ist, ausgenommen von metaphysischen Köpfen, welche sich an abstrakte Argumentation gewöhnt und diese Denkweise von der Mathematik, wo sie fanden, daß der Verstand oft durch Dunkelheit zu Wahrheiten, die dem ersten Anschein entgegen sind, führt, auf Gegenstände übertragen haben, wo sie keinen Platz haben sollte. Andere Leute, selbst von gutem Verstand und von Vorliebe für die Religion, empfinden stets einigen Mangel in solchen Beweisen, obgleich sie vielleicht nicht imstande sind, deutlich anzugeben, worin er liegt. Ein sicherer Beweis, daß die Menschen ihre Religion stets aus anderen Quellen, als diese Art von Beweisführung, abgeleitet haben und ableiten werden.

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