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Dritter Teil.

Wie doch, erwiderte Cleanthes, auch das absurdeste Argument in den Händen eines begabten und geschickten Mannes einen Anschein von Wahrscheinlichkeit erlangt! Bemerkt Ihr nicht, Philo, daß es für Kopernikus und seine ersten Schüler eine Notwendigkeit wurde, die Ähnlichkeit von irdischer und himmlischer Materie zu beweisen, weil manche Philosophen, durch alte Systeme verblendet und auf einigen Sinnenschein gestützt, diese Ähnlichkeit geleugnet hatten? Daß es dagegen gar nicht notwendig ist, daß der Theist die Ähnlichkeit der Werke der Natur und der Kunst beweise, weil diese Ähnlichkeit selbstverständlich und unleugbar ist? Derselbe Stoff, die gleiche Form: was ist noch weiter erforderlich, eine Analogie zwischen ihren Ursachen zu zeigen und den Ursprung aller Dinge aus göttlicher Absicht und Zielsetzung zu sichern? Eure Einwendungen, muß ich Euch offen sagen, sind nicht besser als die abstrusen Wortklaubereien jener Philosophen, welche die Bewegung leugneten, und verdienen in der gleichen Weise widerlegt zu werden, durch Erläuterungen, Beispiele und ähnliche Fälle mehr als durch ernsthafte philosophische Argumentation.

Nehmt also etwa an, daß aus den Wolken eine artikulierte Stimme gehört werde, viel lauter und melodischer als eine, die von menschlicher Kunst erreicht werden kann; nehmt an, daß diese Stimme in demselben Augenblick sich über alle Völker ausbreite und zu jedem Volk in seiner eigenen Sprache und Mundart rede; nehmt an, daß die gehörten Worte nicht nur einen richtigen Sinn und Verstand geben, sondern dazu eine Belehrung erhalten, die eines wohlwollenden und über das Menschengeschlecht erhabenen Wesens durchaus würdig ist: könntet Ihr auch nur einen Augenblick über die Ursache dieser Stimme in Zweifel sein? müßtet Ihr nicht sogleich sie einer Absicht, einem Zweck zuschreiben? Dennoch könnten, soviel ich sehe, alle diese Einwendungen (wenn sie diesen Namen verdienen), welche gegen das System des Theismus vorliegen, auch gegen diese Folgerungen vorgebracht werden.

Könntet Ihr nicht sagen, daß alle Schlüsse über Tatsachen auf Erfahrung begründet seien; daß wenn wir im Dunkeln eine artikulierte Stimme hören und daraus auf einen Menschen schließen, es lediglich die Ähnlichkeit der Wirkungen ist, welche uns zu dem Schluß Anleitung gibt, daß eine gleiche Ähnlichkeit in der Ursache statthat; daß aber diese außerordentliche Stimme durch ihre Stärke, ihre Ausdehnung, ihre Umbiegbarkeit in alle Sprachen, so wenig Analogie mit einer menschlichen Stimme hat, daß wir keinen Grund haben, eine Analogie in ihren Ursachen vorauszusetzen, und folglich, daß eine vernünftige, weise, zusammenhängende Rede kam, Ihr wüßtet nicht von wannen, etwa von einem zufälligen Sausen der Winde, nicht aber von einer göttlichen Vernunft oder Intelligenz? Ihr seht deutlich in diesen nichtigen Schikanen Eure eigenen Einwendungen und seht dazu, hoffe ich, deutlich, daß sie in dem einen Fall nicht mehr Gewicht haben als in dem andern.

Um jedoch den Fall dem vorliegenden das Universum betreffenden noch näher zu bringen, will ich zwei Annahmen machen, welche in keiner Weise widersprechend oder unmöglich sind. Nehmt an, daß es eine natürliche, allgemeine, überall gleiche Sprache gebe, die alle Individuen des menschlichen Geschlechts gemein haben; und daß Bücher Naturprodukte seien, welche sich in derselben Art, wie Tiere und Pflanzen, durch Abstammung und Fortpflanzung wieder erzeugen. Manche Ausdrücke für unsere Empfindungen stellen eine allgemeine Sprache dar; alle stummen Tiere haben eine natürliche Sprache, welche, wie beschränkt immer, ihrer eigenen Gattung durchaus verständlich ist. Und da in den höchsten Erzeugnissen der redenden Künste unendlich weniger Teile und weniger Erfindung ist als in dem rohesten organischen Körper, so ist die Fortpflanzung einer Ilias oder Äneis eine leichtere Annahme als die einer Pflanze oder eines Tieres.

Nehmt also an, Ihr tretet in Eure auf diese Weise mit natürlichen Büchern, welche die feinste Vernunft und die ausgesuchteste Schönheit enthalten, bevölkerte Bibliothek; könntet Ihr eines davon aufschlagen und zweifeln, daß seine ursprüngliche Ursache die genaueste Analogie mit Geist und Verstand habe? Wenn es räsonniert und erörtert, wenn es polemisiert, argumentiert und seine Gesichtspunkte und Prinzipien zur Geltung bringt, wenn es sich bald an den reinen Verstand, bald an die Empfindung wendet; wenn es jede dem Gegenstande angemessene Überlegung sammelt, disponiert und in zierlicher Form vorträgt: könntet Ihr bei der Behauptung beharren, daß alles dies im Grunde keinen wirklichen Sinn habe, und daß die erste Gestaltung dieses Buches in den Lenden seines ursprünglichen Erzeugers nicht aus Denken und Absicht stamme? Eure Hartnäckigkeit hat, ich weiß es, nicht diesen Grad von Festigkeit: selbst Euer skeptischer Mutwille würde durch so schreiende Absurdität beschämt sein.

Wenn aber ein Unterschied zwischen diesem angenommenen Fall und dem wirklichen des Universums stattfinden sollte, so ist er ganz zugunsten des letzteren. Die Anatomie eines Tieres bietet viel strengere Beweise für Absicht als die Lesung des Livius oder Tacitus; und jede Einwendung, welche Ihr in dem ersteren Fall vorbringt, in dem Ihr mich auf das Ungewöhnliche und Außerordentliche eines solchen Schauspiels, als die erste Bildung von Welten ist, hinführt, dieselbe Einwendung hat in der Annahme unserer pflanzenartigen Bibliothek statt. Wählt also Euren Platz, Philo, ohne Zweideutigkeit und Ausweichen, behauptet entweder, daß ein vernünftiges Buch kein Beweis einer vernünftigen Ursache ist, oder gesteht allen Werken der Natur eine ähnliche Ursache zu.

Laßt mich hier noch bemerken, fuhr Cleanthes fort, daß dieser Beweis für die Religion, statt entkräftet zu werden durch den Skeptizismus, den Ihr zu affektieren liebt, vielmehr an Stärke dadurch gewinnt und sicherer und unbestreitbarer wird. Alle Argumentation oder Beweisführung jeder Art abzulehnen, ist Affektation oder Tollheit. Das erklärte Geschäft jedes vernünftigen Skeptikers geht nur darauf, abstruse, abliegende und spitzfindige Argumentation zu verwerfen, dagegen dem gesunden Menschenverstand und den deutlichen Antrieben der Natur zu folgen und in jeder Sache einem Grunde sich zu fügen, der mit solcher Stärke einwirkt, daß man sich seiner nicht ohne die größte Gewalt gegen sich selbst erwehren kann. Nun sind die Beweise für die natürliche Religion offenbar von dieser Art und nur der verkehrteste, hartnäckigste Metaphysiker kann sie verwerfen. Betrachtet, zerlegt das Auge; beschaut seine Struktur, seine kunstvolle Anlage, und sagt mir aus Eurem Gefühl heraus, ob nicht die Vorstellung eines Künstlers unmittelbar und mit der Stärke einer sinnlichen Wahrnehmung auf Euch eindringt. Sicher ist die unmittelbare Schlußfolge zugunsten einer Absicht; es erfordert Zeit, Überlegung, Anstrengung, diese nichtigen, obwohl spitzfindigen Einwendungen aufzubieten, welche für den Unglauben sprechen. Wer kann die Männchen und Weibchen jeder Spezies, die Beziehung ihrer Teile und Naturtriebe aufeinander, ihre Erregungen und ganzes Verhalten vor und nach der Zeugung ansehen, ohne zu merken, daß die Fortpflanzung der Art Absicht der Natur ist? Millionen solcher Fälle bieten sich überall im Universum dar, und keine Sprache spricht deutlicher und unwiderstehlicher als die wunderbare Anordnung der Endursachen. Welchen Grad von blinder Voreingenommenheit für seine Meinungen muß jemand erreicht haben, so natürliche und überzeugende Beweise zu verwerfen?

Es gibt Schönheiten in Werken der redenden Künste, welche den Regeln entgegen zu sein scheinen und welche Teilnahme gewinnen und die Phantasie erregen, in Widerspruch mit allen Gesetzen der Ästhetik und mit der Autorität der anerkannten Meister der Kunst. Wenn der Beweis für den Theismus, wie Ihr wollt, den Gesetzen der Logik widerspricht, so beweist sein allgemeiner und unwiderstehlicher Einfluß aufs klarste, daß es Beweise von der gleichen ungewöhnlichen Natur gibt. Was für Angriffe gemacht werden mögen, eine geordnete Welt wird dennoch, so gut wie eine zusammenhängende artikulierte Rede, als ein unwidersprechlicher Beweis für planvolle Absicht angesehen werden.

Es geschieht zuweilen, ich gestehe es zu, daß die Beweise für die Religion auf einen unwissenden Wilden und Barbaren nicht ihren gebührenden Einfluß haben, nicht weil sie dunkel und schwierig sind, sondern weil jener sich mit Bezug auf dieselben überhaupt gar keine Frage vorlegt. Woher der wunderbare Bau eines Tieres? Von der Vereinigung seiner Erzeuger. Und woher diese? Von ihren Erzeugern. Ein paar Schritte bringen die Gegenstände in solche Entfernung, daß sie sich für ihn in Dunkelheit und Verwirrung verlieren, und er wird durch keinen Forschungstrieb bewogen, ihnen weiter nachzugehen. Aber das ist nicht Dogmatismus oder Skeptizismus, es ist Stumpfsinn, ein Geisteszustand, der sehr verschieden ist von Eurer prüfenden und forschenden Haltung, mein sinnreicher Freund. Ihr könnt Ursachen aus Wirkungen erschließen; Ihr könnt die entferntesten und entlegensten Dinge vergleichen und Eure größten Irrtümer entspringen nicht aus Unfruchtbarkeit des Denkens und Kombinationsvermögens, sondern aus zu üppiger Fruchtbarkeit, welche Euren natürlichen guten Verstand durch allzu reichliche Hervorbringung unnützer Zweifel und Einwendungen unterdrückt.

Hier konnte ich bemerken, Hermippus, daß Philo ein wenig verlegen und verwirrt war. Doch während er zögerte eine Antwort zu geben, mischte sich zu seinem Glück Demea in die Unterhaltung und stellte seine Fassung her.

Euer Beispiel, Cleanthes, sagte er, das Ihr von Sprache und Büchern entlehnt, ist gewöhnlich und hat, ich gestehe es, eben darum um so mehr Stärke; aber liegt nicht in eben diesem Umstande einige Gefahr und kann es uns nicht anmaßlich machen, indem es uns zu der Einbildung verführt, daß wir die Gottheit begreifen und eine adäquate Vorstellung von seiner Natur und seinen Eigenschaften haben? Wenn ich ein Buch lese, dringe ich ein in den Geist und den Sinn seines Verfassers; ich werde für einen Augenblick gleichsam er selbst und habe ein unmittelbares Gefühl und Verständnis von den Vorstellungen, welche er im Geiste bewegte, als er das Werk hervorbrachte. Aber so weit können wir uns sicherlich der Gottheit nie annähern. Ihre Wege sind nicht unsere Wege. Ihre Eigenschaften sind vollkommen, aber unbegreiflich. Und das Buch der Natur enthält ein größeres und unerklärlicheres Rätsel als irgendeine verstehbare Erörterung oder Schlußfolgerung.

Die alten Platoniker waren, wie Ihr wißt, die religiösesten und frömmsten unter allen heidnischen Philosophen. Dennoch erklären viele von ihnen, im besonderen Plotinus, ausdrücklich, daß Intellekt oder Verstand der Gottheit nicht zugeschrieben werden darf, und daß unser vollkommenster Gottesdienst nicht in Bezeugungen der Verehrung, Dankbarkeit und Liebe, sondern in einer gewissen mystischen Selbstvernichtung oder gänzlichen Auslöschung aller unserer Fähigkeiten besteht. Diese Vorstellungen sind vielleicht zu weit getrieben; aber doch muß anerkannt werden, daß wir, indem wir die Gottheit als so verständlich und begreiflich und dem Menschengeist ähnlich darstellen, der größten und engherzigsten Parteilichkeit schuldig sind und uns selbst zum Urbild des ganzen Universums machen.

Alle Empfindungen des menschlichen Geistes, Dankbarkeit, Rache, Liebe, Freundschaft, Billigung, Tadel, Mitleid, Wetteifer, Neid, haben eine offenbare Beziehung auf den Zustand und die Lage des Menschen und sind darauf berechnet, das Dasein eines Wesens unter solchen Umständen zu erhalten und seine Tätigkeit zu befördern. Es scheint daher unvernünftig, solche Empfindungen auf das höchste Wesen zu übertragen und anzunehmen, daß es durch sie bewegt werde; auch wollen die Erscheinungen des Universums solche Theorien nicht unterstützen. Alle unsere Vorstellungen, die von den Sinnen kommen, sind eingestandenermaßen falsch und täuschend und können daher in einer höchsten Intelligenz nicht vorausgesetzt werden; da ferner die Vorstellungen des inneren Sinnes zusammen mit denen der äußeren Sinne die ganze Ausstattung des menschlichen Verstandes ausmachen, so müssen wir schließen, daß das Material des Denkens eines menschlichen Verstandes durchaus unähnlich dem eines göttlichen Verstandes ist. Und was die Art des Denkens angeht, wie können wir zwischen ihnen einen Vergleich anstellen oder annehmen, daß sie irgendwie ähnlich seien? Unser Denken ist unbeständig, ungewiß, fließend, sukzessiv und zusammengesetzt, und könnten wir diese Umstände entfernen, so würden wir sein Wesen vernichten und es würde in solchem Fall ein Mißbrauch des Ausdrucks sein, wollten wir ihm den Namen Denken oder Vernunft beilegen. Wenigstens sollten wir, wenn es frömmer und ehrerbietiger erscheint (wie es in der Tat ist), bei Erwähnung des höchsten Wesens diese Ausdrücke dennoch beizubehalten, anerkennen, daß ihr Sinn in diesem Fall völlig unfaßbar ist, und daß die Schwäche unserer Natur uns nicht gestattet, zu Vorstellungen aufzusteigen, welche im mindesten der unaussprechlichen Hoheit der göttlichen Eigenschaften entsprechen.

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