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Vorwort zur dritten Auflage.

Die neue Auflage bietet einen nur wenig veränderten Abdruck der Übersetzung, die ich vor dreißig Jahren gemacht habe. Auch die alte Einleitung gebe ich ihr wieder mit auf den Weg. Wenn ich auch jetzt das eine und andere ein wenig anders fassen würde, so sind doch die dort ausgedrückten Überzeugungen im wesentlichen unverändert geblieben. Das gilt sowohl von der Auffassung und Beurteilung der Philosophie David Humes als von dem Glauben an die Tauglichkeit dieser Schrift, in das Nachdenken über die darin behandelten Probleme einzuführen, welche Tauglichkeit ich übrigens auch durch wiederholte Benutzung in Übungen zu erproben Gelegenheit gehabt habe.

Vielleicht ist die Gegenwart für die Überlegung metaphysischer und religionsphilosophischer Fragen mehr disponiert als es die Zeit war, an die sich die erste Vorrede wendete. Der Glaube, daß die wissenschaftliche Forschung berufen und imstande sei alle Rätsel des Daseins aufzulösen, hat nicht wenig von seiner Sicherheit eingebüßt; das gilt im besonderen auch von dem Rätsel des Lebens. Die fröhliche Zuversicht, die in den Tagen des aufsteigenden Darwinismus herrschte, daß nun alles rein und ohne Rest aufgehe, ist kaum noch anderswo anzutreffen, als in dem engeren Kreise der Gläubigen, der den alten unentwegten Welträtsellöser in Jena umgibt. Wie immer man sonst über die Biologie und ihre Aufgabe denkt, ob man daran festhält, daß die Lebenserscheinungen in letzter Instanz auf die Wirksamkeit physikalischer und chemischer Grundkräfte zurückzuführen seien, oder ob man sich offen zu der Notwendigkeit bekennt, neue spezifische Kräfte einzuführen: überall wird eingestanden, daß die Forschung von der definitiven Auflösung der Lebensprobleme unendlich weit entfernt sei. Und damit ist eingestanden, daß eine wissenschaftliche Auflösung des Weltproblems, dessen Knotenpunkt das Leben ist, noch in Weltenferne liegt.

Versagt die exakte Wissenschaft, so treten, da der menschliche Geist auf eine Gesamtanschauung der Dinge nicht verzichten kann, andere Potenzen ein, eben dieselben, die in unserer Zeit auf Kosten der Wissenschaft und der Exaktheit in der öffentlichen Schätzung im Aufsteigen sind: Metaphysik, Religion, Kunst, Poesie, mystische Kontemplation. Ihnen allen ist gemein, daß sie eine Deutung der Welt und des Lebens mit Mitteln versuchen, die nicht der wissenschaftlichen Forschung angehören, mit Mitteln, die aus dem inneren Erleben stammen und die ihre Beweiskraft nicht so sehr dem logischen, den Verstand zwingenden Aufbau von Argumenten verdanken, als der Wirkung auf das Gemüt und die Willenssphäre.

In gewissem Sinne ist dies auch das letzte Wort Humes: auf Glauben steht unsere Weltanschauung, nicht auf dem Wissen. Es ist bekannt, eine wie wichtige Rolle der »Glaube« in der Erkenntnistheorie Humes spielt, Glaube im Gegensatz zu dem logisch Demonstrierbaren. Nun, »Glaube« ist ihm auch das Fundament der Weltanschauung; Hume bekämpft in der scholastischen und der natürlichen Theologie zugleich den Intellektualismus, der mit seinen begrifflichen Demonstrationen oder seinen teleologischen Erklärungen die Wirklichkeit bis auf den Grund meinte rational machen zu können. Er hätte nicht minder den Intellektualismus in seiner modernen Form bekämpft, jene Versuche, die Wirklichkeit durch mathematisch-physikalische Erklärungen zum restlosen Aufgehen zu bringen. Daß die Welt in den »vernünftigen Gedanken« unserer Philosophie nicht aufgeht, daß das Gegebene irrational für die menschliche Vernunft ist, das ist die Grundanschauung Humes. Vielleicht hätte er, wenn er seine Dialoge am Anfang des 20., statt um die Mitte des 18. Jahrhunderts geschrieben hätte, als einen vierten Mitunterredner einen Vertreter der neuesten Welträtsellösung eingeführt und Philo auch dieser Form des Dogmatismus gegenüber die Sache des »Skeptizismus« siegreich führen lassen.

Ins Praktische gewendet, bedeutet Humes »Skeptizismus« die Forderung der Duldsamkeit: da das subjektive Moment aus dem »Glauben« niemals eliminiert werden kann, da eine den Verstand zwingende Lehre hier nicht möglich ist, so ist es billig und vernünftig, dies auch in praktischer Absicht anzuerkennen und jeden den Weg gehen zu lassen, der ihm möglich ist. Endigt für beide, den Theisten wie den Atheisten, das Denken im Nichtwissen, so können sie, wenn jeder nur sich selber und den anderen recht verstehen will, in dem Bekenntnis der Unbegreiflichkeit Gottes oder des Prinzips der Wirklichkeit zusammenkommen und sich ertragen lernen. Das vermeintliche Wissen ist es, das die Menschen hart und unduldsam macht, sie gegen den Andersdenkenden empört als gegen einen, der wider besseres Wissen nur der gesunden Vernunft sich nicht unterwerfen will. In der Tat, der Intellektualismus oder, wie Kant sagt, der Dogmatismus ist überall derselbe, der Jenaische ist nicht weniger hart und hochmütig als der Römische, wie ihm denn auch das Anathema nicht fremd ist.

Daß in dem Kampf gegen den absolutistischen Intellektualismus der Schotte den Deutschen Kant zum Bundesgenossen hat, ist ebenso bekannt als die hohe Schätzung, deren er sich bei dem nur einige Jahre jüngeren deutschen Philosophen erfreut. Daß diese Schätzung sich auch auf die Dialoge bezog, erfahren wir aus brieflichen Äußerungen Hamanns, die erst kürzlich vollständig ans Licht getreten sind. In einem Brief an Hartknoch vom 16. Dezember 1780, worin Hamann diesen bittet, durch die Spenersche Buchhandlung ihm Abzüge der Druckbogen der Kritik der reinen Vernunft baldmöglichst zugänglich zu machen, fügt er die weitere Bitte hinzu, Spener »wegen der zu erwartenden Übersetzung der Humeschen Dialoge zu erinnern, selbige so feucht und warm als möglich an mich zu befördern, nebst einer etwaigen Nachricht, wer der Übersetzer dieser Schrift sein mag. Meine (Übersetzung) ist ad acta reponiert, und abgemacht ist abgemacht, sowohl ihretwegen als meinetwegen. Kant hat mich darum gebeten und liest sie zum zweitenmalNeue Hamanniana, herausgegeben von H. Weber, 1905.

Man weiß, daß Hamann, nachdem er früher einmal auf Kant die Hoffnung gesetzt hatte, er werde der »preußische Hume« werden, von der Kritik der reinen Vernunft, als sie ihm nun endlich vorlag, enttäuscht war, daß er darin, ebenso wie sein ihm geistesverwandter Jünger Herder, eine neue Form desselben Dogmatismus fand, um dessen Austreibung es sich eben gehandelt hatte oder nach seiner Ansicht hätte handeln sollen, daß er dem »preußischen« den genuinen schottischen Hume entschieden vorzog und in diesem Sinne auf seine Umgebung einwirkte. Wie leidenschaftlich in den Kreisen dieser religiös gestimmten Antiintellektualisten die Verwerfung des neuen von Kant etablierten Vernunftglaubens zugunsten des echten Skeptizismus Humes war, zeigt eine ebenfalls in dem gerade erwähnten Buch von Weber mitgeteilte Stelle aus einem Brief des Dessauer Superintendenten de Marées an F. H. Jacobi vom Jahre 1788: »In D. Hume studiere ich immer noch und halte ihn für den tiefgedachtesten unter den gegenwärtigen Philosophen. Er bestätigt meine Hoffnung, daß der neue Abgott der Philosophen, zumal der Jenaischen, wo nicht gleich, doch nachgerade von diesem Küchlein bersten müsse.« (Mit Anspielung auf den Bel zu Babel.)

So fand sich der eben damals in Deutschland aufkommende »neugläubige Skeptizismus« von dem Skeptizismus des persönlich nicht religiös gestimmten Hume angezogen. Vielleicht wäre dieser hierüber mehr erstaunt gewesen als über die Äußerungen des giftigen Hasses, die sich in England nach seinem Tode vernehmen ließen und ihn als einen Feind Gottes und der Menschheit ausschrien. In einer dankenswerten Abhandlung über die Geschichte der Ausgaben, die von den letzten Herausgebern der philosophischen Werke D. Humes, T. H. Green und T. H. Grose, der Ausgabe der Essays im III. Bande vorausgeschickt ist, findet der Leser auch einige dieser Stimmen. Sie sind sehr geeignet, die außerordentliche Verschiedenheit des geistigen Klimas Englands und Deutschlands am Ausgang des 18. Jahrhunderts erkennen zu lassen.

Steglitz, 1. Mai 1905.
Fr. Paulsen.


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