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Zweiter Teil.

Ich muß gestehen, Cleanthes, sagte Demea, daß mich nichts in größeres Erstaunen setzen kann, als die Art, wie Ihr diese ganze Angelegenheit ins Licht gesetzt habt. Durch Eure ganze Erörterung, sollte man meinen, behauptet Ihr das Dasein Gottes gegen die Angriffe der Atheisten und Ungläubigen und seid genötigt, ein Verteidiger dieses Grundprinzips aller Religion zu werden. Doch dies ist, hoffe ich, zwischen uns überall nicht die Frage. Niemand, wenigstens niemand von gesundem Menschenverstand hat jemals, nach meiner Überzeugung, ernsthafte Zweifel mit Bezug auf eine so sichere und selbstverständliche Wahrheit unterhalten. Nicht das Dasein, sondern die Natur Gottes ist in Frage. Und von dieser behaupte ich, daß sie, in Anbetracht der Schwachheit des menschlichen Verstandes, uns völlig unbegreifbar und unbekannt ist. Das Wesen jenes höchsten Geistes, seine Eigenschaften, die Art seiner Existenz, die Natur seiner Dauer, dies und überhaupt jede Besonderheit eines so göttlichen Wesens, sind für den Menschen Geheimnisse. Endliche, schwache und blinde Geschöpfe, müssen wir uns demütigen in seiner erhabenen Gegenwart, und unserer Schwachheit uns bewußt schweigend seine unendliche Vollkommenheit anbeten, welche kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat und die in keines Menschen Herz gekommen ist, daß er sie fasse. Sie ist vor menschlicher Wißbegierde in einer tiefen Wolke verborgen; es ist unheiliger Leichtsinn, diese geheiligten Dunkelheiten durchdringen zu wollen; und gleich nach der Gottlosigkeit, die sein Dasein leugnet, kommt die Verwegenheit, welche in seine Natur und sein Wesen, seine Ratschlüsse und Eigenschaften Einblick zu gewinnen strebt.

Doch damit Ihr nicht denkt, daß meine Frömmigkeit hier mit meiner Philosophie durchgegangen ist, will ich meine Ansicht, wenn sie überhaupt der Unterstützung bedarf, durch eine große Autorität unterstützen. Ich könnte beinahe alle Geistlichen seit der Gründung des Christentums, die jemals über diesen oder irgendeinen andern theologischen Gegenstand gehandelt haben, anführen; ich will mich aber für den Augenblick mit einem begnügen, der gleich gefeiert ist wegen seiner Frömmigkeit und seiner Philosophie. Es ist Vater Malebranche, der sich, wie ich erinnere, so ausspricht Recherche de la Verité, liv. 3, cap. 9.: »Man muß Gott einen Geist nennen, nicht so sehr, um positiv zu bezeichnen, was er ist, als um anzudeuten, daß er nicht Materie ist. Er ist ein unendlich vollkommenes Wesen, daran können wir nicht zweifeln. Aber wie wir, selbst wenn wir ihn als körperlich denken, uns nicht einbilden dürfen, daß er mit einem menschlichen Leibe bekleidet sei, wie die Anthropomorphisten unter dem Vorwand, daß diese Gestalt die vollkommenste sei, behaupten; so dürfen wir auch nicht unter dem Vorwand, daß wir nichts Vollkommeneres als den menschlichen Geist kennen, uns einbilden, daß der göttliche Geist menschliche Vorstellungen hat oder irgend vergleichbar ist unserm Geiste. Vielmehr müssen wir glauben, daß er, wie er die Vollkommenheiten der Materie einschließt, ohne materiell zu sein, so die Vollkommenheit der geschaffenen Geister einschließt ohne in dem Sinne Geist zu sein, wie wir diesen fassen; daß sein wahrer Name ist: Der da ist, oder in andren Worten: Wesen ohne Schranken, Allwesen, unendliches und allumfassendes Wesen.«

Nach einer so großen Autorität, Demea, erwiderte Philo, als Ihr angeführt habt und anderen tausend, welche Ihr hättet anführen können, würde es lächerlich erscheinen, wenn ich mein Urteil hinzufügen oder der Billigung Eurer Meinung Ausdruck geben wollte. Sicher, wo vernünftige Männer von diesen Dingen handeln, kann die Frage nie auf das Dasein, sondern nur auf die Natur Gottes gehen. Die erstere Wahrheit, wie Ihr bemerkt, ist unfraglich und selbstverständlich. Nichts existiert ohne Ursache; und die ursprüngliche Ursache dieses Universums, mag sie sein, welche sie will, nennen wir Gott und schreiben ihr pietätvoll jede Art von Vollkommenheit zu. Wer an dieser fundamentalen Wahrheit zweifelt, verdient jegliche Strafe, die von Philosophen auferlegt werden kann, die größte Verspottung, Verachtung und Mißbilligung. Da jedoch alle Vollkommenheit relativ ist, so dürfen wir uns nicht einbilden, die Eigenschaften dieses göttlichen Wesens zu begreifen oder annehmen, daß seine Vollkommenheiten denen eines menschlichen Geschöpfes ähnlich oder gleich sind. Weisheit, Denken, Absicht, Erkenntnis schreiben wir ihm mit Recht zu, weil diese Worte unter Menschen ehrenvoll sind und wir keine andere Sprache und Begriffe haben, wodurch wir unserer Verehrung für ihn Ausdruck geben können. Aber wir wollen uns hüten zu denken, daß unsere Vorstellungen irgendwie seinen Vollkommenheiten entsprechen, oder daß seine Eigenschaften irgendwie Ähnlichkeit mit denselben Eigenschaften an Menschen haben. Er ist unendlich erhaben über unseren begrenzten Blick und Begriff und ist mehr Gegenstand der Verehrung in den Tempeln als des Streits in den Schulen.

In Wahrheit, Cleanthes, fuhr er fort, ist es nicht nötig, auf jenen Euch so mißfälligen vorgeblichen Skeptizismus zurückzugehen, um zu dieser Entscheidung zu gelangen. Unsere Vorstellungen reichen nicht weiter als unsere Erfahrung; wir haben keine Erfahrung von Gottes Eigenschaften und Handlungen; ich brauche meinen Schluß nicht zu vollenden, Ihr selbst könnt den Schlußsatz ziehen. Und ich bemerke gern, ich hoffe, auch Ihr, daß richtiges Denken und fromme Gesinnung hier in demselben Schluß zusammentreffen und beide dies anbetungswürdige Geheimnis der unbegreiflichen Natur des höchsten Wesens bestätigen.

Um nicht die Zeit mit Redensarten zu verlieren, sagte Cleanthes zu Demea gewendet, weniger in Erwiderung auf die frommen Auslassungen Philos, will ich kurz darlegen, wie ich diese Sache auffasse. Seht Euch um in der Welt; betrachtet das ganze und jeden Teil; Ihr habt darin eine einzige große Maschine, geteilt in eine unendliche Anzahl kleinerer Maschinen, deren jede wieder bis zu einem Grade Untereinteilungen gestattet, die menschliche Sinne und Fähigkeiten nicht mehr zu verfolgen und erklären vermögen. Alle diese verschiedenen Maschinen und selbst ihre kleinsten Teile sind einander mit einer Genauigkeit angepaßt, die jedermann, der sie jemals betrachtet hat, in staunende Bewunderung versetzt. Die wunderbare Angemessenheit von Mitteln und Zielen durch die ganze Natur, gleicht vollkommen, wenn sie auch weit darüber hinausgeht, den Hervorbringungen menschlicher Kunst, menschlicher Absicht, Weisheit und Einsicht. Da also die Erfolge einander gleichen, sind wir auf den Schluß geleitet, daß auch die Ursachen einander gleichen und daß der Urheber der Natur dem Geist des Menschen einigermaßen ähnlich sei, freilich ausgestattet mit viel größeren Fähigkeiten, entsprechend der Größe des Werkes, das er hervorgebracht hat. Durch diesen Beweis a posteriori und durch diesen Beweis allein begründen wir zugleich das Dasein einer Gottheit und ihre Ähnlichkeit mit menschlichem Geist und Verstand.

Ich bin so frei, Cleanthes, erwiderte Demea, Euch zu sagen, daß ich von Anfang an Eurem Schluß bezüglich der Ähnlichkeit der Gottheit mit dem Menschen nicht zustimmen konnte; noch weniger kann ich den Mitteln zustimmen, wodurch Ihr dieselbe zu begründen sucht. – Wie, keine Demonstration des Daseins Gottes? Keine abstrakten Argumente? Keine Beweise a priori? Sind diese, worauf bisher von den Philosophen so viel Gewicht gelegt worden ist, nichts als Trugschlüsse und Sophismen? Können wir in dieser Sache nicht über Erfahrung und Wahrscheinlichkeit hinausgehen? Ich will nicht sagen, daß dies Verrat an der Sache der Gottheit ist; aber sicherlich gebt Ihr durch diese übertriebene Nachgiebigkeit den Atheisten Vorteile, welche sie bloß durch die Stärke ihrer Argumentation niemals erreichen würden.

Was in dieser Sache mir am meisten Anstoß gibt, sagte Philo, ist nicht so sehr, daß alle die Religion betreffenden Argumente von Cleanthes auf Erfahrung zurückgeführt werden, als daß sie auch unter den Argumenten dieser Gattung nicht eben die sichersten und unwiderleglichsten zu sein scheinen. Daß ein Stein fällt, daß Feuer brennt, daß die Erde Solidität hat, haben wir tausendmal wahrgenommen; und wenn irgendein neuer Fall dieser Art vorliegt, ziehen wir ohne Zögern den gewohnten Schluß. Die genaue Gleichartigkeit der Fälle gibt uns eine vollkommene Gewißheit eines gleichen Erfolgs, und ein stärkerer Beweis wird nie erwartet oder gesucht. Aber wo man im geringsten von dieser Gleichartigkeit abgeht, vermindert man entsprechend die Evidenz und kommt zuletzt auf eine sehr schwache Analogie, die eingestandenermaßen dem Irrtum und der Ungewißheit unterliegt. Nachdem wir den Blutumlauf in menschlichen Geschöpfen beobachtet haben, zweifeln wir nicht, daß er in Titius und Mävius stattfindet; aber aus dem Umlauf in Fröschen und Fischen ergibt sich bloß eine Präsumtion, wenn auch eine starke, aus der Analogie, daß er auch im Menschen und andern Tieren stattfindet. Der Analogiebeweis ist viel schwächer, wenn wir den Saftumlauf in Pflanzen aus dem beobachteten Blutumlauf in Tieren erschließen, und diejenigen, welche dieser unvollkommenen Analogie schnell Folge geben, sind durch genauere Beobachtung des Irrtums überführt worden.

Wenn wir ein Haus sehen, Cleanthes, schließen wir mit der größten Gewißheit, daß es einen Architekten oder Erbauer hat, weil dies genau die Art des Erfolgs ist, der nach unserer Erfahrung von dieser Art von Ursache hervorgebracht wird. Aber sicher wollt Ihr nicht behaupten, daß das Universum solche Ähnlichkeit mit einem Hause hat, daß wir mit derselben Gewißheit auf eine ähnliche Ursache schließen können, oder daß hier die Analogie vollkommen ist. Die Unähnlichkeit ist so in die Augen fallend, daß Ihr allerhöchstens in Anspruch nehmen dürft durch Raten, Vermuten, Präsumieren auf eine ähnliche Ursache zu kommen; und wie dieser Anspruch von der Welt aufgenommen werden wird, überlasse ich Euch in Betracht zu ziehen.

Ohne Zweifel würde er übel genug aufgenommen werden, erwiderte Cleanthes; und mit Recht würde man mich tadeln und verabscheuen, gäbe ich zu, daß die Beweise für eine Gottheit nicht über Raten und Vermuten hinausgingen. Aber ist die ganze Anordnung von Mitteln zu Zielen in einem Hause und im Universum eine so oberflächliche Ähnlichkeit? Die Ökonomie von Finalursachen? Die Ordnung, Verhältnismäßigkeit und Anordnung jedes Teils? Stufen einer Treppe sind offenbar dazu gemacht, daß menschliche Beine sich ihrer zum Steigen bedienen, und dieser Schluß ist sicher und untrüglich. Menschliche Beine sind ebenso gemacht zum Gehen und Steigen, und dieser Schluß ist, ich gestehe, nicht ganz so sicher, wegen der Unähnlichkeit, welche Ihr bemerkt; aber verdient er deshalb bloß den Namen einer Präsumtion oder Vermutung?

Guter Gott, rief Demea ihn unterbrechend, wo sind wir? Eifrige Verteidiger der Religion geben zu, daß die Beweise für eine Gottheit nicht vollkommene Evidenz haben? Und Ihr, Philo, auf dessen Beistand ich mich verließ in dem Nachweis des anbetungswürdigen Geheimnisses der göttlichen Natur, stimmt Ihr all diesen ausschweifenden Meinungen des Cleanthes bei? Denn welchen andern Namen kann ich ihnen geben? Oder warum sollte ich meinen Tadel zurückhalten, wenn solche Grundsätze vorgetragen werden, gestützt auf solche Autorität, vor so jungen Leuten als Pamphilus?

Ihr scheint zu übersehen, erwiderte Philo, daß ich mit Cleanthes aus seinen eigenen Voraussetzungen argumentiere; und indem ich ihm die gefährlichen Folgen seiner Prinzipien zeige, hoffe ich ihn zuletzt zu unserer Meinung zurückzuführen. Doch was Euch am meisten beunruhigt, ist, wie ich bemerke, die Darstellung, welche Cleanthes dem Beweis a posteriori gegeben hat. Indem Ihr findet, daß dieser Beweis Euch zwischen den Händen zerrinnt und in Luft zergeht, denkt Ihr, er sei so entstellt, daß er kaum in seinem wahren Licht dargestellt sein möchte. Ich muß nun gestehen, so sehr ich in anderer Hinsicht von den gefährlichen Grundsätzen des Cleanthes abweiche, daß er diesen Beweis trefflich dargestellt hat, und ich will versuchen, Euch diese Sache so vorzulegen, daß Ihr daran nicht mehr zweifeln könnt.

Wenn jemand von allem, was er weiß oder gesehen hat, absehen könnte, so würde er, bloß auf seine eigenen Vorstellungen angewiesen, durchaus unfähig sein zu bestimmen, welche Art von Aussehen die Welt haben müsse, oder einem Zustande der Dinge vor dem andern den Vorzug zu geben. Denn da nichts, was er klar vorstellt, für unmöglich oder widersprechend gehalten werden könnte, so würde jede Schimäre seiner Phantasie gleiches Recht haben, und er könnte nicht irgendeinen wirklichen Grund aufzeigen, weshalb er dem einen vorgestellten System beifalle, das andere ebenso mögliche verwerfe.

Ferner, wenn er die Augen öffnete, und die Welt, wie sie in Wirklichkeit ist, ansähe, würde es ihm zunächst unmöglich sein, die Ursache irgendeines Vorgangs, geschweige denn der Gesamtheit der Dinge oder des Universums anzugeben. Er könnte seiner Phantasie freien Lauf lassen und sie möchte ihm eine unendliche Mannigfaltigkeit von Berichten und Darstellungen vorführen. Alle würden möglich sein; aber da alle gleich möglich wären, würde er aus sich selbst niemals imstande sein, einen ausreichenden Grund anzugeben, weshalb er die eine den andern vorzöge. Erfahrung allein kann ihm die wahre Ursache einer Erscheinung anzeigen.

Aus diesem Grundsatz der Nachforschung, Demea, folgt (und stillschweigend wird dies von Cleanthes selbst zugestanden), daß Ordnung oder Zusammenstimmung von Endursachen an und für sich noch nicht ein Beweis von Absicht ist, sondern nur sofern durch Erfahrung bewiesen ist, daß sie aus diesem Prinzip herfließt. Bloß unsere Erkenntnis a priori angesehen, kann Materie so gut ursprünglich die Quelle von Ordnung in sich enthalten, als der Geist es tut; und es ist keine größere Schwierigkeit in der Vorstellung, daß die verschiedenen Elemente aus einer inneren unbekannten Ursache in die allerwunderbarste Anordnung hineingeraten, als in der Vorstellung, daß ihre Gedankenbilder in dem großen allgemeinen Geiste aus einer gleichen inneren unbekannten Ursache in diese Anordnung geraten. Die gleiche Möglichkeit dieser beiden Annahmen ist zugestanden. Aber durch Erfahrung werden wir nach Cleanthes belehrt, daß zwischen ihnen ein Unterschied ist. Man werfe einige Stücke Eisen zusammen, ohne Gestalt oder Form, sie werden nie sich so anordnen, daß sie eine Uhr zusammensetzen. Steine und Mörtel und Holz werden ohne Baumeister nie ein Haus errichten. Dagegen die Gedankenbilder im Menschengeist sehen wir durch eine unbekannte unerklärliche Einrichtung sich so anordnen, daß sie den Plan einer Uhr oder eines Hauses bilden. Erfahrung beweist also, daß im Geist ein ursprüngliches Prinzip der Ordnung ist, nicht in der Materie. Aus ähnlichen Erfolgen schließen wir auf ähnliche Ursachen. Die Zusammenfügung von Mitteln zu Zielen ist ähnlich im Universum wie in einer von Menschenhand gemachten Maschine. Die Ursachen also sind ähnliche.

Ich muß gestehen, von Anfang an nahm ich an der Ähnlichkeit Anstoß, welche zwischen der Gottheit und menschlichen Geschöpfen behauptet wird; es schien mir darin eine Abschätzung des höchsten Wesens vorausgesetzt zu sein, wie sie kein vernünftiger Theist ertragen könnte. Mit Eurem Beistande, Demea, will ich daher versuchen zu verteidigen, was Ihr mit Recht das anbetungswürdige Geheimnis der göttlichen Natur nennt, und die Schlußfolgerung des Cleanthes zu widerlegen, vorausgesetzt, daß er meine Darstellung derselben als zutreffend gelten läßt.

Als Cleanthes dies getan, fuhr Philo nach einer kurzen Pause in folgender Weise fort.

Daß alle Folgerungen in betreff von Tatsachen auf Erfahrung begründet sind, und daß alle erfahrungsmäßige Folgerung auf die Annahme begründet ist, daß ähnliche Ursachen auf ähnliche Wirkungen, und ähnliche Wirkungen auf ähnliche Ursachen schließen lassen, das, Cleanthes, will ich gegenwärtig mit Euch nicht des weiteren erörtern. Aber ich bitte Euch darauf zu achten, mit welcher äußersten Vorsicht alle guten Forscher in der Übertragung der gemachten Erfahrungen auf ähnliche Fälle vorgehen. Wenn die Fälle nicht völlig genau einander gleichen, setzen sie in die Anwendung ihrer vorigen Beobachtung auf irgendeine einzelne Erscheinung kein volles Vertrauen. Jede Veränderung von Umständen veranlaßt Zweifel betreffs des Erfolgs, und es erfordert neue Erfahrungen um gewiß zu machen, daß die neuen Umstände von keinem Einfluß sind. Eine Veränderung in Masse, Lagerung, Anordnung, Jahreszeit, Zustand der Luft oder der umgebenden Körper, irgendeine dieser Einzelheiten mag von sehr unerwarteten Folgen begleitet sein, und wenn die Gegenstände uns nicht völlig vertraut sind, ist es die größte Leichtfertigkeit, nach einer dieser Veränderungen mit Sicherheit einen ähnlichen Erfolg zu erwarten, als wir vorher beobachteten. Die langsamen und überlegten Schritte des Philosophen sind hier, wenn irgendwo, unterschieden von dem überstürzten Gang der Masse, welche, durch die kleinste Ähnlichkeit fortgerissen, zur Unterscheidung und Überlegung unfähig wird.

Könnt Ihr nun meinen, Cleanthes, daß Ihr Eure gewöhnliche philosophische Ruhe bewahrt habt, da Ihr den großen Schritt tatet, mit dem Universum Häuser, Schiffe, Geräte, Maschinen zu vergleichen, und von ihrer Ähnlichkeit in einigen Umständen auf eine Ähnlichkeit der Ursachen zu schließen? Gedanke, Absicht, Verstand, wie wir sie im Menschen und andern Tieren entdecken, ist bloß eine Ursache, ein Prinzip im Universum, nicht mehr als Hitze oder Kälte, Anziehung oder Abstoßung und hundert andere, welche in unsere tägliche Beobachtung fallen. Es ist eine tätige Ursache, wodurch, wie wir sehen, einige besondere Teile der Welt in andern Veränderungen hervorbringen. Kann aber eine eigentliche und wirkliche Schlußfolgerung von dem Verhalten der Teile auf das Ganze stattfinden? Schließt nicht der Mangel eines Verhältnisses zwischen beiden alle Vergleichung und Folgerung aus? Können wir aus der Beobachtung des Wachstums eines Haares über die Entstehung eines Menschen etwas lernen? Würde die Art, wie ein Blatt grünt, auch wenn vollkommen bekannt, uns über das Wachstum eines Baumes unterrichten?

Doch zugestanden, daß wir die Einwirkungen eines Teils der Natur auf einen andern zur Grundlage unseres Urteils über den Ursprung des Ganzen machen dürfen (was doch nie eingeräumt werden darf), mit welchem Recht wählen wir denn ein so kleines, so schwaches, so begrenztes Prinzip aus, als Vernunft und Absicht von Tieren auf diesem Planeten sind? Was für ein besonderes Vorrecht hat diese kleine Bewegung des Gehirns, welche wir Denken nennen, daß wir sie in dieser Weise zum Modell des ganzen Universums machen? Unsere Parteilichkeit zu unsern eigenen Gunsten läßt uns freilich sie überall erblicken; aber gesunde Philosophie sollte gegen eine so natürliche Selbsttäuschung sorgfältig auf der Hut sein.

Sind wir so fern davon zuzulassen, fuhr Philo fort, daß die Verfahrungsweise eines Teiles einen richtigen Schluß auf den Ursprung des Ganzen begründen könne, so darf ich nicht einmal einen Teil als maßgebend für einen andern Teil gelten lassen, wenn dieser letztere Teil von dem andern sich sehr entfernt. Gibt es einen vernünftigen Grund zu schließen, daß die Einwohner anderer Planeten Gedanken, Verstand, Vernunft oder irgendetwas diesen menschlichen Fähigkeiten Ähnliches besitzen? Wenn die Natur auf dieser kleinen Kugel ihre Arten sich zu betätigen so mannigfaltig gestaltet hat, dürfen wir uns einbilden, daß sie durch das ganze unermeßliche Universum sich selbst unaufhörlich wiederholt? Und wenn das Denken, wie wir immerhin annehmen mögen, auf diesen engen Winkel eingeschränkt ist und auch hier nur einen so begrenzten Kreis seiner Betätigung hat, mit welchem Anspruch auf Genauigkeit bezeichnen wir es als die ursprüngliche Ursache aller Dinge? Der enge Blick eines Bauern, der seine Haushaltung zum Maßstab für die Regierung von Königreichen macht, begeht im Vergleich dazu einen verzeihlichen Trugschluß.

Wäre aber auch so viel sicher, daß Vernunft und Denken, ähnlich dem menschlichen, durch das ganze Universum hindurch sich fände, und wäre auch seine Wirksamkeit anderswo unendlich viel größer und beherrschender, als sie auf dieser Kugel erscheint; so kann ich dennoch nicht einsehen, warum die Verfahrungsweisen einer Welt, die schon gestaltet und geordnet ist, mit irgendwelcher Genauigkeit auf eine Welt sollten ausgedehnt werden können, die in ihrem Embryozustand ist und erst zu Ordnung und Gestaltung fortschreitet. Durch Beobachtung wissen wir etwas von dem Haushalt, der Betätigung und Ernährung eines vollendeten Tieres; aber nur mit großer Vorsicht können wir diese Beobachtung auf das Wachstum eines Fötus im Mutterschoß übertragen und mit noch größerer auf die Gestaltung des Samens im Männchen. Die Natur, so finden wir selbst bei unserer engbegrenzten Erfahrung, besitzt eine unendliche Anzahl von Ursprüngen und Prinzipien, welche sich bei jeder Veränderung in ihrer Lage und Situation unaufhörlich entwickeln. Welche neuen und unbekannten Prinzipien in einer so neuen und unbekannten Situation, als die Bildung eines Universums ist, sie in Bewegung setzen, können wir nicht ohne die größte Leichtfertigkeit zu bestimmen uns unterfangen.

Ein sehr kleiner Teil dieses großen Systems enthüllt sich uns sehr unvollkommen während einer sehr kurzen Zeit; und von hieraus wollen wir ein entschiedenes Urteil über den Ursprung des Ganzen fällen?

Wundervoller Schluß! Steine, Holz, Ziegel, Eisen, Messing zeigen in dieser Zeit, auf dieser kleinen Erdkugel keine Ordnung und Gestaltung ohne menschliche Kunst und Erfindung; deshalb sollte das Universum nicht ursprünglich seine Ordnung und Gestaltung ohne etwas menschlicher Kunst Ähnliches erreichen? Ist ein Teil der Natur ein Maßstab für einen andern sehr entfernten Teil? ist er ein Maßstab für das Ganze? Ist die Natur in einer Situation ein sicherer Maßstab für die Natur in einer andern ungeheuer verschiedenen Situation?

Könnt Ihr mich also tadeln, Cleanthes, wenn ich hier die weise Zurückhaltung des Simonides befolge, welcher, nach jener bekannten Erzählung, von Hiero gefragt: was Gott sei? einen Tag verlangte zum Überlegen, und dann zwei Tage, und in dieser Weise beständig den Termin verlängerte, ohne jemals seine Definition oder Beschreibung zu geben? Ja, könntet Ihr mich tadeln, wenn ich gleich geantwortet hätte: daß ich es nicht wisse und mir bewußt sei, dieser Gegenstand liege weit außerhalb des Bereichs meiner Fähigkeiten? Ihr möchtet ausrufen: Skeptiker! Spötter! so viel Ihr wolltet; ich meinerseits, der ich in so manchen viel gewöhnlicheren Dingen die Unvollkommenheiten und Widersprüche der menschlichen Vernunft wahrgenommen habe, würde von ihren schwachen Vermutungen in einem so erhabenen und von dem Kreis unserer Beobachtung so weit entfernten Gegenstande niemals irgendwelchen Erfolg erwarten. Wenn zwei Arten von Dingen stets als verbunden beobachtet sind, so kann ich durch Gewohnheit die Existenz des einen folgern, wo ich die Existenz des andern sehe: und das nenne ich einen Beweis aus Erfahrung. Wie aber dieser Beweis statthaben kann, wo die Gegenstände, wie in dem vorliegenden Fall, einzigartig, individuell, ohne Parallele oder spezifische Ähnlichkeit sind, ist schwer zu sagen. Wird jemand mit ernster Miene sagen, daß ein geordnetes Universum aus einem künstlerischen Denken ähnlich dem menschlichen, entspringen müsse, weil wir davon Erfahrung haben? Diese Folgerung zu sichern wäre erforderlich, daß wir von der Entstehung von Welten Erfahrung haben, auf keinen Fall reicht es aus, daß wir Schiffe und Häuser aus menschlicher Kunst und Erfindung haben entspringen sehen.

Philo sprach in dieser hitzigen Weise, einigermaßen zwischen Ernst und Scherz, wie mir schien, als er in Cleanthes einige Anzeichen von Ungeduld wahrzunehmen schien und plötzlich schwieg. – Was ich zu erinnern hätte, sagte Cleanthes, ist bloß, daß Ihr nicht Ausdrücke mißbrauchen oder populäre Ausdrücke brauchen solltet, um philosophische Folgerungen zu widerlegen. Ihr wisst, daß die Masse oft zwischen Vernunft und Erfahrung unterscheidet, auch wo die Frage lediglich Tatsache und Wirklichkeit angeht; obgleich sich bei genauer Analysis herausstellt, daß diese »Vernunft« nichts als eine Art von Erfahrung ist. Durch Erfahrung den Ursprung der Welt aus dem Geiste nachweisen, ist dem Sprachgebrauch nicht mehr entgegen, als die Bewegung der Erde aus demselben Prinzip zu beweisen. Und ein Wortklauber kann alle diese selben Einwendungen, die Ihr gegen meine Folgerungen vorgebracht habt, gegen das Kopernikanische System machen. Habt Ihr andere Erden, könnte er sagen, welche Ihr sich bewegen gesehen habt? Habt ...

Ja, rief Philo ihn unterbrechend, wir haben andere Erden. Ist nicht der Mond eine andere Erde, welche wir um ihren Mittelpunkt sich drehen sehen? Ist nicht Venus eine andere Erde, an der wir dieselbe Erscheinung beobachten? Sind nicht die Umwälzungen der Sonne ebenfalls eine Bestätigung derselben Theorie durch Analogie? Alle Planeten, sind sie nicht Erden, welche um die Sonne kreisen? Sind nicht die Trabanten Monde, welche sich um Jupiter und Saturn und zusammen mit diesen Planeten erster Klasse um die Sonne bewegen? Diese Analogien und Ähnlichkeiten mit andern, die ich nicht erwähnt habe, sind die einzigen Beweise des Kopernikanischen Systems: und an Euch ist es zu überlegen, ob Ihr zur Unterstützung Eurer Theorie Analogien von derselben Art habt.

In der Tat, Cleanthes, fuhr er fort, das moderne astronomische System ist jetzt von allen Forschern so vollständig angenommen und ein so wesentlicher Teil unserer frühesten Erziehung geworden, daß wir gewöhnlich nicht sehr bedenklich in der Prüfung der Gründe sind, auf denen es beruht. Es ist jetzt Gegenstand der bloßen Neugierde geworden, die ersten Schriftsteller über diesen Gegenstand zu prüfen, die die ganze Stärke des Vorurteils gegen sich hatten und genötigt waren, ihre Beweise von jeder Seite vorzutragen, um sie populär und überzeugend zu machen. Wenn wir dagegen Galileos berühmte Dialoge über das Weltsystem durchgehen, so werden wir finden, daß dieser große Geist, einer der erhabensten, die je existierten, alle seine Bemühungen darauf richtete zu beweisen, daß die gewöhnlich zwischen elementaren und himmlischen Substanzen gemachte Unterscheidung unbegründet sei. Die Schulen, die von dem sinnlichen Schein ausgingen, hatten diese Unterscheidung sehr weit getrieben; sie hatten die Aufstellung gemacht, daß die letzteren Substanzen dem Entstehen und Vergehen, der Veränderung und dem Leiden unzugänglich seien und hatten die entgegengesetzten Eigenschaften den ersteren beigelegt. Galileo dagegen bewies, mit dem Monde anfangend, seine Ähnlichkeit mit der Erde in allen Einzelheiten: seine kugelförmige Gestalt, seine natürliche Dunkelheit, wenn unerleuchtet, seine Dichtigkeit, seine Unterschiedenheit in Festes und Flüssiges, die Wechsel seiner Phasen, die wechselseitige Erleuchtung von Erde und Mond, ihre wechselseitigen Verfinsterungen, die Unebenheit der Mondoberfläche usw. Nach manchen Nachweisungen dieser Art mit Bezug auf alle andern Planeten sahen die Menschen klärlich aus diesen Körpern geeignete Gegenstände der Erfahrung werden, und daß die Ähnlichkeit ihrer Natur uns in den Stand setze, dieselben Beweise und Erscheinungen von einem auf die andern zu übertragen.

In diesem vorsichtigen Verfahren der Astronomen könnt Ihr Euer eigenes Urteil lesen, Cleanthes; oder vielmehr könnt sehen, daß der Gegenstand, der Euch beschäftigt, alle menschliche Vernunft und Nachforschung übersteigt. Könnt Ihr eine gleiche Ähnlichkeit zwischen der Erbauung eines Hauses und der Entstehung eines Universums aufzuzeigen Euch Hoffnung machen? Habt Ihr die Natur jemals in einem Zustande gesehen, welcher der ersten Anordnung der Elemente gliche? Sind jemals unter Euren Augen Welten gebildet worden? und habt Ihr Gelegenheit gehabt, den ganzen Vorgang der Erscheinung von dem ersten Auftauchen einer Ordnung bis zu ihrer endlichen Vollendung zu beobachten? Habt Ihr, dann bringt Eure Beobachtung bei und legt Eure Theorie dar.

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