Victor Hugo
Notre Dame, Teil 2
Victor Hugo

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II.

Sieben Flüche in freier Luft und deren Folgen.

»Te Deum laudamus!« rief der Mühlenhans aus und sprang freudig aus seinem Verstecke hervor. »Gottlob, die beiden Nachteulen sind fort! Och! Och! Hax! Pax! Max! Die Flöhe! Die wüthenden Hunde! Den Teufel! So geht zur Hölle mit eurer ganzen Unterhaltung, der Kopf schwindelt mir davon. Und einen verschimmelten Käse noch obendrein in den Kauf! Komm, du liebe Börse meines großen Bruders, ich will dich in Wein verwandeln.«

Der Student warf einen zärtlichen Blick auf den Inhalt der Börse, wischte den Staub von Kleidern und Stiefeln, pfiff eine Melodie, sah sich um, ob sonst nichts in der Zelle sei, das er mitnehmen und sich aneignen könnte, ging hinaus, ließ die Thüre hinter sich offen und hüpfte die Treppe hinunter.

Lachend kam er unten auf dem Platze an. »Oh!« sprach er, »du gutes ehrliches Pflaster von Paris! Verflucht sei diese Wendeltreppe, auf der selbst den Engeln der Jakobsleiter der Athem ausgehen könnte!«

Er machte einige Schritte weiter und erblickte seine beiden Nachteulen, d. h. den Archidiakonus und Meister Jakob, in Betrachtung einer Bildsäule des Portals verloren. Er näherte sich ihnen auf der Zehenspitze und hörte den Archidiakonus leise zu Jakob Charmolue sagen: »Wilhelm von Paris hat einen Hiob auf diesen Stein von Lapis-Lazuli graben lassen. Hiob stellt den Stein der Weisen vor, der auch durch das Märtyrerthum erprobt werden muß, wie Raimund Lulle sagt: Sub conservatione formae specificae salva anima.«

»Was liegt mir an dem?« sagte der Mühlenhans, »das Geld habe ich.«

In diesem Augenblicke hörte er hinter sich eine starke Stimme, die einen Schwall von Flüchen in einem Athem ausstieß: »Tod und Teufel! Donner und Blitz! Höllenelement! Gottes Donnerwetter! Zehntausend Millionen Teufel! Stern und Kreuz! Hol' euch der Teufel und seine Großmutter!«

»Daß ist entweder mein Freund, der Hauptmann Phöbus, oder der Satan in eigener Person!« sagte der Student.

Dieser Name Phöbus drang in die Ohren des Priesters, als er eben dem Meister Jakob den Drachen erklärte, der seinen Schweif in einem Bade verbirgt, aus dem unter dichtem Rauch ein Königskopf hervorgeht. Der Archidiakonus brach kurz ab, wendete sich um und sah, wie sein Bruder zu einem hochgewachsenen Officier trat, der eben aus dem Hause Gondelaurier kam.

Es war wirklich der Hauptmann Phöbus de Chateaupers; er lehnte sich an einen Pfeiler des Hauses seiner Braut und fluchte wie ein Heide.

»Meiner Treu, Hauptmann Phöbus!« sagte der Student und reichte ihm die Hand, »Ihr flucht mit bewunderungswürdiger Geläufigkeit.«

»Tod und Teufel!« erwiederte der Hauptmann.

»Blitz und Donner!« versetzte der Student. »Woher kommt dieses Ueberströmen schöner Redensarten aus dem Munde eines so artigen Ritters, wie Kapitän Phöbus ist?«

»Stern und Kreuz, Freund Johann!« sagte Phöbus und schüttelte ihm die Hand, »wenn das Roß einmal im Laufe ist, kann man es nicht gleich anhalten. Ich habe im großen Galopp geflucht. So oft ich von diesen Zieraffen komme, wo ich mir nicht Luft machen darf, habe ich immer die Gurgel voll von Flüchen; ich muß sie ausschütten, wenn ich nicht daran ersticken will: Donnerwetter! Höllenelement!«

»Wollt Ihr mit mir eine Flasche trinken?« fragte der Student.

Dieser Vorschlag besänftigte den Kapitän.

»Ich will wohl, aber ich habe kein Geld.«

»Ich habe Geld, ich!«

»Das wäre der Teufel! Laßt doch sehen!«

Der Mühlenhans hielt prahlend seine Börse vor die Augen des Hauptmanns. Inzwischen war der Archidiakonus, der den Meister Jakob ohne Weiteres stehen ließ, bis auf einige Schritte von ihnen gekommen, so daß er Alles hören konnte, was sie sprachen; sie selbst nahmen ihn nicht wahr, so sehr waren sie in die Betrachtung der Geldbörse vertieft.

Phöbus rief eben aus: »Eine Börse in Eurer Tasche! Johannes Frollo! Das ist der Mond in einem Wassereimer. Man erblickt ihn darin, aber er ist nicht da, es ist bloß ein Schatten. Ich will darauf wetten, daß in Eurer Börse nichts als Kieselsteine sind.«

»Seht hier die Kieselsteine, die ich in meiner Tasche trage!« sagte der Student frostig und leerte den Inhalt der Börse auf einen nahen Brunnen aus.

»Tod und Teufel! Welch ein rührender, glänzender Anblick! Nein, ich will nicht fluchen, du liebes blankes Geld, du!« sagte der Hauptmann.

Johannes Frollo stand stolz und erhaben da, wie ein alter Römer, der das Vaterland gerettet hat. Einige kleine Münzen waren auf den Boden gefallen. Der begeisterte Hauptmann bückte sich, um sie aufzulesen.

»Pfui, Kapitän Phöbus de Chateaupers!« sagte der Student und hielt ihn zurück.

Der Hauptmann überzählte das Geld, und über den Erfund erstaunt, fragte er: »Freund Johann, wen habt Ihr denn heute Nacht in der Straße der Halsabschneider geplündert?«

Der Student machte ein listiges Gesicht, blinzelte mit den Augen und sagte: »Man hat einen einfältigen Archidiakonus zum Bruder!«

»Hölle und Teufel! Das ist ein würdiger Mann! Gott erhalte ihn lange Jahre,« rief der Hauptmann aus.

»Laß uns jetzt zur Flasche gehen,« fagte der Student.

»Wo gehen wir hin?« fragte Phöbus. »Zum Paradiesapfel?«

»Nein, Kapitän, zur alten Wissenschaft!«

»Johann, bei meinem Bart! Der Wein ist besser im Paradiesapfel.«

»Je nun, also zur Mutter Eva und ihrem Apfel!« versetzte der Student und nahm den Hauptmann am Arme.

Die beiden würdigen Freunde rafften das Geld zusammen und machten sich auf den Weg zum Paradiesapfel. Der Archidiakonus folgte ihnen mit düsteren und verstörten Blicken. War dies der nämliche Phöbus, dessen verfluchter Name seit seinem Zwiegespräch mit Peter Gringoire sich in alle seine Gedanken mischte? Er wußte es nicht, aber es war einmal ein Phöbus, und schon dieser magische Name war hinreichend, den Priester auf den Fußtritten der beiden lustigen Brüder festzuhalten; er folgte ihnen wie ein hungriger Wolf, und keine ihrer Geberden, keine ihrer Reden entging seinem aufmerksamen Blicke. Im Uebrigen redeten sie laut genug, daß man Alles hören konnte, und es schien ihnen wenig daran zu liegen, ob die Vorübergehenden die Vertrauten ihrer Geheimnisse wurden. Sie sprachen von Duellen, Kneipen, Mädchen und Tollheiten aller Art, nur kein vernünftiges Wort.

Als sie um eine Straßenecke bogen, drang von einem benachbarten Platze der Schall des Tambourin in ihre Ohren. Der Archidiakonus hörte den Officier zu dem Studenten sagen:

»Donnerwetter! Im Doppelschritt!«

»Warum denn, Phöbus?«

»Ich fürchte, die Zigeunerin möchte mich sehen.«

»Welche Zigeunerin?«

»Die kleine mit der weißen Ziege.«

»Esmeralda?«

»Richtig, Johann, ich vergesse immer ihren verfluchten Namen. Vorwärts, sie möchte mich erkennen. Es wäre mir nicht lieb, wenn mich ein solches Mädchen auf der Straße anredete.«

»Kennt Ihr sie denn, Phöbus?«

Der Hauptmann bog sich zu dem Studenten hinab und sagte ihm einige leise Worte in's Ohr. Hierauf warf er triumphirend den Kopf zurück und brach in ein lautes Gelächter aus.

»Ist es wirklich wahr?« fragte Johannes.

»Auf Ehre und Seligkeit!« versicherte Phöbus.

»Diesen Abend?«

»Diesen Abend.«

»Seid Ihr gewiß, daß sie kommen wird?«

»Seid Ihr ein Narr, Johann? Wer wird denn an solchen Dingen zweifeln?«

»Hauptmann Phöbus, Ihr seid ein glücklicher Gendarm!«

Der Archidiakonus hörte diese ganze Unterhaltung mit an. Seine Zähne klapperten, ein kalter Schauer durchlief seinen ganzen Körper. Er blieb einen Augenblick stehen und stützte sich auf einen Brunnen, wie ein Betrunkener. Dann folgte er abermals der Fährte der beiden lustigen Brüder.


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