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Zu Memmingen im Hause des Bürgermeisters saß Wallenstein und blätterte in einem Haufen von Briefen, die er über den Verlauf der in Regensburg tagenden Reichsversammlung von Freunden, Anhängern und besoldeten Nachrichtensammlern täglich erhielt. Der Kaiser werde ihn den dringenden Forderungen der Fürsten gegenüber nicht halten können, hieß es. Es liefen täglich neue Beschwerden ein: der Herzog von Pommern klage, sein Land sei zu einem Friedhof umgewandelt, man finde abgezehrte tote Körper am Wege liegen, denen noch das Büschel Gras aus dem Munde starre, womit sie den tobenden Hunger zu stillen gesucht hätten; oft sprängen die armen Leute in die Brunnen oder in das Meer, weil nur noch beim Tode Zuflucht auf Erden sei. Der Kurfürst von Sachsen habe sehr böse geschrieben, Wallenstein lagere seine Truppen bei ihm ein, ohne um Erlaubnis zu fragen, wessen sich nicht einmal der Kaiser unterstehen dürfe; zuletzt würden die alten deutschen Fürsten am Stecken aus dem Lande ziehen müssen. Dies alles würde aber dem Kaiser nicht viel Kopfzerbrechen machen, wenn nicht die Erbitterung des Herzogs von Bayern wäre, der würde den Ausschlag geben. Er werfe sich zum Schutzherrn der entthronten Herzöge von Mecklenburg auf, wolle überhaupt die neukreierten Fürsten nicht leiden, habe auch die Jesuiten unter sich gebracht, daß sie beim Kaiser gegen Wallenstein arbeiten müßten, obwohl sie im Grunde auf seiner Seite wären. Erzherzog Leopold, des Kaisers Bruder, und seine Söhne, die Erzherzöge Ferdinand und Leopold, stimmten auch in das allgemeine Geschrei ein, wären neidisch auf Wallensteins Macht und Einfluß. Der Kaiser sei hauptsächlich darauf aus, die Wahl seines Sohnes Ferdinand zum römischen König durchzusetzen, deshalb werde er nachgeben müssen, obwohl ungern. Es sei ihm sehr leid, daß er sich unter die Liga werde stellen müssen, nachdem er ein so stattliches Heer für sich gehabt habe, man habe ihn noch nie so niedergeschlagen gesehen, zumal der Sommer so heiß und wenig Gelegenheit zur Jagd sei. Überhaupt sei die Stimmung so schwül, bänglich und voll verhaltenen Hasses, als ob Sturm und Blitz im Anzuge sei. Viele Fürsten hätten sich anfänglich wegen der Nähe des Wallensteinischen Heeres der Beratungen geweigert und argwöhnten noch, der Kaiser wolle sie zwingen.

Wut und Haß verzerrten Wallensteins Gesicht, während er die Berichte las; wie gern hätte er ihre Befürchtungen wahr gemacht und sie zu Paaren getrieben. Warum tat er es nicht, sondern hielt an sich und ließ sich fesseln wie der Titane Prometheus von den höfischen Göttern? Er lehnte sich in seinen Sessel zurück und schloß die Augen: nein, er konnte sich nicht besser rächen, als indem er die Toren sich selbst, ihrer Ohnmacht und ihrer gegenseitigen Bosheit überließ. Er wollte gehen, ohne einen Blick auf die kläffende, zähnefletschende Meute zu werfen. Noch hatte er den Scheitelpunkt des Glückes nicht erflogen; vielleicht, so dachte er, geschah dies alles nur, damit aus allertiefster Verwirrung und Finsternis seine Glorie desto gewaltiger emporschösse. Daß der Schwede Krieg gegen Österreich beschlossen hatte, wußte er, wie auch, daß der König von Frankreich daran dachte, ihn zu unterstützen. Mit französischem Gelde ausgerüstet würde der Schwedenkönig eine unwiderstehliche Macht sein; und wen hatte der Kaiser ihm entgegenzustellen? Im Geiste sah er die krieggewohnten nordischen Barbaren unaufhaltsam die Elbe hinaufziehn, sich vor Prag und vor Wien, die Residenz des Kaisers, legen. Er lächelte, indem er sich den Schrecken, die Ratlosigkeit und das Durcheinander am Hofe vorstellte. Dann würde dem hoffärtigen Bayernfürsten, der sich einbildete, ein Feldherr zu sein, das Schwert aus der Hand fallen; dann würde kein Beten und Winseln helfen, dann würden sie merken, daß er allein der Gott sei, der retten könne. Dieser Augenblick, der kommen mußte, war es wert, durch eine Demütigung erkauft zu werden, wenn das, was ihm zugefügt wurde, eine solche war. Konnten die schlotternden Reichsbettler in Regensburg, die feilschenden Schacher- und Wucherjuden ihn demütigen? Er blieb, was er gewesen war, reich, mächtig, herrschend und gefürchtet; es war niemandem gegeben, ihn zu verrücken.

Von Norden her sollte das große Licht kommen, vor dem er erbleichen würde, aus dem Meere steigen die Macht, die mächtiger als er war. Wenn das wahr würde, dann würde zugleich Kaiser und Reich fallen; jener Ferdinand, der so vergnügt war, wenn er auf einen vorbeigetriebenen Hirsch schießen konnte, und sich in die Brust warf, wenn er an der Spitze einer Prozession durch die Straßen trabte, jener Leopold mit seinem geschwollenen Truthahnkopf und seinem abgestandenen Habsburgerhochmut, das feige Gewürm des Hofadels und der Hofräte, und auch Maximilian von Bayern, der auf dem Bauche die Gipfel der Erde erkriechen wollte, der sich selbst entmannt hatte und darum haßte, was mannhaft war. Sein Grab würde der königliche Scheiterhaufen sein, auf dem wollend oder widerstrebend die Sklaven verbrennen müßten.

Inzwischen würde er seine Gesundheit bedenken, Bäder benützen und sich ausruhen; vielleicht war es eine Fürsorge des Schicksals, daß es ihm diese Gelegenheit schuf. Sein Leiden fing an, ihn unleidlich zu beeinträchtigen, es mußte einmal bei der Wurzel gegriffen und ausgerissen werden. Seine Träume wurden tiefer: er dachte an die viel tausendjährigen, unauslöschlichen Sterne, die sich im Laufe der Menschen spiegelten, und an seine eiternden Beine, das mörderische Gift in seinem Körper, die Schmerzen, die ihn oft stöhnen machten. Ob es nun die Hölle war, die nach dem Menschen züngelt, oder das Schandmal der Sterblichkeit, das Gott dem Geschlechte Adams aufbrannte, es sollte keiner an ihm wahrnehmen. Der Kern seiner Person, Feuer wie irgendein Stern, mußte diesen Schaden verzehren, oder aber er müßte ihn verbergen können. Wenn er wollte, daß er nicht da wäre, würde er nicht da sein, weil er für niemand wahrnehmbar wäre.

Als die Herren von Questenberg und Werdenberg, die die heikle Aufgabe übernommen hatten, Wallenstein von seiner erfolgten Absetzung Mitteilung zu machen, bei ihm eintraten, empfing er sie gelassen: er wisse alles, sagte er, habe aus den Sternen gesehen, daß Bayern den Kaiser dominiere, und wolle gehorchen; er zürne dem Kaiser nicht, wiewohl es ihn schmerze, daß er sich seiner nicht besser angenommen, geschweige denn ihnen, denen er es vielmehr danke, daß sie Vertrauen genug zu ihm gehabt hätten, ihm die widerwärtige Botschaft auszurichten. Die Herren, denen das Herz bei diesen Worten bedeutend leichter wurde, sagten, jetzt erst zeige sich des Fürsten heroisches Gemüt, was sie freilich vorausgesehen hätten, nun er ein so schweres, ihm zugefügtes Unrecht ohne Empfindlichkeit aufnehme. Der Kaiser habe treulich mit seinen Widersachern gerungen, und es sei ihm, wie ihnen selbst und allen ergebenen Freunden Wallensteins, wehmütig leid, daß er sich eines solchen Helden und erprobten Dieners berauben müsse.

Wenn es möglich wäre, sagte Wallenstein, würde er seinem Herrn gern noch länger gedient haben, und es gehe ihm zu Herzen, daß der Kaiser eine schneidende Waffe aus der Hand gelegt habe, um sich auf morsche Stecken zu stützen.

Der Kaiser hoffe, sagten die Herren, daß Wallenstein ihn nicht gänzlich verlassen, sondern ihn auch künftig mit seiner unschätzbaren Erfahrung unterstützen werde. Der Kaiser wisse seine redlichen Diener wohl von den falschen und selbstsüchtigen zu unterscheiden und rechne, die Zeit werde nicht fern sein, wo die Plätze wieder gewechselt und einige, die sich jetzt vorgedrängt hätten, leer ausgehn würden.

Bei der Tafel, zu der Wallenstein die Herren lud, wurden sie gesprächig und erzählten, daß soviel Zwist und Hader zu Regensburg sei, dergleichen nie bei einer Reichsversammlung vorgekommen. Zwischen dem Kaiser und dem Herzog von Bayern hätte es fast einen bösen Riß gegeben, indem der Kaiser, nachdem er Wallenstein aufgeopfert, gern seinen Sohn, den Erzherzog Ferdinand, über das Heer gestellt hätte, worauf der Herzog, sich steif aufrichtend, gesagt habe, der Tilly sei ein redlicher, ruhmbedeckter General, mit dem man im Reich wohlzufrieden sei, man brauche keinen anderen. Da sei es dem Kaiser übergelaufen, und er habe gesagt, er sehe wohl, man wolle ihm die Hände binden, er könne sich nicht einmal wehren, wenn einer ihm die Krone vom Kopfe nehmen wolle. Darauf habe der Herzog gesagt, soviel er wisse, gebe es keine Diebe im Reichstage, worauf der Kaiser ein wenig gelacht und geantwortet habe, er spreche nicht von Dieben; aber gewisse Fürsten wären lecker und ließen wohl gern das Reichsäpfelein in ihren Sack schlüpfen. Der Herzog habe die Augen finster zusammengezogen und gesagt, die Reichsäpfel wüchsen nicht nur auf österreichischen Bäumen, es hätten auch andere Stämme diese Frucht getragen, ohne Diebswesen, sondern mit Recht. Sie hätten es vom Fürsten Eggenberg, der dabeigewesen wäre; der Kaiser solle sich ungewöhnlich dabei alteriert haben. Der von Trier habe ihm mit hämischem Lächeln geraten, er solle Krebsaugen in Wein nehmen, das pflege er zu tun, wenn ihn seine Domherren ärgerten.

Ob denn der König von Ungarn ein so außerordentlicher Kriegsheld sei, fragte Wallenstein, und wo er seine ersten Fahnen erbeutet habe?

Wenn das Vermögen der Lust gleichkomme, sagten die Herren, ein wenig lächelnd, so stehe Großes zu erwarten. Der Kaiser habe große Einbildungen von seinem Sohne, und viele wollten wissen, er fürchte ihn. Er sei anderer Komplexion als sein Vater, schwarz, schlage in die bayrische Familie. Die Kurfürsten trauten ihm nicht und hätten sich mit der Königswahl wieder ausgeredet, indem der Tag nicht dazu ausgeschrieben sei.

So habe der Kaiser bei dem Handel nicht einmal den bedungenen Preis erhalten, sagte Wallenstein.

Nein, diesmal hätten die Kurfürsten das Spiel gewonnen, sagten die Herren, und wären doch nicht einmal einig untereinander. Am Tage, bevor sie abgereist wären, hätte es bei einem Gastmahl, das Eggenberg ausgerichtet hätte, ein abscheuliches Ärgernis gegeben, das über den Erzbischof von Trier, Philipp von Sötern, hergekommen sei. Derselbe habe in Regensburg die Kaiserin gekrönt, weswegen der Kaiser vorher verschiedene Zwistigkeiten mit ihm beigelegt habe. Erstens habe der Erzbischof Streit mit den Städten Trier und Koblenz wegen einer Steuer gehabt, und wie sie sich an den Kaiser gewandt hätten, habe er sie hart gestraft, weil er von appellatio ad Caesarem nichts wissen wolle. Sodann sei er in Prozeß mit den Metternichen; eine reiche Tante des verstorbenen Kurfürsten Lothar nämlich hätte demselben ihr Vermögen vermacht, auf welches nun dessen Erben und Neffen Anspruch machten, welches aber Sötern ihnen nicht zugestehen wolle, da der Verstorbene es nicht als persona privata, sondern als Erzbischof besessen habe. Der Kaiser habe es mit den Metternichen gehalten, die Sache wegen des guten Einvernehmens mit dem Kurfürsten jetzt ein wenig hingehalten. Bei diesem Gastmahl nun habe der Kaiser dem Kurfürsten mit freundlichen Worten gedankt, weil er seiner Tante, der Erzherzogin Isabella, ein Partikel des Heiligen Rockes geschenkt habe, worauf sie längst begierig gewesen sei. Hierüber sei etwas Zischeln und Lachen entstanden, und es habe der von Köln angebracht, daß schmähsüchtige Leute behaupteten, die gute Fürstin sei betrogen und bete statt des Rockes Christi einen alten Hemdenzipfel des Kurfürsten von Trier an.

Darauf sei der von Trier in einen abscheulichen Zorn geraten, er wisse, worauf das ziele, das habe der Domherr Husmann von Namédy ausgestreut, der sei ein Schelm und Schuft, wie sein ganzes Kapitel, und er könne es dem Kaiser nicht vergessen, wenn er auch bis jetzt geschwiegen habe, daß er dem Bruder desselben, der ebensowenig tauge, ein Regiment gegeben und ihn sonst mit allerlei Gnaden bedacht habe. Der Kaiser habe gesagt, er habe nichts davon gewußt, sonst würde er den Heiligen Rock nicht erwähnt haben, es sei peinlich für ihn, daß der Kurfürst sich mit seinen Domherren nicht vertragen könne und sie immer zu ihm sich beklagen kämen. Er wolle sie lehren, habe der Kurfürst geeifert, sich bei anderen zu beklagen und ihn zu verleumden, er sei selbst Herr und wolle sie alle miteinander verfluchen und von Haus und Hof jagen. Was sie und andere gegen ihn hätten, sei, daß er nicht so dumm wie sie wäre und daß er lieber mit einem gescheiten Juden oder Evangelischen als mit einem katholischen Schwachkopf zu tun hätte.

Der von Köln habe gesagt, er glaube, er sei kein Schwachkopf, aber als guter Christ wolle er doch lieber ein Schwachkopf als ein Jude oder Ketzer sein. Es sei dem Reiche schimpflich, daß Trier die vom Kaiser ausgetriebenen österreichischen Evangelischen an seinen Hof lasse und vollends, daß er sich Goldmacherei und Schwarze Kunst zu treiben unterstehe. Es erzählten ja die Leute auf der Gasse, daß ein sehr verfänglicher Ungar bei ihm aus und ein gehe und um Mitternacht in seinem Schlosse den Teufel beschwöre.

Oder ob der Ungar ein Abgesandter des treulosen Siebenbürgers Bethlen Gabor sei, wie auch manche argwöhnten? habe Mainz hinzugefügt; freilich sei der ja kürzlich zur Hölle gefahren, so möge der Ungar vielleicht ein Franzose sein.

Der von Trier intrigiere nämlich im stillen hochverräterisch mit den Franzosen, wie Wallenstein wohl bekannt sein werde, weil er ihre Hilfe gegen die Stadt Lüttich brauche, die er unterjochen wolle.

Nein, habe Trier gesagt, der Ungar sei allerdings ein Teufelsbanner und verstehe sich auf Schwarze Kunst, er könne totbeten, wen er wolle, auch mit den Augen ins Herz stechen, daß einer tot umfalle, ohne eine Wunde an sich zu haben. Dabei habe er mit seinen greulichen Augen auf Köln geschossen und sich seinen langen dünnen Judenbart gestrichen, so daß der sich gefürchtet und ihm sein Kruzifix vorgehalten habe. Da seien sie alle von den Sitzen gesprungen und hätten einander bei den Köpfen gepackt, wenn nicht Eggenberg sein Glas auf dem Tisch entzweigeschlagen und laut gerufen hätte, sie wären alle betrunken und sollten zu Bette gehen, und was an diesem Abend gesprochen wäre, solle als vom Rausch eingegeben nicht gelten.

»Leute, die sich betrinken,« sagte Wallenstein kühl, »sollen die Finger von großen Dingen lassen.« Es sei zu hoffen, daß sie bald selbst innewürden, wohin sie gehörten, vor die Bier- und Weinfässer, an die Putztische oder zu den Musikanten. Das Reich sei in Gefahr, sie drohe von Norden und Osten. Er getraue sich aber mit allen Feinden fertig zu werden; wenn seine Stunde da sei, werde er erst das Nordlicht löschen und dann den Halbmond für immer vom europäischen Himmel in den Abgrund stürzen.

Questenberg sagte, wenn auf Erden noch Wunder geschehen könnten, würde er, Wallenstein, sie tun. Die Sonne sei jetzt untergegangen, aber nicht einmal die kleinen Kinder weinten über das Verschwinden des edlen Gestirns, weil sie wüßten, daß es in kurzer Frist vergnügt und erfrischt aus dem Weltmeer steigend zurückkehren werde.

Als die Herren reich beschenkt Memmingen verließen und in der Reisekutsche nach Wien fuhren, erörterten sie, ob Wallenstein sich die Absetzung wirklich so wenig zu Herzen nehme oder ob seine Gelassenheit Verstellung sei. Seine Brust sei nicht wie ein klarer See oder Teich, sondern ein dunkles Wasser, dessen Grund niemals sichtbar werde.

Werdenberg sagte, er halte für leicht möglich, daß er sich jetzt gern seinen Fürstentümern widmen wolle. Er sei ein guter und strenger Hauswirt, überwache selbst, suche seine Einkünfte zu vermehren. Friedland allein trage ihm eine Million Taler im Jahre. Er sei so reich, daß er alle Straßen von Prag mit Gold könne pflastern lassen; er habe genug.

»Genug hat nicht einmal Gott,« sagte Questenberg lächelnd, »sonst wäre er nicht ewig.« Außerdem, fuhr er fort, gehe es Wallenstein nicht allein ums Geld, sondern auch um die Macht. Wenn anders er sich auf die Menschen verstehe, so gebe es einen gewissen Reichsfürsten, zu dem Wallenstein, wenn er sich in einen Skorpion verwandeln könnte, gern einmal ins Bett kriechen möchte.

Das ließe sich begreifen, lachte Werdenberg. Vielleicht wären sie ihm aber auch alle zu gering, um sich an ihnen zu rächen; er habe sehr viel Verachtung.

Questenberg zuckte die Achseln und meinte, eine kleine, wohlapplizierte Lektion werde dem Bayern ganz zuträglich sein, und der Kaiser würde wohl ein Auge dabei zudrücken, während er mit dem andern zuschaute.

*

In Elfsnabben an der schwedischen Küste lag die Flotte vor Anker, bereit, bei günstigem Winde in See zu stechen. Der König verbrachte die unerwünschte Muße damit, ein Manifest zu verfassen, das in Deutschland verbreitet werden und die Gründe erklären sollte, die ihn zum Kriege bewögen. Sein Sekretär hatte einen Entwurf gemacht, in den er kräftig hineinstrich und hineinschrieb. Daß der Kaiser den König von Polen unterstützt und seinen Gesandten nicht zur Lübecker Friedensversammlung zugelassen habe, das sollte stehenbleiben, etwa noch nachdrücklicher betont werden; aber er habe es für eine Beleidigung angesehen, daß Wallenstein den Titel eines Admirals des Baltischen Meeres angenommen habe, das brauche an dieser Stelle nicht angeführt zu werden, er habe Gründe, zu jetziger Zeit bei Wallenstein nicht anzustoßen. Dagegen schob er ein paar Bibelsprüche ein; das schade nicht, sagte er dem Sekretär, und lasse das Liedlein besser ins Ohr schlüpfen, als die Musik zum Texte.

Bereits acht Tage wartete man auf das Umschlagen des Windes, als ein Abgeordneter des Herzogs Bogislav von Pommern eintraf: sein Herr habe ihm aufgetragen, sagte er, sich breitspurig vor dem König aufstellend, den König zu bitten, er möge nicht an der pommerschen Küste landen, weil ihm das Mißhelligkeiten mit dem Kaiser verursachen würde; der König habe ja Stralsund, eine vorteilhaftere Stelle gebe es gar nicht. – Das wisse er wohl, sagte der König lachend, daß er nicht in Pommern zu landen brauche; aber es sei ihm eben gelegen, und er hoffe, er werde seinem Vetter, dem Herzoge, willkommen sein. Sicher sei er es dem armen gequälten Volke, das durch die kaiserliche Einquartierung, wie er wohl wisse, zum Äußersten gebracht sei.

Das Elend sei groß, sagte der Gesandte, der arme Mann müsse sich von Kräutern nähren und also in zwiefachem Sinne ins Gras beißen; aber der Herzog habe deswegen siebenundzwanzig Klagepunkte beim Kurfürstentag in Regensburg eingereicht und zweifle nicht, daß das väterliche Herz des Kaisers ein Einsehen haben und den Schaden abstellen werde.

Wenn sie auf die Herren in Regensburg warten wollten, rief der König wieder lachend, möchte zuvor Schnee auf das Gras und auf die Leichen derer fallen, die es gefressen hätten. Er habe den Herren in einem förmlichen Schreiben Krieg angesagt, aber bis jetzt habe sich weder Feder noch Schwert zu einer Antwort gerührt.

Bestürzt sagte der Pommer, die Küste sei von Wallensteinischen Truppen besetzt, die würden schon aufpassen und dem König zu schaffen machen.

»Nun,« erwiderte dieser, »mit Gott gedenke ich das Wagnis zu vollführen und hoffe, daß meines Vetters Liebden für mich beten wird, daß es gelinge.«

Die höfliche Einladung des Königs, ihn zum Hafen zu begleiten und die Flotte in Augenschein zu nehmen, konnte der Gesandte nicht wohl abschlagen und ließ sich mit etwas betrübter Miene die Erklärungen des Königs gefallen. Es waren etwa vierundfünfzig zum Teil neu gebaute Schiffe, von denen er einige betreten und umständlich besichtigen mußte; von vielen nannte der König die Namen: da sei der Storch, da der Schwarze Hund, da der Delphin, da der Skorpion und der Geier, und das Admiralsschiff sei der Merkur, der dies wilde Heer über das stygische Wasser führen werde.

Als alles in Augenschein genommen war, sagte der König, nun wollten sie miteinander Nixenschwänze machen, las ein paar flache Steine von der Küste auf und warf sie mit starkem Schwung von der Seite auf die Oberfläche des Wassers, so daß sie viele Male wieder aufsprangen, einen silbernen Streifen über das stählerne Meer ziehend. Der König zählte, wie viele Male seine Steine aufhüpften, und jubelte, als er es bis auf 30 gebracht hatte, während der Pommer sich vergeblich plagte. »Ihr verdient es nicht, ein Anwohner des Meeres zu sein«, sagte der König. »Könnt Ihr rudern? Könnt Ihr segeln? Was tatet Ihr als Bube? Denn ein guter Lateiner seid Ihr wohl auch nicht?« Freilich nicht, antwortete jener, er sei ein guter Deutscher. Aber er habe den Katechismus gelernt, könne angeln und habe als Knabe auch Schlittschuh laufen können, und er mache sich anheischig, die königliche Würde von Schweden, wenn sie sich ihm stellen wolle, unter den Tisch zu trinken. Der König lachte lustig: dazu habe er den Sir Patrick Ruthven, seinen ältesten Obersten, der könne es selbst mit dem Kurfürsten von Sachsen aufnehmen.

Während sie so am Strande standen, von einer Anzahl von Offizieren und weiterhin von Soldaten und Fischern umringt, hob der König zuweilen den Kopf in die leicht flatternde Luft und blickte nach dem Himmel, an dem sich hie und da schaumiges Gewölk bildete, um schnell wieder im abendlichen Blau zu verschwimmen. In dem Augenblicke, als Trommelzeichen die Stunde des Abendgebetes ankündigten und das Brausen der anmarschierenden Truppen laut wurde, warf der König plötzlich den Hut auf den Sand, kniete nieder und betete laut, indem er die Hände faltete: »Herr, von dem geschrieben steht, daß er die Sterne und die Stürme als seine Kreaturen mit dem Zügel seines Wortes lenkt, du kannst mit einem Atemzuge meine Schiffe über das Meer blasen, wenn du willst. Herr, erhöre mein Gebet! Um dir zu dienen und dein Reich auszubreiten, haben wir uns gegürtet und gerüstet: treibe uns mit gnädigem Hauch über den Ozean als die Heerschar, die für dich zu leben und zu sterben bereit ist!«

Auf dem blaugrünen Meere flammte das blühende Gesicht des Königs, und die Luft, die sich leise bewegte, hob spielend seine blonden Haare. Die, welche ihn sehen konnten, hatten zugleich mit ihm die Hüte gelüftet und die Knie gebeugt und warteten nicht ohne Spannung, ob sich vielleicht sofort etwas ereignen würde.

Nachts erwachte der König von sausenden Windstößen, die an dem hölzernen Hause rüttelten, das er bewohnte. Er öffnete das Fenster und bog sich hinaus, warf einen Mantel um, weckte die Offiziere, die neben ihm schliefen, und trat mit ihnen ins Freie. Der dunkle Wolkenhimmel jagte, der Wind war umgesprungen und blies aus Nordwesten, pfiff und schnob in das Donnern und Klatschen des aufgeregten Meeres. Der König trällerte ein Seemannslied:

»Das Meer ist mein Fels, und das Schiff ist mein Turm,
Und das schwingende Segel mein Stecken,
Und mein bergender Mantel der fliegende Sturm,
Und die Wolke das Dach, mich zu decken.
Hoch flutet der Woge geschmolzenes Erz,
Und es wanken die himmlischen Feuer.
Da ist nichts, was nicht bebt, als mein festes Herz,
Meine kämpfende Hand am Steuer.«

Gott habe ihn erhört, sagte er zu den andern, nun wollten sie durch Entschlossenheit den Segen verdienen, es dürfe keine Zeit verloren werden. Nachdem die nötigen Befehle erteilt waren, legte er sich noch einmal zum Schlafen nieder; die Trompetenstöße dieses kriegerischen Windes, sagte er, würden ihn zeitig wecken.

Der Wind blieb nicht stetig, sondern sprang wechselnd hin und her, so daß die Fahrt schwieriger war und länger währte, als der König berechnet hatte; aber gegen den Abend des 4. Juli begann die Küste sanft glühend, mit einer Laubkrone geschmückt, aus dem Meere zu steigen. »Sie biegt sich mir wie eine sehnende Braut entgegen,« sagte der König fröhlich, »bevor die Sonne sinkt, sollen sie meine Arme umfangen.« Er sprang als erster aus dem anlandenden Schiffe, kniete nieder und dankte Gott für die glücklich vollendete Fahrt. Niemand war rings zu sehen als ein paar zaghaft abseits stehende Fischer mit ihren Frauen und Kindern, die die Neugierde aus ihren Hütten getrieben hatte. Gustav Adolf trat rasch auf sie zu, sagte, daß er der König von Schweden sei, gekommen, um sie bei ihrem Glauben zu schützen, und fragte, ob kaiserliche Soldaten auf der Insel wären. Nein, antwortete der eine Mann, sie wären durch Gottes Gnade kürzlich abgezogen. Ob das nicht Schanzen wären? fragte der König, auf eine Befestigung deutend, die aus dem flachen Boden aufstieg. Die Soldaten hätten sie verlassen, sagte der Mann, es wären keine mehr oder nur noch wenige auf Usedom. Die Untersuchung ergab, daß der Mann die Wahrheit gesagt hatte, und die Schweden begaben sich sofort an die Verschanzungsarbeit, während ein Teil von ihnen unter den Waffen blieb. Nachdem der König auf einem kurzen Streifritt Umschau gehalten hatte, kehrte er an den Strand zurück, da, wo die Landung stattgefunden hatte, und warf sich in das hohe, wildwachsende Sommergras. Zu seiner Linken, nicht weit von ihm, sah er einen breiten Strom in das Meer fließen: es schien ihm, nachdem er lange hineingeblickt hatte, als stürze die Flut schneller und schneller, um sich in der Unendlichkeit der harrenden See zu verlieren; wendete er aber den Blick ab und schaute nach einer Weile wieder hin, so schien der Fluß stillzustehen, während nur seine Oberfläche schattenhaft zog und strömte. Zwischen dem Fluß und dem Meer stand ein Hirt mit einem Hunde und einer kleinen Herde magerer Schafe, tief in warme, weiche, graublaue Luft versunken. Der König sah eine Weile zu und winkte dann dem Hirten mit der Hand, näher heranzukommen; ob eine Kirche in der Nähe sei? fragte er, da er läuten höre. Die nächste Kirche sei wohl eine Stunde weit oder weiter, sagte der Hirt, man höre sie nicht an dieser Stelle, und es sei auch nicht die Stunde. Nachdem er, die Hand ans Ohr haltend, gehorcht hatte, sagte er, er höre nichts; vielleicht habe der König die versunkene Stadt aus dem Meere vernommen. Was das sei? fragte Gustav Adolf. Vor Hunderten von Jahren, berichtete der Hirt, habe an dieser Stelle eine große, reiche Stadt gestanden, und wegen des Übermutes ihrer Bewohner habe das Meer sie verschlungen. Zuweilen, wenn das Meer sehr glatt sei, könne man die goldenen Turmknöpfe und die Dächer, die mit Gold gedeckt gewesen wären, durch das Wasser schimmern sehen, und das Gerede gehe, wenn einer sterben solle, höre er die Glocken von dort unten her läuten.

Das wären Märchen, sagte der König, und wer dergleichen gesehen hätte, möchte wohl tief in den Weinbecher statt ins Wasser geblickt haben. Es sei unwahrscheinlich, daß an dieser Stelle jemals eine große Stadt gestanden hätte, von der keine Spur geblieben sei.

Er wisse es nicht, sagte der Hirt, und er wünsche auch gar nicht, daß der König das Läuten gehört habe.

»Es könnte dir so gut wie mir gelten«, sagte der König scherzend; »deine Haare sind weiß, die meinen noch blond.«

Der Hirt schüttelte den Kopf und sagte, solche Zeichen pflegten große Herren anzugehen, nicht arme, namenlose Leute. Er blieb in einiger Entfernung von dem Könige stehen und sah ihm zu, wie der, den Kopf auf die Hand gestützt, über das Meer hinblickte. Plötzlich wandte er sich nach der anderen Seite und dann wieder zu Gustav Adolf, indem er sagte, jetzt habe er auch Geläut vernommen, das wären die schönen Glocken von Pasewalk. Die Kirche von Pasewalk habe neue, große Glocken, wie es in ganz Pommern keine schöneren gebe, und wenn die Luft still sei, könne man sie auf Usedom hören.

»Das ist eine himmlische Sirene,« sagte der König fröhlich, indem er aufstand, »der will ich vertrauen.«

Wenige Tage später fuhr der König mit seiner Flotte nach Stettin und erzwang sich durch List und Drohung Aufnahme in die Stadt und ein Bündnis mit dem ratlosen Herzoge.

*

In einer Kutsche, die auf der Straße von Hamburg nach Magdeburg fuhr, saßen der ehemalige Magdeburger Kaufmann Heinrich Pöpping und der Administrator Christian Wilhelm von Magdeburg, der letztere in einer blauen Livree als ein Diener gekleidet, Pöpping mit einem großen Federhut und prächtigem Tuchmantel, dessen rote Farbe verschossen war. Sie unterhielten sich über einige Frauenzimmer, mit denen sie sich in Hamburg die Zeit vertrieben und denen sie ihren wahren Charakter verheimlicht hatten, wie zornig die Überlisteten sein würden, wenn sie merkten, daß sie für immer abgereist wären. Besonders die eine, sagte Christian Wilhelm, der er fünfzig Taler schuldig geblieben sei, würde schimpfen, sie sei ohnehin ein hitziges Weibsbild gewesen. »Ach,« sagte Pöpping lachend, »die zahlte gleich das Doppelte, wenn sie Euer Fürstliche Gnaden wiederbekäme.« Ja, das glaube er wohl, sagte der Administrator, aber er hätte nun genug von dem Hamburger Frauenzimmer, sie hätten einen Heringsgeruch an sich, weil sie zu nah am Meere wären. In Magdeburg wären sie hübscher und subtiler. Pöpping nickte, sie wollten sich dort schon lustig machen; aber zuerst müßten sie doch ihr Geschäft betreiben, er, der Administrator, müsse sich ein Ansehn verschaffen und das Volk an sich ziehen.

Das wolle er, sagte der Administrator mit Feuer, Pöpping solle sein Wunder an ihm haben. Er könne es nicht erwarten, es den Ratsherren einzutränken, die ihn schimpflich abgesetzt und ausgetrieben hätten, sie wären allesamt Schelme und Verräter, die es mit dem Kaiser hielten. Gegen Geld hätten sie bei der Restitution die papistischen Mönche in die Klöster gelassen und hernach mit den kaiserlichen Feldherren gezecht, solchermaßen die Religion verkauft und die Rache Gottes auf sich gezogen.

Der neue Rat, den sie nun eingesetzt hätten, sei auch nicht besser als der alte, sagte Pöpping, und die gemeine Rede habe wohl recht, daß das Gewissen im Amtsrock sitze, nicht im Herzen. Die Geldsäcke wollten stillsitzen, um nichts zu verlieren, und von den andern getraue sich kaum einer eines eigenen Willens. Er aber, Pöpping, lasse sich nicht einschüchtern, er kenne ihre Schliche und wisse, wieviel Schmutz und Sünde hinter der ehrbaren Außenseite verborgen sei.

Der Administrator meinte, sicher sei er doch nur eines geringen Anhangs in der Stadt; ob es nicht etwa doch übel ausgehen könne? Die zwei oder drei, die sie im Rat hätten, vermöchten nicht viel, und von der Geistlichkeit wären sie nur mit fünfen einverstanden; ob aber der Oberst Schneidewind viel ausrichten könne, da er gefangen sitze, sei auch zu bezweifeln.

Gegen den Obersten Schneidewind, der zur Zeit des Dänenkrieges magdeburgischer Stadthauptmann gewesen war, hatte Aldringen eine Klage auf Raub und Mord erhoben, doch behaupteten er und seine Anhänger, daß die Kaiserlichen nur einen Vorwand gegen ihn gesucht hätten, weil er es mit den Dänen gehalten habe. Der Rat hatte Schneidewind nicht ausgeliefert, dagegen versprochen, ihm selbst den Prozeß zu machen, zog diesen aber hin und hatte ihm kürzlich ein Zimmer im Wirtshaus zur Goldenen Krone als Gewahrsam angewiesen. Er sei ein gerader, ehrlicher Mann, sagte Pöpping; wenn ihm etwas Malefizisches nachgewiesen werden könnte, würde der Rat ihm längst den Prozeß gemacht haben. Auf den könne der Administrator bauen, er sei voll Gift und Galle gegen den Kaiser und den Rat dazu, gehöre Christian Wilhelm mit Leib und Seele. Er habe auch viele Freunde, die in der Goldenen Krone zusammenkämen, denn die Wirtin halte es mit ihm, und die alle bereit wären, sich dem Schwedenkönige zu übergeben.

Wenn der Schwedenkönig es nur auch so recht ehrlich mit ihm meine, sagte Christian Wilhelm, das sei sein schwerstes Bedenken. Gustav Adolf habe sich nie ganz frei gegen ihn herausgelassen, er sei nicht freimütig wie die Deutschen, sondern voller List und Verschlagenheit, habe nichts Schriftliches von sich gegeben, sondern gleichsam die Verantwortung ganz auf ihn abwälzen wollen.

Nun ja, sagte Pöpping, er sei fremd, kenne sich nicht aus, trete behutsam auf als einer, der nicht wisse, ob er den Fuß auf Moor oder festes Erdreich setze. Sicherer als ein gegebenes Wort, selbst als ein Pergamentlein mit angehängtem Siegel sei das Interesse der Menschen. Was könne dem Schwedenkönig aber erwünschter sein, als daß sich die Stadt Magdeburg für ihn erkläre und er ein so mächtiges Bollwerk am Elbstrom besetzen könne, das ihm die Straße nach Prag eröffne und den Rücken decke? Er müsse ein Narr sein, wenn er da nicht zugriffe. Er wolle nur nicht vorher die Hand hineinstecken, um sich nicht im Reiche verdächtig zu machen; sei das Feuer einmal angezündet, werde er schon blasen helfen.

Die beiden Reisenden stiegen im Anhaltischen Hofe ab, wo der Administrator unter Pfeifen und Singen, denn Pöppings Zuspruch hatte ihn vollkommen beruhigt, seine Livree ablegte und sich fürstlich herrichtete. In der Frühe des folgenden Tages, der ein Sonntag war, wußte man schon in der Stadt, daß Christian Wilhelm verkleidet hereingekommen sei als Vertreter des Königs von Schweden, der ein Bündnis mit der Stadt Magdeburg schließen wolle, auf die er als auf eine Fürstin und unüberwindliche Heldin unter den evangelischen Städten besonderes Vertrauen setze. Auf seinen Wunsch schickte der erschrockene Rat ein paar Abgeordnete zu ihm ins Gasthaus, die seine ungestümen Vorschläge zagend und zweifelnd anhörten und dagegen einwendeten, daß sie als ein Stand des Reichs sich nicht mit fremden Potentaten einlassen könnten, um so weniger, als sie nicht einmal dem kaiserlichen General Wallenstein das Türlein aufgetan hätten. Die Kaiserlichen wären ringsherum sehr mächtig, und sie könnten in große Pressur, Kalamität und Untergang geraten, wenn sie mit dem Feinde in Korrespondenz träten.

Ob sie etwa immer noch zu dem jesuitischen Ferdinand Vertrauen hätten? rief Christian Wilhelm aus. Ob sie vergessen hätten, wie Wallenstein sie unter falschen Vorspiegelungen belagert, ihnen Geld ausgepreßt und Handel und Wandel verstört hätte? So lohne der Kaiser seinen Ständen ihre Treue. Da sei Gustav Adolf ein anderer Monarch; obwohl er keine Verpflichtung zu der Stadt Magdeburg trage, so sorge er sich doch um ihr Wohl, habe im Sinn, sie mächtig zu fördern und zu erhöhen. Er habe ihm, dem Administrator, in einem Brief geschrieben, sein Wunsch sei, daß das magdeburgische Erzstift an die Stadt komme, weil sich durch jenes der Papismus einschleichen würde. Denn das hätten sie doch wohl gerochen, daß der Kaiser im Sinne habe, seinen Sohn darauf zu setzen; den sächsischen Prinzen werde er ebensowenig wie ihn, Christian Wilhelm, bestätigen. Noch mehreres habe der König von Schweden ihm mündlich gesagt, was er ihnen alles ausführlich vorlegen und vortragen werde. Ob sie so viel Huld und Gnade mutwillig verlieren wollten? Sie setzten dabei nichts aufs Spiel, da der König sein Wort gegeben habe, sie vor Schaden zu bewahren und ihnen in jeglicher Gefahr beizuspringen. Was ihn anbetreffe, so hätten sie zwar treulos an ihm gehandelt, indem sie ihn, den rechtmäßig gewählten Bischof, nicht mehr hätten anerkennen wollen und dem Sachsen beigefallen wären, der das Stift durch Usurpation und Ränke an sich gerissen hätte; aber er wolle es ihnen nicht weiter gedenken, da sie inzwischen wohl genugsam erfahren hätten, wohin Untreue führe. Zeit zu Bedenken sei jetzt freilich nicht mehr; in wenigen Wochen werde das ganze Reich, soweit es evangelisch und nicht spanisch sei, aufstehn und sich für Gustav Adolf erklären, dann würden die Papisten endlich einmal den verdienten Lohn bekommen, und es könne sich ein jeder selbst ausrechnen, wie es dann denen gehen würde, die um zeitlicher Vorteile willen die Retterhand nicht ergriffen hätten.

Während Christian Wilhelm dies so hurtig und dringlich von sich gab, daß die städtischen Abgeordneten kaum ein Wörtlein einfließen lassen konnten, scharte sich das Volk auf dem Platz vor der Domkirche; denn es hatte verlautet, daß der Administrator im Sinne habe, dem Gottesdienst beizuwohnen. Es war erst zehn Uhr, aber die Julisonne stach schon heiß auf das weiße Pflaster, auf welches der edle Bau einen kurzen, tiefschwarzen scharfen Schatten warf. In der Sakristei disputierte der Domprediger Bake mit einem Ratsherrn, der ihn im Auftrage Christian Wilhelms ersucht hatte, den Beginn der Predigt bis zu seinem Eintreffen zu verschieben. Er sei dem Rat gern zu Diensten, sagte der Domprediger, aber es gefalle ihm nicht, daß man sich nach diesem erzstiftischen Vagabunden richten solle, diesem windigen Gauch, der allerorten nach einem Fürstentümchen stöbere, um seine Eier hineinzulegen, und die Stadt mit seinem Krakeelen in das größte Ungemach stürzen könne.

Der Ratsherr sagte, sie hätten ihn gewiß nicht gerufen, aber er sei nun einmal da, sei ein evangelischer Fürst, auf den der König von Schweden offenbar große Stücke halte. Der Domprediger solle doch um Gottes willen nichts zu seinem Despekt reden. Man könne nicht wissen, was die Zeit bringe und ob nicht eines Tages der Schwede vor der Tür stehe.

Ei ja, es habe schon mancher davorgestanden und sei wieder abgezogen, sagte der Domprediger. Es sei zu beklagen, daß der Rat kein festes Gewissen habe und von einem Bein aufs andere wanke. Jedoch wüßten sie wohl, daß er immer für das Glimpfliche sei, er wolle dem Springinsfeld nur beiwege einen Denkzettel anhängen, aber mit guter Manier und aller schuldigen Ehrfurcht.

Als Geschrei auf dem Platze die Ankunft des Fürsten verkündete, ging der Domprediger in die Kirche, bestieg die Kanzel und kniete sofort nieder, zum stillen Gebet das Gesicht auf die Bibel drückend. Heimlich blinzelte er darüber hinaus und sah mit großem Widerwillen neben Christian Wilhelm Pöpping und den Oberst Schneidewind eintreten, welcher seinen Gewahrsam und Prozeß nunmehr als erledigt betrachtete. Nach einer guten Weile erhob er sich wieder, schlug die Bibel auf und las den sonntäglichen Text vor, welcher lautete: ›Wenn du es wüßtest, so würdest du auch bedenken zu deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet. Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, daß deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängsten. Und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen, darum daß du nicht erkennet hast die Zeit, darinnen du heimgesuchet bist.‹

Fast erschrocken sei er gewesen, hub der Domprediger an, als er gefunden hätte, daß dies der Text eben des heutigen Sonntags sei. Ob das nicht etwas zu bedeuten hätte und etwa gar ein warnendes Omen sei? Es möchte wohl mancher meinen, Jerusalem sei längst gefallen, und jetzt darüber zu spintisieren sei eine überflüssige Träumerei; aber in der Bibel könnten sich alle Zeiten und alle Völker bespiegeln, und gerade sie, die Magdeburger, sollten sich dadurch vom Übermut abschrecken lassen. Es wisse ja jeder, was für Verfänglichkeiten im Schwange gingen, aber ob das zum Frieden, zur Religion und Libertät diene, wie die Lärmhansen ausprahlten, das wolle er dahingestellt sein lassen.

Dann erzählte er, wie Jesus, nachdem er um Jerusalem geweint habe, in den Tempel gegangen sei und diejenigen ausgetrieben habe, die darinnen gekauft und verkauft hätten, und zu ihnen gesagt habe: »Mein Haus ist ein Bethaus, ihr aber habt's gemacht zu einer Mördergrube.« Diese Worte rief er drohend hinunter nach der Richtung, wo Christian Wilhelm und Pöpping saßen, so daß mehrere kicherten und Christian Wilhelm vor Ärger rot wurde. Nun stellte sich aber Bake an, als sei er des Administrators jetzt erst gewahr geworden, und fuhr fort, so sei es aber nicht hier wie im Tempel zu Jerusalem, sondern ihnen sei ein hoher fürstlicher Gast erschienen, der das Evangelium hochhalte und beschirme und den Gott auch sicher noch nach Verdienst belohnen werde.

Bei den Anhängern des Administrators hieß es hernach, der Domprediger habe den Text falsch ausgelegt, indem man natürlicherweise Christian Wilhelm mit dem in Jerusalem einziehenden Heiland vergleichen müsse, der über die Stadt klage, weil sie ihn, der als Retter komme, von sich stoße. Wenn Magdeburg sich dem Christian Wilhelm nicht anvertraue, dann freilich werde sie von dem grausamen kaiserlichen Wüterich in Blut und Untergang gestürzt werden.

Nach Verlauf einiger Wochen gab der Rat nach und schloß einen Vertrag mit Gustav Adolf ab, in welchem dieser versprach, wenn die Stadt Magdeburg seinetwegen sollte angegriffen werden, wolle er sie auf seine Kosten schützen und in keiner Not verlassen. Danach wurde auch mit dem Administrator ein Vertrag gemacht und ihm gestattet, ein Regiment zu werben, über welches er und Schneidewind den Oberbefehl nahmen. Nachdem die Soldaten einigermaßen geordnet und eingeübt waren, wurden sie in die Dörfer und Klöster des Stiftes verteilt, womit die Stadt sehr zufrieden war, zumal da Christian Wilhelm oft Beutezüge machte und Vieh und Getreide vom Lande hereinbrachte.

*

Im ersten Schrecken, den die Landung der Schweden hervorrief, hatte Torquato Conti, der kaiserliche Befehlshaber in Pommern, sich aus der Stadt Pasewalk zurückgezogen, worauf Gustav Adolf eine kleine Besatzung hineinverlegte. Wie nun der König nach einem vereitelten Einfall ins Mecklenburgische sich wieder nach Stralsund wendete, kehrte Conti um und überfiel Pasewalk, das sich der Übermacht nicht erwehren konnte. An dem treulosen Gesindel, sagte Conti, wolle er sich ausgiebig rächen; die Soldaten möchten sich einmal nach Herzenslust gütlich tun. Wenn der Ort samt seinen Bewohnern von der Erde verschwinde, sei es nicht schade.

So kam es, daß das kaiserliche Heer sich mit höllischem Geschrei in die wehrlose Stadt ergoß, plünderte und raubte, was irgend Wertvolles aufzutreiben war, und in die ausgeleerten Häuser den Brand warf.

Als ein Pfarrer, der versucht hatte, etwas Kirchengerät zu retten, in sein Haus zurückkam, fand er seine Frau in den Händen von Soldaten, von denen einige ihm sogleich Hände und Füße banden und ihm zuriefen, nachher würden sie ihn umbringen; aber zuvor solle er zusehen, wie sie sich mit seiner Frau lustig machten. »Teufel!« schrie der Unglückliche, der sich vergebens wehrte, »ihr seid keine Menschen, sondern Teufel aus der Hölle!« Sie wären Teufel aus Lothringen, antworteten die Soldaten hohnlachend, und würden ihn braten, bis seine Seele zum Himmel spritzte.

Conti war inzwischen im Stadthause, lief aus einem Zimmer ins andere und durchwühlte alle Schränke in der Hoffnung, Geld zu finden, als er zufällig ein gutgekleidetes blondes Mädchen bemerkte, die wie viele andere sich in das Stadthaus geflüchtet hatte und auf den Knien liegend betete. Conti, der sofort einen lebhaften Eindruck von ihrer Schönheit empfing, drängte sich dicht an sie und flüsterte ihr Liebesworte zu: »Ich bete dich an, Schönste von allen! Dich haben nicht Menschen, dich hat Gott gemacht! Deine Augen machen Tote lebendig! Dir gehört mein Leben, erhöre mich!« und was dergleichen mehr war. Das Mädchen, das die halb italienisch, halb deutsch geführten Reden nicht verstand, aber den leidenschaftlichen Atem des Mannes dicht an ihren Ohren spürte, strebte von ihm fort, während zugleich ihr Blut sich unter dem gefährlichen Feuer seines Werbens erhitzte.

Schon glaubte er, sich ihrer bemächtigt zu haben, als ein paar Offiziere mit einer Meldung dazwischenkamen; ob sie nicht dem Plündern und Morden Einhalt gebieten sollten, fragten sie, es werde schier niemand davonkommen, wenn es so weiterginge. Conti, der die Augen nicht von dem blonden Mädchen ließ, sagte ärgerlich, sie sollten doch nicht soviel Geschrei um eine Handvoll Menschen machen; das wäre, wie wenn Gott ein paar Ungeziefer zerknicke, die ihn im Schlafe gestört hätten; im nächsten Augenblick schnarche er schon wieder.

Er habe mit eigenen Augen gesehen, sagte der eine Offizier, wie trunkene Soldaten einer Pfarrersfrau Gewalt getan und ihren Mann zum Zusehn gezwungen hätten; das sei ihm doch unchristlich vorgekommen. Conti stampfte ungeduldig mit dem Fuße; die Soldaten verständen das Handwerk gewiß besser als solch ein Lutherpfaffe; der Frau sei die Abwechslung zu gönnen, sagte er. In einem Augenblick, wo er den Kopf weggekehrt hatte, war ihm das Mädchen entschlüpft; als er es bemerkte, stieß er einen Fluch aus und lief ihr nach. Unterwegs fielen ihm das Geld und die offenen Schränke ein, und wirklich waren dieselben schon von allerlei Volk umringt, die sie ausräumten. Wütend schrie Conti dazwischen, daß das alles ihm gehöre und von niemandem bei Todesstrafe dürfe angerührt werden; da kamen von draußen Leute herein und warnten, der ganze Platz stehe schon in Flammen, bald werde auch das Stadthaus brennen. Außer sich vor Zorn, gab Conti noch Befehl, daß der Inhalt der Schränke mitgenommen werden solle, und eilte dann auf die Straße, laut nach seinem Stallmeister und seinem Pferde rufend, wobei er sich unwillkürlich nach dem blonden Mädchen umsah. Im Begriff, sich aufs Pferd zu schwingen, sah er plötzlich ein junges Weib von einem Soldaten verfolgt aus einem brennenden Hause laufen. Das Haar flatterte ihr um das glühende Gesicht und den entblößten Busen, von dem ihr Verfolger das Obertuch abgerissen haben mochte, ein Anblick, der Contis Herz sofort in Flammen setzte. Seinem Stallmeister den Zügel zuwerfend, herrschte er den erschrockenen Soldaten drohend an, worauf der sich schnell aus dem Staube machte, und bot dann der jungen Frau seinen Arm, indem er um die Erlaubnis bat, sie schützen zu dürfen. Sie wußte nicht recht, ob dies Anerbieten eine neue Gefahr zu bedeuten habe, und sagte ausweichend, er tue ihr zuviel Ehre, sie sei nur eine schlichte Handwerkersfrau. »Du bist eine Königin der Schönheit,« sagte Conti, »und als solche will ich dich halten.« »Dies verteufelte Pommernnest«, rief er in italienischer Sprache seinem Stallmeister zu, »ist das erlesenste Freudenhaus, das ich jemals gesehen habe, und ich Esel lasse es abbrennen!«

*

Es war im November, als ein krankes Mädchen im Hessischen wunderbare Gesichte hatte. Es lag seit mehreren Jahren gelähmt im Bette, betrübt, daß es nicht arbeiten könne, vielmehr den Eltern zur Last sei; aber diese empfanden es nicht so; denn es aß wenig, war immer freundlich und voll guter Einfälle, Rat und Trost. An einem trüben, kalten Abend kam die Mutter und brachte dürre Äste aus dem Walde heim, mit denen sie im Herde Feuer machte; dann legte sie Wacholderbeeren auf die erwärmte Platte und sagte, so hätten sie wenigstens einen guten Geruch, wenn sie auch nichts zu essen hätten. Sie war eben beschäftigt, in einem Verschlage zu kramen, ob sie nicht noch ein Stück Brot fände, als das lahme Mädchen, das sie im festen Schlaf geglaubt hatte, einen lauten Schrei tat. Als die beiden Eltern an das Bett liefen, richtete es sich allein auf, blickte mit weitgeöffneten Augen auf die Wand und rief: »Da ist er! Er kommt! Unser Retter ist angekommen!« Sie sähen nichts, sagten die erschrockenen Eltern, es träume ihr gewiß. Ohne die Eltern zu beachten, fuhr das Mädchen fort zu schwärmen: »Es leuchtet wie eine Flamme, das Dorf ist taghell. Ich sehe den Markt und den Brunnen und den Kirchturm, aber er ragt über alles. Die Stunde ist gekommen, da der Herr sich seines Volkes erbarmen will. Er schickt seinen Engel mit einem Flammenschwert, das das Haupt des Drachen spaltet. Ach, wie er lächelt, der Holdselige! Sei gegrüßt, du Siegreicher, du Gnadenbringer, unser Kaiser! Meine Hände binden dir die Krone, meine Füße laufen dir entgegen, ich bin auferstanden und alle werden auferstehn und dir danken!«

Zuletzt sank das Mädchen auf sein Lager zurück, und sein Sprechen ging in ein Lallen über; in einen Starrkrampf verfallen, lag es scheinbar leblos da. Während die Mutter am Bette sitzen blieb, lief der Vater zum Pfarrer, um ihm das Vorgefallene zu berichten und seinen Beistand zu erbitten. Ob sie etwas zu essen hätten? fragte der Pfarrer; er habe selbst nicht viel, aber ein Stücklein Brot könne er doch missen, und wenn das Mägdlein zu sich komme, müsse es eine Stärkung haben. Unterwegs sagte er, er könne sich nicht denken, was das Gesicht zu bedeuten habe; daß der böse Feind aus dem Kinde rede, könne er jedoch nicht glauben; er kenne es, seit es lebe, und habe es nie anders als gut und fromm gefunden. Der Vater wischte sich die Augen und sagte, er selbst sei ein Sünder, das wisse er wohl, und auch seine Buben, die den Soldaten zugelaufen wären; aber das Kind sei wie ein Lamm, habe seit der Wiege nur gelitten und nie geklagt, Gott könne es nicht verlassen haben. Vor dem Häuschen, das die Leute bewohnten und das am Ende des Dorfes stand, blieben sie einen Augenblick stehen; die Fensterscheiben waren zerbrochen und die Löcher mit Lumpen ausgefüllt, an der Haustür fehlte die Klinke, und der kleine Vorgarten war verwildert; aus Gestrüpp und Unkraut starrten braun und naß ein paar geknickte Malven und Balsaminen. Der Pfarrer schüttelte betrübt den Kopf; vor dem Kriege sei dies Häuschen das sauberste im Dorfe gewesen, sagte er. Ja, sagte der Mann, wenn seine Buben ihm nicht fortgelaufen wären, hätte er sich eher wieder herausmachen können; nun müsse er alles verkommen lassen.

Beim Eintritt der Männer erwachte das Mädchen, sah mit freundlich staunenden Blicken um sich und errötete vor Freude, als sie den Pfarrer erkannte, der sie von Zeit zu Zeit zu besuchen pflegte. Von dem, was es gesehen und gesagt hatte, wußte es nichts mehr, lauschte aber mit glänzenden Augen der Erzählung ihrer Eltern. Es waren inzwischen auch ein paar Nachbarn herangekommen, und alle besprachen das seltsame Gesicht und seine vermutliche Bedeutung.

Kürzlich, sagte der Krämer, habe ein Hausierer aus dem Magdeburgischen die Neuigkeit mitgebracht, daß der Schwedenkönig mit vielen Schiffen übers Meer gekommen sei und schriftlich habe ausgeben lassen, er wolle dem bedrängten Volke den Frieden bringen und den früheren Glücksstand wieder herstellen. Es würden aber große, blutige Kämpfe vorhergehn, ehe die gute Zeit anbräche. »Ja,« sagte der Pfarrer, »wer weiß, ob wir sie erleben. Wenn sie nur unsern Kindern zugute kommt.« Das Kind habe aber vom Kaiser gesprochen, sagte einer, ob damit der Schwedenkönig gemeint sein könne? Der Kaiser sei päpstlich, sagte der Krämer, und sei der Evangelischen Feind. Er habe ihnen die Soldaten auf den Hals geschickt, um sie mit Gewalt vom Evangelium zu bringen und päpstlich zu machen. Das Kind fragte schüchtern, ob es nicht ein Engel mit schneeweißen Flügeln gewesen sei, den es gesehen habe. Nein, antwortete die Mutter, von Flügeln habe es nichts gesagt; der Held sei mit einer Rüstung bekleidet gewesen und habe ein Schwert geführt. Er sei voll Huld und Gnade gewesen, habe die Armen und Beladenen aufstehn heißen, der Macht des Teufels ein Ende gemacht und ein neues Reich des Friedens und des Glückes verkündigt.

Ein Gottgesandter sei es sicherlich gewesen, den das Kind gesehen habe, sagte der Pfarrer, sie wollten beten und hoffen, inzwischen aber wachsam und vorsichtig sein, denn der Verräter gebe es in dieser bösen Zeit viele. Das glaube er fest, daß Gott ihnen mittels einer unschuldigen Jungfrau Vertröstung habe schicken wollen und daß er ihnen die Rettung vorbereite. Die Prüfung sei schwer gewesen, und sie wären wohl fast darunter zusammengebrochen. Sie wüßten ja alle, daß er seine Frau und alle seine Kinder an der Pest verloren hätte, die von den Soldaten eingeschleppt worden wäre; zuerst hätte er geseufzt und geklagt, aber nachdem die Teuerung gekommen wäre, hätte er eingesehen, wie gut es Gott gemeint habe. Ach, wenn er seine Kindlein vor Hunger weinen hätte hören müssen! Anstatt dessen wären sie alle miteinander in der erwünschten Seligkeit, sorglos zwitschernd und lobsingend wie die lieben Vögel. Wenn ihm nur die Soldaten nicht seinen schönen schwarzen Tuchmantel genommen hätten, den er von dem seligen Vater seiner Frau, seinem Vorgänger im Amt, ererbt gehabt habe. Er danke Gott, daß seine Frau das nicht habe erleben müssen. Wie oft habe sie den Mantel geflickt und ausgebessert, das würde ihr das Herz gebrochen haben.

Ja, sagte das kranke Kind, wenn der Herr Pfarrer in dem langen schwarzen Mantel dahergekommen sei, dann sei ihr immer ganz feierlich zumute geworden.

Zumal er sie auch, fügte die Mutter hinzu, an den seligen alten Pfarrherrn erinnert hätte und an seinen schneeweißen Bart, der darüber hinabgewallt sei. Da hätte man gemeint, der liebe Gott selber komme einhergegangen.

Der Pfarrer wischte sich die Tränen aus den Augen und sagte, sie hätten wohl alles opfern müssen; aber es wäre doch nur zeitliches Gut, Gott könne es ihnen zehnfach wiedergeben, wenn er wollte.

Wenn sie nur noch ein einziges Mal ihrem Kinde satt zu essen geben könnte, sagte die Mutter zaghaft; worauf ein Nachbar sagte, es stehe geschrieben: ›Selig sind, die da hungern und dürsten, denn sie werden das Himmelreich sehen.‹ »Es ist so«, sagte der Pfarrer; »solange wir Gottes Wort haben, sollten wir nicht murren.« In Böhmen und Schlesien, erzählte er, hätten die evangelischen Pfarrer am Stabe ins Elend wandern müssen, und alle die, welche dageblieben wären, hätten ihren Gott verleugnen müssen. Wenn man sich darin spiegle, sähe man doch, wie gut man es hätte.

Gott möge ihr die Sünde verzeihen, sagte die Mutter erschrocken, um ihres unschuldigen Kindes willen möge er sie verzeihen.

Der Pfarrer zog nun das Stück Brot hervor, das er mitgebracht und bisher vergessen hatte, und zeigte ihr, wie Gott ihr das schicke, gerade als sie hätte verzagen wollen. Die Frau nickte und dankte und machte sich daran, das Brot im Wasser zu einer Suppe zu kochen, während der Pfarrer und die Nachbarn wieder in die dunkle, feuchte, ahnungsvolle Nacht hinausgingen.

*

Von dem Grafen Hannibal von Schauenburg, der nach der Abberufung des Torquato Conti den Oberbefehl über die aus Pommern verdrängten kaiserlichen Truppen erhalten hatte, bekam Tilly verzweifelte Briefe aus Frankfurt an der Oder: er finde das Heer in solchem Wirrwarr und Elend, daß es gar nicht zu beschreiben sei. Barbarische Exzesse kämen täglich vor, und es sei die Verwilderung der Offiziere nicht geringer als die der gemeinen Soldaten. Mit solchem Gesindel sei nichts auszurichten, komme es zum Gefecht, würde alles auseinanderstieben und die Schuld des Schadens auf den Obersten fallen. Er sehe seinen Untergang vor Augen, habe doch diese Stelle nicht gesucht, sei wider Willen in diesen Sumpf geraten. Tilly solle ihm um Gottes willen beistehen, er wisse in solcher Extremität nicht ein und aus.

An einem dunklen Januartage traf Tilly mit einem kleinen Gefolge vor Frankfurt ein. Als sie durch ein Kieferngehölz ritten, das sich zwei bis drei Stunden vor der Stadt erstreckte, fanden sie den Weg durch die Trümmer eines Wagens und tote Pferde versperrt und entdeckten bei näherem Zusehen einen von einem Kiefernast herabhängenden Toten und einen andern, der an einem Stamme festgebunden war. Der letzte war halbnackt, von Stichen und Hieben blutrünstig, der Kopf hing ihm kläglich mit grinsendem Munde vornüber. Noch starrten die Herren unschlüssig auf das Schrecknis, als von der Stadt her Schauenburg geritten kam, um Tilly zu empfangen. Das sei ein trauriges Zeichen, daß sie sich an dieser Stelle begegnen müßten, rief er. Da sehe Tilly gleich, wie es zugehe. Ein Warentransport habe nach Leipzig geführt werden sollen, davon hätten Soldaten Wind bekommen, sich im Gehölz verborgen und die Fuhrleute überfallen. Einen hätten sie gehängt, einen, der sich zur Wehr gesetzt, übel bestraft, wie man hier sehe, ein paar andere wären mit Gottes Hilfe entwischt und erfüllten die Stadt mit Geschrei und Lamentieren. Freilich sei es zum Erbarmen, daß kaiserliche Soldaten, der Stadt zum Schutze geschickt, wie Räuber darin hausten. Vielleicht wären sie sogar zu dieser Stunde wieder in Frankfurt und schlügen dort die gestohlenen Waren um ein Billiges los.

Tilly sagte, er zweifle nicht, daß Schauenburg die Schuldigen die Strenge des Gesetzes werde spüren lassen.

Wenn er sie hätte, antwortete Schauenburg, wolle er das gern tun; aber sie steckten alle miteinander durch, und er müsse ihnen wohl selbst nachspringen, wenn er sie ertappen wollte. Auch pflegten sie sich damit zu entschuldigen, daß sie seit Monaten keinen Sold gesehen hätten; er müsse in steter Sorge vor Meutereien sein und komme sich vor wie die Tierbändiger auf den Märkten, die Löwen und Bären tanzen ließen, in einer Hand ein Stück rauchendes Fleisch, in der andern die Peitsche schwingend, und dazwischen heimlich Stoßgebete für ihr Leben gen Himmel schickten.

Wie sie aus dem Gehölz herauskamen, sahen sie die Festung am Horizonte wie einen schweren grauen Dunst vor sich liegen. Er könne Tilly nicht genug danken, sagte Schauenburg, dicht neben dem General reitend, daß er selbst gekommen sei; als er ihn erblickt habe, sei ihm so ums Herz geworden, als wenn er seines Heilands ansichtig würde. Wie Tilly helfen solle, könne er sich zwar nicht einbilden, der Schaden sei zu groß. Es müsse früher oder später zu einer Hauptkatastrophe kommen. Aber Tillys Zeugnis, daß er nicht des Eifers ermangelt habe, würde man wenigstens Glauben schenken.

Wie das nur möglich sei! sagte Tilly. Wie es möglich sei! Der Kaiser glaube über ein Heer zu gebieten, dessengleichen die Welt noch nicht gesehen habe.

Listen von 20 000 Mann hätte er bekommen, erzählte Schauenburg; aber kaum 4000 wären aufzutreiben gewesen, und niemand wisse, wo die andern geblieben wären. Er hätte nach den Unteroffizieren gefragt: es sei keiner dagewesen, Wachtmeister ebensowenig; in einer Schenke wären drei Leutnants gewesen, die hätten besoffen hinter der Ofenbank vorgezogen werden müssen, andere lägen Tag und Nacht bei den Dirnen. Die gemeinen Soldaten bettelten auf den Gassen und sähen zerlumpter und jämmerlicher aus als mancher Bettler an den Kirchentüren.

Tilly beklagte die Unglücklichen; Hunger, Frost und Krankheit wären Würmer, die auch brave Herzen faul machten. Ein anderes sei es mit den Offizieren, wenn die verdürben, fehle es am Kern.

Er habe, sagte Schauenburg, vom Seinigen vorgeschossen, um das Heer vorderhand zu fristen und auch einigermaßen instand zu setzen, das sei nun aber auch schon aufgegangen.

Geld bringe er mit, sagte Tilly, aber damit allein könnten so viele Löcher auch nicht gestopft werden. Er habe vernommen, fuhr er nach einer Pause fort, daß der Schwede lauter kräftige, fröhliche Leute mitgebracht habe. Er halte gute Manneszucht, und an Geld fehle es bis jetzt nicht. Die Augen des alten Generals schweiften über die gefrorene Fläche, an die sich hie und da ein blätterloser Strauch klammerte; die starren schwarzen Ränder der ausgefahrenen Geleise zogen wie kleine Gebirgsketten über die Straße. »Wie sollen da die Leute marschieren, die zum Teil keine Schuhe an den Füßen haben!« sagte Schauenburg.

Tilly schwieg; da sei nirgends eine Hoffnung, dachte er; so sei es im Alter, daß das Laub nacheinander verdorre und abfalle, nichts mehr übrigbleibe von irdischer Lust, Schönheit und Ehre. Es werde so kommen, daß er sein gutes blankes Schwert verlieren und mit einem schlechten, stumpfen, unehrlichen Messer werde vertauschen müssen. Zur Niederlage werde Schimpf kommen und Hohn.

Schauenburg fing an auf Wallenstein zu schelten: er gleiche einer Hausfrau, die bei Fest und Tanz in Atlas und Brokat stolziere und Bewunderung und Schmeichelei einheimse, bei der aber Küche und Kammer wie ein Schweinestall, Knechte, Mägde und Kinder voll Dreck und Läuse wären.

Tilly sagte, weil er das Heer so stark hätte anschwellen lassen, hätte er die Übersicht verloren. Die Offiziere hätte der hohe Sold verdorben; denn die Menschen wären einmal zu schwach, als daß man sie der Versuchung aussetzen dürfte. Nun, da der Knäuel völlig zerzaust sei, hätte man ihn abgesetzt, und er sei der Verantwortung und des Tadels ledig.

Es könne leicht abgekartetes Spiel sein, meinte Schauenburg. Vielleicht halte er es mit dem Schweden, oder aber er habe vorausgesehen, daß das Unwesen im Heere offenkundig werden müsse, nun er es mit einem mächtigen Feinde zu tun bekomme.

Allerlei wunderliche Gedanken stiegen in Tilly auf über das, was ihm von Wallenstein während des Herbstes widerfahren war. Auf seine vielfältigen Bitten, Wallenstein möge verstatten, daß er das kaiserliche Heer aus Mecklenburg mit Getreide verproviantiere, hatte er stets freundlich und willfährig geantwortet; aber mit der Tat war niemals entsprochen worden, vielmehr hatte sein Statthalter alles Korn außer Landes verkaufen müssen, und trotz alles vorhandenen Überflusses und aller Versprechungen hatten seine Soldaten darben müssen. Wie, wenn anstatt dessen der Schwede sich der Zufuhr zu erfreuen gehabt hätte? Jedenfalls aber sei es ihm zugute gekommen, daß die Kaiserlichen Mangel litten. Wieder und wieder mußte er darüber nachdenken, wie das aufzufassen sei: ob Wallenstein nur ihm als seinem Nachfolger und gleichsam Nebenbuhler einen Tort zufügen oder ob er aus Begünstigung des Reichsfeinds und etwa verborgener Rachsucht dem Kaiser schaden wollte. Von diesen Sorgen und Argwohn ließ er jedoch nichts verlauten und sagte zu Schauenburg, freilich sei denen wohl, die des Kriegs überhoben wären; allein sie hätten die Last auf sich genommen und müßten nunmehr ausharren, der Ausgang sei, wie er wolle. Auch wollten sie die Untergebenen ihre Bedenklichkeiten nicht merken lassen, sondern so viel als möglich frischen Mut zeigen, damit nicht die gemeinen Soldaten eine Witterung bekämen, als würden sie zur Schlachtbank geschleppt, und, eh es noch zur Aktion käme, ausrissen.

*

Der junge Graf Adam Erdmann Terzka hatte Wallenstein zur Taufe seines neugeborenen Sohnes eingeladen und stand mit seinen Eltern an einem Fenster seines Schlosses Opotschna, die Ankunft des hohen Gastes erwartend; durch die kahlen Bäume konnten sie die Landstraße sich die Anhöhe, auf der die Burg lag, hinaufschlingen sehen. Ob er auch wirklich kommen werde? sagte der alte Graf; den Wechsel der Laune betreffend, sei er ja ärger als Wind und Wetter. Das meinten nur diejenigen, entgegnete Graf Adam, die nicht mit ihm vertraut wären und seine Intentionen nicht kennten. Er wolle seinen Kopf verwetten, daß er komme, ihm sei viel daran gelegen, mit den böhmischen Herren in gutem Vernehmen zu bleiben.

Nun, sagte die alte Gräfin, so wolle sie ihn bei dieser Gelegenheit einmal zum Reden bringen. Mit Träumen und Wünschen werde nichts gefördert, es müsse einmal etwas Erkleckliches beschlossen werden.

Ihr Sohn wendete sich hastig gegen sie und beschwor sie, sich sorgsam zurückzuhalten, mit Vordringlichkeit könne sie alles verschütten. Man dürfe ihm nicht geradezu mit einer Sache auf den Leib rücken, sonst wiche er zurück, es müsse alles gleichsam von ungefähr an ihn herankommen. Er sei scheuer als ein Vogel.

Was ihm einfalle, ihr so übers Maul zu fahren! sagte die alte Gräfin. Sie werde es schon mit guter Manier anbringen. Das Gestikulieren im Nebel sei lauter Vanität, wer es redlich meine, scheue das Licht nicht.

Sie hatten über diesem Gespräche das Ausgucken vergessen und wurden von der jungen Gräfin, die in einem anstoßenden Zimmer gewesen war, auf das Herannahen Wallensteins aufmerksam gemacht. Terzka gab seinen Eltern einen Wink, den Gegenstand in Anwesenheit seiner Frau nicht zu verfolgen, und eilte dann fort, um den Herzog zu empfangen, indes die anderen den fürstlichen Aufzug betrachteten. Berittenen, die die Wallensteinische Livree trugen, folgte seine vierspännige Kutsche und dieser eine Reihe von Wagen mit der Bedienung und dem Reisegepäck. »Wir haben auf Eure Fürstliche Gnaden wie auf unseren Messias gewartet!« rief die alte Gräfin begeistert bei der Begrüßung. Das sei viel Ehre für einen podagrischen alten Mann, antwortete Wallenstein scherzend; was er aber für sie tun könne, ohne Hand und Fuß zu rühren, wolle er nicht unterlassen.

Da die Terzkaschen lebhaft sein gutes Aussehen rühmten, sagte er, das sei kein Wunder, nachdem er so lange schon der Ruhe pflege. Er bringe als ein ausgedienter Soldat seine Zeit in den Bädern und auf dem Lotterbett zu.

Ja, sagte die alte Gräfin, wunderlich sei es, bei währender Feuersbrunst den Löscheimer abzuschaffen.

Am folgenden Tage, der der 16. Februar war, wurde in der Schloßkapelle die Taufe gefeiert, wobei auch Wallenstein gegenwärtig war und den Eltern des Kindes für dasselbe eine mit goldenen Dukaten gefüllte Kassette überreichte. Beim Bankett wurde von Gustav Adolf gesprochen und ob es Tilly gelingen werde, seinen Marsch aufzuhalten. Für einen alten Hofhund, sagte Wallenstein, verteidige er sein Gut ganz wacker, müsse ja einen langen Zaun auf und ab laufen. Die Gesellschaft lachte, und es wurde weiter erwogen, ob Gustav Adolf nach Wien oder nach Prag ziehen werde.

Das wäre ein auserlesenes Vergnügen, meinte die Gräfin Kinsky, Adam Erdmanns Schwester, die beiden vornehmsten Helden des Zeitalters beieinander zu sehen. Ihr Bruder warf einen besorgten Blick auf Wallenstein, ob ihn diese Bemerkung gekränkt habe, und fügte rasch hinzu, der König von Schweden verdanke seine Größe bis jetzt der Kleinheit seiner Feinde; er, der König, habe selbst vertraulich geäußert, der Regensburger Reichstag habe ihm ein Brett ins Meer gerückt, sonst wäre er zuletzt doch zu kurz gesprungen.

Im Laufe des Mahles, das unerschöpflich an delikaten Schüsseln war, wobei aber aus Rücksicht auf den Herzog mit dem Trinken zurückgehalten wurde, ereignete es sich, daß die junge Gräfin Terzka, eine geborene Harrach, auf die gegenüberliegende Wand blickend, ihren Schwiegervater fragte, warum er dem Bildnis des Kaisers gegenüber einen freien Platz gelassen habe? Ob ein Bild der Kaiserin oder des Königs von Ungarn dahin solle?

Nein, antwortete der alte Graf, den Platz habe er für ein Bild des Königs von Böhmen freigelassen.

Die Gräfin, eine zierliche blonde Dame, machte große Augen und sagte erstaunt, der Kaiser und der König von Böhmen wären ja dieselbe Person; worauf der alte Graf, laut lachend und mit den Augen zwinkernd, sagte, die Personen wären wohl dieselben, aber die Sache wäre eine andere, und er, als ein Böhme, liebe den Kaiser, der das Reich angehe, nicht so wie seinen König.

Als nach dem Essen die Männer mit der alten Gräfin in einem Seitenkabinett saßen, wo man sich, nicht mehr durch die Dienerschaft gestört, freier herauslassen konnte, seufzte die Alte, ach, warum ihr Sohn auch eine solche Gans geheiratet hätte! Der Herzog möge ihr die ungewaschene Rede verzeihen, denn sie sei ja seine Schwägerin, aber sie, die Alte, könne einmal nicht dissimulieren.

Für eine Frau sei sie recht und gefalle ihm auch ganz wohl, entgegnete Wallenstein; mit ihr, der alten Gräfin, sei es etwas anderes, sie wäre wert, ein Mann zu sein.

»Wenn ich einer wäre,« sagte sie schnell, »säße ich nicht hier.« Freilich, fuhr sie fort, seitdem der Herzog da sei, möchte sie mit niemandem tauschen. Es nehme sie nur wunder, daß ihr Mann nicht eifersüchtig sei, sie habe kürzlich sogar von ihm, Wallenstein, geträumt. Er habe die alte böhmische Krone auf dem Haupte getragen, das Zepter gehalten und in allen Dingen wie ein rechter König von Böhmen ausgesehn.

Würde der Traum wahr, sagte Wallenstein, der sich sehr behaglich zu fühlen schien, so sollte sie sein Kanzler sein.

Seine Frau träume oft wahr, fiel der alte Graf eifrig ein; Anno 1621 hätte sie dreimal hintereinander von einem breiten schwarzen Sumpf geträumt, durch den sie gewatet sei, immer tiefer, das letztemal sei ihr das Wasser bis an den Hals gestanden. Daran hätten sie hernach oft denken müssen.

Ob sie denn etwa glaubten, sagte Wallenstein, der Kaiser werde ihm die böhmische Krone zum Namenstage schenken?

Darauf brauchten sie nicht zu warten, rief Adam Erdmann; der böhmische Adel hätte dabei auch ein Wörtlein mitzureden.

Und dann sei auch der König von Schweden da, fügte die Gräfin hinzu.

Wallenstein blickte sinnend auf seine bleichen Hände. Ja, daß er es könnte, sagte er langsam, wolle er wohl glauben. Es sei da aber noch manches zu bedenken.

Der Kaiser habe sich nicht lange bedacht, sagte Adam Erdmann, dem Herzog unverdienten und unerträglichen Schimpf und Despekt anzutun.

Er vergäße das nicht, sagte Wallenstein. Jenes Band sei abgerissen und könne nimmermehr geknüpft werden. Der Kaiser bilde sich ein, seine Diener wären wie Hunde, ließen sich durch einen Tritt fortjagen und kämen nach einer Weile schwänzelnd wieder gelaufen. Es sei ihm kürzlich hinterbracht worden, der Kaiser fürchte, völlig in die Gewalt des Bayern zu geraten, und wünsche sehnlich, der Friedländer möchte ihn wieder heraushauen. Aber er wolle ein Hundsfott sein und die Hand sollte ihm vom Leibe faulen, wenn er je wieder das Schwert für den Kaiser zöge. Der Kaiser solle lernen, eines Kavaliers Ehre zu respektieren.

Alle stimmten bei und brachen in Klagen über die Undankbarkeit des Kaisers aus. Er wäre ja um Land und Leute gekommen, wenn Wallenstein nicht gewesen wäre. Viele könnten es nicht fassen und würden fast an ihm, Wallenstein, irre, daß er zu einem solchen Streich stillgehalten habe.

Wallenstein lachte leise. Die Rache, sagte er, sei wie ein edler Wein und werde um so feuriger, je später man ihn schlürfe.

Am späten Abend kam noch ein Gast auf die Burg, den Graf Adam freudig begrüßte und zunächst in ein abgesondertes Zimmer führte: Sesyma Raschin, ein böhmischer Flüchtling aus dem niederen Adel. Wallenstein pflege eben der Ruhe, sagte Terzka, und dürfe nicht gestört werden. Aber er habe gute Nachrichten, die Sachen ständen gut, Wallensteins Zorn wegen der Absetzung habe keineswegs nachgelassen, er werde eine Gelegenheit, sich am Kaiser zu rächen, gern ergreifen, nur müsse es etwas Großes und Absonderliches sein. Wenn der König von Schweden den ersten Schritt tun wollte, so würde er Wallenstein bereit finden. Wo der König sich zur Zeit befinde?

Er sei im Mecklenburgischen, erzählte Raschin. Daß er einen Vertrag mit Frankreich abgeschlossen habe, werde Terzka schon bekannt sein; danach müsse der König von Frankreich bezahlen, dürfe dem Schweden aber nicht dreinreden. An Geld fehle es also nicht, aber die Saumseligkeit und Unlust der evangelischen Kurfürsten mache Gustav Adolf zu schaffen. Er werde Wallensteins Hilfe gewiß ergreifen, habe eine hohe Meinung von ihm.

Und wie er die böhmischen Genossen in Sachsen und anderswo gefunden habe? fragte Terzka.

Da herrsche überall die größte Bereitwilligkeit, sagte Raschin. Der Hrzan, Sommersfelde und Berkofsky wollten dem König von Schweden mit ihrem Vermögen beispringen, andere, so der Bubna und der alte Graf Thurn mit seinen Söhnen, in schwedischen Dienst treten. Der alte Graf Thurn gebärde sich wie närrisch, habe gesagt, die Hoffnung auf das Vaterland quelle wie ein Jungbrunnen durch seine Glieder. Nur den Wallenstein betreffend fehle es noch am rechten Glauben.

»Sie kennen ihn alle nicht, wie ich ihn kenne«, sagte Terzka. Er stehe Bürge für ihn. Der Herzog sei keineswegs ein solcher Tyrann, als welchen ihn seine Feinde verschreien wollten. Gegen getreue Anhänger sei er gut und verschwenderisch, teile ihnen mit vollen Händen aus, er vermöge es ja. Er sei gewiß des Adels Feind nicht, nur auf die Übergriffe der Fürsten passe er scharf.

Raschin erzählte weiter, keiner sei so eifrig, gutwillig und unermüdlich wie der alte Thurn, seiner bedürfe man durchaus zum Verhandeln. Wenn da nur nicht ein alter Hader im Wege wäre, den er mit des Terzka Mutter hätte!

Ja, er wisse warum, sagte Adam Erdmann, es handle sich um eine Schuld, und seine Mutter sei böse, weil der alte Thurn darauf poche, als ein armer Flüchtling brauche er sie nicht zu erstatten. Der alte Thurn bilde sich allzuviel darauf ein, daß er evangelisch geblieben sei, und habe doch gar kein Verdienst daran, da er ja sowieso seine Güter hätte verlieren und exulieren müssen. Ferner hätte er seinen, Adam Erdmanns, Bruder so an sich gezogen, daß derselbe ihn und seine Eltern wegen des Glaubenswechsels hart angelassen und ungebührlich den Prediger bei ihnen gemacht hätte, so daß fast eine Rebellion im Hause ausgebrochen wäre. Daß sein Bruder Böhmen verlassen und französischen Dienst angenommen hätte, sei auch des alten Thum Werk gewesen. Dies alles würde seine Mutter aber nicht nachtragen, wenn es die gute Sache gelte. Spüre sie bei jemandem eine rechte Affektion zu dem heißgeliebten, verwüsteten böhmischen Vaterlande, so nehme sie denselben im Herzen als ihren Sohn an, ohne übrigens nach seinem Katechismus oder Vermögen zu fragen.

So habe Graf Thurn trotz der Verfeindung sie auch geschildert, sagte Raschin, als eine heroische Frau und rechte böhmische Mutter. Wenn der Herzog von Friedland eines Sinnes mit ihnen sei, so würden die verstoßenen Söhne gewiß bald wieder in die teure Heimat einziehen können.

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