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An einem heißen Sommertage näherten sich die Spitzen des Mansfeldischen Heeres einem Dorfe an der Straße nach Berg-Zabern, wo die müden und durstigen Soldaten eine Erfrischung zu finden hofften. Wie sie aber an den ersten Häusern anpochten, zeigte es sich, daß sie leer waren, ebenso die folgenden, und es wurde klar, daß die Bewohner sich mit ihrer besten Habe davongemacht hatten. Zurückgeblieben waren ein Blödsinniger und zwei Kinder, die bei der Kirche saßen und sich damit unterhielten, einen alten gesprungenen Tiegel mit Sand und Steinen zu füllen und wieder auszuschütten. Der Blödsinnige grinste die Soldaten freundlich an, wie wenn sie alte Bekannte wären, die er erwartet hätte; von den beiden Mädchen sagte die ältere, die ein zu kurzes Bein hatte und hinkte, als sich alle auf die Wagen gedrängt hätten, um zu entfliehen, hätte sie keinen Platz bekommen und zurückbleiben müssen, denn weit laufen könne sie nicht, und die kleine Schwester hätte sie nicht verlassen wollen. Auf die Frage der Soldaten, wo etwas zu essen und zu trinken sei, nickte der Blödsinnige stolz und glücklich und führte sie zu einer dickstämmigen, vielästigen Linde, die in der Mitte eines Platzes stand. Um sie herum lief eine hölzerne Bank, unter welcher ein kleines Weinfaß und ein großer Laib Brot lagen, dort von den Entflohenen geborgen oder vergessen oder vielleicht für den Blödsinnigen zurückgelassen. Die Soldaten jubelten, schlugen das Faß auf, aßen und tranken und teilten auch den Kindern und dem Blödsinnigen mit, die neugierig zusahen. Inzwischen waren mehr Soldaten herangekommen, die auch zu essen verlangten und den Blödsinnigen drängten, er solle zeigen, wo noch mehr versteckt sei. Anfänglich schüttelte er den Kopf, als er aber die drohenden Gesichter sah, rieb er sich die Stirn, sah sich betrübt um und zeigte plötzlich, als sei ihm ein glücklicher Einfall gekommen, auf das Gasthaus, das eine blanke Sonne aus Messing bezeichnete. Lärmend durchsuchten sie alle Zimmer und auch den Wirtsgarten, der von niedrigen Birnbäumen beschattet wurde, ohne aber irgend etwas zu entdecken. Der Blödsinnige, an den sie sich fragend und drohend wendeten, schüttelte ratlos den Kopf und schien vergessen zu haben, weshalb sie hergekommen waren, worüber sie endlich wütend wurden und mit Gewehren auf ihn losschlugen, und als er laut und durchdringend wie ein gestochenes Schwein zu schreien anfing, töteten sie ihn vollends. Nun fielen die Blicke einiger auf die beiden kleinen Mädchen, die mitgelaufen waren und sprachlos erschrocken dem blutigen Schauspiel zusahen, und von grausamer Lust ergriffen, zogen sie sie in das Haus, um sie zu mißbrauchen. Ein Leutnant, der jetzt in den Wirtsgarten kam, schalt die Soldaten, daß sie sich aufgehalten hätten, anstatt den Fliehenden nachzusetzen und ihnen die mitgeführten Vorräte abzunehmen, und ein Trupp Reiter wurde sofort zu diesem Zweck ausgesendet. Mansfeld und Friedrich, die nun zu Pferde eintrafen, stießen im Gasthause, wo sie eine Weile rasten wollten, auf die halb entkleideten Leichen der beiden Kinder; die kleine Brust der Jüngsten atmete noch schwach. Pfui, sagte Friedrich, das sei ekelhaft, da könne er nicht bleiben. Man solle eine solche Bestie, die dergleichen verübe, nachdrücklich bestrafen. Mansfeld zuckte die Achseln und sagte, der würde sich aus dem Staube gemacht haben. Es hätte sie wohl wild gemacht, daß sie das Nest leer gefunden hätten. Die Vögel in dieser Gegend hätten ihn jetzt kennengelernt und wären schlau und vorsichtig geworden. Wie sie aus dem Hause traten, meldete ein Unteroffizier, ein Soldat, der aus dem Dorfe gebürtig sei, gebe an, die Bauern hätten, so wie er sie kenne, das bare Geld nicht mitgenommen, sondern wenigstens zum Teil in der Kirche unter einem lockeren Stein vergraben. Ferner wisse er eine halbe Stunde entfernt einen reichen Bauernhof, dessen Besitzer nicht geflohen sein werde, weil er abseits liege und sich im Gehölz versteckt glaube, da werde man Nahrungsmittel im Überfluß finden. Der König gab Befehl, in der Kirche nachzusuchen, und es wurde wirklich Geld gefunden, welches nach Vorschrift unter das Heer verteilt wurde, in der Art, daß der Angeber das Doppelte der Gebühr erhielt.

Friedrich war verdrießlich und zeigte sich unlustig zur Fortsetzung des Krieges. Er sei des zwecklosen Umherziehens müde, sagte er, und sehne sich nach Weib und Kind, hier sei jetzt doch nichts auszurichten. Ohne Geld freilich nicht, sagte Mansfeld; das Land sei ringsherum ausgemergelt und gebe nichts mehr her. Der Landgraf von Hessen-Darmstadt, sagte Friedrich, habe ihm sein Wort gegeben, sich beim Kaiser für ihn zu verwenden; vielleicht komme es zu einem guten Frieden oder Waffenstillstand. Mit Gewalt komme man jetzt nicht weiter, zumal da seine Untertanen sich so feige und wetterwendisch zeigten. Auf den pfäffischen Darmstädter würde er nicht bauen, sagte Mansfeld; Friedrich sollte sehen, wie er seinen Schwiegervater, den König von England, oder seinen Oheim, den König von Dänemark, auf die Beine brächte. Er, Mansfeld, könne sein Heer nach Frankreich hinüberführen, wo es Nahrung genug finden werde; er habe Verbindung sowohl mit dem König von Frankreich wie mit dem Herzog von Bouillon und den Hugenotten. Friedrich ärgerte sich, weil er bemerkte, wie verächtlich Mansfeld ihn zuweilen in Blick und Ton behandelte, denn er fand, daß der länderlose Bastard am wenigsten das Recht dazu habe. Nach einigen Verhandlungen waren es beide zufrieden, sich zu trennen, Friedrich, um sich zunächst wieder zu seiner Familie zu begeben, Mansfeld, um anderswo, sei es bei den Generalstaaten, bei Frankreich oder bei der Statthalterin und dem Kaiser, eine Bestallung zu suchen; freilich war die Lage augenblicklich nicht so, daß er beim Kaiser oder bei Spanien einen guten Preis zu erzielen hoffen konnte.

In einem förmlichen Manifest entließ Friedrich den Grafen Mansfeld und den Herzog Christian nebst ihren Offizieren und der gesamten Soldateska, da er die Mittel nicht habe, sie zu erhalten, und gab ihnen die Befugnis, sich anderswo einen Dienst zu suchen.

Nachdem sich die beiden Söldnerführer eine Zeitlang unter ergebnislosen Verhandlungen in Lothringen aufgehalten und das dortige Land verwüstet hatten, traten sie in den Dienst der holländischen Staaten, schlugen sich, den spanischen Feldherrn Cordova in blutigem Kampfe zurückwerfend, nach Bergen-op-Zoom durch und halfen die von Spinola belagerte Stadt entsetzen.

Es hatte nämlich nach zwölfjährigem Waffenstillstande der Krieg zwischen Spanien und Holland wieder begonnen, obwohl den Spaniern, da es ihnen an Geld mangelte, der Friede lieber gewesen wäre; aber es schien ihnen nicht ehrenvoll, nachzugeben, und sie forderten die Holländer auf, sich wieder unter ihre Botmäßigkeit zu begeben, damit dem gegenseitigen Einverständnis nichts mehr im Wege stehe. Die Holländer antworteten, sie fänden dies Ansinnen befremdend, da sie längst von allen Staaten und Potentaten als freie Republik traktiert würden, und die Feindseligkeiten nahmen zu großer Genugtuung der Kriegspartei, an deren Spitze Moritz von Oranien stand, ihren Anfang.

Gleichzeitig bestieg der junge Philipp IV. den spanischen Thron, nachdem sein Vater, der schwächliche Philipp III., einst das Lipperli, vorzeitig gestorben war. Die letzten Jahre dieses Königs waren durch einen kirchlichen Streit bewegt, der von der Frage über die sündliche oder fleckenlose Empfängnis der Jungfrau Maria herrührte. Die Spanier nämlich, die der Mutter Gottes jede mögliche Ehre zuwenden wollten, erhitzten sich für ihre unbefleckte Empfängnis und rasten gegen ihre Gegner, welches namentlich die Dominikaner waren, die sagten, die Eltern der Maria wären nur gemeine Menschen gewesen, wie sie denn die Maria anders als im Fleisch hätten zeugen sollen? Außerdem sei die Jungfrau Maria nach allen vorliegenden Zeugnissen gestorben, es heiße aber, der Tod sei der Sünden Sold, also müsse sie wohl in Sünden empfangen sein. Damit diese verleumderischen Reden aufhörten, bestürmte König Philipp den Papst, die Lehre der Affirmanten, wie sich diejenigen nannten, die die heilige Jungfrau in Sünden empfangen sein lassen wollten, zu verdammen, womit er denselben in nicht geringe Verlegenheit setzte. Er suchte sich erst durch Ausflüchte zu helfen, da der spanische Gesandte ihm aber keine Ruhe gab, erließ er ein Dekret, die Lehre der Affirmanten solle bei Strafe der Exkommunikation weder in Kirchen noch Universitäten gelehrt werden, es sollten aber diejenigen Affirmanten hiervon ausgenommen sein, denen der Papst es spezialiter gestatte, denn er wolle die Lehre keineswegs verdammen oder verwerfen, wie sie dieselbe denn auch privatim lehren dürften, wenn sie sich nur ärgerlicher Stichelreden enthielten.

Im ersten Taumel des Triumphes zündeten die Spanier, besonders in der Stadt Sevilla, welche als unter dem besonderen Schutze der Jungfrau Maria stehend betrachtet wurde, Freudenfeuer an; bei näherer Betrachtung des Dekretes aber, das überall angeschlagen wurde, erkannte man, daß die Sache eigentlich blieb, wie sie zuvor gewesen war, was sich König und Volk sehr zu Gemüte zogen. Es erschien abermals ein Gesandter in dieser Sache in Rom, den aber der Papst scharf ablaufen ließ; sein geliebtester Sohn, der König von Spanien, solle sich einmal zur Ruhe begeben, er habe das Mögliche für ihn getan, daran müsse er sich genügen lassen. In diesem Stadium befand sich die Angelegenheit, als der König und der Papst nacheinander starben, ihren Nachfolgern die endliche Lösung überlassend.

Kurz nach dem Tode des Königs starb auch seine Witwe Margarete, die Schwester Kaiser Ferdinands, an einer seltsamen, raschen Krankheit, die vergiftetem Räucherwerk und einem Günstling ihres verstorbenen Mannes zugeschrieben wurde. Sie sei überhaupt, hieß es, da sie die Spanier nicht hätte leiden mögen und ihre Abneigung allzusehr habe merken lassen, bei den Spaniern sehr unbeliebt gewesen.

*

Als im Jahre 1620 Truppen durch Nürnberg zogen, gab ihnen Kaplan Mannich das Geleit bis Fürth mit Bewilligung des Rates; denn derselbe hätte gern gewußt, was die Soldaten eigentlich vorhatten und wohin sie wollten, und meinte, der fröhliche Geistliche, der mit mehreren von den Offizieren bekannt war und vertraulich mit jedermann umzugehen wußte, würde unter der Hand etwas herausbringen. Es war zehn Uhr abends und die Stadt still und dunkel, als auf dem Marktplatz lautes Trompetenschmettern erscholl, das viele, die schon schliefen, aufweckte und veranlaßte, aus dem Fenster zu sehen, was es gebe. Da erblickten sie Kaplan Mannich, der von einem Trüpplein Soldaten heimbegleitet worden war, damit er in der Trunkenheit nicht den Weg verfehle, und dem sie nun einen Abschiedstusch bliesen, was er mit Handwinken und lallenden Worten erwiderte. Als er bemerkte, daß aus einem gegenüberliegenden Wirtshause neugierige Leute herauskamen und gafften, nickte er ihnen jauchzend zu, auf welche Ermutigung hin sie ihn ihrerseits mit Geschrei und Gelächter begrüßten.

Als dem Kaplan am andern Morgen dieser Auftritt wieder in den Sinn kam, beschloß er, um den Rat zu begütigen, der es etwa empfindlich aufnehmen könnte, eine Predigt zu seinem Belieben zu halten; es war nämlich Sonntag. Es sei hohe Zeit, begann er mit herausfordernden Blicken, daß das Volk einmal Buße tue, sie steiften sich allezeit auf die Gnade des Herrn, die sie so lange überflüssig genossen hätten, statt aber dadurch vorsichtig und demütig zu werden, unterfingen sie sich unchristlicher Zuversicht, säßen in den Wirtshäusern und vergriffen sich mit dem leidigen Besserwissen und Mäkeln an ihrer Obrigkeit. Da könne die Strafe Gottes natürlich nicht ausbleiben, und es hätte ja auch schon der Komet im letzten Jahre leserlich angezeigt, wessen man sich von Gott zu versehen habe. Die vielen Soldaten gäben dem Einsichtigen, der den Weltlauf kenne, auch zu denken; umsonst wären sie nicht auf den Beinen, man wisse nicht, wohin das Wesen ziele, seinerzeit werde es schon ausbrechen. Inzwischen sollten sie sich bessern und sich still und friedlich halten, damit Gott in seiner Barmherzigkeit noch das Übel zum Guten kehre.

Als aus Böhmen die Nachricht von der gänzlichen Niederlage und Flucht des Pfälzers kam, vermehrte sich die Besorgnis der Stadt. Bald trafen vorwurfsvolle und bedrohliche Schreiben des Kaisers ein, daß Nürnberg dem Mansfeld, der doch in der Reichsacht schwebe, Werbungen in seinem Gebiet gestattet habe, was sich allerdings so verhielt und was nun mit einigen zwiespältigen Wendungen vertuscht werden mußte. Es verlautete von großen Rüstungen allerorten und daß der König von Böhmen die Türken zu Hilfe gerufen habe, wodurch der Rat schließlich bewogen wurde, wieder einen Türmer auf die Burg zu setzen, was seit Jahrzehnten außer Gebrauch gekommen war. Unter denjenigen, die sich zu dem Amte meldeten, war ein Kammacher, der infolge von Trunksucht ein wenig in seinem Gewerbe heruntergekommen war, der sich aber durch scharfe Augen und ansehnliche Empfehlungen geeignet machte; auch meinte man, daß er, weil auf dem Turme kein Wirtshaus sei, seinem Laster mehr oder weniger entfremdet werden würde. Seiner beweglichen Bitte, man möchte ihn in der schwindligen Höhe nicht ohne Zusprache und Hilfe, auch Ablösung lassen, willfahrte man, indem man ihm einen Drahtzieher mitgab, welche beiden an einem Septembertage von zwei Ratspersonen in ihre Behausung eingeführt wurden.

Die Ratsherren hielten ihnen vor, welches ihre Pflichten und wie groß ihre Verantwortung sei, und prüften sie gründlich, ob sie mit den Himmelsgegenden, Straßen, umliegenden Dörfern und angrenzenden Ländern Bescheid wußten.

Es war weit und breit nichts zu sehen als Wagen voll bräunlichen Korns, die schwer unter Nußbäumen und Linden hinschwankten, Frauen und Mädchen, die hier und da die abgestreiften Ähren auflasen, und spielende Buben, die, über die Stoppelfelder laufend, ihre papierenen Drachen an langen Fäden nach sich durch den himmlischen Ozean zogen.

Ein besonders fleißiges Aufmerken von seiten des Rates verlangten die vielen österreichischen und böhmischen Flüchtlinge, die eintrafen und die Erlaubnis, sich niederzulassen, begehrten, von denen zwar viele adelig und begütert waren und den Flor der Stadt mehren zu sollen schienen, die aber, wenn auch fromme und redliche Leute, oft hochfahrend und unruhig waren, mit den Feinden des Kaisers in Verbindung standen oder mit den Einheimischen aneinandergerieten, was dann teils verhütet, teils geschlichtet werden mußte.

Eines Tages kam ein junger Mensch in einem buntscheckigen, etwas fadenscheinigen Anzuge auf das Rathaus und meldete, indem er sich stattlich gebärdete, er sei ein Knappe des Don Matthias d'Austria, Sohnes der hochseligen Majestät des Kaisers Rudolf, welcher zum Behuf seiner Vermählung mit einer italienischen Dame in das Welschland zu ziehen im Begriff sei und in der Stadt Nürnberg in der Goldenen Gans zu nächtigen gedenke. In Erinnerung an die Treue, mit der die berühmte Stadt Nürnberg seinem hochseligen Vater angehangen habe, und an die Huld, die derselbe ihr zugewendet habe, wolle er die Stadt um dreihundert Taler Reisegeld angehen, damit er sein Ziel um so förderlicher erreichen möge. Sowie der Knappe sich wieder entfernt hatte, beschieden die Herren den Wirt zur Goldenen Gans auf das Rathaus, einen etwa sechzigjährigen, beleibten, treuherzigen Mann, der bei Reichs-, Kurfürsten- und Fürstentagen aller Art so viele regierende Herren beherbergt hatte, daß er sich vortrefflich mit ihnen auskannte. Diesen fragten sie, wie es mit dem fremden Ankömmling bestellt sei, ob er wohl wirklich der natürliche Sohn des Kaisers, Don Matthias d'Austria, sei oder ein Gauner und Abenteurer, der dem Rat Geld ablisten wollte, wie man dergleichen leider nur zu oft erlebe. Der Wirt gab an, ein etwas seltsames Ansehn habe die Sache freilich, doch sehe der Fremde dem hochseligen Kaiser Rudolf gleich, besonders die Unterlippe sei nicht unverfänglich, hange herab, wie wenn einer schlotterigen Jungfer das Bändel aufgegangen sei; auch trete er wie ein großer Herr auf, rede Spanisch und Italienisch durcheinander und schicke sich überhaupt im ganzen wohl zur habsburgischen Familie. Gleich nach seiner Ankunft habe er vom Apotheker Magen-Morsellen, Rosenzucker und dergleichen holen lassen, sitze jetzt im Armstuhl und knabbere daran, habe auch ein paar Mägde von der Bedienung zu sich gerufen und schwatze mit ihnen, wobei er sich bestens zu unterhalten scheine.

Nach dieser Auskunft schien es dem Rat geboten, dem Prinzen die Ehre der Begrüßung nach altem Brauch zu erweisen, indem sie ihm eine Kanne Malvasier zum Willkomm überreichten. Das Geld betreffend, ließen sie es bei zweihundert Talern bewenden, indem sie sich mit den schwierigen Zeitläuften entschuldigten.

Zu den Gästen der Goldenen Gans gehörte um diese Zeit ein österreichischer Musiker namens Fortunatus Ried, der um der Religion willen die Heimat hatte verlassen müssen, mit seiner Frau und sechs Kindern, von denen jedes sein Instrument spielte, eines die Orgel, eines die Baßgeige, eines die Laute, und auch das jüngste, vierjährige hatte ein kleines Saitenspiel, woran es mit Verstand und Geschick ein wenig zupfen konnte. Der Wirt, der Musik und Kinder liebte, pries das liebliche Konzertieren der frommen österreichischen Familie allenthalben so an, daß sie, als sie sich im Gasthaus hören ließen, einen großen Zulauf hatten. Da nun jedermann sie hören wollte, gab ihnen der Rat die Erlaubnis, in der Lorenzkirche zu singen, wo denn die zarten Stimmen der Kinder, die tiefe, glockenhafte der Mutter und die weiche des Vaters wie ein Vogelchor emporstiegen und das heilige Steingewölbe jubilierend belebten.

Der Wirt hatte die Gewohnheit, wenn ihm jemand für eine empfangene Guttat danken wollte, den Dank mit den Worten abzuwehren: »Danke mir nicht, einem armen Sünder und Kinde des Todes, soli Deo gloria!«, was auch die Österreicher oft von ihm vernommen hatten; denn er wollte keinerlei Entgelt von ihnen annehmen. Um sich ihm nun erkenntlich zu zeigen, setzte Fortunatus die Worte des guten Mannes künstlich in Musik, so daß die erste Rede als ein Rezitativ fast ernst und traurig vorgetragen wurde, worauf der Chor mit dem ›Soli Deo gloria‹ anhub, und zwar so, daß eine Stimme nach der anderen einfiel, bis alle miteinander laut und fröhlich durcheinanderwirbelten und ein rechtes Triumphgeschrei entstand. Als der Wirt sein Sprüchlein erkannte und so himmlisch ausgeschmückt auf sich niederschallen hörte, auch die Blicke der Anwesenden, denen seine Redensart vertraut war, sich zu ihm hinwendeten, gingen ihm die Augen über, und er pflegte nachher oft zu erzählen, daß alle gnädigen Worte und Geschenke großer Herren, die ihm viel zuteil geworden, ihm nicht so viel wert wären wie das ›Soli Deo gloria‹ der frommen Auswanderer.

*

Der Professor der Rechtswissenschaft in Tübingen, Thomas Lansius, ein Österreicher, hatte ein nettes Häuschen mit einem Garten, der sich gemach an einem sanften Hügel unterhalb der Burg hinzog. In einer von Weinlaub überwachsenen Laube saß sein Gast, der Heidelberger Professor Janus Gruter aus Holland, einer der angesehensten unter den lebenden Philologen, der sich besonders durch seine Ausgabe und Erklärung des Tacitus berühmt gemacht hatte. Beim Näherrücken des Krieges hatte er mit seiner Tochter Heidelberg flüchtend verlassen und Zuflucht bei Lansius gefunden, der stolz war, dem befreundeten älteren Kollegen eine Heimat anbieten zu können. Gruter gegenüber saß ein junger Mensch in bescheidener Haltung und sagte, indem er einen Brief überreichte, daß Professor Matthias Bernegger aus Straßburg ihn schicke und daß er ohne dessen Empfehlung nicht gewagt haben würde, einen so berühmten, ehrwürdigen Mann zu stören. Gruter hieß den Jüngling willkommen und sagte ihm, er sei hier an Berneggers Statt, den er noch nicht von Person kenne und von dem er viel zu hören wünsche. Die braunen Augen des jungen Mannes leuchteten auf, als er von Bernegger zu erzählen begann, von seiner Güte, Freundlichkeit und Bescheidenheit bei großem Wissen und wie er dies Gold plaudernd, als ob es Spielpfennige wären, unter seine Schüler austeile. In seinem Hause herrsche immer ein guter, froher Geist, obgleich er oft Mühe hätte, den großen Haushalt zu bestreiten; denn der Straßburger Magistrat sei ihm als einem Kalvinisten nicht wohlgesinnt und versuche ihm stets etwas vom Gehalte abzuschneiden oder die Auszahlung zu verzögern. Jetzt wohnten außer seinen Schülern auch der große französische Gelehrte Dionysius Gothofredus und dessen Frau bei ihm, die er wie Eltern pflege und heilighalte.

Gruter erkundigte sich mit Teilnahme nach dem Befinden des Gothofredus, der seit langer Zeit bettlägerig war und dessen Tod bevorstand. »Ein großes Licht,« sagte er gedankenvoll, »das weithin geleuchtet hat und nun in einem Winkel unbemerkt erlischt. So haften in Kriegszeiten oft alle Blicke auf den frechen, schmutzigen Flammen, in denen die Dörfer verbrennen, und kein Auge sieht den Mond an, der darüber im Glanze des puren Lichtes badet.«

Von sich selbst erzählte der junge Mann auf Gruters Befragen, daß er Robert Robertin heiße, Sohn eines Kaufmanns aus Saalfeld sei, in Straßburg studiert habe und eine große Reise machen wolle, um seine Bildung durch die Kenntnis fremder Länder und namentlich durch den Umgang mit hervorragenden gelehrten Männern zu vervollkommnen. Bernegger habe ihm geraten, sich an Gruter zu wenden, der, als einer der Großen im Reiche der Gelehrsamkeit, überall Freunde und Verehrer habe und ihn am besten mit Ratschlägen und Empfehlungen ausrüsten könne.

Das wolle er gern tun, sagte Gruter; er sei hier in Tübingen in der Verbannung, seine Bücher habe er zurücklassen müssen, wodurch ihm die gewohnte Arbeit sehr erschwert sei. Seine Beschäftigung sei jetzt, den Garten zu pflegen, und dabei wanderten seine Gedanken oft in die Vergangenheit, da die Zukunft von Wolken verhängt sei. Er habe das Wuchern der Gemeinen und das Verschmachten der Guten und Unschuldigen so nah mit angesehen, daß seine Seele von Bitterkeit überfüllt sei; sein Lieben sei bei den Freunden seiner Jugend, dahin ziehe sein Geist gern und wiege sich über Erinnerungsblumen.

Hier in Tübingen, sagte er, werde er seinen Gastfreund, Thomas Lansius, kennenlernen, einen klugen und heitern Mann, der seine Pflicht tue, ohne auf seinen Nachbar zu sehen, hilfreich sei, ohne Dank und Lohn zu berechnen, und gleichsam einen süßen Speichel im Munde habe, mit dem er die Pillen einschmiere, die die böse Zeit ihm zu verschlucken gebe.

Dann sei hier der Rechtsgelehrte Besold, ein feiner Geist und weichen, friedfertigen, empfindlichen Gemütes, freilich sei eine Art Süßigkeit darin, die sich leicht in Säure verwandele; allein auch wenn er gar kein eigenes Verdienst hätte, so sei er dadurch empfohlen, daß er ein Freund des besten der Menschen, des Johann Valentin Andreae, sei. Dieser weile im württembergischen Calw, das wohl eine schlechte, kunstlose Fassung für den herrlich geschliffenen, unschätzbaren Edelstein sei. Er sei so milde gegen andere wie streng gegen sich, so tapfer und unerschrocken wie maßvoll, so durchdrungen von Zorn über die wilde, böse Zeit wie erfüllt von Nachsicht und Verständnis für seine schwächeren Nächsten und von Hoffnung auf die Morgenröte eines edleren Tages. Ein Zwiespalt sei in diesem wahren Gottesmanne insofern, als er wie Besold und der Stern unter den Sternen, Johannes Kepler, lutherischen Glaubens, aber den eigenen Glaubensgenossen verdächtig und ein Ärgernis sei. Möchte keiner von ihnen ein Opfer stumpfsinniger Verfolgungssucht werden!

Bei dieser Gelegenheit schaltete Robertin ein, daß die lutherische Gemeinde in Straßburg einen gewissen sächsischen Theologen zu ihrem Prediger gewünscht, daß aber der Oberhofprediger Hoë demselben die Erlaubnis, die Berufung anzunehmen, verweigert habe. Man erzähle sich in Straßburg, daß es versäumt worden sei, dem Hoë rechtzeitig ein güldenes Becherlein in den Rachen zu werfen, und daß dieses große Tier erzürnt sei, weil es das Maul vergeblich aufgesperrt habe.

»Dies Geschlecht«, sagte Gruter, »meint, es könne Gott kaufen, wenn es nur die rechte Dimension für einen himmlischen Becher herausbrächte.«

In Nürnberg, fuhr er dann fort, solle Robertin nicht versäumen, den alten Philipp Camerarius zu besuchen, einen tüchtigen Arzt zu seiner Zeit, der jetzt den heiteren Abend seines tätigen Lebens feiere, den besten Sohn des Vaters des Humanismus, Joachim Camerarius. Ein Enkel dieses großen Mannes sei Ludwig Camerarius, unter den Räten des Kurfürsten Friedrich der entschlossenste und furchtloseste. Ihm seien die Pfiffe und Kniffe, Ränke und Schwänke der Höfe bekannt; ihm würde es zu verdanken sein, wenn der Vertriebene je wieder in seine Heimat zurückkehren könne.

Weiter nach dem fernen Norden vordringend, sagte Gruter, in Danzig, dem einzigen, prächtigen und glücklichen Danzig, da kenne er jedermann und jeder kenne ihn. Die ganze Stadt sei für ihn ein Tempel der Freundschaft; dort habe er, als er vor dem Niederländischen Kriege geflüchtet sei, Jahre des Friedens und wechselseitiger Liebe genossen. Er blickte lächelnd durch das rötlichgrüne Gitter der Laube auf die Beete voll Reseden und Nelken, die von hohen Stockrosen eingefaßt waren und in der Abendsonne prangten. Nach einer langen Pause drehte er sich plötzlich nach dem ehrfürchtig schweigenden Robertin um und sagte, es könne freilich sein, daß einige von seinen Freunden inzwischen gestorben wären, denn er habe seit fast dreißig Jahren keine unmittelbare Nachricht mehr aus der entlegenen Stadt gehabt. Auch erinnere er sich nicht aller Namen mehr, aber die Häuser könne er noch wohl beschreiben, wo sie gewohnt hätten, und die stolzen Straßen, durch die er so oft leichten Herzens gegangen sei.

Ob er auch nach Pommern komme? fragte Gruter. Ja, sagte Robertin, nach Pommern habe er einen besonderen Auftrag, denn da sei ein junger Küssow zu Hause, der zwei Jahre in Berneggers Hause gewohnt habe und ihm noch hundert Taler für Verpflegung schuldig sei. Derselbe habe sein adliges Ehrenwort, mit dem er überhaupt bei jeder Gelegenheit hervorgebrochen sei, verpfändet, die Schuld pünktlich zu zahlen, der gute Professor warte aber vergeblich. Nun solle er sich an den Vater des jungen Mannes wenden, in der Hoffnung, daß Bernegger auf dem Wege zum Seinigen komme.

Gruter sagte, Bernegger sei allzu unvorsichtig und vertraue zu leicht; man müsse wissen, daß der natürliche Mensch seine Schuldigkeit nur ungern tue, und vollends die Großen und Mächtigen sähen die Pflicht für eine Knechtschaft an, der sie nicht unterworfen wären. Wenn das Früchtlein dem Stamme gleiche, von dem es gefallen sei, werde Robertin wohl vergeblich anklopfen.

Die Reise ging nun weiter nach den Generalstaaten, wo die Namen der bedeutenden Männer und Freunde Gruters noch reichlicher strömten. Allen diesen, sagte Gruter, werde Robertin auch von ihm erzählen müssen, und er solle sagen: Janus Gruter lebe, von der Kriegsfurie in die Wiege schwäbischer Hügel verschlagen, wie ein Kind oder wie ein einsamer alter Gärtner zwischen Blumen und Vögeln. Während er in dieser Laube, erzählte er, das Frühstück einnehme, pflege er den Vögeln Brocken und Körner hinzuwerfen, und es kämen Amseln, Finken und eine kleine Blaumeise, die sein liebster Gast sei, ihr Futter aufzupicken, täglich einen Zollbreit näher, so daß sie jetzt schon fast an seine Füße rührten; dies sei für ihn der schönste Augenblick des Tages.

Gruter war viermal verheiratet gewesen und besaß aus zweiter Ehe eine Tochter, die bald nach seiner Ankunft in Tübingen von einem württembergischen Advokaten namens Christoph Welling zur Frau begehrt wurde. Er war vierunddreißig Jahre alt und hatte drei Frauen begraben, von denen eine mit einem Freunde Gruters verwandt gewesen war. Er galt für tüchtig, wurde gut empfohlen, und Agnes Sibylle selbst war der Heirat geneigt. Trotzdem, und obwohl ihm Welling den Eindruck eines einfachen, guten Mannes machte, zögerte Gruter, indem er bedachte, was für ein mißliches Los und ungewisses Wagnis die Ehe für die Frau sei. Andererseits war es nicht weniger beunruhigend, ein Mädchen in dieser wilden, gefährlichen Zeit allein zu lassen; auch seine Schwägerin, die Schwester seiner ersten Frau, hatte sich kürzlich wieder verheiratet, obgleich sie bisher nur die übelsten Erfahrungen gemacht hatte. So, da er sich älter und schwächer werden fühlte, gab er sein Jawort, und die Hochzeit wurde unter Anwesenheit weniger vertrauter Freunde vergnügt in Tübingen gefeiert.

So sei er denn seiner Tyrannin ledig, sagte er scherzend, und die Welt stehe ihm wieder offen wie in jungen Jahren. Er hatte den Plan, die Frankfurter Messe zu besuchen, um sich dort mit Verlegern zu besprechen; allein Camerarius, der ihn besuchte, riet ihm davon ab, da die Straßen durch die Soldaten unsicher gemacht wären. Ohne Geleit zu reisen, sei nicht ratsam, aber auch damit könne man schlecht fahren. Nichts Fröhliches konnte Camerarius berichten; das Schlimmste sei, daß der Beschützer der Pfalz selbst, Mansfeld, sich als ihr ärgster Verderber ausweise. Von solchen Leuten könne die Rettung nicht kommen. Auch Tillys Scharen, habgierige Soldaten, zerstörten und raubten; aber wenn auch ein ungenügendes und ungenügend gehandhabtes, sei doch ein Gesetz da und ein Maß des Bösen. Ein Bauer habe ihm unterwegs erzählt, Tillysche Soldaten hätten bei ihm geplündert, und während sie in der Scheune den Hafer aufgeladen hätten, wäre sein Bube gelaufen, um sie anzuzeigen, so daß sie auf der Tat hätten ertappt werden können. Auf einem Hügel bei seinem Hofe ständen ein Birnbaum und ein Nußbaum, und jener sei gerade in voller Blüte gewesen; unter jedem Baum sei ein Faß aufgerichtet worden, und die Hauptschuldigen hätten sich daraufstellen müssen, dann habe der Profos die Schlinge geknüpft, einem jeden »Jesus, Maria« ins Ohr geschrien und die Fässer unter ihren Füßen weggezogen, worauf sie noch eine Weile gezappelt hätten; eine Viertelstunde nachher wären die Soldaten schon weit gewesen, die Leichname habe er noch eine Zeitlang als Warnung hängen lassen, dann habe er sie heruntergelassen, verscharrt und ein Gebet darüber gesprochen.

Von den Mansfeldischen erzählte man sich, da sie nur selten Sold zu sehen bekämen, hätten sie Erlaubnis, zu stehlen, was sie brauchten. In Oggersheim hätten sie einen Bauern, der kein Geld gehabt oder es nicht hätte herausgeben wollen, über ein Feuer gehalten und ihn langsam wie ein Kalb daran rösten lassen. Frau und Kinder hätten schreiend und händeringend dabei gestanden, bis er endlich seinen Geist aufgegeben habe. Wie sie sich nun später bei einem Hauptmann oder Leutnant der Truppe beklagt hätten, hätte der geantwortet, im Kriege sei alles erlaubt, ausgenommen Morden und Brennen; das sei aber kein Mord gewesen; der Bauer sei nur zufällig unter der Marter gestorben.

»So werden die Unschuldigen wie das Vieh geschlachtet, weil die Fürsten sich untereinander berauben«, sagte Gruter. Der Kurfürst solle doch Frieden mit dem Kaiser machen, da er sein Land nicht beschirmen könne.

Camerarius entgegnete lebhaft, der König sei ja bereit, auf Böhmen zu verzichten, wenn der Kaiser ihm nur die Pfalz zurückgeben wollte. Aber der Kaiser habe die Unterpfalz Spanien und die Oberpfalz Bayern versprochen, und die beiden ließen nicht aus den Krallen, was sie einmal gepackt hätten. Auch habe der Papst dem Kaiser sagen lassen, wenn die Kinder des verjagten Kurfürsten katholisch werden wollten, möchten sie restituiert werden, sonst nicht; denn die Rheingegend dürfe nicht in ketzerischen Händen sein wegen der spanischen Niederlande. Ob etwa Gruter wolle, daß der Papst und Spanien die ganze Pfalz und schließlich das ganze Reich verschlängen?

Gruter schüttelte den Kopf und sagte, jetzt sei freilich alles verschüttet; jetzt sei keiner mehr außer Gott, der retten könne.

Einer sei da, sagte Camerarius, der von Gottes Geist voll sei, und meinte damit den König von Schweden, Gustav Adolf, in dessen Dienst er nach der unglücklichen Prager Schlacht getreten war.

Da sich Gruter und Lansius nach den Absichten des schwedischen Königs erkundigten, sagte Camerarius, er sehe wohl ein, daß das Papsttum, Spanien an der Spitze, gegen den Norden vorrücke und daß nur ein einmütiges Zusammenwirken der evangelischen Mächte die steigende Flut zurückwerfen könne. Das Reich müsse sich im Norden konzentrieren, um Österreich das Gleichgewicht zu halten. Die Union sei zerfallen, nachdem sie kaum jemals lebendig gewesen sei; es müsse ein starker Bund gebildet werden, in dem eine Vormacht das Regiment führe. Täte sich dieser Bund, England, Dänemark, Schweden und die Generalstaaten, zusammen und bekämen sie noch von Venedig und der Schweiz Hilfe, so müsse es ihnen gelingen. Der König wolle sich aber nur einlassen, wenn er des Bundes und des Krieges Direktor werde; nicht um sich etwas Fremdes anzueignen, sondern weil er die Kraft dazu in sich fühle und daß Gott mit ihm sein werde.

Gruter schwieg eine Weile und sagte dann, er glaube nicht, daß Fürsten das Elend bessern würden. Die Verderbnis sei allzu groß unter ihnen. Da hätten jetzt die neuen Markgrafen von Baden-Baden bekanntgegeben, daß sie allen Gläubigern ihres Landes, die sich melden würden, die Schulden zahlen wollten. Er gehöre auch dazu, habe gute, beglaubigte Papiere; aber er vernehme, daß die Schulden in schlechtem Gelde ausgezahlt würden, so daß man über die Hälfte verliere. Wie bei solcher Redlichkeit der Fürsten das Volk die Gesetze respektieren sollte!

Sie bedienten sich jedes Mittels, um zu Gelde zu kommen, sagte Camerarius; einer sei darin wie der andere. Wenn sie es wenigstens zu löblichen Zwecken verwenden wollten!

Einige Wochen später vermißte Gruter, als er, in der Laube sitzend, seinen Vöglein das Futter austeilte, die Blaumeise, und als er später das Unkraut von den Beeten ausräumte, fand er sie, auf dem Rücken liegend, als einen kleinen, stillen Leichnam. Er hob ihn auf, trug ihn in der Hand mit sich herum und horchte viele Male, ob nicht doch noch Leben im Herzen sei; endlich begrub er ihn an der Stelle, wo er ihn gefunden hatte. Als Doktor Lansius später in den Garten kam, fand er Gruter unbeschäftigt in der Laube sitzend, mit feuchten Augen ins Weite sehend. Er erzählte Lansius vom Tode seines kleinen Lieblings und fügte hinzu, das habe den Fall Heidelbergs zu bedeuten. »Heidelberg, Heidelberg!« klagte er, »niemals werde ich die geliebte Stadt wiedersehen! Der Tod meines Vögleins hat es mir angezeigt!« Vergebens suchte Lansius ihn zu trösten, indem er ihn neckend warnte, sich nicht nach Art des Pöbels vom Aberglauben schrecken zu lassen; er ließ sich die Ahnung nicht ausreden und vermochte seine gedrückte Stimmung nicht zu überwinden. Nach ein paar Tagen kam die Kunde von der Eroberung Heidelbergs durch Tilly nach Tübingen; man vernahm, daß die Stadt geplündert, daß viel Blut vergossen sei, daß Zerstörung, Jammer und Verzweiflung herrsche. Allmählich wurden die Nachrichten deutlicher und gewisser: Gruters Haus, das er verschlossen unter dem Schutze eines Dieners zurückgelassen hatte, war gewaltsam geöffnet, seine Bücher waren auf die Straße geworfen, beschmutzt und zertreten worden. Die berühmte Bibliothek war auf Wagen geladen und weggeführt, wie man später hörte, um von Maximilian dem Papste als ein Zeichen seiner Dankbarkeit geschenkt zu werden.

*

Auch die kaiserlichen Räte waren mit der Übertragung der pfälzischen Kur auf den Herzog von Bayern nicht einverstanden, selbst diejenigen, die einsahen, daß der Kaiser nicht mehr davon könne, hätten gern temporisiert, bis eine gelegenere Zeit käme. Allein der Herzog drängte dermaßen, daß nachgegeben werden mußte, und der Kaiser meinte, worauf man auch warten wolle? Er habe keine Feinde mehr, Böhmen sei unterworfen, das Reich beruhigt, und die Scheelsüchtigen, die immer vorhanden wären, müsse der Herzog auf sich nehmen. Man wisse ja, was es mit den Kriegsdrohungen der Fürsten auf sich habe, zwischen Bellen und Beißen sei der Weg lang. Mit der Empfindlichkeit des Kurfürsten von Sachsen war es immerhin eine heikele Sache und vollends mit dem König von Spanien, der sich hatte verlauten lassen, lieber wolle er mit den Staaten Frieden machen als dem Herzog von Bayern den Kurhut lassen; denn je mächtiger Bayern würde, desto gewisser würde es mit Frankreich gemeinsame Sache gegen das Haus Österreich machen. Um die Erzürnten zu beschwichtigen und die Sache irgendwie zur Effektuierung zu bringen, eröffnete der Kaiser im November des Jahres 1622 einen Reichstag in Regensburg, auf welchem von den protestantischen Fürsten nur Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt persönlich erschien, während die anderen grollend daheim blieben und sich nur durch Gesandte vertreten ließen. Den heftigsten Einspruch gegen die Übertragung der Kur erhob Wolfgang Wilhelm von Neuburg, indem, wenn Friedrich V. sie verwirkt habe, er der nächstberechtigte Erbe sei und den gesetzlichen Anspruch darauf habe. Dieser Protest fand gar keine Berücksichtigung, weil die Kur ja nicht durch Aussterben einer Linie erledigt, sondern durch Felonie verwirkt sei, und es wurde überdem bedauert, daß Neuburg seinem Schwiegervater und Begründer seines Glücks, der ihn zum wahren Glauben zurückgeführt habe, nun so zuwider sei, ja es wurden Zweifel ausgesprochen, ob die Bekehrung vollkommen und aufrichtig in diesem Fürsten durchgegriffen habe. In Wahrheit wankte Wolfgang Wilhelm durchaus nicht im Glauben, wie er denn in allen seinen Ländern ohne Gnade reformiert hatte; aber er hatte längst angefangen, die bayrische Vormundschaft unwillig zu ertragen, weswegen er auch seine Frau mied und, soviel es anging, auf Reisen war. In ihrer Gesellschaft war er schweigsam, oder er nörgelte über irgend etwas, bei Tische über die Speisen, weil sie zuviel oder zuwenig gesalzen wären, oder über die Erziehung seines Sohnes Philipp Ludwig oder über zu große und übel angewandte Ausgaben im Haushalt. Waren aber Gäste bei ihm oder war er gar zu Besuch an fremden Höfen, wo er hochangesehen war, so lief das Werk glatt wie frisch mit Öl geschmiert: dann wiegte er sich in fürstlich lächelnder Überlegenheit, gebärdete sich splendid, ließ sich Entwürfe zu neuen Jesuitenkirchen vorlegen und bestellte Bilder bei berühmten Malern, die ihn später, wenn sie zu Hause eintrafen und bezahlt sein wollten, verdrießlich machten und zu neuen Nörgeleien Anlaß gaben.

Im Februar fand die feierliche Investitur des Herzogs von Bayern mit der Kur statt, wobei derselbe sich ernst und prächtig zeigte und verstohlen beobachtete, wie sich die anwesenden Fürsten verhielten und daß der spanische Gesandte, um seinen Disgust und Protest öffentlich bemerkbar zu machen, ausgeblieben war. Bei dem feierlichen Mahle, das auf den Akt folgte, hatte Maximilian, als nunmehriger Truchseß des Reiches, dem Kaiser die Schüssel zu präsentieren und stand steif und ein wenig bedrohlich hinter Ferdinands Stuhle. »Vetter, laß das Serviertüchel nicht fallen!« flüsterte dieser ihm, heimlich lachend, zu; aber Maximilian kniff die Lippen zusammen und tat, als ob er den Scherz überhört hätte.

Vom Erblande des vertriebenen Kurfürsten erhielt Maximilian die Oberpfalz, wogegen er sein Pfand Oberösterreich dem Kaiser zurückzugeben versprach. Auf die Unterpfalz rechnete Spanien gleichsam als Ersatz für die verlorenen niederländischen Staaten, und mit einzelnen Teilen wurden verschiedene Fürsten belohnt, die sich um die kaiserliche Sache verdient gemacht hatten; so erhielt der Erzbischof von Mainz die Bergstraße, auf welche er alte Rechte zu haben behauptete. Die Gebiete benachbarter pfälzischer Grafen erhielt Landgraf Ludwig von Darmstadt, über den sich auch sonst die Fülle kaiserlicher Gnade ergoß. In dem Erbschaftsstreit mit seinem Vetter Moritz wurde nämlich zu seinen Gunsten entschieden, und zwar so, daß er nicht nur den strittigen Teil ganz, sondern auch die Einnahmen erhalten sollte, welche während der Jahre, da Moritz ihn innegehabt hatte, daraus geflossen waren und die auf siebzehn Millionen Gulden berechnet wurden.

Man sehe nun, sagte Landgraf Ludwig im Kreise der befreundeten Fürsten, wie Gehorsam und Geduld bei Gott wohl angesehen sei und zuletzt belohnt werde. Er freue sich, daß er während seiner Gefangenschaft aus dem bitteren Leidenskelche getrunken habe, ohne zu murren, und nie anders gebetet habe als mit dem König David: ›Harre auf den Herrn und halte seinen Weg, so wird er dich erhöhen, daß du das Land erbest.‹ Er triumphiere jetzt auch nicht über die gestürzten Feinde, habe auch mit seinem Vetter Moritz ein christliches Erbarmen, der nun an Land und Leuten verkürzt und dazu in eine unabsehbare Schuldenlast gestürzt sei; aber er habe ihm oft gutmütig vorgestellt, er solle dem widerrechtlich angemaßten Besitz entsagen, Moritz sei halsstarrig gewesen und habe nicht hören wollen, er sei selbst schuld.

Der alte Schweikhard, der etwas eingefallen war und zuweilen während der Verhandlungen einschlief, nickte und sagte, er würde die Bergstraße, obwohl sie von Rechts wegen sein sei, gern fahren lassen, wenn er damit allen Hader, Krieg und Untreue, die im Reiche vorgefallen seien, ungeschehen machen könnte. Die gute alte Zeit sei vorüber, die neue gefalle ihm nicht mehr; er könne nicht begreifen, warum sich Katholiken und Protestanten nicht miteinander vertragen sollten, wenn sie nur alle deutsch, treu und redlich von Herzen wären.

Ja, sagte der Landgraf Ludwig, so habe er auch gedacht; er wolle im Glauben seiner Väter verharren, aber er verehre die katholische Kirche, welche die Mutterkirche sei, und würde sie schon deshalb verehren, weil sein Kaiser ihr angehöre. Etwas anderes sei es mit den Kalvinern, diesen gehe Treue und Glauben ab, was sich auch darin zeige, daß sie alle die frommen altdeutschen Sitten verachteten und sich der französischen sogenannten Höflichkeit befleißigten, die leider Gleisnerei und Gottlosigkeit bedeute. Die Kalviner erkennten keine Obrigkeit an, weder die himmlische noch die irdische, rühmten und trotzten mit Gelehrsamkeit und eigenem Wissen, das, als menschlich, doch allemal Blendwerk sei. Deswegen sei auch die Ritterschaft von Hessen-Kassel uneins mit seinem Vetter, dem Landgrafen Moritz, halte fest am Kaiser und wolle sich nicht auf die Irrwege ihres Fürsten führen lassen.

Diese beiden Fürsten wurden vom Kaiser dafür gewonnen, den Kurfürsten von Sachsen mit der bayrischen Kur zu versöhnen, und es wurde zu diesem Zweck eine Zusammenkunft in Schleusingen vereinbart, an welcher auch der Kurfürst von Köln, Maximilians Bruder Ferdinand, teilnahm. Anfänglich ließ Johann Georg seiner Empfindlichkeit und Entrüstung freien Lauf: Wohin das führen solle, sagte er, wenn der Kaiser die Kurfürsten des Reiches ohne vorgeschriebene Formalität absetzen und wie Kohlköpfe ausraufen könne? Es müsse doch ein Unterschied zwischen Kur- und anderen Fürsten sein! Ja, das wäre das Fundament des Reiches, ein Unterschied zwischen Kur- und anderen Fürsten müsse sein. Ohnehin wolle jetzt jedes Gräflein ein Fürst sein, und jeder Fürst schiele nach dem Kurhute, dem müsse gesteuert werden. Auf dem Regensburger Tage habe der Kaiser den Eggenberg, der sonst ein guter Mann sei, zum Reichsfürsten gemacht, und so einer wolle dann bei den Reichstagen auf der Fürstenbank sitzen. Das beliebe den guten uralten Fürstenhäusern billigerweise nicht, und ebensowenig möge er neumodische Kurfürstenmützen neben sich leiden.

Auch habe es ihn sehr verwundert und gekränkt, wie der Kaiser in Böhmen mit seinen lutherischen Glaubensgenossen verfahre, nicht anders, als ob sie Kalviner wären. Da würden ja diejenigen recht behalten, die vorher geschrien hätten, der Kaiser mache keinen Unterschied zwischen den Ketzern und bediene sich nur zuerst der Lutherischen gegen die Kalviner, weil sie das Schwert führten und er denen ihre Bibel hernach leicht aus der Hand winden könne.

Das mit dem Eggenberg wollten Mainz und Darmstadt auch nicht approbieren; dagegen erinnerten sie den Kurfürsten daran, daß die Größe seines Hauses die Frucht der Anhänglichkeit seiner Vorfahren an den Kaiser sei, indem Kaiser Karl V. dem Ernestiner Johann Friedrich wegen seiner Rebellion die Kur genommen und auf seinen Vorfahren Moritz übertragen habe; so solle er doch an dem altgeheiligten Grundsatz festhalten und nicht von der heroischen Bahn abweichen, auf welcher er erst kürzlich wieder die Lausitz davongetragen habe. Über die rechtliche Frage der pfälzischen Kur könne ja auf künftigen Reichstagen entschieden werden, da sie dem Herzog Maximilian nur auf seine Lebensdauer übertragen sei.

Diesen Gründen zeigte sich Johann Georg zugänglich, um so mehr, als der Kaiser ihm kürzlich den Titel Durchlaucht zu führen erlaubt hatte, und die Tage konnten nach bald erledigtem Geschäft gänzlich der Jagd gewidmet werden, die in Schleusingen vortrefflich war und durch heiteres Wetter begünstigt wurde. Nur der Erzbischof von Köln nahm nicht so lebhaft an der Fröhlichkeit teil, sondern litt an Melancholie, hatte auch vor einiger Zeit ein Gelübde getan, das Jagen, als einem geistlichen Fürsten nicht geziemend, aufzugeben, und pflegte erst bei der Tafel nach häufigem Zutrinken gesellig zu werden. Einmal, als die Herren ihn zur Jagd überredet hatten, stießen sie, erhitzt und durstig, auf ein altes Weib, das am Wege saß und Pflaumen verkaufte. Erzbischof Ferdinand, dem das reife Obst verlockend ins Auge stach, ließ durch einen seiner Leibknappen davon einkaufen, worauf er sie sogleich verzehrte. Als sie wieder zu Hause waren, klagte er über heftiges Bauchgrimmen und daß er von der Obsthändlerin verhext sei; es sei ihm gleich aufgefallen, wie sie ihn so seltsam überzwerch angesehen und etwas gemurmelt habe, auch hätten ihm die Pflaumen beim Essen widerstanden, obwohl er es andererseits nicht hätte unterlassen können. Die anderen Fürsten trösteten ihn, es seien wohl etwas viel Pflaumen gewesen, auch habe er nun Bier darauf getrunken, was nicht allemal bekömmlich sei, es könne die Krankheit auch natürlichen Ursprung haben und nach fleißigem Purgieren oder auch sonst wieder vergehen.

Natürliche Schmerzen seien es gewiß nicht, klagte der Erzbischof, vielmehr wühle und reiße es in seinem Leibe, als ob Schlangen und Würmer darin wären, die sich umeinander drehten und mit seinem Eingeweide verwickelten. Er habe sich auch gleich gedacht, daß ihm etwas zustoßen würde, weil er morgens beim Ankleiden das Amulett vergessen habe, das er immer an sich trage und das gut gegen Behexung sei und gewisse arabische Zeichen an sich habe. Wenn die Hexe gefangen und verbrannt werden könnte, würde es vielleicht besser mit ihm werden.

Der Kurfürst von Sachsen sagte, er habe gewiß einen großen Abscheu gegen die Hexen und strafe sie nach Recht und Gesetz, wo er sie antreffe; aber hierherum gebe es keine mehr, dessen könne er gewiß sein, und so dreinfahren könne man auch nicht, man müsse wenigstens erst zusehen, ob sonst etwas gegen die Alte vorliege.

Lange fragen müsse man da nicht, sagte Ferdinand, dem es mittlerweile ein wenig besser geworden war. Freiwillig bekennten sich die Zauberer und Hexen ihrer scheußlichen Frevel nicht schuldig, es müsse durch die Folter ermittelt werden, er habe darin Erfahrung. Das Kölnische sei so voll Hexen, daß er die Scheiterhaufen gar nicht ausgehen lassen könne, so arbeite er seit bald zehn Jahren unermüdlich, und doch sei das Land noch nicht gesäubert.

So schlimm sei es im Mainzischen nicht, sagte Schweikhard; ob das Übel im Kölnischen vielleicht eine Strafe Gottes sei, weil der hochselige Kurfürst Ernst, Ferdinands Oheim, in seiner Jugend der Schwarzen Kunst ergeben gewesen sei, wie man wenigstens gemunkelt habe?

Ja, seufzte Ferdinand, und die Jagd habe er allzusehr geliebt, wie er ja selbst leider Gottes sich auch wieder von seinem Gelübde hätte abbringen lassen. Aber er, Mainz, könne doch füglich nicht bestreiten, daß er dem Laster auch anhange, und er fürchte, die Herren seien in der Sache mit den Hexen zu sorglos, weil sie ihre Gefährlichkeit unterschätzten. So habe in Köln kürzlich eine Hexe unter der Folter bekannt, daß die Hexen und Zauberer sich auch in der Kirche mitten unter der frommen Gemeinde aufhalten könnten, wenn sie nur gewisse Vorsichtsmaßregeln beobachteten, und daß Hexen den Platz, wo solche gesessen hätten, an einem gewissen schwefelichten Geruch herauskennen könnten, der aber nur ihnen spürbar sei. Daraufhin hätten die Richter sie in die Domkirche geführt, damit sie alle Plätze, die diesen Geruch von sich gäben, bezeichne und man so den Unholden auf die Spur komme und einen großen Fang mache; da habe sie denn seinen eigenen Platz angemeldet und habe sich, davorstehend, die Nase zugehalten, als ob sie einen unerträglichen Geruch verspüre, auch gerufen: »Weiter, weiter! denn hier ist es vor Gestank nicht auszuhalten!« Sie sei dann geschwind und in aller Heimlichkeit justifiziert worden, man sehe aber daraus die Bosheit und Gefährlichkeit dieser Geschöpfe und wie notwendig es sei, mit äußerster Schärfe gegen sie vorzugehen. Freilich, meinte er traurig, habe es auch die Hexenbrut auf ihn besonders abgesehen, weil er sie verfolge und sie auszurotten beschlossen habe, und es sei wohl möglich, daß sie ihm doch noch einmal etwas anwischten, wie er jetzt wieder erfahren habe; aber deswegen wolle er doch den Kampf nicht aufgeben.

Am letzten Tage saßen Kurfürst Schweikhard und der Landgraf zusammen auf dem Anstand unter einer Föhre und einer Birke, die dicht aneinander gewachsen waren, um ein paar Hirsche zu erwarten, die vorüberkommen sollten, als es dem Kurfürsten plötzlich schwindelte, so daß er sich einige Minuten an des Landgrafen Schulter lehnen mußte, bis er wieder zu sich kam. Er sah betrübt in die bläuliche Luft, in der goldene Blätter wie Schmetterlinge auf und nieder schwebten, über das rosenrote Heidekraut hin zu dem stillflammenden Waldsaume und sagte: »Ach, wie wohl ist es uns Menschen unter Gottes Himmelslicht! Ich habe es nun einundsiebzig Jahre dankbar geschaut, und es mag wohl bald die Abendstunde näher kommen, wo ich in das dunkle Bett hinuntersteigen muß.« Nicht doch, sagte der Landgraf, dieser Anfall sei nur eine Folge des vielen Zechens, das sie hier gepflogen hätten und das Schweikhard in seinem Alter nicht mehr so gut vertragen könne. Ja, sagte Schweikhard getröstet, das leidige übermäßige Saufen sei die Ursache, und es sei gut, daß es ein Ende habe. Sonst sei er, Gott sei Dank, noch rüstig und habe auch ein gutes Gewissen, soweit ein armer Sünder vor Gott es haben könne. Das sei wohl gesprochen, sagte der Landgraf, dessen volles Gesicht von behaglichem Lebensfeuer blinkte, sie wollten, wenn ihr Stündlein gekommen sei, als fromme Christen im Grabe einen ruhigen Schlaf halten, bis Gott sie zur fröhlichen Auferstehung herausblasen lasse.

*

Auf den Vorschlag der Herzogin Elisabeth, seiner Mutter, nahm Friedrich Ulrich von Wolfenbüttel seinen Bruder Christian selbst in Bestallung, in der Meinung, ihn dadurch unschädlich zu machen. Christian ließ sich diese Stellung um des ansehnlichen Gehalts willen, und um seinem Heer gute Quartiere zu verschaffen, gefallen, nicht aber, um seine Kriegspläne aufzugeben, vielmehr nahm er noch den Herzog Wilhelm von Weimar und den Herzog Friedrich von Altenburg in Dienst, welche beide Regimenter geworben hatten, aber keinen Unterhalt für sie aufbringen konnten. Friedrich Ulrichs Schrecken war groß, als der Kaiser sich wegen der verfänglichen Rüstung beklagte und zur Entwaffnung aufforderte; denn bei der Nähe des ligistischen Heeres unter Tilly schien Gehorchen ebenso bedenklich wie Widersetzlichkeit, abgesehen davon, daß kein Mittel an der Hand war, Christian loszuwerden.

An einem der letzten Märztage des Jahres 1623 speiste Christian mit seinem Hofmarschall Dodo von Knyphausen bei der Herzogin-Mutter in Wolfenbüttel zu Abend. Sie sollte ihn gar nicht empfangen, sagte die Herzogin zu Knyphausen; denn sie wisse wohl, daß er an den Extravaganzen ihres Sohnes schuld sei; sie tue es aber ihrem Sohn zuliebe. Nein, soviel maße er sich nicht an, sagte Knyphausen, Christian sei ein viel zu heroischer Prinz, als daß er sich von einem einfachen Ritter gängeln lasse; aber den Zorn der Herzogin, wenn sie etwa zürne, auf sich zu nehmen, rechne er sich zur Ehre an. Er glaube aber bestimmt, es sei nur wegen der Staatsräson, daß sie ihren Sohn abmahne, ihr Gemüt müsse sein rühmliches Vorhaben billigen.

Sie, die eigene Mutter, wisse ja nicht, was er vorhabe, sagte Elisabeth. Er treibe es jetzt so hoch, daß das Gerede umgehe, er wolle nach Böhmen und sich da mit Bethlen Gabor und gar mit dem Türken verbünden. Es solle der ältere Graf Thurn, der mit Christian herumziehe, selbst in Konstantinopel beim Türken gewesen sein, um etwas abzuschließen. Ob eine christliche Mutter so etwas billigen könne?

Ach, sagte Knyphausen, der Türke sei doch nicht einmal ein Jude, mit dem man ja Handel und Wandel treibe. Der Kaiser habe ihm sogar seine eigene Tochter zum Weibe angeboten, jener sie aber ausgeschlagen.

Da unten, sagte Elisabeth, geschehe wohl vieles, wovor einem grause; in Wien und Prag möchten sie bereits halbe Türken sein. Sie habe auch die vielen Fahrten ihres Herrn, des verstorbenen Herzogs Heinrich Julius, nach Prag nicht gern gesehen, und sie wären ihm auch nicht zum Guten ausgeschlagen.

Das wären andere Fahrten gewesen, sagte Christian lachend; seine würden dem Kaiser Ferdinand nicht so lieb sein wie die seines Vaters dem Kaiser Rudolf.

Nein, sagte Knyphausen, der Kaiser habe sich schon umgehört, wie weit es von Halberstadt nach Prag sei.

Sie möchte wohl noch allein mit ihrem Sohne reden, sagte Elisabeth; denn im Beisein Knyphausens wären es nur vergebliche Worte. Wenn sie, als ihres Sohnes Schutzengel, ihm ins rechte Ohr flüstere, zische er als ihr Gegenpart sogleich in das linke, und sei ja immer das Böse stärker als das Gute.

Wenn er eine solche Schlange wäre, sagte Knyphausen, würde die Herzogin ihm nicht so feind sein, weil seit alters zwischen der Schlange und dem Frauenzimmer eine sonderbare Vertraulichkeit bestände.

Elisabeth klopfte ihm scheltend auf den Arm; sie sei zwar eine Tochter Evas, sagte sie, aber Gott sei Dank auch durch Christi Blut erkauft und habe nichts mehr mit dem listigen Satan zu schaffen.

Zu später Stunde stand Elisabeth auf und befahl Christian, sie in ihr Schlafgemach zu begleiten und dort von ihr Abschied zu nehmen; Knyphausen solle inzwischen sein Gemach aufsuchen.

Ja, sagte Knyphausen, bis an das Bett der Herzogin dürfe er seinem Herrn freilich nicht folgen, und empfahl sich.

Elisabeth zog ihren Sohn zu sich auf den Rand ihres Bettes, faßte seine Hand und bat ihn, sie anzuhören. Er wisse, begann sie, daß sie auf Erden nichts liebe als ihn. Gott möge es ihr verzeihen, er gehe ihr über die Seligkeit. Ob er die Schwarzpappeln vor dem Fenster rauschen höre? Als kleines Kind habe er gern mit glänzenden Augen darauf gehorcht, plötzlich aber habe er sich gefürchtet, beide Ärmlein um sie geschlungen und das frische Gesichtlein an ihren Hals gedrückt. Das könne sie niemals vergessen; sie lebe nur, um ihn zu schützen und ihm in der Not eine Zuflucht zu sein. Wenn sie ihn von seinem Wege abhalten wolle, so tue sie es nur aus Angst, daß er sich selbst verliere. Gott habe ihm eine schöne Zukunft vorgesteckt; sein Bruder, Friedrich Ulrich, sei kinderlos und werde es bleiben, er sei sein Erbe und Nachfolger, werde wohl auch noch vor Friedrich Ulrichs Ableben an die Regierung kommen. Dann habe er ein schönes, reiches, uraltes Fürstentum; warum er denn fort und nach Unruhe strebe? Sie sei vielleicht zu alt, um ihn zu halten, seine Jugend begehre nach einem Weibe, sie wolle auch nichts dawider haben, habe es schon bedacht und wisse ihm ein vortreffliches, auch hübsches fürstliches Fräulein vorzuschlagen.

Christian riß sich von seiner Mutter los und schlug die Hände vors Gesicht. Davon, nur davon solle sie schweigen. Alle Weiber machten ihm Abscheu bis auf eine, eine einzige, die er ewig anbeten und nie erlangen würde.

Um Gottes willen, rief Elisabeth, es könne doch nicht an dem sein, daß er wirklich die Böhmenkönigin, ihre Nichte, meine? Ach, warum Gott sie so strafe, daß sie lauter Buhlerei und böse Lust in ihrem Hause erleben müsse!

Christian unterbrach sie und gebot ihr, indem er seine brennenden Augen auf sie richtete, zu schweigen, wenn sie nicht wolle, daß er sie augenblicklich für immer verlasse. Er habe ohnehin die Hölle in der Brust, ihr Jammer schütte Öl in die Flammen. Was es sie denn auch anfechte? Das Herzogtum möge dem anderen Zweig anfallen, ihm sei es gleich und könne es auch ihr sein. Er habe nichts Unrechtes zu tun im Sinn, sondern Großes. Vom Himmelreich der Pfaffen wisse er nichts, aber für Recht und Wahrheit auf Erden wolle er kämpfen, im Reich des wahren Gottes, da wolle er sich einen Fürstensitz erwerben.

Ach, das klinge herrlich, sagte Elisabeth, aber es könne auch Musik des Teufels sein. Ihr verstorbener Herr, Christians Vater, habe immer gesagt, und auch ihr Bruder, König Christian, sage es, der Kaiser sei die Grundlage des Reichs, die dürfe man nicht antasten, denn wenn das uralte heilige Reich einstürze, so werde es uns alle unter seinen Trümmern begraben.

Verfluchtes Affengeschwätz! rief Christian, indem er aufsprang, um heftig im Zimmer auf und ab zu laufen. Warum denn das alte Reich heilig sei? Es sei voll von Lüge, Falschheit und Dummheit! Und wenn es sie auch alle begrübe, sie müßten doch alle davon, es könne einmal nichts immer dauern, und das sei auch besser. Vielleicht wüchse einmal etwas Schöneres aus dem Moder. Wenn er nur vor ihr, seiner liebsten Mutter, nicht den jahrtausendalten Brei aus Adams Küche vernehmen müßte! Sie sollte ein edles, freies Gemüt haben, sich nicht von Kleinmut und Alltäglichkeit ersticken lassen. Es handle sich darum, ob Glaube und Freiheit sollten ausgerottet werden oder bleiben. Ob sie zu denen gehören wolle, die den Himmel einstürzen ließen, wenn nur ihr eigenes Dach keinen Riß bekäme?

Wenn es nur auch gewiß sei, daß es um die Religion gehe, sagte Elisabeth. Wüßte sie das, so wollte sie gewiß alles, was sie habe, ihr letztes Kleinod und Witwengut ihm aufopfern, damit er seinen ritterlichen Kampf bestehe. Sie wisse ja, daß er nicht toll und nicht gottlos sei, sie kenne sein Herz, das aus ihrem geboren sei: es könne vielleicht Dornen und Unkraut neben dem Lorbeer tragen, aber nicht wüst werden, wie der Acker des Judas. Ja, sie schwöre es ihm, wieviel Herren ihm auch nachliefen und ihm schmeichelten, keiner vertraue ihm so wie sie, seine Mutter. Es werde sie keine Träne und kein Zittern kosten, für ihn zu sterben, wieviel mehr werde sie Hab und Gut und Reputation an ihn wagen. Nur solle er jetzt nicht allein mit ein paar abenteuernden, länderlosen jungen Fürsten, die nichts zu verlieren hätten, den vergeblichen Kampf führen wollen. Er solle jetzt Versöhnung mit dem Kaiser suchen, es sei ja keine Gefahr im Verzuge, der Kaiser könne nicht ganz Deutschland von einem Tage zum andern zur Messe zwingen. Als regierender Herzog finde er eher Mittel zu einer ordentlichen Aktion. Die Konstellation könne sich ändern, England und Dänemark schwankten jetzt, wolle es Gott, könnten sie noch heroische Entschlüsse fassen. Dann könne er als Feldherr eines mächtigen Heeres Siege erfechten und Ehre davon haben.

Nach der vorangegangenen Erregung war eine plötzliche Ermüdung über Christian gekommen; er legte den Kopf an die Schulter seiner Mutter und brach in Tränen aus. Im rötlichen Schein der Wachslichter, die in einer Ecke des Zimmers brannten, betrachtete sie liebevoll sein fahles, mageres Gesicht und streichelte sein blondes Haar. Er solle ihr versprechen, sagte sie dabei, den vom Kaiser angebotenen Pardon anzunehmen und sich für bessere Zeiten aufzusparen. Nur sie könne ihm raten, Knyphausen sei ihm wohl treu, aber gehe es zum Abgrund mit ihm, Christian, so werde er einen anderen Dienst suchen, kaum eine Träne um ihn weinen. Von den Weimaranern wolle sie gar nicht reden, die wollten nur ihrem Oheim, Johann Georg von Sachsen, einen Tort antun, was ihm wohl auch zu gönnen sei, da er sich der evangelischen Christenheit so wenig annähme; aber sie hätten ja die Mittel nicht dazu und täten besser, sich zu fügen, wer vergeblich wider den Stachel löcke, werde nur ausgelacht.

Schweigsam und müde kam Christian nach Gröningen zurück und eröffnete seinen Offizieren, daß er den Pardon des Kaisers anzunehmen gedenke. Johann Ernst von Weimar richtete sich stramm auf und sah Christian mehr erstaunt als zürnend an. Das könne und wolle er von ihm nicht glauben, sagte er. Zwischen einem rechtlichen evangelischen Fürsten und dem Kaiser könne kein Friede bestehen. Dazwischen sei eine Kluft, die Gott gegraben habe, die sollten Menschen nicht überbrücken wollen. Vielleicht schließe sie sich einmal von selbst durch ein Opfer, das müsse dann aber ein schweres Blutopfer sein.

Auf Christians Wort habe er sich verlassen, sagte Wilhelm; wie er sie jetzt, ohne sie zu befragen, preisgeben könne?

So verhalte es sich nicht, fuhr Christian auf; Wilhelm sei froh gewesen, seinen Dienst anzunehmen. Verpflichtet habe er sich zu nichts, niemand könne ihm etwas vorschreiben.

Das sei einmal wieder eine Überraschung, sagte der junge Friedrich von Altenburg mit großen Augen. Auf einmal solle man auseinanderlaufen, bevor noch eine einzige Aktion stattgefunden habe? Er laufe sich die Beine ab, um ein Gefecht mitzumachen, und der Krieg laufe vor ihm fort, er komme sich vor wie eine Friedenstaube.

Bernhard von Weimar, dem der Altenburger Vetter unleidlich war, zog die Augenbrauen finster zusammen und sagte halblaut zu seinem Bruder, wenn er die Faselei länger anhörte, würde er ihm an die Kehle springen, und verließ das Zimmer.

Er besorge, dahinter stecke sein Oheim, sagte Johann Ernst. Christian solle doch der listigen Spinne nicht ins Netz gehen, die ihn überfallen und aussaugen werde wie eine Fliege.

Er habe mit dem Kurfürsten von Sachsen nichts zu schaffen, erwiderte Christian, auch mit dem Kaiser nicht; er wolle nur seine Haut nicht umsonst zu Markte tragen. Knyphausen zwinkerte den Weimaranern mit den Augen zu; man solle den Brei nur erst einmal abdampfen lassen, meinte er. Es sei doch auch zu bedenken, was das Heer im ganzen zu dem Handel sagen würde. Ob das so gutwillig auseinanderginge? Und ob es nicht schade um die schönen, wohlausgestatteten Regimenter sei? Da könne Christian doch lieber wieder in den Dienst der Generalstaaten treten, die würden froh um ihn sein. Vorher könne er ja noch zuwarten, ob Tilly einfalle, und dann den Kreis wider seinen Willen erretten; wenn es gelinge, werde man ihm danken, wenn nicht, so könne er sich immer auf die Staaten zurückziehn.

Er habe, sagte Johann Ernst, obwohl Christian jünger als er sei, ihn wie einen Helden des edlen Altertums geliebt und verehrt, und wenn er ihn abweichen und paktieren sehen müsse, so werde er seinen Fall mehr betrauern, als er den Tod seiner Mutter betrauert habe. Was ihn betreffe, so werde er irgendeinen anderen Dienst gegen den Kaiser annehmen, nie sich unterwerfen. Auf den Sieg könne er verzichten, auf die Ehre nicht.

Das sei wohl gesprochen, sagte Wilhelm; einen ehrlichen Frieden weise er nicht von der Hand; aber Pardon könne er von seinem Feinde nicht annehmen.

Was? Pardon? rief der Altenburger. Der Kaiser offeriere ihm Pardon? Und er habe doch dem Kaiser sowohl wie der Infantin Isabella seine Dienste angeboten, die sie aber nicht gewollt und nicht bezahlt hätten. Ob er etwa seiner Lebtage auf dem Lotterbett liegen sollte? Irgendwo müsse doch ein junger Kavalier sich im Kriegswesen üben, wenn er eine heroische Laufbahn vorhätte.

Christian sagte, wenn sie treu zu ihm ständen und alles mit ihm wagen wollten, so sei es gut. Im Kreise bleiben könnten sie nicht, die Stände wären feige, wollten es mit niemandem verderben. Etwa könnten sie sich nach Böhmen und Ungarn durchschlagen, wenn nur dem Bethlen Gabor zu trauen wäre. Das beste wäre, wenn sich Sachsen, Brandenburg und Hessen-Kassel doch noch zu einem Entschluß bringen ließen, er wolle sie noch einmal durch Gesandte mahnen, habe aber wenig Hoffnung.

Ende Juli lagerte Christian beim Kloster Stein in der Nähe von Göttingen, als Tilly aus dem Hessischen vorrückte und es zu einem kleinen Scharmützel zwischen Knyphausen und dem Herzog Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg kam, in welchem der letztere nebst seinen Gepäckwagen, die viel Geld und wichtige Briefschaften enthielten, gefangen wurde. Unter den Briefen befanden sich zärtliche Schreiben der Herzogin von Wolfenbüttel, durch welche ihr Verhältnis zu dem Lauenburger ans Licht kam und in denen, was Christian besonders entrüstete, seine Mutter mit groben Schimpfnamen belegt wurde. Dieser heuchlerische Bube, sagte er, nachdem er seinen Freunden die Briefe vorgelesen hatte, mit Bezug auf Franz Albrecht, habe am Tische seines Bruders vielleicht mit Mordgedanken gegen denselben gesessen!

Gott bewahre uns! sagte Knyphausen, der nicht aufhören konnte zu lachen, es habe gewiß keiner so ernstlich für des Herzogs Leben und Gesundheit gebetet wie der Lauenburger; sonst hätte er ja das tolle Weib auf dem Halse und sei ohnehin verheiratet.

Die Weimaraner äußerten unverhohlen ihre Abneigung gegen Franz Albrecht. Herzog Bernhard sagte, er habe keine Ehre, könne Wahrheit und Lüge nicht unterscheiden, sei weder im Glauben noch in der Politik fest. Er habe ihm einmal einen Zweikampf ausgeschlagen, und man wolle wissen, daß er einmal vom König von Schweden wegen irgendeiner Ungebühr eine Ohrfeige angenommen habe, das lasse er aber dahingestellt sein. Vollends widerlich sei ihm seine Buhlerei und Weichlichkeit mit warmen Bädern, Pomade und Wohlgerüchen und daß er immer weiche Betten mit sich führe.

Sonst sei er aber nicht übel, sagte Knyphausen, und könne dem Frauenzimmer schon gefallen.

Ja, er wisse sich überall zu insinuieren, sagte Wilhelm; sein Oheim, der fromme Fürst Ludwig von Anhalt, habe ihn kürzlich als den Weißen mit der Narzisse in seine Sprachgesellschaft aufgenommen, halte ihn gewiß für ein Modell der Unschuld. Man sollte ihm die Briefe schicken, vielleicht nähme er sie für Stücke zu einem Roman auf französische Art, dessen sich der Herzog zum Nutzen der Gesellschaft befleißige.

Nein, dessen Romane seien nicht mit der Feder geschrieben, lachte Knyphausen, und auch nicht in reinlichem Deutsch.

Einige Tage später kam eine Gesandtschaft der niedersächsischen Stände nach Kloster Stein und forderte Christian auf, nunmehr den Pardon des Kaisers, wie er ja bereits versprochen habe, anzunehmen, welcher sich auch nach des Kaisers gnädiger Resolution auf seine Anhänger, Fürsten, Grafen und Herren, erstrecken solle. Andernfalls möchte Christian den Kreis verlassen und andere Quartiere suchen; Tilly rücke drohend näher, werde ganz Niedersachsen mit seinen Kroaten, Kosaken und Wallonen überschwemmen, Christian werde solches Unheil nicht auf sein geliebtes Vaterland ziehen wollen.

Christian erklärte den Abgeordneten, daß er willens sei, den Kreis zu verlassen, und hielt ihnen, indem er sie verabschiedete, eine nachdrückliche Ansprache. Sie hätten gehandelt, sagte er, wie eine arme, hirnlose Schafherde, die den Hirten beiseite schöbe, um den Wolf durch Unterwürfigkeit zu rühren, oder wie leichtgläubige Bürger und Bauern, die einem Tyrannen die Schwerter auslieferten, damit er sie verschone. Wer sich freiwillig entwaffne, mache sich zum Knecht und verdiene kein Mitleid. Den Jammer, der nun über sie käme, hätten sie sich selbst zuzuschreiben; er wolle vor der Mit- und Nachwelt entschuldigt sein.

Von seinem Wunsch, sich mit Tilly zu schlagen, brachte Knyphausen den Herzog mit dem Hinweis auf die Übermacht des ligistischen Heeres und auf die feindselige Haltung des Kreises, der ihm im Fall einer Niederlage keinen Rückhalt gewähren würde, ab. Es wurde also der Rückzug nach Holland beschlossen; zuvor jedoch verzichtete Christian förmlich auf sein Bistum Halberstadt und übertrug es seinem längst danach begierigen Oheim, Christian IV. von Dänemark, in der Hoffnung, denselben dadurch in die antikaiserlichen Interessen hineinzuziehen. Tilly, dem daran lag, den Übertritt der braunschweigischen Armee in das Niederländische zu verhindern, rückte den Abziehenden in schleunigen Märschen nach, holte sie in der Nähe von Stadtlohn ein und brachte ihnen eine vernichtende Niederlage bei. Die Auflösung des geschlagenen Heeres war so groß, daß sogar zwei Fürsten in Gefangenschaft gerieten, nämlich Herzog Wilhelm von Weimar und Herzog Friedrich von Altenburg, außerdem die Grafen von Isenburg, Löwenstein, Schlick und Wittgenstein und viele Obersten und Hauptleute.

Nur 2000 Mann konnte Christian nach den Niederlanden führen.

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