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Zum Pfarrer von Nieder-Weisel in der Wetterau kamen Bauern gelaufen und erzählten atemlos, sie hätten auf dem Felde pflügend Reiter auf der Landstraße sich heranbewegen gesehn; es sei gewiß der Feind oder Einquartierung, und sie wären alle verloren. Der Pfarrer hieß sie zum Amtmann laufen und ihm Bescheid sagen, indes wolle er hinauskommen und die Sache ansehen, vielleicht wären es doch nur Reisende oder durchziehende Truppen und Gott führe die Gefahr gnädig vorüber.

Es ergab sich, daß die Ankömmlinge ein Oberst Hausmann mit großem Gefolge waren, der ein Patent von Wallenstein vorwies, in der Wetterau zu werben, um sein Regiment zu vervollständigen. Er habe sich Nieder-Weisel zum Werbeplatz ausersehen, der Pfarrer solle ihn sogleich umherführen und ihm die besten Häuser zeigen, die ihm und seinem Gefolge zum Quartier dienen könnten. Die Landschaft müsse nach alter Gewohnheit zur Anwerbung eine Kontribution zahlen, die von Wallenstein auf 1000 Gulden festgesetzt sei, das gehe den Amtmann an. Während er den Pfarrer, ohne ihn anzusehen, ausfragte, trabte er rasch vorwärts, so daß der alternde Mann kaum mitkommen konnte, und lachte zwischenhinein mit denen, die neben und hinter ihm ritten. Vor dem Pfarrhause, das behaglich zwischen alten Birnbäumen der Kirche gegenüberlag, hielt er an: das sei in diesem Neste das leidlichste Haus, da könne er es ein paar Wochen oder Monate aushalten; daß es das Pfarrhaus sei, habe er gleich gedacht, die Pfaffen strichen sich allemal den fetten Rahm ab. Er hätte nicht gedacht, daß es hierherum so schlecht und ärmlich sei; ob denn keine Klöster in der Nähe wären? Sie wären hierzulande evangelisch, antwortete der Pfarrer; in Butzbach sei ein ehemaliges Kloster, das diene jetzt als Amtshaus, da würde es freilich bequemer für so große Herren sein. »Du möchtest uns wohl auf deine Nachbarn abladen?« lachte der Oberst; nach Butzbach würden schon auch Truppen gelagert; aber hier wolle er sein Hauptquartier aufschlagen. Nach einiger Zeit kam eine von buntgekleideten Reitern umgebene Kutsche an, aus der eine Dame stieg, die der Oberst als seine Gemahlin ausgab. Sie war mit allerlei prunkhaften Gewandstücken und Geschmeide behangen und führte ein Kruzifix und einen Betschemel mit sich, da sie katholisch sei. Gott im Himmel, seufzte der Pfarrer, ob denn die Dame nicht in einem anderen Hause absteigen könne? Es gebe ja noch mehr ordentliche Häuser im Ort, es zieme sich nicht für einen evangelischen Pfarrherrn, das katholische Wesen unter seinem Dache zu haben. Was er sich einbilde? rief der Oberst. Ob er etwa ohne seine Frau zu Bette gehen sollte? Eine Schande sei es, daß ein Pfarrer ihm so gottlose Dinge zumute. Er erwarte, daß seiner Frau alle Ehre in seinem Hause bezeigt werde.

Nun sammelten sich im Dorfe die Knechte, die sich wollten anwerben lassen, darunter viele schon mit Waffen versehene Soldaten, die anderswo gedient hatten und ausgerissen waren, um ein Werbegeld zu gewinnen. Der Pfarrer wurde von den Bauern überlaufen, die ihm dies und jenes zu klagen hatten und um seinen Schutz baten. Einer jammerte, daß sein einziger Sohn, dessen Arbeit die alten Eltern erhalten müsse, sich wolle anwerben lassen, der Pfarrer solle ihm doch ins Gewissen reden, daß er dem heillosen Gesindel nicht nachlaufe und Leib und Seele zusetze, sondern an seiner armen Mutter die Kindespflicht übe. Er dürfe sich dessen nicht öffentlich getrauen, sagte der Pfarrer; aber bei Einbruch der Dunkelheit wolle er zu ihm ins Haus kommen und seinem Sohne zusprechen. Dies tat er; aber der junge Bursche, der täglich mit den Soldaten trank und spielte, begegnete ihm mit groben Worten: das Soldatenhandwerk sei so gut wie ein anderes, viele würden reich dabei, Wallenstein, der Generalissimus, sei des Kaisers Liebling und der mächtigste Mann im Reich. Der Pfarrer solle sich nicht dahinein mischen, sonst werde es ihm übel gehn, die Pfaffen regierten ohnehin zuviel in die Welthändel. Als der Pfarrer dem Burschen die Hand auf den Arm legte und ihn von solchen groben Worten abmahnte, ihn erinnerte, wie er, der Pfarrer, ihn unterrichtet und konfirmiert und was er, der Junge, ihm gelobt habe, stieß der junge Mann ihn mit einem Fluch zurück und entwischte aus dem Hause. Der Pfarrer tröstete die weinende Mutter und betete mit ihr für den Sohn, für das ganze Dorf und um Besserung der schlimmen Zeit; sie wollten geduldig sein wie Hiob, sagte er, vielleicht daß der Herr dann die Prüfung allgemach vorüberziehen lasse. Wie er in trüben Gedanken seinem Hause zueilte, brachen hinter dem breiten Stamm einer alten Rüster ein paar Männer hervor, packten ihn an und bedrohten ihn, weil er die jungen Burschen von der Werbung zurückhalte. Obwohl sehr erschrocken, faßte er sich doch, sah die Männer furchtlos an und sagte, er tue seine Pflicht und könne es vor Gott verantworten, er warne sie, unschuldiges Blut zu vergießen. Unter ihren Püffen und Schlägen fiel er auf die Knie und betete, ohne sie zu beachten, die, nachdem sie ihn eine Weile mißhandelt hatten, fortsprangen, ihn fast ohnmächtig am Wege liegenlassend. Gefährliche Wunden hatte der Pfarrer nicht erhalten, doch mußte er eine Zeitlang das Bett hüten und den Haushalt seinen beiden Töchtern überlassen, da seine Frau seit Jahren taub und bettlägerig war. Als er noch lag, hörte er eines Tages Schelten und Schreien, und bald darauf kam die geputzte Dame in seine Kammer gelaufen, warf sich vor seinem Bette nieder und flehte ihn an, sich ihrer anzunehmen: der Oberst wolle sie aus dem Hause jagen und sich ein anderes Weib zulegen, obwohl sie ihm immer treu gewesen sei und ihm nichts zuleide getan habe. Zitternd stand der Pfarrer auf, nahm seinen Mantel um und wollte hinausgehen, als schon der Oberst eintrat und die Frau anherrschte, wenn sie gütlich dorthin gehe, wohin er es ihr befohlen habe, solle sie dort ungestört wohnen dürfen und auch einigen Unterhalt empfangen, wenn sie sich aber widerspenstig zeige, heule und gegen ihn anbelfere, werde er sie mit der Peitsche aus dem Dorfe jagen lassen. »Da sei Gott vor!« rief der Pfarrer aus, der Oberst solle nicht so gegen seine Ehefrau wüten. Was Ehefrau! schrie der Oberst, eine Hure sei sie, ob der Pfarrer etwa ein Hurenhirte sein wolle? Jetzt fing die Frau laut zu schreien an, er selbst sei es doch gewesen, der sie verführt und so weit gebracht habe. Zu Augsburg habe sie am Pranger gestanden, sei schimpflich aus der Stadt gejagt worden und habe betteln müssen. Er habe sie überredet, ihr Kindlein in einem Graben an der Landstraße auszusetzen, wo es gewiß die Pferde zertreten hätten, sie habe es oft und oft im Traume weinen gehört. Er habe sie zu einer elenden, gottverlassenen Sünderin gemacht, und nun wolle er sie auf die Straße stoßen.

Diesem Klagegeschrei machte der Oberst ein Ende, indem er sie packte und seinen Dienern zustieß, denen er befahl, sie sollten sie ihr Bündel schnüren lassen und aus dem Dorfe führen, wenn sie sich je wieder vor ihm sehen lasse, werde er ihr anders das Maul stopfen.

Der Pfarrer rief nach seinen Töchtern und gebot ihnen heimlich, der unglücklichen Frau etwas zuzustecken an Brot und Wurst oder was es sonst sei; allein die ältere fing an zu weinen und jammerte, sie könne es nicht länger verschweigen, ihre Schwester, die Lisbeth, halte es mit dem Obersten, und es sei um ihretwillen, daß er das Weib, das bisher für seine Frau gegolten, verstoßen habe; sie sei wie verhext und wolle sich nicht zureden lassen. Im innersten Herzen erschrocken, sah der Pfarrer die jüngste an, die sich nicht rechtfertigte, aber trotzige Blicke herumwarf und Miene machte, das Zimmer zu verlassen. Sie solle bleiben, rief ihr der Vater zu, und da sie zaudernd stehenblieb, umfaßte er sie, zog sie zu sich aufs Bett und sagte, jetzt sei die Stunde der Prüfung für sie gekommen. Er wisse, daß sie ein reines Herz habe, sie solle es rein bewahren, denn dies, ein reines Herz, sei ihrer aller höchstes Gut und das einzige, das ihnen niemand rauben könne. Er wolle ihr nicht vormalen, wie es ihr gehen werde, wenn sie sich verführen ließe, nach dem Beispiel der Elenden, die jetzt auf der Landstraße verkommen werde, noch wolle er sie mit seinem und ihrer Mutter Jammer schrecken; nur an Gott wolle er sie mahnen und ihre unsterbliche Seele, die sie im Begriffe sei, um eines bösen Menschen willen zu verlieren. Sie wich seinem angstvollen Blick aus und sagte in der trotzigen Weise wie vorher, nach dem Ende frage sie nicht, was kommen müsse, solle kommen, ihre Ehre sei nicht ein reines Herz, sondern ihn zu lieben und sich ihm hinzugeben, der ein Held sei, sie könne nicht mehr zurück. »Ach Gott,« sagte der unglückliche Mann, »wie verändert ist schon dein liebes unschuldiges Gesichtlein! Was für ein Fieber ist auf deinen Wangen und in deinen Augen! Warum kannst du nicht mehr zurück? Schämst du dich vor deinem Vater, dessen Arme immer für dich geöffnet sind und an dessen Brust dein warmes Nest ist?«

Wie nun aber draußen die Stimme des Obersten laut wurde: »Lisbeth, holdes Bräutlein!« und dergleichen mehr, erbebte sie und wollte sich von ihrem Vater losmachen, der sie fest umklammerte und auch ihre Schwester zu Hilfe rief. Gleich darauf trat der Oberst ein, setzte sich, zog das Mädchen auf seine Knie, herzte sie und verhöhnte den Pfarrer: Gott habe Mann und Weib gemacht, die Liebe sei Gottes Werk, und er habe Wohlgefallen daran; wenn er, der Pfarrer, sich nicht darein füge, werde er ihn festbinden lassen, damit er der Lust seines Töchterleins zuschauen müsse. Gott habe es so geordnet, daß die Tochter den Vater verlasse, um ihrem Herrn zu folgen. »Gott ist ihr Herr, nicht du,« rief der Pfarrer aus, »und er wird dich losen, lügnerischen Buben strafen, sei es auch erst beim Jüngsten Gerichte!« Der Oberst sprang auf und legte die Hand ans Schwert; das Mädchen umklammerte seine Knie und flehte ihn an, den Vater zu schonen, sie liebe ihn ja und wolle tun, was er gebiete.

Nun, sagte der Oberst, um ihretwillen wolle er ihm das Leben lassen, nur die Strafe solle der Alte haben, daß er sie und ihn selber bedienen solle. Sowieso mache er das ganze Dorf rebellisch und müsse Unterwürfigkeit lernen. Er, der Oberst, sei Offizier Wallensteins und des Kaisers und müsse wie der Kaiser selbst respektiert werden.

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Das Jahr 1629 begann für Holland glücklich mit der Ankunft der durch den Admiral Pieter Heyn erbeuteten spanischen Silberflotte im Hafen von Amsterdam. Die Gemahlin des Prinzen Friedrich Heinrich, Amalie von Solms, die sich fast schämte, nunmehr in besseren Verhältnissen zu leben als ihre ehemalige Herrin, die Königin von Böhmen, und ihr, so gut es ging, Unterhaltung zu verschaffen suchte, erzählte, was für Jubel in Amsterdam herrsche und was für Anstalten zum Empfang des erbeuteten Schatzes getroffen seien. Im Stadthause habe eine Aufführung stattgefunden, in der das Meer, die Freiheit und die Tyrannei aufgetreten wären. Zuerst habe niemand die Tyrannei darstellen wollen, endlich habe sich ein Maler erboten, ein verlotterter Kerl, der tolle und freche Stücke male und das Geld, das er dafür bekomme, versaufe, unter der Bedingung, daß er die dazu benötigte Ausstattung geliefert erhalte und hernach behalten dürfe und daß, wenn ihm doch etwas zustieße, die Stadt für seine Hinterbliebenen sorgte. Er sei dann prächtig mit spanischem Mantel, spanischem Hut und Kragen angetan gewesen, aber so dick, daß man gezweifelt habe, ob er es selbst sei, bis er lachend gesagt habe, so habe er sich auswattiert, um die Schläge nicht zu spüren, die er bekommen würde. Das Meer und die Freiheit hätten zu sagen gehabt, wie sie altheilige verschwisterte Götter wären und im steten Kampf mit der Tyrannei lägen, einem mißgeborenen Ungetüm, das der Satan mit der Erde erzeugt habe, wie sie es endlich ganz erlegen und festhalten würden, worauf die Erde, entsühnt und vom Meere auf einen neuen Adel getauft, nur noch Geschlechter von Helden tragen werde. Nach solchen Deklamationen habe ein Kampf unter den Gegnern stattgefunden, wobei die Tyrannei besiegt und übel zugerichtet worden sei. Auf den Straßen und Plätzen von Amsterdam werde nun die Aufführung fortgesetzt, wo sich dann das Volk hineinmische, so daß unter lautem Jubel fortwährend gerauft werde und der Darsteller der Tyrannei gewiß längst erschlagen worden sei, wenn er sich nicht so gut unterfüttert hätte.

Der Kurprinz Heinrich Friedrich, der jetzt fünfzehn Jahre alt war, wünschte lebhaft, nach Amsterdam zu fahren und das Fest mit anzusehen. Friedrich V. war stolz auf diesen Sohn, von dem man sagte, daß er seiner schönen Ahnfrau, Maria Stuart, gleiche und den er für viel klüger und vollkommener als sich selbst hielt. Er hatte die vielen Wechsel, Unfälle und Schwierigkeiten der Familie von Anfang an miterlebt und sich gewöhnt, in den Verlegenheiten sein Wort mitzureden, obwohl es ihm seine Mutter zu verweisen pflegte; sein Vater liebte es und gab viel darauf, wie er überhaupt insgeheim gleichsam als zu einem älteren Bruder zu ihm aufsah. Seine Anmut beim Fechten und Reiten und die Gewandtheit, mit der er das Englische und Französische sprach, wurde allgemein bewundert, und man erzählte sich entzückt, als der Kaiser die Rückgabe der Kur- und Unterpfalz versprochen hätte, unter der Bedingung, daß der Kurprinz katholisch und in Wien erzogen würde, habe er gesagt, wenn er erwachsen sei, wolle er dem Kaiser die Antwort mit dem Schwerte sagen.

Dem Wunsche Prinz Heinrichs entsprechend, trat der kleine Haager Hof die Reise an, die von Haarlem aus in einem kleinen Schiffe den Kanal hinunterging. Es war ein trüber, naßkalter Tag und dämmerte schon; die kahlen Bäume, die die Straße bezeichneten, verschwammen im Nebel. Die Gesellschaft saß im unteren Schiffsraum und vergnügte sich mit Pfänderspielen, wobei eben dem Kurprinzen von einer Dame vorgeschrieben worden war, er solle vor derjenigen Person, die er am meisten liebe, niederknien und sie küssen. Wie er ohne Besinnen auf seinen Vater zuging, ein Knie beugte und ihm die Hand küßte, schrien die Damen auf, so sei es nicht gemeint, er müsse eine Dame, und zwar mit Ausschluß seiner Mutter, wählen. Der Prinz, der sich wieder erhoben hatte, sagte errötend und ein wenig stolz ablehnend, er liebe nur seine Eltern, außerdem zieme es sich nicht für ihn, eine fremde Dame zu küssen. Elisabeth, seine Mutter, fing an sich zu ärgern und befahl ihm, sogleich eine auszuwählen, ermunterte auch die Betreffende im voraus, ihm für sein langes Zieren eine tüchtige Maulschelle zu versetzen. Wie er unschlüssig dastand, beschämt und trotzig zugleich, die Augen auf seinen Vater gerichtet, der im Begriffe war, für ihn einzutreten, wurde das Spiel durch eine starke Erschütterung unterbrochen; das kleine Schiff wurde durch ein viel größeres überrannt und schlug um, so daß ein großer Teil der Mitfahrenden, darunter auch Kurfürst Friedrich und sein Sohn, ins Wasser fielen. Fischer, die mit ihren Kähnen in der Nähe waren, ruderten eilig herzu und retteten die meisten, nicht aber den jungen Prinzen; denn die Dunkelheit erschwerte die Arbeit. Der Kurfürst hätte sich selbst wieder ins Wasser geworfen, wenn man ihn nicht mit Gewalt daran gehindert hätte, und war von der Unglücksstätte nicht zu entfernen, bis der Leichnam gefunden war. Während der fieberhaften Krankheit, in die er dann verfiel, hörte er immer die helle Stimme seines Sohnes, der im Versinken flehentlich gerufen hatte: »Vater, hilf! Vater!« und dem er nicht geholfen hatte. Als er wiederhergestellt war, mochte er doch nicht aufstehen und tat es nur, weil seine Frau ihn tadelte und schalt, es sei unmännlich, sich dem Schmerze hinzugeben, er habe mehr Kinder, für die er sorgen müsse.

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Seinem dringenden Wunsche gemäß wurde Friedrich von Spee des Beichtamtes bei den Hexen enthoben und nach Peine geschickt, wo ein Jesuitenkloster eingerichtet werden sollte. Wenn er Muße hatte, entwarf er den Plan zu einem Buche über die Hexenprozesse und das ungerechte und ungesetzliche Verfahren, dessen sich die Richter dabei bedienten, und was daran schuld sei, nämlich teils Verblendung und Unwissenheit, teils Habsucht, Grausamkeit und andere böse Triebe. Hätte er das Buch vollendet, dachte er, würde er auch einen Weg finden, es ans Licht zu bringen, und hoffte, den Menschen würden dadurch die Augen geöffnet und dem Übel würde gesteuert werden. An einem der letzten Apriltage begab er sich von Peine nach Woltorp, um dort zu predigen und Kranke zu besuchen; denn es herrschte dort der Hungertyphus und die Pest, so daß kürzlich der alte Totengräber, obwohl er seit fünfundzwanzig Jahren in seinem Amte war, davongelaufen war. Er habe nun genug vom Leichengraben und wolle lieber unter die Soldaten gehen, hatte er sich vernehmen lassen und war nicht mehr gesehen worden, worauf die Leichen unbegraben in den Häusern liegenblieben, bis die verlassene Frau zugriff, die auch vorher schon ihrem Manne geholfen hatte. Auf einem gemächlich trabenden Pferde ritt Spee durch einen Buchenwald und ließ seine Blicke fröhlich durch das junge Gefieder der neubelebten Bäume spielen, das im milden Sonnenscheine goldgelb leuchtete. Über dem vorjährigen Laube, das feuchtbraun am Boden klebte, lag der Sternenschleier der Anemonen so lose, als müsse ein leichter Wind ihn weghauchen können.

Sein leichtes Herz flog wie ein Vogel zu jedem Blatt und jeder Blüte, schmiegte sich an sie und küßte sie und kehrte mit duftenden Schwingen und melodisch zu ihm zurück.

Durch ein Geräusch aufgeschreckt, sah er Männer und Frauen durch das Gebüsch näherschleichen, augenscheinlich in der Absicht, ihn anzubetteln oder auszuplündern. Als sie sahen, daß sie bemerkt waren, traten sie hervor, faßten sein erschrockenes Pferd am Zügel und machten sich daran, ihn aus dem Sattel zu reißen. Er wehrte ihnen, indem er sagte, er sei ein Geistlicher und besitze nichts; aber er habe etwas Geld bei sich, um die Notleidenden und Kranken in Woltorp zu unterstützen, davon wolle er ihnen freiwillig mitteilen; denn auch sie schienen sehr arm zu sein. Während sie noch unschlüssig standen, kam ein Reiter den Weg her gesprengt, zog eine Pistole und schoß unter die Bande, die heulend auseinanderstob und in das Gebüsch lief. Spee wendete sich dem Reiter zu und bat ihn, nicht wieder zu schießen, die Elenden jammerten ihn, sie hätten mehr Aussätzigen als Räubern geglichen. Es zögen sich jetzt viele aus den Dörfern in die Wälder, die kein Dach und kein Brot und kein Vieh mehr hätten, um das Feld zu bestellen; da bliebe ihnen nichts, als das Räuberhandwerk zu treiben. »Ja,« sagte der Unbekannte lachend, »wenn sie es nur besser verständen! Aber es ist feiges Bauernpack und wird ihm diesergestalt nicht weniger auf den Nacken getreten als zuvor.« Wie Spee ihn besser ins Auge faßte, fiel ihm ein, dies müsse der Hornebostel sein, ein berüchtigter Schnapphahn, welcher unter Mansfeld und Wallenstein gedient hatte, dann ausgerissen war und sich auf eigene Hand umhertrieb und der seit kurzem die Umgegend von Peine heimsuchte. »Seid Ihr nicht der Hornebostel aus Celle?« fragte Spee und setzte lächelnd hinzu, so wäre er freilich aus dem Regen unter die Dachtraufe gekommen. Nein, nein, antwortete der andere, Spee solle unbesorgt sein, an einem guten und frommen Manne wie Spee vergreife er sich nicht. Spee möge ihm gestatten, daß er ihm bis Woltorp das Geleit gebe, da der Wald unsicher sei; wenn ihm seine Gesellschaft widerwärtig sei, wolle er hinterdrein reiten. Spee dankte dem Manne und bat ihn, an seiner Seite zu bleiben und ihm zu erklären, warum er sich nicht einem ehrlichen Leben zuwende, da er doch ein großmütiges Herz verrate.

Freilich sei er kein schlechter Kerl, sagte der Reiter, wenn er auch von Raub und Diebstahl lebte. Damit tue er aber nichts anderes, als was in der Welt die meisten täten, und am allermeisten diejenigen, die die höchste Ehre genössen. Die marterten oft noch dazu die Armut und Unschuld aus Mutwillen, das sei seine Art nicht, er teile manchmal noch den armen Leuten mit. Ein Heiliger freilich, der stillhalte, wenn er geschlagen würde, und für seine Peiniger bete und dergleichen, ein solcher sei er nicht, von den gemeinen Menschen verlange Gott das aber auch nicht, sondern habe ihnen kräftige Muskeln und Verstand gegeben, sich zu wehren und sich selbst zu helfen.

Sie waren unter solchen Gesprächen an das Ende des Waldes gekommen und sahen den Ort Woltorp mit roten Dächern über der schwarzen Erde flammen, als Spee sagte, es sei ihm seltsam kühl um die Brust, er habe wohl eine kleine Wunde empfangen und fühle sich schwach, er fürchte vom Pferde zu fallen. Der Mann wollte ihn verbinden, er verstehe sich gut darauf; aber Spee meinte, das sei unnötig, nur einen Schluck Wein wolle er nehmen; denn er sehe, daß jener eine Flasche am Gurt hängen habe. Nachdem er getrunken hatte, gab er seinem Begleiter, der sich im Dorfe nicht sehen lassen wollte, die Hand und nahm Abschied von ihm.

Da er schon Leute vor der Kirche warten sah, ging er sofort hinein, um die Predigt zu halten; nach dem Wein fühlte er sich heiß und kräftig, und er glaubte, er werde besonders gut sprechen können. Der Text des Sonntags war vom guten Hirten, und er hatte sich vorgenommen gehabt, vom Wesen des Opfers zu handeln; aber er war jetzt von anderen Dingen erfüllt und begann, wie Gott mit jedem Frühling die unbefleckte Schönheit des Paradieses wieder auftue und harre und winke, daß die Menschen den Weg zurück fänden, und dann malte er den dereinstigen Tag aus, wo sie alle kommen und nach langer schwerer Irrfahrt in die Heimat einziehen würden, Liebende und Unsterbliche.

Während des Sprechens fühlte Spee, wie es kühl aus der Wunde an ihm hinunterlief, und es war ihm auf einmal, als fließe sein Blut auf den steinernen Boden der Kirche und färbe ihn rot. Mitten zwischen den gebückten Menschen sah er aus der dunklen Lache einen ungeheuren Holzstamm steigen, der wuchs und zwei Äste ausbreitete und bis an die Decke stieg; es war das Kreuz, an dem Gottes Sohn hing. Ein zerfleischter, blutüberronnener Leib krümmte sich an dem Marterholze, und durch die zuckende Masse eines vertretenen Gesichtes starrte der Abgrund zweier entsetzlicher Augen. Es war nicht ein einzelnes Augenpaar, es waren viele, unendlich viele aller derer, die jemals gelitten hatten, der Zahllosen, die er selbst hatte leiden und sterben sehen. Indessen das Kreuz wuchs und schwoll, begannen die Fenster zu brennen wie dunkelrote Nelken, die Decke zerbarst, und über die schaudernde Erde reckte sich wie eine gerade Fackel der blutende Baum des Leidens. Spee wollte schreien: ›Helft, helft dem Erlöser!‹, aber sein Mund war gelähmt, Feuer schwamm vor seinen Augen, und er griff mit beiden Händen nach der Brüstung der Kanzel, um nicht darüber hinabzufallen.

Nachdem er mehrere Tage am Wundfieber krank gelegen hatte, erlaubte ihm der Orden, sich zur Erholung auf einem westfälischen Gute aufzuhalten, wo er das Buch über die Hexenprozesse schrieb, welches im Jahre 1631 unter dem Titel ›Cautio criminalis seu de processibus contra sagas liber‹, das ist: ›Vorsicht in kriminellen Dingen oder Buch über die Hexenprozesse‹ ohne den Namen des Verfassers erschien.

*

Amtmann Kahrstedt meldete sich bei Tilly, der in der Burg Winsen an der Luhe im Quartier lag, und schickte, vorgelassen, zögernd voran, er komme in einer beschwerlichen Sache, die Seiner Exzellenz verdrießlich sein möchte, und er bitte um Entschuldigung, wenn er als Diener seines Herrn, des Herzogs Christian von Celle, ihm damit lästig falle. Es wären Praktiken im Gange, den Herzog Friedrich Ulrich um Land und Leute zu bringen, unter Vorgeben, er habe nach dem Vertrage von Celle noch zum Dänenkönige gehalten. Nun aber wisse doch Tilly, wie aufrichtig leid es dem Herzoge gewesen sei, daß er sich auf dänische Seite habe bringen lassen, und wie gern er seine Finger davon gelassen habe. Wenn Tilly der kaiserlichen Majestät erinnere, daß er falsch berichtet worden sei, so werde dieselbe gewiß von ihrem Zorne nachlassen und den guten Fürsten verschonen.

Davon wisse er nichts, sagte Tilly, und sei erstaunt, es zu vernehmen; wer denn den Herzog beim Kaiser verklagt habe und worauf sich die Klage gründe?

Es sei geschwind und geheim vor sich gegangen, erzählte der Amtmann; Graf Pappenheim habe die Räte des Herzogs, Rauschenberg und Eltz, ausgefragt und alles von ihnen bekommen, was er gewollt habe, dann habe er sie nach Güstrow zum Wallenstein, dem neuen Herzog von Mecklenburg, gebracht, wo dann alles ausgemacht worden sei. Pappenheim solle Braunschweig-Wolfenbüttel und Tilly Braunschweig-Calenberg erhalten, Herzog Friedrich Ulrich tue nichts als weinen und wehklagen, wie er von jedermann verlassen sei, jetzt zu Braunschweig in einer Herberge um seinen teuren Pfennig zehren und schließlich am Stabe aus seinem Herzogtum wandern müsse, wenn nicht Tilly sich seiner erbarme. Er könne nicht glauben, daß Tilly, der es immer so aufrichtig mit ihm gemeint habe, sich auf seinen Stuhl setzen wolle.

Das habe er auch nicht im Sinne, sagte Tilly, dessen Gesicht sich gerötet hatte. Wahr sei, daß der Kaiser ihm ein Geschenk von 400 000 Kronen versprochen und das Geld auf braunschweigische Häuser angewiesen habe, die durch den Dänenkönig an ihn gekommen wären. Das Herzogtum beanspruche er aber nicht, glaube auch, daß der Herzog nach anfänglicher, bereuter Verirrung dem Kaiser treu geblieben sei, also seine Lehen nicht verwirkt habe.

Er wisse, sagte der Amtmann, daß Tilly ein gerechter, guter Herr sei und daß er den armen Untertanen wohl bekommen würde; aber hierzulande sei nun einmal ein anderes Volk und ein anderer Glaube, sie hingen ihren alten, angeborenen Fürsten an, wenn sie sie auch zuweilen hart bedrängten und im Elend versaufen ließen. Tilly werde ihm nicht zürnen, daß er so frei heraus rede.

Nein, sagte Tilly, dem Amtmann die Hand reichend, er sei ein redlicher Mann, die Welt würde besser stehen, wenn jeder so treu in seinem Kreise wäre.

Tilly blieb in beunruhigenden Gedanken zurück; was sollte das bedeuten, daß Pappenheim die Räte des Herzogs von Wolfenbüttel vor ein Wallensteinisches Gericht stellte? sie gegen ihren Herrn aussagen ließ, um dessen Land an sich zu bringen? daß dies alles ohne sein Vorwissen geschah? Es war ihm vor einiger Zeit hinterbracht worden, daß Pappenheim, wie Anholt und Gallas bereits getan hatten, den bayrischen Dienst zu verlassen und zum Wallenstein überzugehen gedenke; da er ihn deswegen zur Rede stellte, hatte er geantwortet, er liebe und verehre Tilly zu sehr, um sich von ihm zu trennen, er betrachte ihn als seinen Vater und wisse auch, daß er in der Kriegskunst kein besseres Vorbild als ihn haben könne. Zwar sei bei Wallenstein viel zu verdienen; aber das wisse Tilly doch wohl, daß er um der Ehre, nicht um des Geldes willen die Rüstung angelegt habe.

Tilly besann sich auf den kühnen Blick des jungen Mannes, seinen schnellen Gang und seine stolze Haltung; es war immer seine Ansicht gewesen, daß er aus Ehrgeiz und Unbedacht wohl unrecht tun könne, aber kein Lügner und Gleisner sei. Er hatte sich schon öfters über Pappenheim gekränkt, hatte es aber immer verwunden, weil er an seine Ehrliebe, sein redliches Herz und seine Frömmigkeit glaubte. Das letztemal, besann er sich, hatte er ihn gesehen, als derselbe ihn um Urlaub bat, wobei er ihm hastig und zerstreut vorgekommen war. Auch erinnerte er sich, wie hartnäckig Pappenheim bei der Belagerung von Wolfenbüttel geblieben war, als der Herzog sich schon unter den Gehorsam des Kaisers zurückbegeben hatte, wie er sich oft laut vernehmen ließ, der Herzog sei ein Schelm und ein Schwachkopf, mit solchen Fürsten im Reiche könne der Kaiser keine Ordnung halten, und was dergleichen Wallensteinische Reden mehr waren.

Für einen verläßlichen Mann hielt Tilly den Herzog von Wolfenbüttel zwar auch nicht; aber das schien ihm doch hart, daß eben die Räte Rauschenberg und Eltz, die ihn vorher an den Dänen verkauft und stets die Religion und Libertät im Munde geführt hatten, ihn nun an Wallenstein verrieten, und er beschloß, einen Brief an den Kaiser abgehen zu lassen, daß er den Herzog für unschuldig halte, Pappenheim aber möge er sein gewalttätiges Vorgehen gegen die braunschweigischen Räte untersagen.

Gelegentlich einer Unterredung, die Tilly in diesen Tagen wegen des dänischen Friedens mit Wallenstein hatte, brachte dieser die Rede auf die braunschweigischen Herzöge. Diesen Leuten sei nicht zu trauen, sagte er, des Kaisers Klemenz sei da übel angebracht. Ihm liege es am Herzen, diese Gegenden in feste, treue Hände zu legen, damit er den Norden verlassen und sich gegen die Türken wenden könne. Ihm seien diese Kriegshändel im Reiche leid, sein Ziel sei, den Türken einmal aus Europa zu werfen. Der Halbmond müsse untergehn, er wolle nun nicht lange mehr damit zögern, nur erst das nördliche Deutschland versichern, und er hoffe, Tilly, der immer in gutem Vernehmen mit ihm gestanden, werde auch zu diesem löblichen Werk konkurrieren. Wallenstein war noch niemals so gesellig und vertraulich gegen Tilly gewesen; dieser jedoch hielt sich wie sonst zurück und antwortete, der Kampf gegen den Türken werde ihm als einem christlichen Feldherrn stets erwünscht sein; was den Herzog Friedrich Ulrich betreffe, so halte er ihn nicht für schuldig und habe in diesem Sinn auch an den Kaiser berichtet.

Es stellte sich heraus, daß Pappenheim den ihm von Tilly bewilligten Urlaub benützt hatte, um nach Wien zu gehn und dort zu betreiben, daß Friedrich Ulrich abgesetzt werde und er, Pappenheim, mit Wolfenbüttel, Tilly etwa mit Calenberg belehnt werde, was der Kaiser nicht durchaus zurückwies. Dagegen setzten sich die welfischen Herzöge in Bewegung, namentlich Herzog Georg von Lüneburg, der der mutmaßliche Erbe des Herzogs Friedrich Ulrich war, wandte sich bittend an Tilly sowie an verwandte Fürsten. Mehr als alle nahm sich Kurfürst Maximilian von Bayern ihrer an und erließ ein scharfes Schreiben an Pappenheim, wie er sich unterstehen könne, sich an einem Reichsfürsten zu vergreifen, noch dazu an einem aus dem uralten Welfengeschlechte; er befehle ihm, sich dieser Sache sofort gänzlich zu begeben und künftig die Hand von Dingen zu lassen, die ihm nicht zuständen.

Nachdem dieser Plan vereitelt war, gewann es den Anschein, als solle auch das Pfand für die 400 000 Taler Tilly nicht eingeräumt werden, das der Kaiser ihm versprochen und auf das er ein Recht hatte. Er ärgerte und grämte sich darüber: auf das Fürstentum habe er ja nie gerechnet, dachte er, sei ja auch nicht reich genug, um einen so hohen Stand repräsentieren zu können; aber ein paar Ämter, etwa im Halberstädtischen, die er seinem Neffen vererben könnte, die hätte er sich gewünscht, wie sie ihm auch nach dem Recht zugekommen wären. Wenn Frieden würde, könne er sich dahin zurückziehen und seine Bäume und sein Korn im Sonnenscheine wachsen sehen. Dort würde er Gott besser dienen, als er bisher getan hätte; denn wenn er auch den wahren Glauben hätte ausbreiten helfen, so hätte er doch viel Herzeleid, Seufzen, Not und Tod hinter sich gelassen. Wie sehr sein Beichtvater es ihm auszureden suchte, kam ihm doch oft der Gedanke wieder, die Traurigkeit würde ihn loslassen, wenn er in der Gnade Gottes stände.

Es war nun Mai, ein heiterer, blütenreicher Frühling, der Friede mit Dänemark war abgeschlossen, der Kaiser hatte das Edikt, die Rückgabe aller mit dem Passauer Religionsfrieden von den Evangelischen eingezogenen geistlichen Güter betreffend, trotz mannigfacher Warnungen ausgehen lassen. Tilly saß noch in Winsen, um von dort aus die Exekution des Restitutionsediktes an die Hand zu nehmen, als er den Besuch des schwedischen Barons Bielke erhielt, der ihm einen Brief seines Königs überbrachte. Er habe von den rühmlichen Taten Tillys viel vernommen, schrieb Gustav Adolf, und daraus besondere Hochachtung und Wohlwollen gegen ihn geschöpft; er werde gern dem Grafen Gutes erweisen, soviel er vermöge. Mündlich führte der schwedische Gesandte, der ein gutes Französisch sprach, diese Gesinnung seines Königs weiter aus und erzählte, wie sehr es denselben gekränkt habe, daß sein Abgesandter auf dem Friedenskongreß zu Lübeck nicht vorgelassen worden sei; der König habe dies als eine Herausforderung auffassen müssen. Tilly sagte, der Friede sei zwischen dem Kaiser und Dänemark gewesen, weiter habe das nichts zu bedeuten; übrigens danke er dem tapferen König für sein Wohlwollen. Auch ein schmeichelhafter Brief des Dänenkönigs traf ein, in dem er Tilly um eine Zusammenkunft bat, da er Wichtiges mit ihm zu reden habe; allein dieser entschuldigte sich, da er sich doch mit Christian nicht einlassen und auch nicht mit ihm saufen wollte, durch welche Enthaltsamkeit er sich nicht wenig unbeliebt machen würde.

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Der Pfleger von Nabburg in der Oberpfalz saß in der Amtsstube in einem Armsessel und ließ sich von seinem Sekretär ein Schreiben vorlesen, welches er von der Regierung in München erhalten hatte. »Ehrsamer, Lieber,« so las der Sekretär, »es ist uns leider beweglich zu Ohren gekommen, wie daß sich gegen unseren vielfachen, nachdrücklichen Befehl noch eine große Anzahl von Evangelischen in deinem Amte Nabburg ganz trotzig und unbescheiden aufhalten, welche trotz empfangener Mahnung die Messe in den Wind schlagen und entweder bei währender Zeremonie in ihren Häusern wohlgemut stillsitzen oder in die benachbarten, teils sächsischen, teils böhmischen Örter zur Ausübung ihres verbotenen Gottesdienstes auslaufen; ferner daß du, was wir zwar billig bezweifeln, einen evangelischen Sekretär bei dir hältst, welches denn den Untertanen ein abscheuliches Exempel und gänzlich nicht zu dulden, ja gebührlich zu bestrafen wäre.«

An dieser Stelle begann der Pfleger zu seufzen und zu jammern: Er möchte nur, daß der Herzog Maximilian einmal an seinem Platze säße! Die in München täten sich leicht, tauchten die Feder tief ein und schrieben, erstens, zweitens und drittens, was alles geschehen solle. Aber man sei hier nicht in Bayern! Hier gehe es anders zu, man sei ja fast in Böhmen, kaum daß die Leute Deutsch verständen. Wie solle sich da einer allein unter lauter fremden, übelwollenden und verstockten Leuten zurechtfinden, wenn er noch dazu das Podagra hätte!

Der Sekretär, ein flinkes, mageres Männlein mit klugen Augen und blanken Zähnen, sagte, der Pfleger solle nur ruhig sein, eine Weile bleibe er schon noch da, bis der Pfleger sich etwas besser auskenne. Der Brief sei nun angekommen, nach einer Woche werde er hübsch langsam eine Antwort aufsetzen, dann ziehe es sich wieder ein paar Wochen mit der Gegenantwort hin, und inzwischen kämen sie ein Stück vorwärts.

Ach Gott, seufzte der Pfleger, ob es denn gar nicht möglich wäre, daß der Sekretär sich bequemte! Er brauche ja nicht eigentlich katholisch zu werden, wenn er nur zuweilen zur Messe ginge, das genüge schon, und er solle es gewiß gut bei ihm haben.

Das glaube er wohl, sagte der Sekretär; aber es sei wirklich nicht möglich, er könne das seiner Frau und seinen Kindern nicht zuleide tun, die wären schon nach Sulzbach verzogen und warteten auf ihn, denen könnte er ja nicht mehr in die Augen sehen.

Ob er sich denn nicht wenigstens so anstellen könnte, als ob er Lust zum katholischen Wesen hätte? Damit sei doch Zeit gewonnen!

Es sei immerhin eine verfängliche Sache, meinte der Sekretär; aber dem Pfleger zuliebe wolle er sich so weit einlassen. Er wolle um ein paar Wochen oder Monate Bedenkzeit bitten, wie das ja viele täten; das wäre eine schöne Frist, während welcher der Pfleger seinetwegen Ruhe hätte.

Ach, sagte der Pfleger, da kenne der Sekretär den Herzog oder nunmehr Kurfürsten wenig. Der könne nicht leiden, wenn einer seine Ruhe hätte; der Sekretär werde schon sehen, was für Wespen des weiteren aus dem Brief ausschlüpften.

Der Sekretär fuhr zu lesen fort: Es müsse nunmehr Ernst gezeigt werden, ein Verzeichnis aller Evangelischen müsse ausgefertigt werden, die sich noch im Amte aufhielten, nebst Angabe, ob und wo sie die Kirche besuchten, was sie sonst während der Kirchzeit trieben und ob sie im Sinn hätten, sich unterweisen zu lassen. Die Hartnäckigen müßten längstens bis zum Martinstage ausgeschafft sein, aber nicht, bevor sie alle zu diesem Zweck aufgelegten Steuern und Abzüge gegen einen im Amtshause zu beschaffenden Schein erledigt hätten.

Nun also, nun also! rief der Pfleger; es wären siebzig oder achtzig Evangelische in Nabburg, wie er ausfinden sollte, was bei allen denen während der Messe im Schwange ginge? Wo er doch selbst zur Messe gehen müßte und außerdem das leidige Podagra hätte? Nun, sagte der Sekretär, er wisse ohnehin, was sie täten, die meisten gingen über die Grenze, wo lutherische Prädikanten wären, und hörten da die Predigt. Außerdem könne der Pfleger ihm noch zwei bewährte Leute zuteilen, um des Sonntags in die Häuser zu gehn und ein wenig hinzuhören, sie wollten es wohl miteinander ausrichten.

Weiters, las der Sekretär, habe leider verlautet, daß etliche aus der Oberpfalz auf die Schule von Altdorf gezogen wären, als ob da ein Mehreres oder Besseres zu erlernen wäre, ebenso, daß Jungfrauen und Jünglinge außer Landes heirateten und ganz unverdrossen väterliches Gut mit herausnähmen, was laut kürzlich erlassener Verordnung durchaus nicht zu gestatten sei. Es komme auch hoch verwunderlich vor, daß den Hexen gar nicht nachgespürt werde, und möchte der Kurfürst gern einen größeren Fleiß und Eifer zur lieben Gerechtigkeit bei seinen Beamten spüren, damit das so wunderbar von Gott neuverliehene Land nicht durch die lästerliche Zauberei und Ketzerei gar verderbt und dem Teufel zugespielt werde.

Ach Gott, ächzte der Pfleger, indem er in seinen Sessel zurückfiel, jetzt sei es aus! Jetzt müsse eine Hexe heraus, anders sei es nicht; wenn der Sekretär ihm nicht beistehe, sei er verloren.

Hm, hm, meinte der Sekretär, das sei freilich eine kitzlige Sache. Es habe nie recht fortgewollt mit dem Hexenwesen in der Oberpfalz; ob man das dem Kurfürsten nicht schreiben könne?

Ach Gott, er kenne ja den Kurfürsten nicht, meinte der Pfleger; das würde dem niemals eingehn. Der glaube einmal, seine Beamten hätten keinen Eifer, wenn sie nicht von Zeit zu Zeit ein paar Hexen verbrennen ließen. Ob denn nicht doch vielleicht eine aufzuspüren sei, wenn man sich recht befleißige?

Es sei wohl die eine oder die andere da, sagte der Sekretär nach längerem Nachdenken, die sich auf Kräuter und Sprüche verstehe; aber daß sie mit dem Teufel buhlten oder sonst zu tun hätten, glaube er nicht, habe auch nie davon gehört.

Ach, das tue es vielleicht schon, mit den Kräutern und Sprüchen, sagte der Pfleger, indem er sein krankes Bein rieb. Der Sekretär solle doch sehen, daß er ihm die Frauen herschaffe, sonst müsse er zuletzt selbst brennen, wenn er nicht vorher vor Aufregung gestorben sei, er sei ohnehin schwach auf dem Herzen wegen der Fettsucht.

Nun, sagte der Sekretär, er werde schon irgendwie Rat schaffen. Seine Frau habe auch gesagt, er solle den Pfleger nicht verlassen, er sei ein guter Mann und erbarme einen ja. Es werde ihm schon etwas einfallen. Im Eichstädtischen solle es Hexen geben, wenigstens sei vor ein paar Jahren ein großes Brennen dort gewesen, sicherlich wären ein paar übriggeblieben. Vielleicht lasse sich ein Weg finden, um mit List oder Gewalt ein paar hereinzuschleppen.

Das sei ein ausgezeichneter Gedanke, sagte der Pfleger; ihm falle vor lauter Konsternation nichts ein, der Sekretär müsse alles aufbringen.

Da jetzt die Ernte bevorstehe, sagte der Sekretär, könne man etwa sagen, es fehle an Arbeitern wegen des Abzugs der Evangelischen, das lockte schon die eine oder die andere, die etwa auch sonst neugierig wäre. Der Pfleger solle ihm nur alles überlassen, zunächst wolle er ein ganz verständiges und nachdenkliches Schreiben an die münchnerische Regierung aufsetzen, womit sie sich einstweilen vergnügen und den Ausgang erwarten könnten.

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In Xanten predigte an einem der letzten Sonntage im August der kalvinische Pfarrer Ewichius über den Kampf wider die Macht des Teufels, zu dem ein jeder verbunden sei. Er erzählte, wie er Anno 1620 mit Weib und Kind aus der Unterpfalz habe auswandern müssen und zum Landgrafen Moritz gegangen sei; wie dieser nach Verlust der Hälfte seines Landes ihn nicht mehr habe behalten können und ihm nach Genf zu gehn geraten hätte; wie er mit den Seinen auf dem Wege dahin von streifenden Soldaten überfallen und so ausgeplündert worden wäre, daß sie nicht mehr als das Hemd am Leibe behalten hätten, und wie bald darauf seine beiden jüngsten Kinder infolge von Kälte und übler Nahrung gestorben wären. Da sie gerade im Vorderösterreichischen gewesen wären, wo sie die Kinder doch nicht in geweihter Erde hätten begraben dürfen, hätten sie die kleinen Leichen eine Weile mit sich geführt und dann bei der Nacht still und geschwind auf freiem Felde unter einem Eichbaum vergraben, in dessen Zweigen, wie er hoffe, die versammelten Vöglein ihnen täglich den Auferstehungschor absängen. Nach vielen Drangsalen wären sie endlich nach Xanten gekommen, wo aber ihres Bleibens vielleicht auch nicht lange sei, denn es wisse ja jeder, wie bedenklich es hierzulande zugehe. So sei vor einem Jahre der Pfarrer Lehmann in Oberkassel ins Gefängnis geworfen worden, weil er billigermaßen die Messe ein Werk des Teufels genannt haben solle, und sei dort so traktiert worden, daß er erst die Sprache, dann das Leben verloren habe. Ebenso sei der Doktor Sundermann, ein gelehrter, tugendhafter Pfarrer, unter dem Vorwande, daß er in seiner Kindheit katholisch gewesen sei, zu Kaiserswerth eingekerkert worden und habe dort kürzlich das Zeitliche gesegnet. Er wisse wohl, was ihm täglich drohe; aber wie seine Kindlein in ihrer Unschuld hatten sterben müssen, so gehe er auch, obwohl ein Sünder vor Gott, dem Tode furchtlos entgegen und wolle lieber vom Teufel zerrissen werden als mit ihm paktieren oder sich vor ihm bücken.

Während er so predigte, öffnete sich das Portal, und ein Mann trat ein und flüsterte einem andern, der nah bei der Tür stand, zu, er komme zu Pferd von Wesel, wo er Geschäfte halber sich aufgehalten habe. In der verflossenen Nacht hätten drei Bürger, die sich dazu verschworen gehabt hätten, die Holländer über die Mauer gelassen, die hätten sich der Stadt bemächtigt und die Spanier ausgetrieben; es sei lautes Jubeln und Danken in Wesel. »Was gibt es?« fragte der Pfarrer, der ein Raunen und Rauschen in seiner Gemeinde bemerkte. »Wesel ist staatisch,« rief einer mit lauter Stimme, »die Spanier sind draußen.« Der Pfarrer schwieg einen Augenblick; dann sagte er mit fester Stimme: »Wohlan, so lasset uns Gott danken!« und stimmte an: ›Gott macht sich auf mit seiner Gewalt‹, worauf die Gemeinde so kräftig einfiel, als hoffe sie, daß es zu Wesel sollte vernommen werden.

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Vor dem Amtshause in Stade stand ein alter Franziskanermönch und erzählte mehreren Männern und Frauen, die ihm neugierig zuhörten, wie an Stelle dieses Hauses ehedem ein Franziskanerkloster gestanden habe, wie er von weit her gekommen sei, um es gemäß dem vom Kaiser erlassenen Restitutionsedikt wieder in Empfang zu nehmen, und wie er nun erfahren müsse, daß es den Jesuiten überlassen sei, die doch niemals hier im Lande gewesen wären und keinerlei Recht am Kloster hätten. Sie sollten nur in den Hof hineingehen, sagte er zu den Leuten, so sähen sie noch einige Bogen des alten Kreuzganges, die in das neue Haus hineingebaut wären, auch wäre noch ein Grabstein da, auf dem einer ihrer Äbte ganz ähnlich ausgehauen sei; die Linde, deren Wipfel jetzt schon über die Mauer rage, habe dazumal die Mitte des Klostergartens bezeichnet, und auf der steinernen Bank, die noch darunter stehe, hätten er und andere oft in Betrachtung der Gräber ihrer Brüder, vom sommerlichen Duft des Baumes umspielt, gesessen. Sie gingen mit ihm hinein und überzeugten sich von dem Vorhandensein der Bogen und der Grabsteine, die sie oft, ohne sich etwas dabei zu denken, gesehen hatten; der Mönch hielt eine seiner runzeligen Hände in das klare Wasser, das neben der Bank aus einer steinernen Brunnenröhre floß, und sagte, er wisse noch wohl, als sei es gestern gewesen, wie er sich vor mehr als fünfzig Jahren den kühlen Wasserstrahl über die Hand hätte laufen lassen und wie wohl ihm dabei gewesen sei. Die Leute umringten ihn mit zunehmendem Anteil; ob es nicht hart sei, sagte er, daß der Heimkehrende das alte Nest von Eindringlingen besetzt finde? Nicht umsonst nenne man die Jesuiten, die sich überall einschlichen und breitmachten, Füchse, alles Unheil sei von jeher von den Jesuiten gekommen. Einmütig und brüderlich hätten alle Christen miteinander gelebt, bis die Jesuiten aus dem Welschland gekommen wären und Zwietracht gesät hätten. Einst wären sie, die Bettelmönche, überall in Häusern und Hütten willkommen gewesen; was die Reichen ihnen gegeben, hätten sie den Armen mitgeteilt und hätten sich zur Lust Gottes und der Menschen ausgebreitet. Da hätten die Jesuiten mit ihrer falschen Gelehrsamkeit Haß, Hader und Mißtrauen erregt, sie meinten es nicht gut mit dem armen Manne, sondern bequemten sich den Mächtigen und ließen sich gebrauchen, um das Volk zu unterdrücken; auch der Obrigkeit machten sie sich aber verdächtig, weil sie nur auf die eigene Herrschaft ausgingen.

Während der Mönch so predigte, sammelten sich immer mehr Menschen an, die ihm Beifall zuriefen und ihn als einen armen alten Pilgersmann reich beschenkten. Im Ort entstand ein Geschrei, man wolle die Jesuiten nicht, man wolle evangelisch bleiben, aber die Franziskaner möchten kommen, sie wären gute Leute, die es redlich mit dem Volke meinten. Eine Abordnung ging deswegen aufs Rathaus, der der Amtmann entgegenhielt, sie müßten sich dem Befehl des Kaisers fügen, falls sie nicht erleben wollten, daß die ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht würde. Sie antworteten, der Kaiser gebiete nichts Ungerechtes, er sei nur von den falschen Jesuiten überlistet, die in evangelischen Landen nichts zu suchen hätten. Aber die Franziskaner wären auch Katholische, sagte der Amtmann. Wenn das wahr wäre, sagten sie nach einer Pause, so wäre es doch etwas anderes, indem sie das Kloster früher besessen hätten und es überhaupt nicht böse meinten. Um die aufgeregten Leute vorderhand zu beschwichtigen, sagte der Amtmann, er wolle beim Kaiser damit vorstellig werden, daß die Jesuiten hier nie etwas besessen hätten, er glaube aber nicht, daß es fruchten werde.

Der Franziskaner verließ wohlbepackt die Stadt und begab sich zu Tilly als zu dem in dieser Gegend mit der Durchführung des Restitutionsediktes Betrauten. Tilly, ein Beförderer der Gerechtigkeit, sagte er ihm, solle nicht zugeben, daß das Kloster dem Orden, der es gegründet habe, entwendet und den Jesuiten ausgeliefert würde. Was sie denn getan hätten, um eine solche Beraubung zu verdienen? Dienten sie nicht Gott seit uralten Zeiten, und wären sie nicht von den Päpsten bestätigt, begabt und gesegnet?

Tilly sagte, er müsse zuvor aus den Urkunden lesen, wem das Kloster gehört habe; wenn der Nachweis zu der Franziskaner Gunsten erbracht sei, müsse es freilich ihnen eingeräumt werden. Bisher sei das Stift von niemandem beansprucht worden, darum sei es den Jesuiten überlassen worden, die so viel für die Ausbreitung des wahren Glaubens getan hätten und deren man zu diesem Zweck auch bedürfe.

Er sei zu schlecht, um dem Grafen zu widersprechen, sagte der Franziskaner, aber er hielte die Jesuiten für ein Unkraut, das der Teufel zum Verderben der Kirche ausgesät habe. Er habe gehofft, seine Tage in der lieben alten Heimat zu beschließen, er würde es nicht überleben, wenn die spanischen Galgenvögel sich da einnisteten.

So anzüglicher Reden solle er sich weiter nicht unterfangen, sagte Tilly, sondern in Geduld warten; soviel an ihm liege, solle niemandem das Seinige genommen werden.

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Obwohl Oxenstierna auf die Pläne seines Königs einging, so stellte er ihm doch häufig vor, wie schwierig ihre Ausführbarkeit sei. Die deutschen Fürsten, sagte er, ließen sich zwar neuerdings gern in Traktaten mit fremden Potentaten ein, solange es ihnen vorteilhaft schiene; aber sie wären hochfahrend und eigensinnig, duldeten nicht gern jemand über sich, an der Religion sei ihnen im Grunde wenig gelegen. Das Volk wolle nichts von Fremden wissen, niemand sei den Schweden hold außer des Vorteils wegen. Wenn dem König das Kriegsglück nicht beistehe, was dann aus ihm werden solle im Innern eines feindlichen Landes mit einer Handvoll bewehrter Bauern?

Hochfahrend wären die deutschen Fürsten wohl, entgegnete Gustav Adolf, allein auch feige und unterwürfen sich lieber einem Fremden als ihrem Kaiser. Freilich müsse er Macht haben, sie zu zwingen, dürfe sich nicht auf ihren guten Willen verlassen; aber wenn er Geld von Frankreich bekäme, würde es ihm an Soldaten nicht fehlen, das Reich wimmle davon wie ein Stück faules Fleisch von Maden. Das Volk, soweit es evangelisch sei, fürchte die Papisten und werde ihm anhangen, weil er es bei der Religion schütze. Er könne allerdings scheitern, wenn das Kriegsglück ihn verließe, das sei aber nicht zu fürchten, es folge dem Kühnen, und wagen müsse jeder, der leben wolle. Seit die Eifersucht der Fürsten den Wallenstein verdrängt habe, sei keiner mehr im Reich, der ihm die Stirn bieten könne; vielleicht könne er sogar Wallenstein auf seine Seite ziehn, der des zugefügten Schimpfs wegen empfindlich sein würde. Tilly sei alt, verstehe von neumodischer Kriegführung nichts, habe zuviel Bedenken. Ihn treibe Gott, der wisse, wozu es gut sei.

Sicherer ist es, der Stimme der Vernunft Gehör zu geben, meinte Oxenstierna.

Ob er denn das nicht tue? rief Gustav Adolf. Ob er nicht seit Jahren zuwarte, bedenke, vorbereite? Auch jetzt würde er nicht handeln, wenn er nicht überzeugt sei, daß soviel günstige Umstände und Zufälle nicht wieder zusammentreffen würden.

Den Heerzug so gut wie möglich auszurüsten, war der König unermüdlich tätig: Kleider, Schuhwerk, Waffen für die Soldaten mußten in Schweden angefertigt werden, und er bereiste selbst das Land, um die Arbeit zu begutachten und zu ermuntern.

Ein wichtiges Projekt betrieb der König schon seit Jahren mit dem Antwerpener Usselinx, der als ein Kalvinist seine Vaterstadt verlassen und im überseeischen Handel viele Erfahrungen erworben hatte, die er zur Bekämpfung und Vernichtung des Erzfeindes verwenden wollte. Seinen Plan zur Errichtung einer westindischen Handelskompagnie, die Spanien aus Amerika verdrängen sollte, hatte er zuerst den holländischen Staaten vorgelegt, dort aber aus gewissen Gründen keinen Beifall damit gefunden. Seiner Meinung nach sollte man nämlich nicht darauf sehen, möglichst viel Edelmetall einzuholen; so habe Spanien verfahren, das komme aber nur einzelnen reichen Handelsleuten zugute. Man solle auch nicht die Arbeit von eingeborenen Sklaven verrichten lassen; denn Sklavenarbeit sei nicht nur teuer, sondern auch kostspielig, da Sklaven unwillig arbeiteten, sich auch bekanntermaßen oft aus Desperation den Tod gäben. Vielmehr solle man den gemeinen Mann in Kolonien ansiedeln, der freudig für eigenen Verdienst arbeiten und mit dem Mutterlande Handel treiben würde, so würde das Volk wahrhaft bereichert, es komme alles dem gemeinen Wesen zunutze, und infolge der Zölle, die man erheben könne, brauche der arme Mann daheim nicht mehr so stark besteuert zu werden.

Die Holländer, denen es mehr um rasche Einfuhr von Gold und Silber zu tun war, gingen auf die Ideen des Usselinx nicht ein, wohl aber ergriff sie Gustav Adolf, wenn es auch freilich schwer war, das nötige Kapital in dem armen Schweden aufzubringen. Eine weitere Hinderung bildete der Umstand, daß Schweden seinen reichen Ertrag an Kupfer in Spanien abzusetzen pflegte und deswegen die Handelsbeziehungen zu Spanien nicht aufgeben konnte; nun aber hoffte Usselinx, daß sich im Deutschen Reich sowohl das Geld zur Fundierung der Kompagnie finden würde, wie auch, daß es ein neues Absatzgebiet für das schwedische Kupfer abgeben könne.

Auf einem Gutshof in der Nähe von Upsala hatte der König eine Zusammenkunft mit Usselinx; der Abend dämmerte schon, als er den alten Mann mit den leidenschaftlichen Augen nach langem Gespräch entließ. In angeregter Stimmung rief er Skytte, der ihn auf dieser Reise begleitete, um noch ein wenig im Freien mit ihm auf und ab zu gehen; sie erstiegen einen grasbewachsenen Hang, in dessen Schutz das Gehöft lag, und schritten dann zwischen unübersehbaren, stark duftenden Getreidefeldern hin, die das gezackte Band eines Tannenwaldes am Horizont begrenzte. Der Halbmond, der groß und gelbglühend darüber aufging, schüttete einen Strom fremden Lichtes über den steinigen Weg. »Wie schön ist mein Land,« sagte der König, »und wie glücklich wird der Tag sein, wenn ich es wiedersehe!«

Er sei zu alt, um auf diesen Tag zu hoffen, sagte Skytte; der König setze seinen Fuß auf ungewissen Boden, die undurchdringliche Zukunft verschlinge ihn, wer könne wissen, wann sie ihn wiederbringe.

So sei es freilich für diejenigen, die zurückblieben, sagte der König. Ihm sei anders zumute, er gehe winkenden Sternen entgegen wie sie jetzt dem wachsenden Monde. »Die Ferne schimmert«, sagte Skytte; »kommen wir näher, so sehen wir, daß alles aus einerlei Lehm und Staub gemacht ist.«

Nein, nein, sagte Gustav Adolf, das wären grämliche Theologenmeinungen; die Erde sei mannigfaltig, habe freilich überall Vorzüge und Mängel, aber in ungleicher Verteilung. Er wisse wohl, Schweden sei ein schönes Land, und keiner könne es mehr lieben als er, es bringe starke, kluge und treue Menschen hervor, sei aber hart und unergiebig. Warum sollten diese guten Menschen es schlechter als andere haben, weniger verdienen, ungelehrt und ungeübt in vielen Geschicklichkeiten bleiben? Gott habe die Blumen sich festwurzeln lassen, die Menschen aber beweglich gemacht, damit sie das Gute und Nützliche von allen Orten holten.

So hätten wohl auch die alten Wikinger geredet, sagte Skytte, die ausgezogen wären, um im Süden Gold und Überfluß und Üppigkeit zu suchen. Aber sie wären zugrunde gegangen oder hätten dort unten abenteuerliche Reiche gegründet; was für Vorteil aber Schweden davon gehabt hätte?

Er sei kein Abenteurer, rief der König zornig, indem er stehenblieb. Verließe er denn Schweden um seinetwillen? Gehe er nicht blutigen Kämpfen, Anstrengungen und Gefahren entgegen? Tue er das nicht, um seinem Volke neue Wege für seinen Handel, einen Markt für seine Erzeugnisse, feinere Bildung zu erschließen? Wolle er nicht vor allen Dingen den wahren Glauben ausbreiten?

Ach, der sitze ja noch nicht einmal in Schweden fest, rief Skytte. Die Hälfte des Adels und zwei Dritteile der Priesterschaft würden wieder katholisch werden, wenn der Polenkönig den Thron erhielte. Warum Gustav Adolf nicht den Glauben und die Wohlfahrt in Schweden stärken wolle? Hier sei ein arbeitsames, williges Volk, das zu ihm aufblicke als zu seinem Hort und ihn mit schwerem und bitterem Herzen scheiden sehe. Warum er das verlassen wolle?

Er trat mit diesen Worten dicht an den König heran und legte beide Hände fest auf seine Schultern, als ob er ihn festhalten wollte. »Willst du deinem König Gewalt antun?« rief Gustav Adolf, indem er den Arm reckte und die Faust ballte. »Willst du deinen alten Lehrer schlagen?« entgegnete Skytte, worauf sie sich eine Weile mit zornblitzenden Augen gegenüberstanden.

Er wolle gern sein Leben lassen, sagte Skytte, als der König den Arm hatte sinken lassen, wenn er ihn nur zurückhalten könne. Er, der König, möge wohl glauben, daß er ausziehe, um seinem Volke teure Güter heimzubringen; aber dem sei nicht so, sein ungestümes Herz blase die Segel auf. Ob er schon bedacht hätte, wie es dann sein würde, wenn er zwei oder drei Siege erfochten hätte? wenn er Bündnisse mit zwei oder drei Fürsten abgeschlossen, wenn er selbst die alte Kaiserkrone sich aufgesetzt hätte? Ob er glaube, daß er dann Ruhe gefunden hätte?

Der König bedeckte die Augen mit der Hand und schwieg. »Ruhe finde ich wohl nur in der Ewigkeit«, sagte er langsam.

Skytte liefen die Tränen aus den Augen. Er würde auf die Knie fallen, sagte er, wenn es nützte; aber er sehe nun wohl, man könne den König so wenig aufhalten wie das Meer oder den Sturm der Zeit.

Der König umarmte Skytte und lachte. Da er nicht werde glauben wollen, daß es der Teufel sei, der sein Herz unaufhaltsam bewege, sagte er, müsse es Gott sein, also solle er nicht sorgen. Es sei genug der Traurigkeit und der Zweifel, Zweifel sei für ihn Stickluft.

Sie waren inzwischen an einen breiten Graben gekommen, der verschiedene Felder voneinander trennte. Da wolle er hinüber, sagte der König, Skytte solle es ihm nachtun, wenn er könne, nahm einen Anlauf, sprang und hielt Skytte, von der Anstrengung keuchend, die Hand hin. Dieser nahm sie nicht an, sondern führte den Sprung ohne sichtliche Mühe aus, so daß der König ihn verwundert und ein wenig neidisch betrachtete und sagte, Skytte sei ja, obwohl zwanzig Jahre älter als er, sein Meister im Springen. Er fange an fett zu werden, das tauge nicht für einen König, und er müsse mehr Zeit an körperliche Übungen wenden. Jetzt gleich wolle er zu dem Gutshofe zurück und zu einem Tanz aufspielen lassen, Tanzen sei ihm nach der Schlacht der liebste Umtrieb, weil zugleich Musik dabei sei.

Knechte und Mägde waren schon in den Betten, mußten aber aufstehen, und auch eine Zither und eine Fiedel wurden hervorgeholt. Es sei kein guter Tanzboden, sagte der König, aber ein Schwede müsse sein Mädchen auch auf Stoppelfeldern schwingen können. Er tanzte mit Majestät, Anmut und Leidenschaft, zuweilen den Takt mit dem Fuße angebend und in die Musik einstimmend. Im Tanzen sei er Skytte überlegen, rief er diesem triumphierend zu, Fett tanze und Mager springe besser. Als er genug hatte, ließ er sich die Zither geben und begleitete sich mit einigen Griffen zum Gesange, während jung und alt sich auf den Boden lagerte und lauschte. Diesem und jenem Mädchen zunickend, sang er kleine Reime von der Liebe: ›Süß ist es, mit dir zu lachen, süß, dich zu küssen, ach und am süßesten, um dich zu weinen‹; und mehrere dergleichen, lustige und traurige. Plötzlich schien er die Gesellschaft zu vergessen, stützte träumerisch den Kopf in die Hand und sang ein aus dem Italienischen übersetztes Lied, das ihn einst seine Jugendgeliebte, Ebba Brahe, gelehrt hatte:

Der Tag verrinnt, alle Lichter ertrinken,
Einst wirst du ruhn, mein Herz,
Und in Nacht versinken.

Die Bauern hielten den Atem an, um den König nicht zu stören. Nach einer Weile hob er den Kopf, dankte allen, daß sie ihm zum Gefallen aufgestanden wären, winkte freundlich lachend mit der Hand und wünschte gute Nacht.

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Als sich Wallenstein im Februar des Jahres 1630 in Sagan aufhielt und die von ihm gegründete Jesuitenschule besuchte, traf es sich, daß dort gerade von den Schülern eine Tragödie aufgeführt wurde, das Spiel von Welt und Tod, welcher Darstellung beizuwohnen die Väter den Herzog einluden. Das Stück spielte in Rom zur Zeit des Nero, und es war darin das brennende Rom zu sehen, durch dessen Straßen, unangetastet vom Feuer, der Tod schritt, und wie der Kaiser die von ihm entzündete Brunst betrachtete. Nachdem der Tod in den ersten Auftritten gleichsam im Dienste Neros erschienen war und seine Opfer gefällt hatte, wendete er sich zuletzt gegen ihn selbst, als er eben auf der Bühne, festlich gekleidet, seine eigene Schönheit und Größe besingen wollte, so daß er alle Zier ablegen und in einen Bettler verwandelt dem Herrscher folgen mußte. Den Schluß bildete die Überwindung des Todes, so dargestellt, daß ein von wilden Tieren in der Arena zerrissener Christ und Märtyrer, über dessen Grab der Tod selbst einen Felsen gesetzt hat, diesen beiseite schiebend aufersteht und mit einem Lichtleib gen Himmel fährt.

Wallenstein nahm die Einladung an und erhielt einen vor alle übrigen Zuschauer gerückten Sessel nebst einem bequemen Schemel für sein krankes Bein. Es trat zuerst der Philosoph Seneca auf und hielt an seine Schüler eine Rede über die Tugend und das glückliche Leben, in welcher er plötzlich, während die Bühne sich durch das Erlöschen der Lichter verdunkelte, durch den von Harfenakkorden verkündigten, hinter ihm eintretenden Tod unterbrochen wurde. Derselbe setzte den Fuß auf die schleppende Toga, in die der Philosoph eingehüllt war, so daß sie von seinen Schultern herab auf den Boden glitt, und sang mit hoher Knabenstimme in rezitativischer Weise:

Schweig stille, Mensch, tritt aus der Zeit.
Ein andrer trägt hinfort dein Kleid.

Der Vers war kaum beendigt, als Wallenstein aufstand, seinen Sessel zurückschob und in augenscheinlicher Mißstimmung dem Ausgange des Saales zuschritt. Musik mache ihm übel, sagte er zu den Vätern, die ihm erschrocken nacheilten, sie hätten ihm vorher sagen sollen, daß eine Opera aufgeführt werde. Der Vorsteher der Schule, der klein und zierlich war, sah den unzufriedenen Fürsten von unten herauf teilnehmend an wie einen Kranken, der geschont werden müsse, und entschuldigte sich mit bedauernden Worten. Das Stück sei in der Tat auf die neumodische italienische Art hergerichtet, sagte er, und er habe geglaubt, dem Herzog dadurch eine angenehme Überraschung zu bereiten. Seine Empfindlichkeit sei ihm unbekannt gewesen; ob er befehle, daß das Stück ohne Musik zu Ende gespielt werde? Nein, das wolle er nicht, diejenigen, die an dergleichen ein Belieben trügen, sollten sich seinethalb vollhören, sagte Wallenstein spöttisch. Während die Väter in der Tür stehend den Herzog in seine Kutsche steigen und davonfahren sahen, flüsterte der Kleine den anderen lachend ins Ohr, Wallenstein komme ihm vor wie der Teufel, der mit verstopften Ohren abfahren müsse, wenn der heilige Name Gottes vor ihm ausgesprochen werde; worauf sie wieder hinaufgingen und dem Ende des Stückes beiwohnten. Wallenstein fuhr in seine Burg zurück, wo inzwischen der ihm durch den Großherzog von Florenz empfohlene Astrolog Seni eingetroffen war und ihm vorgestellt wurde. Der Herzog ging dem sich unablässig Verbeugenden entgegen, reichte ihm die Hand, erkundigte sich nach dem Verlauf seiner Reise und fragte, ob Seni mit den ihm angebotenen Bedingungen zufrieden sei. Seine Exzellenz, der Herr von Taxis, der mit ihm verhandelt habe, antwortete Seni, sich noch immer verbeugend, habe ihm 1000 Gulden jährlichen Lohn verheißen, womit er zufrieden und dankbar sei. Der Taxis sei ein schäbiger Hund, fuhr Wallenstein ärgerlich auf, einen verdienstvollen Gelehrten wie einen Barbier oder Feldprediger abfertigen zu wollen; Seni solle das Doppelte erhalten und werde ihm, wie er hoffe, viele und wichtige Dienste leisten.

Der Astrologe hatte Wallenstein noch nicht lange verlassen, als ihm Kepler gemeldet wurde, den er erst nach einigem Besinnen empfing, ohne ihn anzusehen und sich anstellend, als sei er in eine vor ihm auf dem Schreibtisch liegende Arbeit vertieft. Der Herzog werde wissen, weswegen er komme, sagte Kepler, nachdem er eine Weile gewartet hatte, nämlich seines Geldes wegen. Der Herzog möge die Gnade haben, ihn zu befriedigen, das häufige Erinnern sei ihm zuwider.

Er wisse nicht, daß er ihm etwas schuldig sei, entgegnete Wallenstein, da ja Kepler nicht für ihn arbeiten wolle. Er habe Kepler nach der nächsten Konstellation des Planeten Jupiter mit dem Saturn gefragt, die zu kennen für ihn von höchster Wichtigkeit sei, Kepler habe ihm aber nicht entsprochen, sei es, daß er nicht gekonnt oder nicht gewollt habe.

Er habe nicht wollen, sagte Kepler. Wenn er glaubte, daß es dem Herzoge nützlich sei, würde er es tun, übrigens sei es nicht seine Sache.

Aus dem Grunde, fuhr Wallenstein fort, habe er den berühmten Astrologen Seni in seinen Dienst genommen, der eben eingetroffen sei. Niemand werde ihm zumuten, daß er zwei Astrologen besolde. Er zahle dem Seni 2000 Gulden, obwohl derselbe auch mit der Hälfte zufrieden gewesen sein würde; aber er pflege diejenigen, die ihm dienten und für ihn arbeiteten, reichlich zu belohnen. Für Widerspenstige habe er nichts übrig.

Der Herzog irre sich, sagte Kepler scharf, er sei nicht sein Herr. Der Kaiser schulde ihm 12 000 Reichstaler, was er auch anerkannt und für welche Summe er ihn auf die Einkünfte Mecklenburgs und also auf den Herzog angewiesen habe. Er sei somit des Herzogs Gläubiger und habe von ihm zu fordern.

Wallenstein schoß von der Seite einen zornigen Blick auf den blassen, grauhaarigen, etwas gebeugten Mann, dessen dunkle Augen er auf sich ruhen fühlte. Der Kaiser habe ihn nicht vorher gefragt, sagte er, auf den mecklenburgischen Einkünften stehe noch vieles, was wichtiger und dringlicher sei. Die Majestäten wären offenbar mit seinen Diensten auch nicht sehr zufrieden gewesen, daß sie ihn nicht bezahlt hätten. Was er eigentlich für sie getan hätte?

Im Dienste des Kaisers Rudolf, sagte Kepler, indem er sich stolz aufrichtete, habe er die astronomischen Tafeln gefertigt, die Sterne beobachtet und Kalender gemacht. Übrigens habe er die Physik des Himmels geschaffen und in Büchern niedergeschrieben; aber das habe ihm niemand bezahlt.

»Man bezahlt, was man braucht«, sagte Wallenstein. Seine Bücher brauche vielleicht Gott.

Das hoffe er, sagte Kepler; inzwischen verlange er von den Menschen nur, was sie ihm schuldig wären.

Er sei ein hartköpfiger Schwabe, sagte Wallenstein, indem er mit der geballten Hand auf den Tisch schlug und Kepler gerade ins Gesicht sah.

Dieser lachte ein wenig, indem er erwiderte, dergleichen Köpfe scheine es auch bei den Böhmen zu geben.

Wallenstein lachte nun auch und sagte, wenn doch keiner von ihnen etwas gegen den andern ausrichtete, wäre es das beste, daß sie sich vertrügen. Übrigens sei ihm hinterbracht worden, daß Kepler in der letzten Zeit fleißig den Himmel beobachtet habe. Ob etwas Neues vorgehe?

Er habe festgestellt, sagte Kepler, daß im nächsten Jahre, dem Jahre 1631, der Planet Venus an der Sonne vorübergehen werde, was noch von keinem Astronomen beobachtet worden sei.

Wallenstein stützte den Kopf in die Hand und verfiel in Sinnen. Das werde den Sieg des Schweden zu bedeuten haben, dachte er; aber plötzlich fiel ihm ein, es könne auch den Einfluß des Bayernherzogs auf den Kaiser anzeigen. Eggenberg hatte ihm zwar versprochen, diesem ingrimmigen Feinde die Waage zu halten; aber Eggenberg, obschon ihm standhaft ergeben und dem Bayern abgeneigt, war doch nur eine steirische Schnecke, behaglich in ihrem Schleime kriechend, das Haus andächtig auf dem Rücken, und die Hörner einziehend, wenn diesem Heiligtum Gefahr drohte.

Kepler zog sich knurrend und seufzend zurück und dachte, er werde wohl bis an seines Lebens Ende weiterbetteln müssen. Schließlich sei es gut, daß von seinen Kindern die meisten klein gestorben wären, obschon er sich jedesmal gegrämt hatte; aber was stände ihnen bevor, wenn er ihnen das Erbgut nicht sichern könnte? Sie arteten doch alle nicht nach ihm, daß sie sich vom Wetter nicht verbiegen ließen, sondern ihren unentwegten Wuchs in sich hatten, außer etwa seine Tochter Susanne, welche nun den Magister Bartsch heiratete. Diese Heirat bedrückte ihn ein wenig, insofern, als er fühlte, daß das liebe Mädchen nur aus gehorsamer Liebe zu ihm eingewilligt hatte, der sie auch nur deshalb wünschte, weil er sich zuweilen so erschöpft fühlte, als könne ein Windstoß ihm unversehens das Licht auslöschen. Zuweilen dachte er, daß er am liebsten das teure, zärtliche Köpflein an seine Brust legen und mit aus der Welt nehmen möchte, wenn er stürbe; aber er tröstete sich dann damit, daß ihr reines, tapferes Herz seinen Stand immerhin behalten und seinen Ton singen und also in dem unendlichen Konzert der Welt mitverschlungen bleiben werde.

Die Hochzeit der Susanne Kepler richtete Professor Bernegger in Straßburg in seinem Hause aus, wie wenn sie seine eigene Tochter wäre. Das Sparen und Abknappen, an welches man sich in diesen schlimmen Zeiten gewöhnt hatte, sollte an diesem festlichen Tage nicht zu verspüren sein, soweit es die Bedenklichkeit und Nörgelei des Rates zulasse, der alles unnötige Gepränge und namentlich das Musikmachen bei Hochzeiten wegen des Kriegselends verboten hatte. Davon, erklärten die Ratsherren dem Bittsteller, könnten sie durchaus nicht abgehen, sonst murre der gemeine Mann, daß für ihn die Verbote und für die oberen Stände die Übertretungen wären.

Man müsse doch aber bedenken, wandte Bernegger ein, daß es sich um die Tochter des Johannes Kepler handle, eines Mannes, dessengleichen in Jahrhunderten nicht wiederkäme.

Der Kepler sei ein schwäbischer Mathematiker und Kalendermacher, antworteten die Ratsherren mißvergnügt, habe sich in katholischen Gegenden sein Brot gesucht, stehe in Kaisers Diensten, sie könnten keine Rücksicht auf ihn nehmen. Da sei Gott geklagt, rief Bernegger sich ereifernd, daß deutsche Männer so redeten. Im Auslande werde Kepler gekannt und verehrt. Ihm habe Gott die Geheimnisse des Universums offenbart, er sollte billig wie ein Prophet oder König gefeiert werden.

Das wären Schwärmereien, antworteten die Ratsherren, und in den jetzigen Zeitläuften müsse man vor Sektierern doppelt auf der Hut sein. Es könne von den erlassenen Vorschriften niemandem zuliebe etwas abgelassen werden und sei überhaupt die Zeit zu Leichenbegängnissen besser geeignet als zu Hochzeiten.

Indessen fand der Rat doch für gut, Berneggern zum festlichen Tage ein Faß guten Weines ins Haus zu schicken, was dieser als einen über jenen davongetragenen Triumph betrachtete und wodurch seine Fröhlichkeit wieder hergestellt wurde. Beim Festmahle nickte er der neben ihm sitzenden Braut ein über das andere Mal herzlich zu und sagte ihr, wie stolz er sei, einen Tag lang Vater der Tochter des großen Kepler sein zu dürfen, und wie froh über ihr mittägliches Glücksschweigen. Ja, sie sei glücklich, sagte sie, denn sie reisten nun zu ihrem Vater, den sie so lange nicht gesehen hätte und nach dem sie sich um so mehr gebangt habe, als er sich seit einiger Zeit nicht mehr so wohl wie sonst befinde. Dies gab Bernegger Gelegenheit, die Gesundheit des echten Brautvaters auszubringen. Er begann damit, zu sagen, es sei eine elementarische Zeit, das Chaos rühre sich, verschlingend und gebärend, ja das Weltall selbst scheine sich zu dehnen und drohe zu bersten. Eine neue, fremde Gewalt werde nun auf den Plan treten, herrlich, siegreich und gefährlich. Es hätte wohl so weit nicht durchaus kommen müssen, sei doch auf Erden mehr Ursache zur Einigkeit als zum Streite; aber es sei ja weltkundig, daß es Leute gebe wie reißende Wölfe, die ein jedes Ding so lange beleckten, bis Blut käme, und es werde ohnehin jeder wissen, daß er damit auf die Jesuiten ziele, und gewisse Luthertheologen wären auch nicht anders. Nun hätten es diese dahin gebracht, daß die Menschen sich als in einen Knäuel ineinander verbissen hätten, und es könne nur noch ein scharfes Schwert den gordischen Knoten auseinanderhauen. Gefährlich sei es, wie das Beispiel der Griechen beweise, die ihrer Freiheit verlustig gegangen wären, als sie sich mit fremden Potentaten, den nordischen Königen Philipp und Alexander dem Großen, der gleichwohl ein Held gewesen sei, eingelassen hätten. Bei den armen Deutschen sei es aber jetzt so, daß einer den anderen auffresse, da herrsche das Gesetz der Notwehr, und ein jeder packe den Halm oder die Stange an, die er ergreifen könne. Noch ein anderes, fremdartiges Meteor sei am Himmel aufgegangen, das schwinge seine wilde Bahn quer wie ein blutiges Schwert durch den stillen Perlenkranz des Himmels. Ob Gottes Wort den Irrstern aufhalten oder ob ein mächtigerer Sternenfürst ihn anprallend zertrümmern werde? Ach, wie müsse ein Zweikampf zwischen solchen Unholden die Erde erschüttern! Wenn er nun aber bedenke, daß der edle Kepler im Hause Wallensteins wohne, so gehe ihm ein Trost auf. Gott führe den Genius sicher durch eine brennende Stadt, so werde er auch für das liebe Heilige Römische Reich Rat wissen. Er gedenke oft eines Wortes, das Kepler gesprochen habe: Wenn er nicht an die göttliche Harmonie geglaubt hätte, die die unendliche Welt wunderbar zu einem Ganzen fasse, und daß es keinen Fehler, Mangel oder Abweichung in ihr gebe, die nicht im Triumphe des Zusammenklingens aufgelöst werde, so hätte er die Gesetze nicht finden können, nach denen die Welt sich im Raume bewege. So wolle er, wenn er auch mit seinen kurzsichtigen Augen den Weg zum Frieden nicht sähe, doch an den Frieden glauben, der wie das grüne glänzende Laub in der braun verpichten Knospe verborgen sei, und denjenigen, der den Frieden bringe, wer immer es sei, willkommen heißen.

Susanne Kepler erzählte, ihr Vater liebe den Wallenstein nicht, er sei, habe er ihr unlängst geschrieben, in seinem Inneren kalt und schwarz wie die erloschenen Sonnen, die unsichtbar durch den eiskalten Weltraum rollten.

Bernegger nickte traurig: ein solches Gestirn, sagte er, werde freilich den werten Frieden nicht bringen. Es wären ja auch kürzlich in Tübingen und anderswo schreckliche Zeichen am Himmel erblickt worden, die auf neuen Kriegsausbruch deuteten. Die Witterung sei unzeitig schwül gewesen und gegen Abend ein großes Gewitter heraufgezogen, da habe man in den Wolken zwei sich gegeneinander bewegende Heerhaufen erkannt mit Kanonen, Lanzen und Fahnen, über denen habe hier ein Adler und dort ein Löwe gestanden, die Klauen und Tatzen gegeneinander gereckt und sich blutlechzend angefallen hätten.

Ja, sagte Magister Bartsch, der Bräutigam, in Tübingen wolle man das Krachen der Kanonen und Wiehern der gereizten Rosse vernommen haben.

Was das anbetreffe, sagte Bernegger, müsse man es wohl dem Aberglauben des ungebildeten Pöbels zuschreiben. Die Tübinger Professoren hätten ausgesagt, es sei allerdings das Bild einer fürchterlichen Schlacht am Himmel erschienen, deren Herkunft durch den Löwen und Adler für jeden Verständigen genugsam ausgedrückt gewesen sei; aber Schlachtendonner und -lärmen hätten sie nicht und hätte wohl auch niemand eigentlich wahrgenommen; es könne ja der furchtsame und leicht einbildnerische Pöbel den natürlichen oder physischen Gewitterdonner damit verwechselt haben.

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