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Landgraf Moritz kehrte vom Begräbnis seiner Tochter Elisabeth, die mit dem Herzog von Mecklenburg verheiratet gewesen war, voll bitterer Gedanken nach Kassel zurück. Am liebsten, dachte er, würde er so weiter reiten bis an der Welt Ende, wo die Wüste des leeren Raumes und die ewige Nacht wäre. Der blaue Himmel und das grelle Licht bedeutete ihm nicht mehr als das Gaukelspiel eines Marktschreiers, gut genug für die Affen und Schweine, die sich auf dem Jahrmarkt des Lebens berauschen wollen. Nun seines Mädchens Augen sich für immer von der Welt weggewendet hatten, ekelte sie ihn doppelt. Wenn ihr Kopf still an seinem Herzen ruhte, so ruhte auch sein Herz; jetzt war Friede für ihn nur außer den Sinnen. Vielleicht, dachte er, lebte sie noch, wenn er sie nicht mit dem immer biervollen Mecklenburger verheiratet hätte, an dessen Seite sie sich so verlassen gefühlt hatte. Warum hatte er es doch getan? Ja, es hatte sie kein anderer wollen, weil sie ihn, den Vater, fürchteten, der in Ungnade beim Kaiser war, über dem die Acht schwebte und der sie alle durchschaute und verachtete. Freilich, wie hätten sie auch sein Kind, seine Elisabeth, lieben können, die nichts als rein, klug, gut und holdselig war? Sie war kein feiles Weib, das seinen Busen auslegte, lüsterne Blicke nach Männern auswarf und sich wie eine Mänade der rohen Ausgelassenheit von Satyrn preisgab; eine Rose aus dem Paradiese war sie, dürstend nach dem Lichte der Liebe und dem Hauch des Geistes. So mochte es göttliches Verhängnis sein, daß sie so früh hingegangen war; vielleicht konnte er nun freier nach seiner Einsicht handeln, da ihn nichts mehr band, nichts mehr verpflichtete. Nun sollte seine einzige Aufgabe sein, sein Recht zu erringen; denn was er einst gewollt hatte, dem Reiche Gottes auf Erden den Boden bereiten, Dummheit, Aberglauben und Roheit ausrotten, dazu hatten ihm seine aufgebrachten Gegner schon die Macht genommen, so daß er nur noch um sein Dasein kämpfen konnte.

Vor Kassel empfing ihn sein Kanzler Wolfgang Günther, ehemals Syndikus von Paderborn, den Moritz nach der gewaltsamen Unterjochung und Katholisierung dieser Stadt durch den Bischof bei sich aufgenommen und zu seinem Geschäftsführer und Berater gemacht hatte. In ihm hatte er einen Mann gefunden, der große Ideen fassen und kühne Pläne, sie zu verwirklichen, entwerfen konnte, der nicht das Zufällige, sondern das Wesentliche sah. Dieser hatte ihm gezeigt, daß er niemals Kraft würde entfalten können, solange der Adel als eine schmarotzende Pflanze seinen Stamm umstrickte und ihn aussaugte. Umsonst arbeite das Volk, sammle sein Wurzelnetz Vorrat aus der Erde; bevor er noch die Krone des Baumes bilden könne, entziehe ihm der anhaftende Schwamm mit tausend Polypenrüsseln die Nahrung. Günther wies ihm nach, wieviel Bauern der Adel schon unter seine Herrschaft gebracht habe und wie er den Landgrafen allmählich zu einem Fürsten ohne Volk machen werde; wie er die Militärpflicht weder selbst leisten noch durch Geld ersetzen wolle und sich also der einzigen Pflicht gegen das gemeine Wesen entledigt habe, wie er gleich einem Vampyr nur vom Blute der andern lebe. Er zeigte ihm, wie die Bürgerschaft und die noch freien Bauern ihm ergeben wären und wie er aus ihnen sich ein starkes, treues Heer schaffen könne, das stets bereit sein würde, sein Vaterland zu verteidigen. Die Schritte, die der Landgraf tat, sich durch Errichtung eines Bürgerheeres vom Adel unabhängig zu machen, erbitterten die Ritterschaft bis zu offener Widersetzlichkeit, zur Weigerung der üblichen Geldbeiträge und zum Anschluß an Tilly, wodurch sich bei der schon bestehenden Schuldenlast der gänzliche Zusammenbruch des kleinen Landes vorbereitete.

Ob es den Landgrafen nicht freue, sagte Günther, wie herzlich er in seiner Hauptstadt begrüßt werde? Er habe inzwischen oft mit den Bürgern, Vorstehern, Zunftmeistern und Ältesten gesprochen und überall so viel Liebe und Hingebung an den Landgrafen gefunden wie Haß gegen die Verräter, die den papistischen Tilly mit seinen Kroaten ins Land gezogen hätten.

Ja, der rechtschaffene Bürger und Bauer verstehe ihn, sagte Moritz; aber was das jetzt helfe, nachdem Tilly schon einen Fuß im Lande habe? Nun, er wolle redlich kämpfen, und wenn er unterliege, mit ihm, Günther, nach Holland oder Genf auswandern, wo er einsam, den Blick auf die Letzten Dinge gerichtet, den Tod erwarten könne.

Dazu sei es noch zu früh, sagte Günther; wolle der Landgraf nur den Entschluß fassen und sich mit den Feinden des Kaisers offen verbinden, so könne eine solche Union dem Papismus vielleicht Trotz bieten. Komme es aber zum Äußersten, so getröste er sich der Gerechtigkeit des Landgrafen, daß er die Hand nicht von ihm abziehe, sondern ihn beschütze, damit er nicht das Ende des unglücklichen Bürgermeisters von Paderborn, seines Freundes, erleiden müsse, dem die triumphierenden Feinde das zuckende Herz aus dem aufgeschnittenen Leibe gerissen hätten.

Ja, so möchten sie wohl ihm, Günther, an seiner Statt mitspielen, sagte der Landgraf.

Daß es sie nach seinem Blute gelüste, wisse er, sagte Günther. Kürzlich sei er durch einen Wald geritten, der dem Eitel von Berlepsch gehöre und in welchem er eben gejagt habe. Da sei er auf einem engen Pfade mit dem Berlepsch zusammengetroffen, und der habe ihn geschimpft, weil er sein Jagdgebiet betrete, und ihn festnehmen lassen wollen. Er habe den Berlepsch fest angesehen und gesagt, er sei kein Wilderer, sondern der Kanzler des Landgrafen und in dessen Auftrage unterwegs. Da habe der Berlepsch wölfische Blicke auf ihn geworfen und gesagt, er solle achtgeben, daß er ihm nicht wieder ins Gehege komme; es gebe ein Gesetz, wonach man den Jagdfrevler nackt auf ein wildes Pferd binde und so in den Wald jage.

Sie waren mittlerweile vor dem Schlosse angekommen und stiegen von den Pferden. Er sei zwar nicht viel mehr als ein Bettler, sagte Moritz, aber doch noch Manns genug, einen treuen Diener und Freund zu schützen.

Er fürchte nichts und niemand, sagte Günther, wenn es gelte, seine Pflicht zu tun; aber er müßte ein Narr sein, wenn er als ein einzelner ohne Nutzen sich einer Horde blutgieriger Wölfe aussetzen wollte.

Der Landgraf reichte Günther seine magere Hand und sagte, er, Günther, habe sein Mannes- und Fürstenwort, daß er ihn niemals im Stiche lassen oder preisgeben werde. Sein Land sei ihm durch Falschheit und Ränke fast ganz geraubt, nicht seine Ehre; mit dem Pfande könne Günther ruhig schlafen.

*

Ende Oktober zog Tilly vor die Stadt Hannover und forderte sie auf, kaiserliche Besatzung einzunehmen, die sie vor den heranrückenden Dänen schützen würde. Sogleich versammelten sich die Ratsherren, unter denen ein gewisser Borkmann, ein alter weißhaariger Mann, der angesehenste war, auf dem Stadthause und beschlossen, dem Tilly zu willfahren, indem man dem Kaiser Gehorsam schuldig und von dem Dänenkönig nichts Gutes zu erwarten sei. Indessen war aber Herzog Johann Ernst von Weimar, der in dänischen Diensten stand, mit seinem Regiment vor die Stadt gerückt, erzwang sich mit einigen Adjutanten und Kommissaren Einlaß und kam selbst auf das Stadthaus: er habe gehört, sagte er, daß sie mit dem Kaiser parlamentierten; das könne er nicht dulden, verlange vielmehr, daß sie augenblicklich eine dänische Garnison aufnähmen. Die Ratsherren ersuchten ihn, in einer anderen Stube die Entscheidung zu erwarten; sie hätten nichts Feindseliges gegen den Dänenkönig im Sinne, jedoch würden sie sich des offenen Ungehorsams gegen den Kaiser schuldig machen, wenn sie sich mit ihm einließen, da er doch Krieg gegen den Kaiser führe. Das sei nicht wahr, brauste Johann Ernst auf, Christian IV. sei Direktor des niedersächsischen Kreises, der sich gegen Mansfeld in Defension gesetzt habe, was Tilly erst in Kaisers Namen vom Kreise verlangt habe und was er ihm nun mit üblicher jesuitischer Zweizüngigkeit vorrücke und aufmutze. Die Frage sei, ob sie evangelisch oder katholisch sein wollten, und er wisse wohl, daß viele in der Stadt mit den Papisten liebäugelten.

Wenn er etwa auf ihn ziele, sagte Borkmann, so könne er bei Gott schwören, daß er seinem Glauben treu anhänge. Es sei ihm aber nicht bekannt, daß es sich um den Glauben handle; denn dergleichen Forderungen seien noch nie an sie erhoben worden, wie man auch von Ausrottung der Religion nirgendwo gehört habe, wohin Tilly gekommen sei.

Als Tilly von diesem Streit hörte, schickte er einen Brief an den Rat des Inhalts, wer spargiere, daß er den lutherischen Glauben ausrotten wolle, tue das aus List, um das blindgläubige Volk gegen den Kaiser aufzuhetzen. Man möge sich erkundigen, ob er irgendwo die Bekenner der Augsburgischen Konfession in ihrem Gottesdienste gestört oder ob er sie nicht vielmehr gegen die oft irregeleitete und unverständige Soldateska geschützt habe. Er versichere nochmals, daß er einen jeden bei seinem Recht lassen, insbesondere geistliche Personen vor Einquartierung und Schaden jeder Art behüten werde, damit der Dienst der Notleidenden und Kranken, überhaupt aller derer, die des Trostes der Religion bedürftig wären, keine Unterbrechung leide.

Inzwischen hatte Johann Ernst auch nicht gefeiert, sondern sich auf der Straße gezeigt und in den Zünften ansagen lassen, wie der Rat und die Herren, die auf ihren Geldsäcken sitzen, sie verraten und die Jesuiten und Spanier in die Stadt locken wollten. Sie sollten sich zu ihm halten, er sei ein deutscher Fürst, der für die Freiheit und den Glauben leben und sterben wolle; wenn sie ihm folgten, würden sie eines guten Gewissens auf Erden und der ewigen Seligkeit im Himmel gewiß sein. Darauf gab es einen solchen Krawall in den Straßen, daß einem Teil der Ratsherren bange wurde; auch meinten sie, es könne doch wahr sein, daß Tilly sie ins Garn locken wolle, wie es nun einmal jesuitische Art sei, und daß sie am Ende das Trojanische Pferd in ihre Mauern zögen. Man wisse ja, wie es in Böhmen gegangen sei.

Böhmen und Österreich seien die Erblande des Kaisers, da könne der Kaiser nach Belieben schalten, sagte Borkmann, in reichsfürstlichen Landen müsse er die bestehenden Freiheiten respektieren. Ach, sie sollten ihm doch glauben und sich nicht mit den Dänen einlassen, daraus würde unendliches Blutvergießen und zuletzt der Untergang aller hervorgehen.

Während noch so hin und her gehandelt wurde, drangen mehrere dänische Fähnlein mit Hilfe der Bürger in die Stadt und quartierten sich ein, ohne daß der Rat es zu hindern vermocht hätte.

Johann Ernst hoffte Tilly auch aus dem Schlosse Kalenberg, das er besetzt hatte, zu vertreiben und plante zu diesem Zwecke einen nächtlichen Überfall, der jedoch infolge unglücklicher Zufälle nicht zur richtigen Ausführung kam. Um die einsame Windmühle bei Seelze pfiff die herbstliche Mitternacht, als Herzog Friedrich von Altenburg, nachdem er mehrere Stunden lang auf das Kommando zum Angriff gewartet hatte, heimzugehen beschloß. Die Leute sollten sich wieder in ihre Quartiere begeben, befahl er, auch er wolle sich schlafen legen. Müde und voll verdrießlicher Gedanken ritt er nach Seelze, wo er wohnte, zurück. Warum war aus dem Angriff nichts geworden, hatte er die Truppen umsonst ermüden müssen? Er dachte, daß es Johann Ernst doch wohl an der gehörigen Umsicht fehle; oder hatte Obentraut, sein unmittelbarer Vorgesetzter, der Generalleutnant der Kavallerie, schuld? Obentraut war immer zu rasch und zu sicher; er reizte ihn, Herzog Friedrich, durch seine beständige Munterkeit. Freilich wußte er nichts von den Qualen, die ihn, seit er lebte, verfolgten. Häßliche schwarze Bilder tauchten vor ihm auf; er dachte an seine Mutter, eine Prinzessin von Pfalz-Neuburg, die, an Melancholie erkrankt, in Zurückgezogenheit lebte, nach der er als verlassenes Kind so oft verlangt hatte und deren gespannter Blick und schweres Seufzen ihn ängstigten und schreckten, wenn er bei ihr war; an die Jahre, die er am Hofe von Dresden in Gesellschaft seiner Vettern von Weimar verlebt hatte, die ihm vorwarfen, er suche sich die Zuneigung des verhaßten Oheims, Johann Georgs, zu erschmeicheln. Dann dachte er an seinen Bruder, den regierenden Herzog, der es gut hatte und heiraten konnte und der ihn nicht einmal mit genügend Geld versorgte; dann an die gehässigen, verleumderischen Anklagen, deren Zielscheibe er war. Kürzlich während eines Streites, der beim Bankett entstanden war, hatte ihn der Hofmarschall von Rantzau einen Wortbrüchigen gescholten, weil er bei der Entlassung aus österreichischer Gefangenschaft geschworen habe, nie mehr das Schwert gegen den Kaiser zu führen, und es nun doch tue. Obentraut hatte durch seine Dazwischenkunft den Zweikampf verhindert, den Herzog Friedrich aber doch nicht aufgegeben hatte; denn konnte er seine Ehre kränken lassen, ohne sich zu rächen? Abgesehen davon, daß der Eid erzwungen zu nennen war, kämpfte er ja nicht gegen den Kaiser, sondern hatte Dienst beim König von Dänemark angenommen, der mit Bewilligung des Kaisers Oberster des niedersächsischen Kreises geworden und jetzt von dem ligistischen General Tilly angegriffen worden war. Wie konnte ein dänischer Adliger sich erkühnen, ehrverletzende Reden gegen einen deutschen Reichsfürsten zu führen, und wie konnte Obentraut einen deutschen Reichsfürsten hindern wollen, daß er einen Ehrabschneider strafe? Seine Ungeduld, das Blut des Beleidigers zu vergießen, würgte an seinem Herzen, als ob er ersticken müsse. War es der Böse, der ihm die düsteren Gedanken einblies, vor denen ihm selbst graute? Es war ihm, als ritte der Satan hinter ihm her über die Stoppelfelder, von einem schwarzen Mantel umsaust, der die Welt verdunkelte, und griffe mit zischender Kralle nach ihm. Als er sich entsetzt umwendete, sah er seinen Stallmeister, der, bei Namen gerufen, auffuhr und lachend sagte, er sei im Reiten eingeschlafen.

Sie waren inzwischen beim Quartier angekommen, und nachdem sich Friedrich von seinem Stallmeister die Stiefel hatte ausziehen lassen, warf er sich in den Kleidern aufs Bett und schlief augenblicklich ein. Kaum eine Viertelstunde später kam ein Eilbote von den Vorposten mit der Nachricht, die Tillyschen ständen bei Pattensen, es tue höchste Eile not. Friedrich schickte Botschaft an Obentraut und Johann Ernst; in einem Augenblick hatte er seine Stiefel angezogen, Alarm wurde geblasen, der Boden bebte vom Galopp der fliegenden Reiter. Wie schwarze Wolken vor dem Sturme jagten sie über die Heide; Friedrich fühlte keine Müdigkeit noch Traurigkeit mehr, es war ihm plötzlich überaus wohl zumute. Mit dem ersten Angriff warf die Reiterei das Tillysche Regiment zurück; aber wie es gesammelt wieder vorrückte, wurde Friedrich durch eine Kugel im Unterleib verwundet. Er empfand einen Schmerz; aber der Schmerz sowie alles, was er wahrnahm, schien weit von ihm fort zu sein. Er sah seinen Stallmeister, der ihn auf dem Pferde stützte, ein schwarzes Wasser und eine Brücke, die mit hölzernen Fingern zu winken schien, und fremde Reiter, die fragten, wer er sei und ob er sich ergeben wolle. Wie er sich bemühte, mit dem Kopfe zu nicken, sah er, daß einer der Reiter sich plötzlich vorbeugte, um ihm ins Gesicht zu sehen, und daß er, indem er rief: »Es ist der meineidige Altenburger!«, den Arm hob und die Pistole gegen seine Brust richtete. Der Stallmeister versuchte seinen Herrn zu decken, konnte ihn aber nur auffangen, wie er tot vom Pferde stürzte. Inzwischen war Obentraut mit seiner Reiterei erschienen und hatte den Feind noch einmal geworfen; aber auch er wurde schwer verwundet und starb, von Tilly auf dem Schlachtfelde gefunden, in dessen Kutsche.

Sich Hannovers zu bemächtigen, glückte Tilly doch nicht. Da er sah, wie die Regierungen fast überall dem Kaiser und dem Frieden geneigt waren und wie der Feind das im protestantischen Volke gegen die Katholiken herrschende Mißtrauen ausnützte, ließ er Manifeste aufsetzen, daß das Gerede von Anschlägen des Kaisers gegen Libertät und Glauben ganz und gar nichtig und vielmehr ein listiger Anschlag der Rebellen und Ausländer sei, die sich in das ehedem so stolze und gefürchtete Reich eindrängen und darin rauben und plündern wollten. Was das für eine Libertät sei, die das Reich unter fremdes Joch bringe? Den Glauben betreffend, so sollten sie sich doch umsehen, ob sie in Städten oder Dörfern, durch die er gekommen sei, einen einzigen Geistlichen finden möchten, den er von seinem Amte gedrängt oder an der Predigt oder sonstigen Ausübung seiner Pflicht gehindert hätte.

Dergleichen Manifeste, die auch in der Stadt Braunschweig und in Wolfenbüttel verbreitet wurden, machten der Herzogin Elisabeth schwere Gedanken, zumal täglich Klagen von den Amtleuten einliefen über das schreckliche Hausen der Truppen ihres Bruders und ihres Sohnes. Sie ließ den Kanzler Eltz kommen, der früher in pfälzischen Diensten gestanden hatte, und sagte ihm, sie wolle durchaus wissen, ob der Krieg ein Religionskrieg sei oder nicht; denn um der Religion willen müsse man freilich Trübsal leiden, gehe es aber nicht um die Religion, so müsse dem Blutvergießen und Landverderben ein Ende gemacht werden.

Das sei doch keine Frage, antwortete Eltz lachend, daß es ein Religionskrieg sei. Die Herzogin solle doch einmal nachdenken, wie er angefangen habe. Würden England und die Staaten es sich sonst so viel Geld kosten lassen, und würde ihr königlicher Bruder sein Reich verlassen und sein Leben wagen? Die heuchlerischen Worte des bösen und falschen Tilly hätten sie irregemacht; jetzt freilich hänge er den Schafspelz um, man sollte ihn aber nur einmal hereinlassen in den Stall, so würde er schon die scharfen Wolfszähne zeigen.

Doch habe er sein Wort gegeben, die Waffen niederzulegen, sowie Dänemark entwaffne, sagte Elisabeth, und ihr Bruder habe früher selbst gesagt, Friedrich von der Pfalz hätte sich der Böhmen nicht annehmen sollen und sei ein ungehorsamer Vasall. Er würde seinen Vasallen anders heimleuchten, wenn sie sich so gegen ihn hervorwagen wollten.

Das möge wohl sein, sagte Eltz, aber die pfälzische Sache gehöre gar nicht daher, indem der Kaiser sich ihrer nur als Vorwand gebrauche, um den ganzen Norden in Servitut zu bringen und dem Papst auszuliefern.

Diese Meinungsäußerung befriedigte Elisabeth nicht ganz; denn sie sagte sich, daß sie vielleicht weniger aus der Überzeugung und dem Gewissen stamme als aus dem Geldbeutel des Kanzlers, den ihr Bruder, der König von Dänemark, gefüllt habe. Deshalb forderte sie ein Gutachten von der braunschweigischen Geistlichkeit, ob der Krieg für einen Religionskrieg zu achten sei, und erhielt von dem Konsistorium auf vielen Seiten eine Antwort, welche sich etwa folgendermaßen entwickelte: Obwohl es anerkannt und füglich unbestreitbar sei, daß dem Kaiser jeder Reichsstand Gehorsam schulde, so werde doch hoffentlich niemand zweifeln, daß über dem Kaiser Gott stehe, dem man zuvörderst gehorchen müsse. Nun sei ja freilich nicht zu leugnen, daß die Reichsstände Verbindungen mit ausländischen Potentaten nicht eingehen wie auch, daß sie sich eines Ächters nicht annehmen dürften, obwohl die früheren Verträge, das ungewohnte und unbillige Verfahren des Kaisers und daß der König von Dänemark als ein Reichsglied zu achten, in Betracht gezogen werden müsse. Dazu sei es auch an dem, daß der Kaiser sich mit Spanien und dem Papst verschworen hätte, die Ketzer auszurotten, wie es denn zum papistischen Aberglauben überhaupt gehöre, daß man den Ketzern das Wort zu halten nicht schuldig sei. Infolgedessen könne man auch den Papisten und dem Tilly insbesondere die Beteuerung, es solle der evangelische Glaube nicht angetastet werden, nicht glauben, wenn auch Graf Tilly als ein Privatmann ehrbar und tugendhaft sei und es ehrlich meine; es werde doch die sogenannte ratio status, zu deutsch Staatsvernunft, dem Treu und Glauben vorangesetzt werden. Inwiefern dabei aber eine neue Regel solle eingeführt oder nur das alte systema Cujus regio ejus religio solle beobachtet werden, das wollten sie an seinen Ort gestellt lassen.

Dies Gutachten stellte Elisabeths Zweifel nicht so klar, wie sie gewünscht hätte; aber ihre ursprüngliche Abneigung gegen den Krieg wurde wieder lebhafter, und sie setzte ihre ganze Hoffnung auf den Friedenskongreß, der den Winter über in Braunschweig tagte. Die Teilnehmer desselben wünschten einmütig den Frieden, nur verlangten die niedersächsischen Stände und der König von Dänemark, daß betreffs der norddeutschen Stifter alles beim alten bleibe, Tilly und Wallenstein, daß der König von Dänemark zuerst entwaffnen solle.

Die braunschweigische Geistlichkeit hatte damals noch einen seltsamen Vorfall zu begutachten, nämlich eine Vision, welche König Christian IV. gehabt haben wollte. Derselbe wollte, während er des Morgens früh auf bloßen Knien betete, den Erlöser erblickt haben, blutig und übel zugerichtet, und die Worte vernommen haben, er sei Jesus Christus und werde jetzt zum zweiten Male gekreuzigt; Christian solle unbesorgt sein, er, Christus, werde ihn nicht verlassen. Dem Könige hatte sich die Erscheinung so deutlich eingeprägt, daß er sie aus dem Gedächtnis aufmalte, was indessen das Konsistorium nicht günstiger dafür stimmte. Es sei ja festgestellt, meinten sie, daß Gott zu dieser Zeit aufgehört habe, sich den Menschen unmittelbar zu offenbaren, und daß Gesichte, Prophezeiungen und dergleichen für Einbläserei des Satans zu halten wären. Könne man nun auch bei einem mächtigen Potentaten so verfängliche Konklusionen nicht ziehen, so müsse man vielmehr vermuten, wie ja auch sonst schon vielfach beklagt worden sei, daß der herrliche Verstand des Königs durch den erlittenen Sturz noch etwas erschüttert sei, für seine gänzliche Wiederherstellung beten und die gehabte Vision oder Ausgeburt mit Schweigen überziehen, inzwischen abwartend, wie sich andere hohe Fakultäten darüber vernehmen ließen.

*

Nun Herzog Christian der Jüngere sich wiederum offen gegen den Kaiser erklärte, war es bei der Kinderlosigkeit und Ehestörung des regierenden Herzogs Friedrich Ulrich vorauszusehen, daß der Kaiser das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel auf die Cellische Linie übertragen werde, wenn dieselbe sich gehorsam erwiese; deshalb ließ sich Herzog Christian von Celle nicht mit dem König von Dänemark ein und trat sein jüngerer Bruder Georg nach kurzem Schwanken aus dänischem Dienst in den kaiserlichen. Als Wallenstein im Oktober nach Göttingen kam, schickte ihm Herzog Christian den Landdrosten von Hodenberg entgegen mit der Weisung, den allmächtigen Feldherrn durch höfliche und demütige Bezeigungen gnädig zu disponieren. Wallenstein, der eben im Garten des Bürgermeisters bei Tafel saß und speiste, empfing Hodenberg freundlich, lud ihn ein, mitzuessen, und ließ sich plaudernd über seine Verhältnisse und Pläne aus. Er habe jetzt ein so schönes Heer beisammen, sagte er, desgleichen er noch nicht gesehen habe. Es seien fast alles erprobte Leute, die er aus seinem Eigenen mit Kleidung und Waffen vorzüglich ausgestattet habe. Ein großer Teil sei aus dänischem Dienst zu ihm übergegangen, auch böhmische und österreichische Auswanderer wären viele darunter, evangelischen Glaubens, denn nach der Religion frage er nicht, nur nach der Bravour und daß man sich in alles schicken könne. Gut leben, Beute machen, sich ein Weib halten, raufen und spielen, das wolle doch ein jeder, ob er die Messe höre oder das Lutherlied singe. Man sehe daraus, daß die Evangelischen wegen der Religion nichts zu fürchten hätten; er wolle nur Gehorsam gegen den Kaiser. Man solle den Soldaten gutes Quartier geben und sie keinen Mangel leiden lassen, so werde man über nichts zu klagen haben.

Als das Essen eingenommen war, lud Wallenstein seinen Gast ein, mit ihm nach der Masch zu reiten, da könne er das Heer vorüberziehen sehen. Dumpfes Murmeln und summendes Getöse kündigte es an, bevor es noch sichtbar war; von den Obstbäumen, mit denen die Straße auf beiden Seiten bepflanzt war, starrte nur zuweilen ein Zweig durch den Staub, der dick darum her stand.

Nachdem sie etwa eine Stunde lang, während welcher Zeit Wallenstein die Regimenter nannte und erklärte, zugesehen hatten, sagte Hodenberg tief aufseufzend, das sei, wie wenn eine ganze Stadt sich in Bewegung setze. Das müßten schon Frankfurt und Nürnberg miteinander sein, sagte Wallenstein lachend, sonst lange es nicht. »Ihr habt hierzulande den Adler noch nicht gesehen, dies ist einer von den Blitzen, die er in seinen Klauen hält.« Es sei ihnen doch eigentlich nicht bewußt, wandte Hodenberg vorsichtig ein, wodurch sie solches Gewitter auf sich gezogen hätten. Nun, entgegnete Wallenstein, jedenfalls hänge es von ihnen ab, ob es vorübergehe oder sich entladen werde.

Noch des Abends, als er im Bette lag, sauste Hodenberg das Summen des marschierenden Heeres in den Ohren, wie wenn er etwa das Meer an die Küste branden hörte. Ein seltsamer Bericht fiel ihm ein, den er einmal gelesen hatte, von einem riesigen Wurm, der Meilen mit seinem Bauche bedecke, der aber, wenn man näher zusehe, aus unzählbaren winzigen Würmern bestehe. Einem solchen Massenwurm gleichend, wälzte sich dies Heer durch die schaudernden Länder, mit zahllosen vorgestreckten Köpfen, aus denen lüsterne Zungen hervortasteten und kahle, grausame Augen die bebenden Geschöpfe festbannten, die das Scheusal verschlingen wollte. Schlaflos warf er sich hin und her, bedenkend, wie das böse Tier sich sättigen und wo es bleiben sollte. Durch eine Straße nach der anderen würde es kriechen, alle Saaten mit seinem Geifer überziehen und endlich das ganze deutsche Reich verschlemmen und erwürgen.

Kaum minder als die Evangelischen bedrückte das Herannahen der Wallensteinischen Heeresmassen Tilly. Die Begegnung mit dem kaiserlichen Feldherrn, die wegen der Quartiere stattfinden mußte, stand ihm so schwer bevor, daß er sich krank fühlte. Er wollte dem jüngeren Manne gegenüber, der nicht halb soviel Feldzüge und Siege hinter sich hatte wie er, seinen Vorrang behaupten und wußte doch voraus, daß Wallenstein sich für den Höheren ansehe. Mit welchen Mitteln sollte er sich Anerkennung verschaffen? Herzog Maximilian hatte ihn angewiesen, behutsam gegen Wallenstein zu sein und Ärgernisse zu vermeiden. Wallenstein steifte sich auf seinen Herzogtitel, sein Geld und seine Güter, die vom Kaiser empfangenen Gnaden; was hatte er, Tilly, dem entgegenzusetzen? Bei mehr Verdienst war er doch viel weniger ausgezeichnet; denn was nützte ihm der Grafentitel ohne Güter, um die er bis jetzt vergebens angehalten hatte?

Im Dorfe Lauenstein unter einer großen Linde, deren Blätter schon gelb wurden, war ein Platz für die beiden Feldherren hergerichtet. Tilly achtete sorgsam darauf, Wallenstein keinen Schritt mehr entgegenzugehen als dieser ihm, und wartete auf des anderen Anrede, um ihn nicht etwa höflicher zu begrüßen. Hager, gerade aufgerichtet, in schwarzer Kleidung, die nur durch eine scharlachrote Feder am Hute belebt war, kam Wallenstein über den sonnigen Platz geschritten und ließ seine still in der Tiefe kochenden Augen über den viel kleineren Tilly hinschweifen wie über eine belanglose Kleinigkeit. Seine Worte indessen waren überaus verbindlich, und er unterließ nicht, die Ehrfurcht zu betonen, die er dem Älteren darbringe. Die Quartiere betreffend, sagte er, im Hinblick auf die Geschäfte und Aufgaben, die er vorhabe, müsse er sein Heer hauptsächlich in die Stifter Halberstadt, Halle und Magdeburg einlagern; für Tilly kämen Hessen, die Wetterau, das Braunschweigische in Betracht. Nun waren diese Gebiete bereits so ausgesogen, daß Tilly nicht wußte, wie er sich länger darin erhalten sollte, und er hatte sich fest vorgenommen, sich nicht mit dem Schlechteren abspeisen zu lassen; aber in dem Augenblick, wo es darauf ankam, fand er die Wendung nicht, sich Wallenstein zu widersetzen. Das Gemüt voll Bitterkeit, ritt er von der Zusammenkunft zurück; nicht einmal etwaige Unterstützung im Falle einer Schlacht hatte ihm Wallenstein versprochen, da er dem weit ausgebreiteten dänischen Heere gegenüber sich nicht schwächen dürfe.

So zogen denn Schlick und Collalto in Halberstadt und Halle ein, zum Schrecken der Domherren, die geglaubt hatten, durch ihre Anhänglichkeit an den Kaiser dies Schicksal von sich abwenden zu können. Die Gegend bei Dessau, wo sich die Mulde in die Elbe ergießt, erschien Wallenstein geeignet, sich zu verschanzen. Während des Winters führten seine Soldaten diese Arbeit unter seinen Augen aus, bis das Land in eine Festung verwandelt war.

Da würde Mansfeld nicht wagen, ihn anzugreifen, sagte Wallenstein eines Tages zufrieden zu Aldringen.

Ob er denn den Mansfeld nicht schlagen wolle? fragte Aldringen erstaunt. Wozu? sagte Wallenstein. Man solle das Blut der Soldaten nicht unnötig vergießen. Wegen Mansfeld sei es vollends überflüssig, etwas aufs Spiel zu setzen, der sei nur ein Räuberhauptmann, und man hätte ihm schon zu viel Beachtung geschenkt. Aber Kurbrandenburg jammere über die Verwüstung durch Mansfeld, entgegnete Aldringen, und werde vielleicht durch sein Drangsalieren noch ganz auf die dänische Seite gezogen. Auch wollten sie in Wien einmal einen realen Erfolg sehen.

Für den schließlichen Erfolg sorge er, sagte Wallenstein kurz, die Mittel zu wählen sei seine Sache.

Aldringen wagte nichts zu erwidern und ergoß seinen Groll in Briefen an Collalto und an andere Herren des Kriegsrates, mit denen er Verbindungen hatte. Man vergeude die Zeit hier, schrieb er, ohne zu wissen, wozu. Was für verborgene Pläne der General eigentlich habe, wisse keiner. Er könne nicht einsehen, welcher Nutzen dem Kaiser damit geschehe, daß man stilliege und sich hinter sichere Schanzen verstecke. Die Stände, die dem Kaiser ergeben gewesen wären, murrten jetzt, daß sie, anstatt Hilfe zu finden, nun noch das kaiserliche Heer zu dem Mansfeldischen dazu ernähren müßten, also doppelt geplagt wären und wie der Frosch von zwei Enten zugleich verschluckt würden.

Mansfeld hatte sich im Laufe der letzten Jahre zuweilen so unwohl befunden, daß er zu Bett liegen und im Wagen hatte fahren müssen. Das machte ihn ungeduldig, und es wurmte ihn, daß er es nie so bequem hatte wie Wallenstein, der, niedrigerer Geburt als er, stattlich wie ein König mit einer wandernden Hofburg einherzog und überall Huldigung und Tribut einheimste. Wenn er sich zur Versöhnung mit dem Kaiser hätte entschließen können, dachte er, so würde er jetzt diese pomphafte Rolle agieren und das gaffende Publikum erschüttern; denn was tat Wallenstein anderes, als was er, Mansfeld, ihm vorgemacht hatte? Wenn er die Mühsale, Bitternisse und vielen Schmählichkeiten seines Lebens bedachte, so ergrimmte er gegen den prahlerischen Buhlen des Glückes und entbrannte danach, ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen und den Siegesweg zu verlegen. Dann würde er gern sterben, dachte er, gern als ein Bettler von der schmutzigen Szene abtreten, wenn er zuvor dies Blendwerk, dies aufgeblasene Nichts über den Haufen stechen könnte. Verglich er seine Truppen mit denen Wallensteins, die dieser mit seinem böhmischen Blutgeld ausgerüstet und in fetten, gehorsamen Quartieren gepflegt hatte, so hätte es mehr als Wagnis, Wahnsinn geschienen, ihn zum Zweikampf herauszufordern, wenn er viel aufs Spiel zu setzen gehabt hätte; aber seines Bleibens war ohnehin in diesen Gegenden nicht mehr, und die Not zwang ihn, sich durch einen Hauptschlag einen Ausweg zu bahnen. Außerdem ahnte er nicht, wie gut und weithin befestigt Wallensteins Stellung bei der Brücke war, vor allen Dingen aber schob er die Schuld an dem unglücklichen Ausgange der Schlacht Fuchs von Bimbach zu, der ihn im Stiche gelassen hatte. Auf Mansfelds Botschaft, er solle ihm zu Hilfe eilen, antwortete nämlich Fuchs, Mansfeld habe nicht gesagt, wieviel Hilfstruppen er haben wolle, über welcher Verzögerung dann die Katastrophe hereinbrach.

Trotz des vollständigen Sieges, den Wallenstein über Mansfeld davongetragen hatte, herrschte Unzufriedenheit in seinem Hauptquartier; denn in dem pomphaften Berichte, den er nach Wien sandte, war Aldringens nur beiläufig gedacht, der sich allein den Erfolg zuschrieb und in zornige Empörung über die hämische Unterdrückung seines Verdienstes geriet. Er schrieb an seine Gönner im Kriegsrate, wie er in großer Sorge um das Kriegswesen stehe; daß sich Wallenstein durchaus nicht mit Mansfeld habe schlagen wollen und von ihm, Aldringen, dazu gezwungen worden sei, daß er die herrliche Viktoria, die ihm gewissermaßen von anderen in den Schoß geworfen worden sei, nicht ausgenützt und trotz aller seiner, Aldringens, Vorschläge dem Mansfeld Zeit gelassen habe, sein flüchtiges Heer wieder zu sammeln und zu neuen verderblichen Impresen Mut zu fassen. Es habe fast das Ansehen, als ob Wallenstein dem Mansfeld mehr Gutes gönne als dem Kaiser; was aus einem solchen Verhältnis entspringen könne, sei leicht zu ermessen.

Ein paar Wochen waren nach der Schlacht vergangen, als Wallenstein, durch einen Brief seines Schwiegervaters vor den heimlichen Korrespondenzen und Umtrieben seines Quartiermeisters gewarnt, Aldringen zu sich beschied. Mit unbehaglichen Empfindungen trat dieser den Gang an und konnte sein Erschrecken kaum verhehlen, als er Wallenstein aufrecht neben seinem Schreibtisch stehen und schwarze Zornblicke auf ihn werfen sah.

»Ich habe Dinge über Ihn vernommen«, sagte der General drohend, »deren ich mir von Ihm nicht vermutend war. Ich habe Ihm Vertrauen erwiesen und Ihn als treuen Diener behandelt, als welchen Er sich mir bekannt und mit schönen Worten angepriesen hat. Wie kommt es, daß Er mit meinen Feinden und solchen, die es nicht redlich mit mir meinen, in heimlicher Korrespondenz steht? Was hat Er den Spionen und Jesuiten in Wien hinter meinem Rücken über mein Tun und Lassen zu kommunizieren?«

Während dieser Anrede gab sich Aldringen Mühe, den durchdringenden Blick des Generals auszuhalten und eine trotzige, stolze Miene anzunehmen. Seine blauen Augen schwankten ein wenig, und sein Gesicht war dunkel gerötet, als er in gereiztem Tone hervorstieß, darauf könne er nichts antworten, als daß er ein Soldat von Ehre sei; was solle er sonst zu solchen unerwarteten Beschuldigungen sagen? Wenn Wallenstein ihn für keinen Kavalier halte, so solle er es ihm geradeheraus erklären. Womit er das verdient habe? Mehr könne er als Soldat von Ehre seinem General nicht antworten.

Wallensteins Blick, den Aldringen noch eine Weile festhielt, wurde allmählich freundlicher, und er sagte mit gelinder Stimme: »Wenn es so ist, entschuldige Er mich«, indem er seinem Untergebenen die Hand reichte. Es mangele bei Hofe nie an Verleumdern, setzte er hinzu, deren Geschäft und Zeitvertreib es sei, die Guten gegeneinander aufzuhetzen. Aldringen ergriff die dargebotene Hand zögernd und entfernte sich unzufrieden, obwohl er über die wider Verhoffen schnelle und glückliche Auflösung der Gefahr aufatmete.

Grollend erzählte er Schlick, was vorgefallen war: es gebe keinen wunderlicheren Menschen als Wallenstein, sagte er, er selbst tue, was ihm beliebe, ohne sich um des Kaisers Willen und Wohl zu kümmern, aber er schreie Verrat, wenn man nur einen Brief schriebe, ohne ihn um seine Einwilligung oder seinen Beifall zu fragen. Er, Aldringen, meine es aufrichtig mit dem Kaiser, und das verleihe ihm ein ruhiges Gewissen. Übrigens könne sich Wallenstein in seinem versponnenen Hochmute doch nichts anderes vorstellen, als daß sie alle seine ergebenen Diener seien und sich keines eigenen Urteils unterständen, gerade als habe nur er Verstand und die anderen wären blökendes Vieh, das ihm nachschwänzelte.

Schlick war ganz und gar der Meinung Aldringens; er habe es kürzlich Wallenstein auch gezeigt, daß er ein freier deutscher Offizier und Edelmann sei, als er sich gegen seinen Willen vor dem Schloß Alten aufgehalten und Wallenstein ihn deswegen zur Rede gestellt habe. Man zieht doch ins Feld, um einmal eine Aktion mitzumachen; stilliegen könne man auch zu Hause. Was er aber am wenigsten ertragen könne, sei, daß Wallenstein ihn per Er traktiere. Das bringe sein Blut in Wallung; man glaube sich in der Türkei zu befinden; aber vielleicht würde sich nicht einmal der türkische Sultan so viel herausnehmen.

Höchst wunderbar sei es doch auch, bemerkte Collalto, wie der General sich so ganz ohne Weiber behelfe. Wieviel man auch aufmerke, sei doch nie etwas von Liebessachen bei ihm im Werke.

Seine Frau lasse er auch nie ins Lager kommen, sagte Schlick; er habe nichts als Geschäfte im Sinne.

Nun ja, meinte Aldringen, andre Leute hätten auch genug auf den Schultern; aber deswegen habe man doch sein Herz und seine irdische Natur.

Gott sei Dank ja, seufzte Collalto; da liege ja eigentlich Sinn und Zweck des Lebens. Wie man es denn in diesem Barbarenlande aushalten sollte ohne Frauen! Sie müßten einem hier den blauen Himmel, die rote Sonne, die goldenen Früchte und Reis und Makkaroni dazu ersetzen. Aber Gott habe sie auch danach gemacht. Ach, diese Blonden hätten ja ein verstohlenes Feuer und eine wilde Süßigkeit, dagegen sei die prasselnde Feuerwerkspassion der welschen Weiber einigermaßen monoton.

Schlick war nicht der Meinung; ihm hätten, sagte er, die Ungarinnen am besten gefallen. Die hätten ein so angenehmes, wohlriechendes Fleisch, wären überhaupt wie eine lecker hergerichtete Speise, die Würze steige einem gleich in die Nase, man lange zu und schwelge in Delizien. Übrigens sei das lange her, er sei jetzt verheiratet, habe Kinder und lasse sich an der Familie genügen.

»Ja, so seid ihr Böhmen,« sagte Collalto, »wir sind als Jäger geboren, und die Tauben, die einem gebraten ins Maul fliegen, schmecken uns nicht.« Aber was den General betreffe, so kümmere er sich auch um die Familie nicht viel. Er komme ihm zuweilen so unheimlich vor, als sei er nicht aus Menschenfleisch gemacht. Wenn einer nicht lache, nicht weine, nicht zeche und nicht küsse, so sei er ein Heiliger oder ein Teufel. Aber ein Heiliger könne Friedland nicht wohl sein, weil er soviel fluche.

»Ach,« sagte Aldringen, »der ließe den Papst hängen, wenn er ihn ärgerte.«

Collalto, der sein Quartier in Halberstadt hatte, überhäufte Aldringen stets mit Aufträgen; er brauchte Silber auf die Tafel, gute Weine, Konfekt und Südfrüchte, wie sie in diesen Gegenden nicht aufzutreiben waren; aber Aldringen beschaffte alles und versicherte Collalto dabei, daß es ihn glücklich mache, für ihn arbeiten zu dürfen. Um seine vielen Bedürfnisse einigermaßen bestreiten zu können, eignete sich Collalto einmal eine Ladung Eisen an, die der Stadt Aschersleben abgedrängt war und die Wallenstein für sich behalten wollte, worüber es zu einer scharfen Auseinandersetzung kam. Während Wallenstein mit Collalto sonst freundschaftlich, ja rücksichtsvoll umging, ließ er ihn bei dieser Gelegenheit hart an, was Collalto so empörte, daß er nach Wien aufbrach, um Klage zu führen und sich eine andere Stellung auszuwirken.

Er stamme von den langobardischen Königen ab, sagte er zu Aldringen, und stehe keinem Fürsten im Reich nach, könne sich unmöglich von einem böhmischen Edelmann, wie Wallenstein sei, als Spitzbuben traktieren lassen. Er sei auch Ritter vom Goldenen Vlies, und eigentlich wäre Wallensteins Stelle ihm zugekommen; Wallenstein hätte alle Ursache, sich bescheiden und erkenntlich gegen ihn zu erweisen.

Aldringen weinte fast vor Betrübnis; er könne es zwar Collalto nicht verdenken, daß er fortgehe, sagte er, ein Herr von Collaltos hoher Extraktion könne sich Wallensteins Enormitäten nicht gefallen lassen; aber für ihn sei der Verlust unleidlich. Wieviel lieber würde er seinen Dienst versehen, wenn Collalto das Oberhaupt wäre, der durch Geburt und Bildung ganz anders dafür qualifiziert sei und ehrliche Kavaliere nicht so grob und tyrannisch behandeln würde.

Collalto dankte Aldringen für seine Freundschaft und versicherte, wenn er je in der Lage sei, wolle er es ihm vergelten. Der Kaiser wisse nicht, was alles beim Heere vorgehe, vielleicht werde es bald eine große Änderung geben.

Indessen wagte der Kaiser nicht, Collalto gegen Wallenstein in Schutz zu nehmen, sondern empfing ihn unfreundlich, und er mußte sich zur Versöhnung mit dem Herzog bequemen. Auch Aldringen verschluckte seine rebellischen Gelüste und ließ sich von seinen zahlreichen vornehmen Gönnern in Prag und Wien immer wieder zu einstweiligem stillschweigendem Ertragen etwaiger Wallensteinischer Härten und Launen bereden.

Zu den Vertrauten und Gönnern Aldringens gehörte auch der Abt des Prämonstratenserklosters Strahow bei Prag, Kaspar von Questenberg, der die Anwesenheit des Wallensteinischen Heeres im nördlichen Deutschland zur Erfüllung eines Lieblingswunsches benützen wollte. Aldringen sei jetzt in der Lage, schrieb er ihm, eine rühmliche Tat auszuführen und zugleich ihn, Questenberg, zu einem glücklichen, ja seligen Menschen zu machen. Der Dom Unserer Lieben Frauen in Magdeburg berge nämlich die Gebeine des heiligen Norbert, des Erzvaters der schneeweißen Prämonstratenser, eines hochberühmten Wundertäters und Märtyrers, die nun gewissermaßen bei den Heiden in jämmerlicher Gefangenschaft lägen. Schon zu Kaiser Rudolfs Zeiten sei ihm, sicherlich eine Eingebung des Himmels, der Wunsch aufgestiegen, diese gefangenen Gebeine zu erlösen und sie der Verehrung der Gläubigen zuzuführen. Einem christlichen Helden wie Aldringen werde es gewiß nicht schwerfallen, das Kapitel zur gutwilligen Herausgabe der köstlichen Reliquie zu bewegen oder sich mit anderen geeigneten Mitteln in ihren Besitz zu setzen, wofür er seines und der ganzen Christenheit Dankes wie auch eines ewigen Lohnes bei Gott gewiß sein könne.

Aldringen machte sich dienstfertig daran, das Anliegen des einflußreichen Abtes zu erfüllen; aber das Kapitel, an das er sich wandte, wollte nicht ohne weiteres darauf eingehen. Die Domherren wollten sich allerdings dem Kaiser und dem Abte gern gefällig erweisen, allein sie fürchteten, es möchte anderen seltsam vorkommen, wenn sie die Kirche eines solchen Schatzes beraubten. Wenn die Evangelischen auch die Heiligen und ihre Gebeine nicht anbeteten, so schätzten sie sie doch als Antiquität und Rarität, ja beim Volke ginge es sogar nicht ohne Aberglauben ab; die Nürnberger bewahrten auch die Heilige Lanze, hielten sie wohlverschlossen und ließen sie unter großen Kautelen heraus, um sie vornehmen Reisenden zu zeigen. Vor allen Dingen würden sie sich dadurch den Markgrafen Christian Wilhelm auf den Hals ziehen, mit dem sie ohnehin im Streit lägen, nachdem sie ihn kürzlich abgesetzt hätten.

Aldringen entgegnete, sie sollten sich doch nicht auf Christian Wilhelm berufen, er gehöre zu des Kaisers erklärten Feinden, und sie wären wohl zu verständig, um mit dem Friedensbrecher gemeine Sache zu machen.

Sie erwiderten, es wäre ja allgemein bekannt, in was für Widerwärtigkeiten sie mit ihm begriffen wären; aber der König von Dänemark habe die Reliquien auch verlangt und könne es sich als Beleidigung anrechnen, wenn sie dem Gegenteil damit gefällig wären. Indessen einige Domherren nahmen Aldringen auf die Seite und sagten ihm, es solle ihnen recht und lieb sein, wenn die Gebeine nach Prag kämen, und sie wollten gern das Ihre dazutun, wenn Aldringen dafür ihrer beim Kaiser gedenken, sie auch in den jetzigen Kriegsläuften, wenn nötig, patronisieren wolle. Sie möchten zwar nicht öffentlich einen falschen Schein auf sich ziehen; wenn aber Aldringen das Bewußte mit List durch ein paar vertraute und anstellige Leute wegnehmen lassen wolle, so würden sie ihm Stunde und Gelegenheit dazu bezeichnen. Wären die Gebeine dann erst einmal in Prag, so würden sie nicht leicht zurückgeholt werden, und sie entgingen gehässigem Argwohn.

Auf diesen Bericht reiste Questenberg hocherfreut nach Magdeburg, um das langersehnte Kleinod im Triumph einzuholen. Er wollte es sich durchaus nicht nehmen lassen, die Ergreifung der Gebeine selbst anzuführen, und begab sich nach getroffener Verabredung mit Aldringen und einigen Bewaffneten in den Kreuzgang des Domes, von wo aus sie zu der Kapelle vordringen wollten, in der die Reliquie verwahrt war. Nun hatte aber Christian Wilhelm von diesen geheimen Praktiken Wind bekommen und, um den Raub zu verhindern, einen Haufen Soldaten im Kreuzgange versteckt und mit scharfen Befehlen versehen, und eben als die Äbtischen sich bei spärlichem Laternenlichte schleichend dem in die Kirche führenden Portale näherten, brachen jene mit lautem Geschrei: »Feuer! Diebe! Mord!« hervor und drangen mit gezogenen Schwertern auf sie ein. Der Abt hängte sich mit beiden Armen an Aldringen und zog ihn mit durch die Angst gesteigerten Kräften rückwärts nach dem Ausgange, so daß diesem, der anfänglich zu kämpfen und sich durchzuhauen geneigt war, schließlich nichts übrigblieb, als den Abt in die Kutsche zu setzen, die zur Entführung der Gebeine bereit stand, und so geschwind wie möglich mit ihm davonzufahren.

Die verunglückte Sache nahm eine günstige Wendung durch den Rat der Stadt Magdeburg, der sich um so lieber dem Kaiser willfährig erzeigte, wenn es auf Kosten und zum Trotze Christian Wilhelms geschehen konnte. Nach einigen Verhandlungen erklärten die Herren Aldringen, sie wollten ihm mit den Norbertischen Gebeinen aus besonderer Liebe und Hochschätzung zu Willen sein. Das bewaffnete Gesindel des Administrators wollten sie als ein neutraler Stand in ihrem Gebiet nicht dulden, nächtliches Rumoren und Zusammenlaufen gebührend abstellen und ihm die Reliquie in aller Stille ausliefern, ohne die Rachsucht vermeintlicher Bischöfe und die üble Nachrede böser Mäuler zu fürchten. Durch diese Aussicht hoffte Aldringen den betrübten Abt wieder aufzurichten; allein derselbe war bereits abgereist, und Aldringen mußte ihm nachsetzen, um ihm die tröstliche Botschaft beibringen zu können. Seine Person wollte Questenberg zwar den Anfeindungen und Gewalttaten, deren man sich in Magdeburg gegen ihn unterstanden hatte, nicht wieder aussetzen, zumal er geistlichen Standes und nicht dazu bestimmt sei, doch vertraute er Aldringen das hohe Geschäft rückhaltlos an, der denn auch bald hernach die erkämpfte Beute unter zuverlässiger Eskorte nach Prag abgehn lassen konnte.

*

Im November zogen Harzbauern über den Rücken des Bruchberges nach Elbingerode. Es waren Männer und Frauen, mit Säcken beladen, in denen sie ihre Habe mit sich führten; dazu trugen die Frauen die kleineren Kinder auf dem Rücken. Obwohl es erst vier Uhr war, fiel die Dämmerung ein; der Wind blies kalt und feucht um die verkrüppelten Tannen und pfiff mit weinender Stimme um die aufeinandergeballten Granitblöcke, von denen langes Gras herunterschwankte und Heidegestrüpp zottige Tatzen ausstreckte. Durch das Sausen hindurch vernahmen die schnell schreitenden Bauern Pferdegetrappel; sie horchten und flüsterten, es schienen ihrer viele zu sein, sie könnten es nicht mit ihnen aufnehmen, worauf sie sich eilends hinter Tannen und Steinen verbargen. In dem Augenblick, als die Reiter, die nur zu dritt waren, auf dem Wege erschienen, brachen die Bauern lautlos hervor, griffen den Pferden in die Zügel, rissen die Reiter herunter und schlugen sie mit schweren, nägelbeschlagenen Keulen tot. Alle hatten Geld bei sich, trugen Ringe an den Fingern und waren überhaupt reich gekleidet; zwei waren im Mannesalter, einer noch unbärtig. Nachdem sie alles, was ihnen wertvoll schien, in die Säcke gepackt und sich auch der Waffen der Erschlagenen bemächtigt hatten, überlegten sie, ob sie die Leichen liegenlassen oder verbergen sollten, entschlossen sich zu letzterem und schleppten sie hinter einen Granitfelsen unweit des Weges. Die erschreckten Pferde waren quer über den Berg hingerast und in der nebligen Dämmerung verschwunden. Als die Bauern nach einer Stunde an eine Glashütte kamen, von der Licht ausging, klopften sie dort an und baten um Wasser, das ihnen gereicht wurde. Der Werkmeister betrachtete sie mißtrauisch und fragte, wohin sie so spät wollten. Ob sie zu den Tillyschen gehörten?

Dann hätten sie wohl anders angepocht, sagten die Bauern höhnisch. Sie wären von Clausthal, das hätten die Soldaten geplündert und abgebrannt. Sie zögen mit Sack und Pack nach Elbingerode hinüber.

Clausthal sei ja wohl von Tilly abgebrannt, sagte der Werkmeister; es kämen seitdem viele Bauern über den Berg, die sich zusammenrotten wollten.

Ob Soldaten in dieser Gegend streiften? fragten die Bauern.

Seit etwa zwei Tagen hätten sich keine gezeigt, erwiderte der Werkmeister; aber bald würde es etwas geben. Sie müßten Tag und Nacht Glaskugeln für Herzog Christian gießen, denn der hätte gesagt, dem Tilly und seinen Soldaten könne man mit gemeinen Bleikugeln nicht beikommen, weil sie gefroren und dem Teufel verschrieben wären; Zauber könne nur durch Zauber gebrochen werden. Die Bauern horchten auf und baten den Werkmeister, ihnen einige davon zu geben, sie wollten mit silbernen Knöpfen dafür zahlen. Woher sie die hätten? fragte der Werkmeister. Von einem toten Reiter, sagten die Bauern und lachten. Was sie denn mit den Kugeln wollten? fragte jener wieder; sie hätten ja keine Gewehre. Jawohl, die hätten sie, antworteten die Bauern und zeigten die Läufe der geraubten, die aus ihren Säcken vorstanden. Der Werkmeister, der sich fürchtete, gab ihnen einige Glaskugeln und bat sie, ihn nicht zu verraten, da es herzogliches Eigentum wäre. Sie versprachen es, indem sie die Kugeln in die Tasche steckten; er hingegen solle nicht sagen, daß sie hier vorübergegangen wären, wenn man ihnen nachfragte. Es komme jetzt ohnehin keiner mehr, sagte er, und wozu er sie auch verraten sollte? Sie hätten ihm ja nichts zuleide getan. Nein, aber sie könnten wiederkommen und es nachholen, sagten sie; sie hätten von den Soldaten gelernt, wie man eins, zwei, drei ein Haus in Brand stecke. Damit zogen sie schnellen Schrittes weiter, Schweigend und von Zeit zu Zeit in die unruhige Nacht hinaushorchend.

*

Nicht ganz ungern ließ sich Friedrich Ulrich beiseite setzen und seinen jüngeren Bruder als Regenten schalten, der, des Widerstandes der Ritterschaft ungeachtet, das Land in den Krieg hineinriß. Er selbst eilte auf den Hilferuf des Landgrafen Moritz nach Hessen, um ihm beizustehen und ihn zu offenem Anschluß zu bewegen; allein er konnte es nicht erreichen, daß Moritz ihm die festen Plätze seines Landes auslieferte oder sonst einen entscheidenden Schritt tat. Vergebens hielt er dem Landgrafen seinen Mangel an Folgerichtigkeit, das Verhängnis seines Zauderns und Schwankens vor, er mußte unverrichteter Sache abziehen und führte sein Heer nach Göttingen, das von Tilly bedroht wurde. In verzweiflungsvoller Erbitterung und überzeugt, daß die niederdeutschen Stände mitsamt dem König von Dänemark doch nichts ausrichten würden, trug er seine Dienste Gustav Adolf an, wurde aber, bevor er eine Antwort erhalten hatte, schwerkrank, so daß er sich, um nicht dem Feinde in die Hände zu fallen, nach Wolfenbüttel mußte bringen lassen.

Die Herzogin entsetzte sich, als sie das eingefallene und verzerrte Gesicht ihres Lieblings sah, faßte sich aber, bettete und pflegte ihn und beschied Ärzte. Davon wollte Christian nichts wissen; was ihm fehle, könnten Ärzte nicht heilen, er sei verzaubert und müsse sterben. In seinen Eingeweiden sei Feuer, das sei eine höllische Anstiftung von Tilly, und wenn das Feuer sie gefressen hätte, sei er des Todes. Er hätte sich vergebens dem Teufel verschrieben, mit dem krokodilischen Tilly könne es der Teufel selbst nicht aufnehmen.

Gott im Himmel, sagte die weinende Herzogin zu den Ärzten, sie sollten es nicht weitersagen, was für Lästerungen ihr Sohn ausstoße. Sie wisse, daß Tilly ein redlicher Kavalier sei und keine Schuld an Christians Unglück trage; sie habe es längst gesagt, daß jemand ihm etwas angetan haben müsse, weil er plötzlich aus einem frommen, zärtlichen Sohne ein eigensinniger, widersetzlicher, hochfahrender und schließlich ein Tyrann und Wüterich geworden sei. In Halberstadt habe es angefangen, es könne ihn leicht eine von den bischöflichen Huren behext haben, weil er sie schimpflich ausgetrieben habe. Was für seltsame und gottlose Reden habe er oft ausgestoßen! Erst habe ihn der Marenholz verführt, und dann sei der Knyphausen noch dazugekommen; aber sie sei auch schuld, weil sie sich zuletzt aus mütterlicher Liebe und Schwachheit von ihm habe überreden lassen und ihn dadurch in seinem Unwesen bestärkt habe.

Wenn sie an seinem Lager kniend betete, herrschte er sie an, sie solle das Flennen und Plärren unterlassen, es mache ihm übel; nach längerem Toben jedoch wurde er still, fing endlich zu weinen an, legte den Kopf auf ihre Schulter und sagte, es sei der Teufel, der während ihres Betens aus ihm fluche, weil es ihn ängstige; sie solle sich dadurch nicht irren lassen, sie sei seine liebste Mutter, sein einziges Heil auf Erden, sie solle ihn nicht verlassen, dann werde auch Gott sich seiner erbarmen.

Elisabeths Gesicht verklärte sich: nun sei er wirklich das Kind, das sie geboren habe, nun sei er wieder ihr eigen, sie wolle ihn gewiß nicht verlassen, und wenn sie ihn aus der brennenden Hölle herausholen müsse, wolle sie es tun und sich nicht fürchten.

In ruhigen Stunden sprach er von Deutschlands Verkommenheit, verfluchte die Habgier, Faulheit und Dummheit der Fürsten und Ritter und sagte, daß keiner sie vom Untergang retten könne außer Gustav Adolf, der solle ihn rächen.

Wenn das Fieber sich erneuerte, warf er sich wieder hin und her und schrie, er wolle und müsse dem Tilly Meister werden, und müsse er die ewige Verdammnis darüber leiden, so sei es ihm gleich, wenn er nur Tilly und die spanischen Bluthunde auch in der Qual sehen könnte. So starb er in den Armen seiner Mutter, die, nachdem sie den geliebten Leichnam hatte von sich lassen müssen, zusammenbrach und ihm ins Grab folgte. Vorher trug sie Friedrich Ulrich auf, Frieden mit dem Kaiser zu suchen und diesen jammervollen Krieg, der nun Christian selbst verschlungen habe und als ein stets anschwellender Moloch immer neue Opfer fordern werde, zu enden. Sie könne nicht glauben, daß so viel abscheuliche Untaten, Verwüstung des Landes und Mord wehrloser Unschuld den Beifall Gottes hätte oder ihm zuliebe geschehe; auch habe ja Tilly öffentlich anschlagen lassen, daß es kein Religionskrieg sei.

König Christian IV. befand sich in der Gegend von Northeim, um diese Stadt Tilly streitig zu machen, als er die Nachricht von dem Tode Christians erhielt und von der Gefahr, daß das Land sich mit dem Kaiser versöhne. Er beschloß, eilig nach Wolfenbüttel zu gehen und es zu besetzen, was ihm auch insofern lieber war, als das Gerücht eines spanischen Zuzugs, den Tilly von der Infantin erhielte, ihm die Schlacht bedenklich erscheinen ließ. Er zog seine Truppen langsam zurück, wurde aber von Tilly in der Gegend von Lutter am Barenberge eingeholt, wo zwischen einem Meer von Hügeln sich ein für die Evangelischen unheilvoller Kampf entwickelte.

Schon befand sich das dänische Heer in Auflösung, als es dem General Fuchs gelang, das Dorf Dolgen, das Tillysche Reiter besetzt hatten, wieder zu erobern. Bevor sie zurückwichen, setzten die Tillyschen mehrere Häuser in Brand, andere wurden durch die Beschießung der Dänen entzündet, viele Bauern flohen, andere, die vorher fortgelaufen waren, kehrten zurück, nun die Kaiserlichen abzogen.

Etwa hundert Schritt vor dem Dorfe lag ein Mann, den eine Kugel getroffen hatte und der nicht weitergehen konnte; seine Frau holte aus dem vorüberfließenden Bache Wasser und flößte es ihm ein. Ob er nicht aufstehen könne, sagte die Frau, sie hätten ja das Kind verloren, sie müßten das Kind suchen. Der Mann schüttelte den Kopf; er höre die Kuh aus dem brennenden Stall brüllen, flüsterte er, sie solle doch hinlaufen und sie retten. »Laß doch die Kuh brennen!« sagte die Frau; aber das Kind müsse sie wiederhaben. Da er schwieg und sie nur stier ansah, lief sie noch einmal an den Bach, rieb sein Gesicht mit Wasser und sagte, sie könne es nicht mehr aushalten, sie müsse dem Kinde nach, es könne ja von den Kroaten gespießt werden. In diesem Augenblick hörte man das Klappern von schnellen Pferden, die Frau warf einen Blick auf den stöhnenden Mann, faßte mit beiden Händen nach dem Kopfe und rannte den Reitern entgegen. Indem sie ein Pferd am Zügel faßte, lief sie mit und fragte schreiend, ob sie nicht ein Kind gesehen hätten, ein kleines dreijähriges Mädchen mit hellem Haar und einem feuerroten Tüchlein um den Hals. Der Reiter, der Deutsch verstand und gutmütig war, sagte, er habe wohl vorhin ein totes Kind am Wege liegen sehen, das augenscheinlich überritten gewesen wäre; aber wenn ihr Kind ein rotes Tüchlein getragen hätte, könne es auch geraubt sein. Sie solle ihn nun aber loslassen und aus dem Wege gehen, sonst könne ihr auch etwas zustoßen. Die Frau stieß einen gellenden Schrei aus und lief besinnungslos schluchzend und schreiend in das brennende Dorf.

General Fuchs von Bimbach war sehr erhitzt, als er in Dolgen ankam, und als er auf einem unebenen, mit Gras bewachsenen Platz einen Brunnen rinnen hörte, stieg er unwillkürlich vom Pferde, trank und setzte sich auf den steinernen Rand des Troges. Die Luft siedete in den vom Scheitel des Himmels niederstechenden Sonnenstrahlen, und von den brennenden Häusern kam zuweilen ein Singen und Krachen und ein plötzlicher Glutstrom. Schreiende und ächzende Leute zogen vorüber und schleppten Karren voll ihrer Habseligkeiten hinter sich her, die sie gegen plündernde Soldaten verteidigen mußten; der General bemerkte nichts davon. Plötzlich fuhr er auf, als ein Offizier über das holperige Pflaster auf ihn zusprengte und meldete, sie können diesen Ort nicht halten, von zwei Seiten nahe der Feind, und sie kämen in Gefahr, eingeschlossen zu werden. Gut, sagte Fuchs, indem er auf einen sanften, dunkelbelaubten Hügel wies, so wollten sie sich auf jenen Berg zurückziehen, der werde ihnen den Rücken decken. Der Offizier machte ein erstauntes Gesicht und sagte, da böte sich ihnen ja nirgend ein Ausweg, sie würden dort vermutlich zusammengehauen werden; ob sie nicht versuchen wollten, sich nach Wolfenbüttel durchzuschlagen. Nein, nein, sagte Fuchs heftig, das wolle er keinesfalls, der König habe ihn sowieso einen Feigling gescholten, weil er die Schlacht widerraten habe, er wolle es auskämpfen; in jenem Walde wären sie schwer anzugreifen. Jedenfalls sei Gefahr im Verzuge, sagte der Offizier, der General solle eilen. Er sei so müde, daß er kaum aufs Pferd möge, sagte Fuchs, stand langsam auf und hielt seinen Kopf unter das Brunnenrohr, daß das Wasser an seiner weißseidenen, verschmutzten Jacke hinunterlief. Dann stieg er auf und blickte nach dem kühlen Walde hinüber, während der Offizier in großer Hast die Reiter sammelte und das Kommando ausgab. Unweit des Berges entspann sich ein Gefecht, in dem Fuchs verwundet wurde; seinem letzten Wunsche gemäß wurde er da, wo er gefallen war, begraben. König Christian gelangte flüchtig nach Wolfenbüttel, wo sich in den nächsten Tagen die dem Tode Entronnenen um ihn sammelten.

* * *

 


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