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23. Kapitel.

Dann fuhr er fort: »Lord Horace, ein Mann von einfachen Gewohnheiten, der sich nichts aus Äußerlichkeiten machte und mit großer Verehrung an seinem Vater hing, beschloß sofort, den Wunsch des Verstorbenen zu erfüllen. Der Stein sollte solange in meines Vaters Obhut bleiben, bis eine schickliche Gelegenheit Lord Hinton in die Lage setzte, ihn dem königlichen Hause zum Geschenk zu machen.

Inzwischen war Oberst Henderson, der ein Jahr Urlaub genommen hatte, von Indien zurückgekehrt. Der Oberst, damals bereits ein leidenschaftlicher Sammler, kannte natürlich als Mitglied der Familie Hinton die Geschichte des blauen Diamanten in allen Details und es war nur begreiflich, daß er sich lebhaft für den kostbaren Stein interessierte.

Einer seiner ersten Wege war denn auch zu seinem Onkel nach Rocky-land, um das Juwel, das er nie zuvor gesehen hatte, zu besichtigen. Dort erfuhr er nun nicht nur, daß sich der Stein in London in meines Vaters Obhut befinde, sondern auch, daß Lord Horace beabsichtige, denselben an die königliche Familie zu verschenken.

Selbstverständlich mußte ihn, den Sammler, diese Absicht sehr alterieren. Ein Stück wie dieses, nicht bloß ausgezeichnet durch unvergleichliche Schönheit, sondern auch noch gewissermaßen geweiht durch eine historische Vergangenheit – wie sollte es nicht die Gier des Sammlers erregen?

Er versuchte Lord Hinton zuerst von dem Gedanken, den Stein zu verschenken, abzubringen – vergebens. Dann erbot er sich, jeden dafür geforderten Preis zu bezahlen, wenn Lord Hinton ihm den Stein verkaufen wolle.

»Ich will gerne trockenes Brot essen, wenn der Stein mein eigen ist,« erklärte er.

Lord Horace schlug auch dies ab.

»Du bist der einstige Erbe von Rocky-land und mir viel zu lieb, als daß ich dir etwas geben möchte, das noch allen Unglück brachte, die es besaßen,« lautete seine endgültige Antwort.

Alles, was Oberst Henderson schließlich erreichen konnte, war, daß er den berühmten Stein wenigstens ansehen durfte.

Dies war die Veranlassung, daß Oberst Henderson die Firma Beastrock mit seinem Besuch beehrte.

Wie schon erwähnt, war mein Vater damals Chef der Firma. Ihm zur Seite standen ein Bruder William und ich. William führte die Prokura und vertrat meinen Vater auch im Kundenverkehr sehr häufig.

Ich selbst befand mich den größten Teil des Jahres auf Reisen, meist in Amerika und Kapland, wo ich den Ankauf von Steinen zu besorgen hatte. Seit zehn Jahren mit einer Österreicherin, der Tochter eines Wiener Juweliers verheiratet, und Vater eines Sohnes, hatte ich meinen ständigen Aufenthalt in London. Auch William war verheiratet, besaß aber keine Kinder. Wir bewohnten alle zusammen das alte Familienhaus am Trafalgar-Square, in dem mein Vater vor wenigen Tagen starb.

Die Geschäftsräumlichkeiten befanden sich im Mezzanins, der Verkaufsladen zu ebener Erde. Unser wertvolles Lager an Juwelen und Goldschmiedearbeiten, das im Mezzanin mehrere Räume füllte, war so wohl verwahrt, daß auch der geschickteste Dieb sich vergeblich bemüht hätte, die Hindernisse, welche sich ihm in Form von Gittern, eisernen Türen und kunstvollen Schlössern entgegenstellten, zu überwinden.

Was den blauen Diamanten anbelangt, so befand er sich noch besonders verwahrt in einer kleinen stählernen Wertheimkasse, die von außen unsichtbar in die Wand eingelassen war.

In dieser ruhte er seit Jahren geborgen, ohne daß außer meinem Vater, William, mir, Lord Hinton und Oberst Henderson jemand etwas von seinem Dasein im Hause Beastrock wußte, bis eines Tages Oberst Henderson ihn zu sehen begehrte.

In meiner und Williams Gegenwart kam mein Vater diesem Verlangen nach.

Die Wirkung, welche der Anblick des Steins auf den Obersten ausübte, werde ich nie vergessen! Ich selbst war geblendet von der Pracht dieses Steines, der 44 Karat wog, die Fasson einer abgestumpften Pyramide von 23 Millimeter Quadratbasis hatte und ein wundervoll mildes saphirblaues Licht ausströmte, während er in bunten, feurigen Farbengaben sprühte, sobald man ihn nur im geringsten bewegte.

Aber was war mein Entzücken gegen die leidenschaftliche Erregung des Obersten, der bleich, bebend, mit fast aus den Höhlen tretenden Augen auf den Stein starrte! Er war wie von Sinnen.

»Dieses Juwel verschenken zu wollen!« rief er endlich außer sich, »diesen Stein, dessen Schönheit alles übersteigt, was ich je gesehen! Diesen Edelstein aller Edelsteine der Erde!

Er konnte sich nicht trennen. Er nahm ihn mit bebender Hand aus dem alten sternförmigen Etui, wog sein Gewicht, maß seine Flächen und machte zuletzt eine photographische Aufnahme davon.

Als mein Vater den Stein endlich nach einer Stunde wieder verschloß, sank der Oberst wie gebrochen auf einen Stuhl und rief klagend: »Ach, würde ganz Rocky-land mit allem, was dazu gehört, ja selbst meine Seele hingeben, wenn ich dieses Stück in meiner Sammlung hätte!«

Er entfernte sich dann und wir hörten längere Zeit nichts mehr von ihm, bis uns ein Vierteljahr später ein Brief Lord Hintons abermals mit dem Obersten in Verbindung brachte.

Der Brief hatte folgenden Inhalt:

In Rocky-land sollte in etwa drei Wochen die Moorhühnerjagd beginnen, wozu man viele Gäste unter anderen sogar den Prinzen von Wales erwarte. Anläßlich dieses Ereignisses hatte Lord Hinton beschlossen, den Wunsch seines Vaters endlich zu erfüllen und dem erlauchten Gast den blauen Diamanten als Gastgeschenk zu überreichen. Gleichzeitig teilte Lord Horace meinem Vater mit, daß sein Neffe, Oberst Henderson, mit seinem Töchterchen schon in den nächsten Tagen ganz nach Rocky-land übersiedeln und es sich empfehlen würde, wenn der Überbringer des kostbaren Steines die Reise unter dem Schutz des Obersten machte, da es von der Bahnstation bis Rocky-land drei Stunden über öde, spärlich besiedelte Landstrecken zu fahren sei.

Mein Vater fand dies einleuchtend, setzte sich mit dem Obersten bezüglich des Reisetermins ins Einvernehmen und bestimmte meinen älteren Bruder William als Überbringer des Steines.

Am 10. August wurde die Reise angetreten. Man verließ London am Mittag, erreichte Kendal spät abends und übernachtete dort in einem Gasthof, von wo aus man am Morgen per Wagen nach Rocky-land weiterfuhr.

Den blauen Diamanten hatte mein Vater vor der Abreise in Gegenwart des Obersten und eines gerichtlichen Sachverständigen, der dessen Identität feststellte, meinem Bruder William übergeben.

Was während jener Reise geschah, wird wohl in ewiges Dunkel gehüllt bleiben. Genug – in Rocky-land angekommen, beeilte sich William, Lord Hinton sein Eigentum sogleich zu übergeben – wieder in Gegenwart des Obersten und eines Gastes, des Earl of Strapheard, der, selbst Sammler und Kenner, gebeten hatte, das berühmte Juwel sogleich betrachten zu dürfen.

Der Earl of Strapheard stand neben Lord Hinton, als dieser das Etui öffnete. Er warf einen Blick darauf, stutzte und rief verwundert aus: »Aber meine Herren, dies ist doch nun und nimmer ein echter Diamant!«

Auch William stutzte, wurde blaß und taumelte dann, wie von einem Keulenschlag getroffen, zurück. Er hätte kein Fachmann sein müssen, um nicht sogleich den matten Glanz und dem Fehlen des Farbenspiels zu erkennen, daß es sich hier nur um eine nicht einmal besonders geschickt gemachte Imitation handelte.

Und doch hatte er in London unzweifelhaft den echten Stein übernommen!

Der Oberst sowohl als Lord Hinton waren außer sich. William stand da – blaß, wortlos vernichtet und konnte dem Ansturm von Fragen auch nicht die kleinste Erklärung entgegensetzen.

Das einzige, dessen er sich später zu erinnern glaubte und das er auch den Gerichten gegenüber geltend machte, war, daß der Wein, welchen er abends in jenem Gasthofe zu Kendal getrunken hatte, ihm schwer und betäubend zu schmecken schien und er darauf in unnatürlichen tiefen Schlaf verfiel.

Man lächelte dazu. Man wurde aber empört, als er weiter anzudeuten wagte, welch großes Interesse Oberst Henderson an dem Stein gezeigt hatte …

Wie, ein Ehrenmann, ein Offizier der englischen Armee, der nächste Verwandte Lord Hintons, dessen alleiniger Erbe – und ein so schmählicher Verdacht!

Der Oberst selbst drang auf strenge Untersuchung und stellte sich und seine Habe sofort den Behörden zur Visitation.

Man fand nichts. Es wurde nachgewiesen, daß das Eindringen eines fremden Diebes in jenen Gasthof zu Kendal völlig ausgeschlossen war. So blieb nur die Annahme des Gerichtshofes bestehen, daß William, von Habgier getrieben, selbst alle Vorbereitungen getroffen hatte, um dem Besitzer an Stelle des echten Steines jenes wertlose Duplikat zu unterschieben und sich nun hinter eine imaginäre Beraubung flüchten wolle.

Alle Welt war überzeugt davon – nur Lord Hinton selbst nicht. Wäre es nach ihm gegangen, mein armer Bruder würde niemals verurteilt worden sein.

Leider konnte er sich doch nicht entschließen, seine wahren Gedanken laut zum Ausdruck zu bringen und – schwieg. William wurde wegen Raubes zu zwanzig Jahren Kerker verurteilt und sollte seine Strafe in Australien abbüßen.

Lord Hinton aber hat seit jener Stunde jede Beziehung zu seinem Neffen abgebrochen und dies ist wohl ein Beweis dafür, daß er die Ansicht Williams teilte – und den wahren Schuldigen wenigstens vermutete.«

Harriet stieß einen Schrei aus und umklammerte Frank Tiersteiners Arm krampfhaft.

»Mein Vater – Sie wollen sagen, daß mein Vater –« stammelte sie außer sich.

Tiersteiner senkte den Kopf.

»Wir haben niemals eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen können,« sagte er, »und der 30. Mai hat unsern Verdacht nur zu sehr bestätigt.«

Harriet schlug die Hände vor das Gesicht. Tränenloses Schluchzen schüttelte ihren Körper.

»Ein Dieb mein Vater, ein Dieb … es ist nicht möglich …!«

Frank Tiersteiner fuhr nach einer Pause fort: Für uns bedeutete Williams Verurteilung nicht nur die Vernichtung einer geachteten Existenz, sondern die Zerstörung unseres bis dahin so harmonischen Familienlebens.

Williams Frau tötete sich am Tage seiner Verurteilung durch einen Revolverschuß. Mein Vater schloß sein Geschäft, machte alles zu Geld, was möglich war, und nötigte Lord Hinton trotz dessen Sträubens eine Summe von 100 000 Pfund als Ersatz für den verschwundenen Diamanten auf. Nur das Haus am Trafalgar-Square behielt er und führte darin ein einsames von aller Welt abgeschlossenes Leben.

Ich selbst wanderte nach Österreich aus, wo ich später das Geschäft meines Schwiegervaters übernahm und vom Glück begünstigt, mich wieder emporarbeitete.

Ein seltsamer Zufall fügte es, daß Oberst Henderson, der nach jenen Ereignissen seinen Abschied genommen und sich jahrelang ruhelos auf Reisen herumgetrieben hatte, später gleichfalls nach Wien übersiedelte und geschäftlich mit mir in Verbindung trat.

Da ich meinen englischen Namen germanisiert hatte, ahnte er nicht, daß ich der Bruder jenes Mannes sei, dessen Existenz er vernichtet hatte. Ich aber erblickte in dem Umstand, daß ich nun als Fremder seine Sammlungen besichtigen konnte, einen Hoffnungsstrahl –«

»Und hatten Sie je Gelegenheit,« fiel Hempel gespannt ein, »den verschwundenen Stein zu sehen?«

»Nein. Aber ich gewann die unzweifelhafte Gewißheit, daß er seine größte Kostbarkeit vor mir und aller Welt verbarg. Halbe Worte, ein Lächeln da dort, der Hinweis auf einen Gegenstand, den keine zweite Sammlung der Welt auszuweisen hatte – konnten mich nicht im Zweifel darüber lassen, daß wir mit unserem Verdacht recht hatten.«

»Hat der Oberst Sie denn nicht erkannt, als er Sie wiedersah? Sie waren doch zugegen, als ihm damals der Stein zuerst gezeigt wurde?«

»Allerdings. Indessen war ich einerseits damals ein junger, bartloser Mann, anderseits war Oberst Henderson so völlig von dem Stein fasziniert, daß er keinen von uns dreien auch nur eines Blickes würdigte. Den stärksten Beweis für sein heimliches Schuldgefühl erhielt ich übrigens damals, als Richard um seine Tochter warb. Mein Sohn hat mir die Szene nachher genau beschrieben. Oberst Henderson hatte kaum vernommen, daß Tiersteiner nur eine Übersetzung Beastrocks sei, als er leichenblaß wurde, und am ganzen Körper zu zittern begann. Mühsam hielt er sich an der Tischkante aufrecht. Was Richard in seinen Augen las, war ausschließlich Schreck und flackernde Angst. Richard, der bestürzt und verständnislos diesem Gebaren gegenüberstand, konnte damals natürlich nicht ahnen, daß es sowohl Scham als Schuldgefühl war, was Oberst Henderson antrieb, seine Werbung so schroff abzulehnen. Er wußte, daß die Familie Beastrock seine Schuld ahnte, daß sie seinetwegen namenlos elend geworden war – sollte er, dessen Ehre vor der Welt untadelhaft dastand, sich die Marter auferlegen, diese schmählichen Erinnerungen in den Augen des Schwiegervaters seiner Tochter täglich neu zu lesen?«

Ein Stöhnen entrang sich Harriets Brust.

»Und jetzt …? Weiß Richard …« stammelte sie angstvoll.

»Ja, Miß Harriet. An dem Tage, da Oberst Henderson seine Werbung zurückwies und der arme Junge verzweifelt nach Gründen dafür suchte, fühlte ich mich verpflichtet, ihm die Wahrheit zu sagen.«

»O, und trotzdem dieser Opfermut um meinetwillen? Trotzdem diese hochherzige Schonung, die nie durch ein Wort der Erbitterung gegen meinen Vater verriet, wie tief dieser in Ihrer Schuld stand!«

Frank Tiersteiner glitt sanft über Harriets blondes Haar.

»Er liebt Sie, mein armes Kind – ist das nicht Erklärung genug?«

Silas Hempel, welcher den Ausführungen des alten Herrn gespannt gefolgt und dann in tiefes Nachdenken versunken war, hob jetzt den Kopf und fragte lebhaft: »Und ihr Bruder William? Sie haben uns noch nicht erzählt, wie sein Schicksal weiter verlief. In einer der englischen Zeitungen, welche ich in Oberst Hendersons Schreibtisch fand – ich glaube, es war die »Times« – fand ich eine mit Bleistift angestrichene Notiz:

»Unter den Verbrechern, welche anläßlich des Thronwechsels begnadigt wurden, befindet sich auch William Beastrock, dessen Prozeß seinerzeit so großes Aufsehen erregte und der zu zwanzig Jahren verurteilt war, von welcher er bis jetzt fünfzehn abgebüßt hat.«

»Ich konnte bisher keinen andern Zusammenhang finden, als die Weigerung des Obersten, seine Tochter dem Verwandten eines Verbrechers zur Frau zu geben. Jetzt freilich sieht die Sache ganz anders aus. Die Notiz war ein halbes Jahr alt. So lange braucht man ungefähr um von Sidney nach Erledigung aller Formalitäten per Regierungsdampfer nach England und von dort nach kurzem Aufenthalt weiter bis Wien zu gelangen. Der Oberst wollte am 31. Mai mit einer sehr sorgfältig gepackten Reisetasche in die Stadt fahren. Nur er selbst konnte den blauen Diamanten aus einem der geschickt verborgenen Geheimfächern nehmen – offenbar, um ihn an irgend einem sichern Ort zu deponieren für den Fall, daß William Beastrock ihn aufsuchen sollte, um persönlich Rechenschaft zu fordern.«

»Er hat sie gefordert!« fiel Tiersteiner ein. »Und früher, als der Oberst annahm, denn er hielt sich in London nicht länger als zwei Stunden auf. Damit aber komme ich zu dem dritten Teil meiner Erzählung, zu den tragischen Ereignissen der Nacht vom 30. Mai.

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