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3. Kapitel.

»Sie haben mich zu sprechen gewünscht, Herr Kommissär,« sagte Harriet mit der höflichen, aber kühlen Zurückhaltung der vornehmen Dame, sich auf ein Sofa niederlassend und Brandner mit einer Handbewegung auf dem gegenüberstehenden Sessel seinen Platz anweisend.

Sie hatte sich zufällig oder absichtlich so gesetzt, daß sie die Fenster und die dazwischenliegende Glastür der Terrasse im Rücken hatte, Brandner aber im vollen Lichte saß.

Er betrachtete sie halb überrascht, halb enttäuscht. Überrascht durch den wirklich unvergleichlichen Liebreiz ihrer Erscheinung, das Holdselige dieses reinen, edlen Gesichtes, das ihm Wasmuts Verhalten plötzlich nur zu begreiflich erscheinen ließ, enttäuscht durch die stolze Sicherheit, mit der sie ihn empfing. Er hatte eine Gebrochene zu sehen erwartet, mit der er leichtes Spiel haben würde – sie aber saß da scheinbar so ruhig und gelassen, als habe sie auch nicht eine Frage zu fürchten.

»Nun, Herr Kommissär – ich vermute, daß Sie irgendwelche Aufklärungen von mir zu erhalten wünschen, wenngleich ich fürchte, Ihre Erwartungen enttäuschen zu müssen. Immerhin. – Bitte, stellen Sie Ihre Fragen!«

Brandner verbeugte sich.

»Allerdings muß ich Sie mit einigen Fragen belästigen, mein Fräulein, welche für die Aufdeckung des Verbrechens, dem Ihr Vater leider zum Opfer fiel, von Wichtigkeit sind, die vielleicht nur – Sie beantworten können. Vor allem diese: Ist Ihnen irgend eine Person bekannt, von der sich annehmen ließe, daß sie Ihrem Vater feindlich gesinnt sei?«

»Nein – durchaus nicht. Mein Vater hatte so gut wie keinen Verkehr. Er lebte völlig zurückgezogen nur seinen Sammlungen. Die wenigen Personen, mit welchen er in Berührung kam, standen ihm viel zu fern, als daß von Freund- oder Feindschaft die Rede sein könnte.«

»Demnach hegen Sie selbst keinen Verdacht gegen irgend eine Persönlichkeit Ihres gegenwärtigen Bekanntenkreises?«

Harriet hob erschrocken den Kopf. Die Frage hatte einen lauernden Unterton, und auch in dem Blick des Fragers lag etwas Erwartungsvolles.

Sie runzelte ärgerlich die Brauen und antwortete ebenso vorwurfsvoll als abweisend: »Wenn ich einen derartigen Verdacht hätte, würde ich ihn zweifellos den Behörden schon selbst mitgeteilt haben. Ich hege keinen.«

»Sie wissen auch niemanden, der ein Interesse an dem Tode des Herrn Obersten hätte?«

»… Niemand.«

Täuschte er sich nicht? Bebte ihre Stimme nicht doch ganz leise, während sie dieses Wort aussprach?

Nach einer kleinen Pause fuhr Brandner fort:

»Wie erklären Sie sich dann aber den Mord, da doch nichts geraubt worden sein soll?«

»Ich kann ihn mir so wenig erklären wie irgend jemand anderer,« murmelte sie.

»Sind Sie denn übrigens ganz sicher, mein Fräulein, daß nicht doch etwas aus den, wie man sagt, sehr kostbaren Sammlungen Ihres Vaters geraubt wurde? Es sollen sehr seltene Stücke darunter sein, und es sind immerhin Fälle bekannt, daß Sammler aus Leidenschaft …«

»Darüber kann ich leider keine Auskunft geben,« sagte Harriet verlegen, »mein Vater war zuweilen recht seltsam in Bezug auf seine Sammlungen. Es gab Leute, denen er Stück für Stück zeigte und erklärte, andere dagegen, die oft von weit her kamen, sie nicht einmal ansehen durften. Vielleicht war es nur eine Laune … sicher ist aber, daß er es nicht gerne sah, wenn ich Interesse dafür zeigte. Aus diesem Grunde betrat ich seine Zimmer äußerst selten und wir sprachen fast nie von den Sammlungen. Sie begreifen, daß ich deshalb auch nicht wissen kann, was da war und ob etwas fehlt. Friedrich, meines Vaters Kammerdiener, der die Gegenstände zuweilen unter Vaters Aufsicht abstauben mußte und darum besser orientiert ist, behauptet, daß kein einziges Stück fehlt. Übrigens meine ich, es müsse sich doch irgendwo ein Verzeichnis der Gegenstände finden lassen …

»Sie haben recht, man wird ein solches wohl finden …« sagte Brandner zerstreut, und dann plötzlich, den Blick voll und fest auf Harriet richtend, fuhr er fort: »Aus Ihren Mitteilungen scheint mir hervorzugehen, daß zwischen Ihnen und dem Toten nicht jene innige, herzliche Gemeinschaft bestand, wie sie sonst zwischen Vater und Kind üblich ist. Der Herr Oberst war wohl ein strenger, harter Mann?«

Harriet lächelte traurig.

»Nein, das war er wohl nicht. Nur eine verschlossene Natur, die entweder den Wunsch oder die Möglichkeit nicht besaß, sich andern mitzuteilen. Gegen mich war er stets gütig.«

»Trotzdem soll in der letzten Zeit eine Entfremdung zwischen Ihnen geherrscht haben, und gestern hatten Sie sogar einen heftigen Streit mit Ihrem Vater!«

Brandners Blick ruhte unverwandt auf dem blassen Mädchenantlitz, während er diese Worte rasch herausstieß. Wenn er aber gedacht hatte, damit ein Erschrecken hervorzurufen, so sah er sich getäuscht.

Harriet blieb ganz ruhig und antwortete ohne Zögern mit einem tiefen Seufzer:

»Leider war es so! Mein Vater mißbilligte die Wahl, welche mein Herz getroffen hatte –«

»Ich weiß: er verbat Herrn Richard Tiersteiner das Haus und erklärte, niemals, so lange er lebe, in diese Verbindung zu willigen!«

Harriet sah betroffen auf.

»Ah – Sie wissen dies? Nun ja – es war leider so.«

»Was hatte Ihr Vater gegen Richard Tiersteiner einzuwenden?«

»Ich weiß es nicht. Er gab vor, daß es einerseits Richards englische Abstammung sei –«

»Ihr Vater war doch selbst Engländer!«

»Allerdings. Dennoch hatte er unbegreiflicherweise eine Abneigung gegen alles Englische. So mußte auch der ehemalige Name dieses Hauses »Bleak-house« in Monplaisir umgewandelt werden. Dann war ihm auch nicht recht, daß Richards Vater einem alten, englischen Goldschmiedegeschlecht entstammte. Er war immer mißtrauisch gegen Goldschmiede und Juwelenhändler, da sie, wie er sagte, Sammler oft durch falsche Objekte betrögen. Dennoch stand er früher mit der Firma Tiersteiner in geschäftlicher Verbindung und dies war die Ursache, daß ich Richard, welcher öfter im Auftrag seines Vaters bei uns vorsprach, kennen lernte. Später, als Richard um mich anhielt und dabei seine Abstammung von der einst berühmten englischen Firma Beastrock – Richards Vater hatte seinen Namen nur germanisiert – erwähnte, brach mein Vater sofort alle Beziehungen zu ihm ab. Ich glaube aber, daß der Hauptgrund seiner Weigerung wohl in persönlicher Abneigung bestanden haben muß. Richard mit seinem sonnigen, lebhaften Naturell war so ganz der Gegensatz meines verschlossenen, wortkargen und immer zum Mißtrauen bereiten Vaters!«

»Und wie nahm Herr Tiersteiner die Weigerung Ihres Vaters auf?«

»Anfangs sehr niedergeschlagen. Später, als er sicher war, daß ich nicht von ihm lassen würde, beruhigte er sich. Wir beschlossen eben zu warten.«

»Bis –?«

»Bis mein Vater, durch mich umgestimmt, sich anders besinnen würde.«

»Oder – bis er tot war!«

Harriet zuckte zusammen.

»Oh! Das nicht! Bei Gott – – das nicht!« stammelte sie entrüstet. »Daran dachte gewiß keines von uns auch nur einen Augenblick!«

Brandner fixierte sie scharf. Ihre Entrüstung schien echt und dann spielte er seinen letzten Trumpf aus. Rasch, ohne Vorbereitungen, sicher wie ein guter Schütze, der gewiß ist, sein Ziel zu treffen.

»Wollen Sie mir nun erklären, was Richard Tiersteiner gestern abend zur Zeit des Mordes hier im Park zu tun hatte?«

Diesmal gelang die Überrumpelung nur zu gut. Harriet fuhr von ihrem Sitz auf, als wäre ein Blitz aus heiterem Himmel vor ihr niedergefahren.

»Richard … gestern abend … ich weiß nichts davon!« stammelte sie, während fahle Blässe ihr Gesicht überzog.

»Und wo waren sie selbst in der Zeit zwischen neun und zehn?« fuhr Brandner streng fort.

»In … meinem Zimmer.« Wie ein Hauch kamen die Worte von ihren Lippen.

Es war offenbar, daß sie log. Schlecht und ungeschickt wie jemand, der an Lügen nicht gewöhnt ist. Sie mußte es selbst fühlen, denn ihre Blicke irrten verstört und ratlos im Raum umher.

»Und da wollen Sie jemand glauben machen, daß Sie den verhängnisvollen Schuß nicht gehört haben? Es ist Sommer – der Abend war schwül, – zweifellos hatten Sie doch das Fenster nicht geschlossen!«

Harriet antwortete nicht.

Brandner trat ihr einen Schritt näher und sagte eindringlich: »Ich verstehe, – Sie wollen nichts gehört haben. Aber – Sie lügen schlecht, mein Fräulein und schaden der Person, welche Sie – schonen wollen mehr, als sie ihr nützen.«

Ein Zittern lief durch Harriets Gestalt. Im nächsten Moment ging eine große Veränderung in ihr vor. Sich entschlossen aufrichtend, sagte sie mit bebender Stimme:

»Sie haben recht, ich log. Wohlan – ich will Ihnen die Wahrheit sagen und damit … damit meine Ehre in Ihre Hände legen. Richard war hier. Er kam zu mir. Wir … wir verbrachten eine Stunde … oder mehr … in meinem Zimmer. Wir hatten das Fenster geschlossen und die Läden herabgelassen … wir konnten nichts hören!«

Ein mitleidiges Lächeln glitt über des Kriminalkommissärs Gesicht.

»Nun wollen Sie sich opfern, um ihn zu retten. Aber kein Richter der Welt würde Ihnen glauben, Sie sind kein ehrloses Mädchen!«

Ein kurzer, heftiger Kampf. Todesangst spiegelte sich in ihren Blicken. Dann stieß sie mit rauher Stimme heraus: »Und wenn ich – bereit wäre – es zu – zu beschwören?!«

»Personen, welche der Vorschubleistung bei Verheimlichung begangener Verbrechen verdächtig sind, werden nicht zum Eid zugelassen,« sagte er kalt. »Geben Sie sich also keine weitere Mühe, Herrn Tiersteiner zu – retten.«

Mit einem Aufschrei umklammerte Harriet Brandners Arm.

»Richard –? Oh, Sie denken – Sie halten es für möglich, daß er – er – er – aber das ist ja Wahnsinn!«

Der Kommissär sah sie groß an.

»Richard Tiersteiner ist bis jetzt die einzige Person, von der wir wissen, daß sie ein Interesse an dem Tode Oberst Hendersons hatte. Oder wissen Sie noch eine andere?«

Harriet antwortete nicht. Mit einem ächzenden Seufzer war sie plötzlich bewußtlos auf das Sofa zurückgesunken.


»Ich wußte ja, daß es zu viel für dich sein würde, armes Kind,« sagte die Hofrätin zärtlich, als Harriet unter ihren Bemühungen endlich wieder zu sich kam. »Du hättest mich doch mitnehmen sollen zu dieser Unterredung. Gerichtsleute sind immer so rücksichtslos.«

Harriets schwarze Augen irrten verstört umher, als suchten sie etwas, müßten sich erst wieder zurechtfinden. Dann ein Blitz der Erkenntnis.

Sie ergriff krampfhaft der Hofrätin Hand.

»Alice, du warst immer meine Freundin – mehr als das, warst mir eine zweite Mutter – hilf mir jetzt! Nenne mir irgend einen Detektiv, einen Anwalt, ach, nur irgend einen geschickten, vertrauenswürdigen Menschen, an den ich mich wenden kann in meiner Not. Sie verdächtigen Richard, meinen Vater ermordet zu haben.«

Die Hofrätin fuhr erschrocken zurück.

»Richard Tiersteiner? O Gott, wie ist dies möglich? War er denn –?«

»Er war hier gestern abend. Aber bitte, frage mich nichts weiter! Ich kann dir nicht sagen, was ihn herführte … aber ich schwöre dir, es war nichts Schlechtes und – er ist unschuldig!«

Nur einen Blick warf Alice Warmbach in Harriets reine Züge, dann küßte sie sanft deren Stirn.

»Beruhige dich, Liebe, ich zweifle weder an ihm, noch an dir. Ich will auch keine Frage stellen.«

»Man wird ihn zweifellos fragen,« fuhr Harriet erregt fort, »ich weiß nicht, was er antworten wird, nur das weiß ich, daß ich ihn retten muß, und dazu einen Menschen brauche, der mehr Erfahrung besitzt als ich!«

»Wende dich an Silas Hempel, Bernardgasse 7, Harriet! Er ist ein sehr geschickter Privatdetektiv, dabei diskret und von vornehmem, tadellosem Charakter. Wenn jemand dir raten kann, so ist er es.«


Es dunkelte schon, als ein Mietwagen an dem stillen, vornehmen Landhaus in der Dornbacher Straße hielt, welches der Goldschmied Tiersteiner allein mit seinem Sohne Richard bewohnte.

Eine dichtverschleierte Dame, deren Gestalt durch den seidenen Reisemantel ganz verhüllt war, stieg aus, durchschritt rasch den kleinen Vorgarten und drückte auf den Knopf der elektrischen Leitung.

»Melden Sie Herrn Tiersteiner, daß eine Dame ihn sofort zu sprechen wünscht,« sagte sie hastig, als der Portier geöffnet hatte.

»Der Herr ist seit drei Wochen verreist – nach England zu seinem totkranken Vater –«

Die Dame nickte ungeduldig.

»Ich weiß, ich will auch nicht zu dem alten Herrn, sondern zu Herrn Richard.«

»Herr Richard …« Der Portier sah sich verstört um und flüsterte niedergeschlagen: »Herr Richard ist vor einer halben Stunde verhaftet worden.«

Einen Augenblick war es, als wolle die Dame umsinken. Schwankend lehnte sie sich an den Türpfosten.

»Verhaftet … o Gott … schon!« murmelte sie tonlos. Dann raffte sie sich auf und eilte, ohne ein Wort weiter zu sprechen, an ihren Wagen zurück.

»Bernardgasse 7 – so rasch Sie fahren können!«

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